Working Hard for the Working Class: Der SPD-Chatbot im Selbstversuch

Die SPD schickt auf Facebook einen Kampagnen-Chatbot ins Rennen, der großzügig Raum für Verbesserungen lässt. Sieht so der Wahlkampf der Zukunft aus? Ein Erfahrungsbericht.

Für ihn soll ich Wahlkampf machen: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz CC-BY-NC 2.0 Steffen Geyer

Alles fängt damit an, dass ich auf Facebook eine SPD-Regionalpolitikerin like. Beziehungsweise fängt alles tatsächlich damit an, dass ich aufgrund des Likes eine Werbung ausgespielt bekomme, die mich dazu auffordert, beim SPD-Wahlkampf mitzumachen. Dafür soll ich die Facebook-Seite „Kampa17“ liken und dann via Messenger ein „Los geht’s“ schicken.

Die manchmal eher eintönige Arbeit eines analogen Wahlkampfhelfers (Plakate kleben, nette Leute an Stände ranquatschen, von Frustrierten beschimpft werden) fällt mir im ersten Moment gar nicht ein. Stattdessen gaukelt mir mein Gehirn ein glänzendes nächstes Level politischer Teilhabe vor: Nicht mehr nur Artikel lesen und passiv Politik konsumieren, sondern mitten rein auf die große bundespolitische Bühne. In diesem Moment bin ich mir sicher, auch ich kann mehr sein als schnödes Wahlvieh, und das Upgrade auf ein glamouröses und aufregendes Wahlkampf-Leben scheint nur einen einzigen Klick entfernt. Vielleicht ist digitaler Wahlkampf das Beste, was mir passieren kann!

Klick.

Screenshot Facebook-Chat

Erstmal geht aber relativ wenig los. Nach dem emotional stark aufgeladenen Klick im Facebook Messenger bekomme ich ein Martin-Schulz-GIF geschickt und die Info, meine erste Mission bekäme ich im Laufe der nächsten Woche. Also nicht jetzt sofort, obwohl ich genau jetzt am Rechner sitze, genau jetzt motiviert bin und genau jetzt etwas tun will. Incentive und Adrenalin sind da, die SPD leider nicht. Ich könne mich allerdings, so der Text weiter, schon jetzt auf der gleichnamigen Wahlkampf-Homepage der SPD registrieren. Ich wechsle also zur separaten Webseite der „Kampa17“.

Erfreulicher als der bisherige Sachverhalt, bereits mit Medium zwei interagieren zu müssen, ohne positives Feedback erhalten zu haben: Die Sicherheitshinweise zum Auswählen eines Passworts sind total in Ordnung. Es muss mindestens ein Sonderzeichen, eine Ziffer, Groß- und auch noch Kleinbuchstaben enthalten. Und die „Dataservices“, die via spd.de abgewickelt werden, arbeiten sogar mit https. Ein Träumchen.

Incentive und Adrenalin sind da, die SPD leider nicht

Derweil verhallen meine Rufe nach Interaktion auf Facebook weiterhin ungehört im Nichts: „Hey, kann ich nicht sofort eine Mission bekommen?“ — Das lockt den Chatbot erst nach einigen Minuten hinterm Ofen hervor. Belohnt wird mein überbordender Aktionismus mit einem Baustellen-GIF und dem Satz „Die nächste Mission ist gerade in Arbeit.“ Auch ein Mini-Emoji, das einen Stift in der Hand hält, ist Teil der Botschaft. Es scheint bereit zu sein, die Revolution loszutreten, selbst wenn es nur vom Schreibtisch aus ist. Working Hard for the Working Class.

Screenshot Facebook-Chat

Außerdem werde ich gefragt, ob ich mich in der Zwischenzeit „anderweitig engagieren“ möchte. Nunja, denke ich bei mir, ich bin zwar schon dabei, mich drüben auf der „Kampa17“-Homepage zu registrieren, aber klar, für die Sozialdemokratie bin ich mir für keinen Klick zu fein.

Zurück auf der SPD-Seite hängt inzwischen die Anmeldemaske. Nichts geht mehr. Da es konkrete Anforderungen für die Passworteingabe gibt, ist mir nicht auf Anhieb eins eingefallen, das ich zur möglicherweise ja doch eher nur einmaligen Benutzung, ich nenne es mal, „verheizen“ möchte. Ich klicke mal wieder den Button im Chat-Fenster bei Facebook an, um „mehr zu erfahren“.

Für keinen Klick zu fein

Von dort werde ich erneut zur „Kampa17“-Homepage weiter geleitet. Die wiederum meldet inzwischen Kapazitätsprobleme mit Fehler 503 und ist down. Ich vermute optimistisch, dass hinter der Anzeige cleveres Marketing steckt, nach dem Motto, Entschuldigung, wir sind so krass gefragt, unsere Server konnten mit dem Andrang einfach nicht umgehen, leider haben wir haben zu wenig Cyber gemietet. Was ich eigentlich noch schöner fände: Wenn „Fehler 503“ tatsächlich eine klickbare Anzeige wäre und danach eine schöne Landing Page kommen würde, die mich endlich, endlich richtig für den Wahlkampf motiviert. Inzwischen bin ich nämlich recht entmutigt und erschöpft von den vielen Anläufen zu größerer Polit-Teilhabe. Der Wahlkampf-Spirit will sich so einfach nicht einstellen.

Ich versuche ein letztes Mal mein Glück auf der Homepage und mobilisiere alle Kräfte, um in Windeseile ein makelloses Passwort zu entwerfen, das der SPD Genüge tut. Dieses Mal tut es eines, das viele der vorgegebenen Kriterien erfüllt (Sonderzeichen, Groß- und Kleinschreibung), aber nicht alle (Ziffer).

Lila und rote Kacheln, die ein bisschen wie die Benutzeroberfläche eines Windows Phone aussehen, begrüßen mich im internen Bereich für Wahlkämpfer. Sie sollen mir eigentlich zeigen, was ich nun alles machen kann. Was ich leider nicht machen kann, obwohl ich Begriffe wie „Sprachregelungen“ sehr schön finde, ist, genau diesen Bereich anzuklicken. „Argumente“ sind also für mich leider nicht verfügbar.

Screenshot Kampa17-Homepage

Zurück auf Facebook klicke ich nochmal traurig auf „Los geht’s“. Ich drücke wieder auf „Ja, ich möchte mehr erfahren“ und werde erneut mit Emojis und dem Verweis vertröstet, bald würde ich Infos zur nächsten Mission erhalten. Dabei hatte ich bisher nichtmal eine.

Teilen, teilen, teilen

Fünf Tage später wird via Chatbot angekündigt, Spitzenkandidat Martin Schulz würde bald durchs ganze Land touren und ich solle doch alle meine Freunde dazu einladen. Allerdings wird mir kein Facebook-Event angeboten, bei dem ich auf teilnehmen klicken kann, sondern ich werde auf eine separate SPD-Website weitergeleitet, wo ich mich nun tatsächlich ein weiteres Mal registrieren muss. Dieses Mal für einen E