Brasilien vor der Wahl: Desinformation und Gerüchte millionenfach über WhatsApp verbreitet

In Brasilien ist WhatsApp zum wichtigsten Tool für Desinformationskampagnen geworden. Kurz vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl erhalten Millionen von Wählern Falschinformationen. Forscher haben Vorschläge, die Verbreitung einzudämmen – ohne Angriffe auf die Verschlüsselung.

„Ele não“ – Er nicht. Damit protestieren Frauen in Brasilien gegen Jair Bolsonar. Die Stichwahl ist am 28. Oktober. CC-BY-ND 2.0 Esdras Beleza

Eine gute Woche vor dem zweiten Gang der brasilianischen Präsidentschaftswahlen kommen erste Details über eine groß angelegte Desinformationskampagne ans Licht. Offenbar werden millionenfach WhatsApp-Nachrichten mit Verschwörungstheorien über Fernando Haddad und seine Arbeiterpartei PT an brasilianische Wähler verschickt. Die genaue Zahl an Nachrichten sei derzeit schwer abzuschätzen. Forscher gehen davon aus, dass die Nachrichten über schätzungsweise mehrere hunderttausend Chat-Gruppen verschickt werden.

Der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro, der sich positiv auf die brasilianische Militärdiktatur bezieht und ein Befürworter der Todesstrafe ist, hat offenbar mächtige Wahlkampfunterstützer, die Propagandafirmen in seinen Dienst stellen:

Laut einer Aufmachergeschichte in einer der führenden brasilianischen Zeitungen, Folha de São Paulo, hat Bolsonaro illegale Hilfe von einer Gruppe von brasilianischen Geschäftsleuten bekommen. Sie finanzieren eine Kampagne mit dem Ziel, WhatsApp-Nutzer mit Falschinformationen über Haddad zu bombardieren.

Die brasilianischen Wahlbehörden leiteten Ermittlungen wegen Verdachts auf illegale Wahlkampffinanzierung ein.

Forscher kritisieren WhatsApp

Die Forscher haben 100.000 politische Memes, die zwischen dem 16. August und 7. Oktober in brasilianischen WhatsApp-Gruppen mit politischem Bezug zirkulierten, analysiert: 56% der Prozent der am meisten geteilten Bilder enthielten irreführende Informationen. Sie beschreiben auch eine Verschiebung: Da Inhalte auf sozialen Medien wie Facebook in Brasilien nun besser gefiltert und moderiert werden, verlagern sich Desinformationskampagnen auf weit verbreitete Messengerdienste.

Sie stellen drei Forderungen auf, die WhatsApp kurzfristig umsetzen könnte, um die Verbreitung solcher Inhalte zu erschweren. Wichtig ist, dass die Maßnahmen ohne einen Angriff auf die mittlerweile standardmäßig eingesetzte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auskommen:

  1. Weiterleitungen von Nachrichten einschränken: […] Weltweit wurde die Nummer an Weiterleitungen auf 20 reduziert, in Indien auf fünf [im August 2018]. WhatsApp sollte die Maßnahme für Brasilien übernehmen, um die Reichweite von Desinformation zu begrenzen.
  2. Sammelnachrichten beschränken: WhatsApp erlaubt jedem Nutzer, eine einzelne Nachricht an bis zu 256 Kontakte auf einmal zu schicken. Eine kleine, koordinierte Gruppe kann ohne Umstände eine groß angelegte Desinformationskampagne durchführen. Das könnte verhindert werden, indem die Kontaktanzahl […] reduziert würde.
  3. Die Größe von neuen Gruppen beschränken: Neue Chat-Gruppen, die in den nächsten zwei Wochen [bis zur Wahl am 28. Oktober] erstellt werden, sollten eine limitierte Anzahl von Nutzern haben. Das würde bestehende Gruppen nicht betreffen.

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8 Ergänzungen

  1. Werden solche Kampagnen tatsächlich von normalen WA-Benutzern losgetreten?
    Gibt es da nicht kommerzielle Zugänge, bei denen man sich als Firma registrieren und dann automatisiert Nachrichten an viele WA-User verschicken kann?
    Bietet FB vielleicht sogar an, dass man an Hand des FB-Profilings zielgruppengenau Nachrichten per WA zustellen kann?

    1. Irgendwie ist vielen noch immer nicht klar dass WA/FB/Twitter nur Werkzeuge sind. Die Verfahren gab es auch schon mit SMS/MMS/ICQ/Jabber/Usenet/etc… Nur waren sie nicht so effektiv.

      1. @Titus – ja die bisherigen Werkzeuge liefern keine Zielgruppen, so dass man Nachrichten, die man breit streuen will, nicht so genau an die Erwartungshaltung der jeweiligen Zielgruppe anpassen kann.
        Da fliegen Fakes dann schneller auf, weil man unweigerlich Leute adressiert, die den Fake bemerken und auffliegen lassen.

        Bei SMS/MMS wäre ich heute aber auch vorsichtig, da ich davon ausgehe, dass es Anbieter gibt, die Zielgruppen auch per SMS/MMS erreichbar machen.

        Zielgruppen sind das Lebenselexir der Uservermarktungsplattformen. Das Problem ist nur, dass die Uservermarktungsplattformen nicht automatisch erkönnen kennen, welche Message sie gerade automatisch pushen, weil die KI eine starke Userreaktion detektiert.

  2. Böse Memes, gute Memes – 56% enthielten irreführende Informationen. 100% aller Memes sollen in eine Richtung irreführen, das Wesen vons Ganze.

  3. Und was ist mit all den Fehlinformationen, die über (vor allem private) TV-Sender ausgestrahlt werden? Sollte man die Reichweite von Radio und Fernsehen nicht auch auf 20 Personen oder weniger einschränken?

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