Asylverfahren: Handy-Durchsuchung bringt keine Vorteile

Seit September 2017 darf das Bundesamt für Asyl die Mobiltelefone von Geflüchteten auswerten. Das erntete bereits Kritik, die Technik sei viel zu teuer und das Verfahren außerdem verfassungswidrig. Eine erste Stellungnahme des Innenministeriums zeigt nun: der Nutzen ist verschwindend gering.

Für Geflüchtete kann das Smartphone Werkzeug der Befreiung und digitale Falltür zugleich sein. – Public Domain FOX

Zeig mir dein Telefon und ich glaube dir, wer du bist. So könnte man das Projekt betiteln, mit dem das Bundesamt für Asyl seit September 2017 Asylbewerber*innen tief in die Privatsphäre blickt. Wer keine Ausweispapiere vorlegen kann, soll im Rahmen der Mitwirkungspflicht sein Handy, Tablet oder Laptop rüberreichen. Wer sich weigert, kann durchsucht werden.

Laut Bundesregierung hat das BAMF allein im Jahr 2017 für 4,8 Millionen Euro Geräte und Software zur Datenauslese angeschafft. Was es nutzt? Dazu hat sich die Regierung nun erstmals geäußert – in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Die kurze Fassung: Der Verdacht, dass Asylbewerber*innen bei der Angabe ihrer Identität im großen Umfang betrügen, bestätigt sich nicht.

Bundesregierung: keine relevanten Ergebnisse in 2/3 der Fälle

In der Phase von September 2017 bis Ende Mai 2018 konnten knapp 15.000 der Betroffenen keine Papiere vorlegen, weshalb das BAMF ihre Mobiltelefone, Pads oder Laptops ausgelesen hat. Das bedeutet laut Antwort der Bundesregierung, dass zum Beispiel Ländercodes der gespeicherten Kontakte, angerufene Nummern oder in Nachrichten verwendete Sprachen aus den Geräten extrahiert und gespeichert wurden. Auch Geodaten wurden gespeichert. Die Begründung: „Geographische Daten, z. B. Aufenthaltsorte des Ausländers können Rückschlüsse auf die Staatsangehörigkeit zulassen, Reiserouten werden nicht erstellt.“

Zugreifen auf die so gewonnenen Informationen sollen Mitarbeiter*innen des BAMF nur dann, wenn sich keine anderen „milderen Mittel“ zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit mehr anbieten, etwa ein Gespräch. Das geschah in ca. 5000 Fällen. In ca. einem Drittel der Fälle stützten die Daten die Angaben der Antragssteller*innen. Allerdings ließen laut Bundesregierung fast zwei Drittel „hinsichtlich Identität und Herkunft keinen relevanten Informationsgehalt erkennen.“ In nur ca. 100 Fällen widersprachen die Daten dem, was die Personen bei der Befragung mitgeteilt hatten. Zum Vergleich: In diesem Zeitraum wurde über etwa 230.000 Asylanträge entschieden.

Opposition: Verfahren weiterhin unverhältnismäßig

100 Fälle von insgesamt 230.000. Das wirft Fragen zur Verhältnismäßigkeit auf, die Datenschützer*innen und Kritiker*innen des „Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ schon vor dessen Verabschiedung gestellt hatten. Zudem jetzt klar wurde: Die Daten aus den Telefonen und Laptops werden nicht erst ausgelesen, wenn sich andere Mittel erschöpft haben, sondern bereits beim ersten Kontakt einer Person mit dem BAMF, als Backup sozusagen, auf das die Entscheider*innen später nach Bedarf zugreifen können. Zwar muss eine „Person mit Befähigung zum Richteramt“ die Daten auswerten. Von der Anordnung eines Richters oder einer Richterin, die sonst vor der Durchsuchung von Geräten notwendig wird, ist diese Praxis aber weit entfernt.

„Diese Zahlen unterstreichen die Unverhältnismäßigkeit dieser massenhaften Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung,“ sagt auch Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken, gegenüber netzpolitik.org. „Die vorliegenden Informationen zu Handy-Auswertungen und zur Dokumenten-Überprüfung im BAMF widerlegen ein verbreitetes Vorurteil: Ein Missbrauch oder falsche Angaben von Asylsuchenden in einer relevanten Größenordnung lassen sich damit gerade nicht belegen.“

Rechtsruck in Europa, Österreich an der Spitze

Deutschland steht damit nicht alleine da. Auch andere EU-Staaten beschneiden das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gerade für jene, die ohnehin schon schutzlos sind. Der politische Wind weht nach rechts. So verschärfte in Österreich erst vergangene Woche die Rechtsaußen-Regierung aus ÖVP und FPÖ seine Asylgesetze: Behörden dürfen für die Feststellung von Identität und Fluchtroute künftig alle Datenträger von Geflüchteten auslesen, speichern und auswerten. Asylbewerber*innen können Mobiltelefone nun jederzeit abgenommen und ausgelesen werden.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) betonte zwar vor Beschluss des Gesetzes, es gehe „nicht um die Auswertung von SMS oder Ähnlichem“, sondern lediglich darum, via Geodaten den Fluchtweg rekonstruieren zu können. Diese Einschränkung nimmt das beschlossene Gesetz aber nicht vor: Im Gesetzestext und der dazugehörigen Erläuterung heißt es, es könnten alle mitgeführten Geräte sichergestellt werden und „alle auf dem Datenträger befindlichen Daten“ ausgewertet werden. Die Exekutive erhält praktisch freie Hand beim Durchleuchten von Geflüchteten.

Fachleute halten das für hochgradig problematisch. UNHCR vermisst in der Regelung „wichtige Schutzvorkehrungen“ für die Betroffenen. Auch wendet das UN-Flüchtlingshilfswerk ein, dass Mobiltelefone bei der Flucht oft den Eigentümer wechseln und von mehreren Menschen genutzt werden – an der Zuverlässigkeit der gewonnenen Erkenntnisse sei darum zu zweifeln. Die österreichische Richtervereinigung betonte zudem in einer Stellungnahme an das Parlament in Wien, sie hege gegen solches Vorgehen grundrechtliche Bedenken. Geholfen hat es nichts: Das Gesetz ist beschlossen. Österreich gab sich damit das 17. Mal seit dem Jahr 2005 strengere Asylgesetze.

Vom „gläsernen Geflüchteten“ zum „gläsernen Bürger“

Es ist davon auszugehen, dass Überwachungsfanatiker der Neuen Rechten und diejenigen, die ihr nachlaufen, verfassungsrechtlich weiterhin mit zweierlei Maß messen. Bis erneut die Forderung kommt, Geflüchtete müssten noch konsequenter überwacht werden, wird es nicht lange dauern. Das BAMF brauche schlichtweg mehr Befugnisse, daher ja auch der Misserfolg mit der Handy-Auslese.

Menschen auf der Flucht sehen sich dadurch einer noch bedrohlicheren Realität ausgesetzt. Angesicht immer repressiverer Maßnahmen wird es immer wahrscheinlicher, in die Ungnade der Behörden zu geraten. Wer über die Verfahren beim BAMF zumindest grob in Kenntnis ist, kann sich natürlich ein neues Handy zulegen – wer aber schon unter Generalverdacht steht, verliert dadurch an Glaubwürdigkeit. Keine authentische Anruferliste, kein Asyl?

Vom „gläsernen Geflüchteten“ zum „gläsernen Bürger“ ist es kein weiter Weg. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Grundrecht, es umfasst auch das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit der eigenen Geräte, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Wenn einer besonders benachteiligten Gruppe von Menschen dieses Grundrecht nun aberkannt wird, muss das Alle alarmieren. Das Asylrecht darf nicht als Testfeld dienen, um staatliche Überwachung auszubauen.

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11 Ergänzungen

  1. Vom „gläsernen Geflüchteten“

    Bei gerade mal 6,5% aller Flüchtlinge wurde die Daten erfasst und bei 2,2% wurden die Daten gesichtet.

  2. Unabhängig von dem Fall von Migranten, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Staat durchzusetzen ist in vielen Fällen schwierig bis unmöglich. , siehe zB DSGVO 23, 1, d „die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder die Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit;“

  3. Des is doch janz e’nfach (milchmädchenmäßig erklärt), wir werden Rrrrrechts’teschnisch gecheneinander Ausjespielt und das jeht so:

    Es wird ein Jesetz erlassen, das von Vornherein eine Jruppe von Menschen benachteilichen tut.
    Nun stellt das Bundesverfaselungsjericht, jenau diesen Unstand fest, weil dieses Mumpitsgesetz gechen die Jleichbehandlung verstoßen tut, ’ne woar!

    Nun jehen unsere Ex’perten an ihre Schublade und holen das Jesetz vor, das die Jleichbehandlung wieder herstellt, in dem das Jesetz nich nur für die As’ylbewerbungskandidaten jelten tut, sondern auch für den schnöden Bürcher!

    Jetzt darf dann die BAMF auch die Schmartfones der anderen Bürcher in Augenschein nehmen!

    Ist Demokratie nich watt schönes?

    1. Lese ich aus deinem „Gommendar“ das so heraus, das die Regierungen der Länder bzw. die Bundesregierung, Gesetze so verfasst, das diese Gesetze eine bestimmte Personengruppe benachteiligt und sobald alle „Anderen“ jubeln und das Bundesverfassungsgesetz z.B., logischerweise auf diesen vorsätzlich gemachten „Makel“ aufmerksam macht, wird der „Wille des Volkes“ so ausgelegt, das die Bürger diese Gesetze z.B. mit Einschnitten in die Persönlichkeitsrechte/Privatsphäre akzeptieren, nur um dieser Personengruppe gesetzlich „habhaft“ zu werden und als „Kollateralschafen“ springt dabei die Massenkontrolle/-überwachung von z.B. Smartphones aller Bürger heraus?

      Wenn das so ist, sind „die da Oben“ bzw. ihre Berater richtig Clever!

      1. Jenau!
        Des is die menschlische Naddur!
        Ers mal Jubeln, das esch den Ling’gen an den Krachen gehen soll, die (als Beispiel) die Deut’sche Dem’kratsche Rep’blick wieda hab’n woll’n und dann späder zustimmen, weil man ja vorher jejubelt hadde als et gechen die Ling’gen ging und seine Meinung für’s Jesetz nich ändert, weil et plötzlisch jechen einen selber verwendet werden gann, der neuen Fassung zu jubelt un‘ sich späder darüber beschwert, dass das Jesetz einen selber in den Gnast bringt, weil man seinem C’S’U Abjeordneten die eine und viele annere chrislisch soziale Umlacherungen (Unerschlachungen wie Domols bei die annere Unioon http://m.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-spendenaffaere-warum-merkel-ohne-schreiber-nicht-kanzlerin-waere-a-640526.html http://m.spiegel.de/politik/deutschland/uebersicht-die-brennenden-fragen-der-cdu-spendenaffaere-a-108558.html https://juergenfritz.com/2017/12/05/cdu-eigene-volk-betrogen/ man schbrischt nisch schlescht üba die Dod’n abba datt er so Jung schdarb, dafür gann isch nischt) unner die Nose jerieben hadd und der sisch mid seinen (jesetzlischen) Middeln deiner entledichen dut!

  4. Weshalb haben die wenigsten einen Pass? Weil man sich als angehender Asylsuchender vorher in Fachkreisen oder im Netz informiert. Genauso wird das mit dem Handy laufen. Wer annimmt, dass im BAMF noch einer mit einem „unaufgeräumten“ Gerät einläuft, glaubt sicherlich an das Gute im Menschen, sollte aber nicht unbedingt dort angestellt sein. Wurde hier im Forum übrigens genauso vorrausgesagt. Auch von meiner Seite.

    1. Nein, als datt hier im Forum von den Däschern jezwitschert wurde, was das doch noch *ne Verschwöhrungsd’heorie (Verschwörungstheorie), ’ne woar!
      Ers wenn dett Gind in den Brunnen jefallen is, denn is’et geine D’herorie mehr, sondern Datsache!

    2. „Weshalb haben die wenigsten einen Pass?“
      Noch jeder kriegt seinen Pass abgenommen, sobald er mal in einen der Knäste und Lager* dieser Welt gesteckt wurde. Wenn Sie ins Ausland (außerhalb der EU…) reisen – lassen sie nie ihren (Reise)Pass einfach iwo! Oder geben Sie ihn gar als Pfand ab?!

      *hin und wieder reicht auch eine bewachte Brücke/Pass/Grenzübergang um seines Passes verlustig zu gehen – schwimmen mit Pass und so als Alternative?

    3. War auch mein erster Gedanke.
      Muss ich mit einer Durchsuchung mit Ansage rechnen, kauf ich mir ein extra Telefon dafür.
      Das wichtige Telefon lasse ich mir hinterher per Boten zustellen oder sichere alle Kontakte und lege die verschlüsselt in der Cloud ab oder oder oder.
      Eventuell bringt es aber was, wen der Wertewesten mal auf den einen oder anderen Krieg verzichtet und den Afrikanern keine Knebelverträge (*) aufdrückt, so das die sich mal selber entwickeln können und es dadurch einfach unattraktiv wird uns zu besuchen.

      * Das es noch das eine oder andere hausgemachte Problem in den Ländern gibt ist mir bewusst.

  5. Bitte macht es richtig:
    „Wer keine Ausweispapiere vorlegen kann, soll im Rahmen der Mitwirkungspflicht sein(1) Handy, Tablet oder Laptop rüberreichen.“
    (1) „ihr“ mit einfügen und *-Menschen nicht unterdrücken

    „Richters oder einer Richterin (2)“
    (2) *-Menschen nicht unterdrücken

    Aber mal Spaß beiseite:
    Nicht an Flüchtlingen wird ausprobiert, wie man überwachen kann, um es dann auf Staatsbürger zu übertragen. Das ist etwas eine Verdrehung von Tatsachen. Wenn ich mit dem Flieger nach Deutschland komme, dann werde ich sowas von überprüft, dass es einem buchstäblich die Schuhe auszieht. Da möchte ich Fairness für alle: Flüchtlinge sollten ebenso unter die Lupe genommen werden wie ich das am Flughafen werde.

    Ist es kein fairer Handel, wenn wir sagen:
    Asyl – „Weist uns nach wer ihr seid, woher ihr kommt, dass ihr ein Problem habt und was euer Problem ist. Dann helfen wir euch.“
    Einwanderung/Arbeitsaufenthalt – „Weist uns nach wer ihr seid, woher ihr kommt, dass ihr einen materiellen Gewinn für den Sozialstaat bringt (Arbeitsskills und Arbeitsplatz vorhanden). Dann dürft ihr die Vorteile des von unseren Vorfahren aufegbauten und uns aufrechterhaltenen Systems mitnutzen da ihr in der Summe auch beitragt.“ ?

    Als kleine Stichelei möchte ich noch zu denken geben (um weiterreden und somit -denken zu können, muss man riskieren, dass sich jemand auch mal beleidigt fühlt!):
    Wenn ihr sagt, dass die Flüchtlinge benutzt weden, um rechte (Sicherheits-)Politik vorran zu treiben, dann könnte ich ebenso denken und sagen, dass ihr die Flüchtlinge als moralisches Schutzschild nehmt, um euer Politik“Spektrum“ vorranzutreiben.

    Computerüberwachung ist das eine (warum lese und spende ich wohl seit Jahren für Netzpolitik), aber zu einem funktionierenden PC gehört nunmal auch eine Firewall und ein ein Antivirusprogramm.

    Bleibt bei netzpolitik.org, oder holt euch flüchtlingspolitik.org, aber vermischt das nicht mit migrationspolitik.org

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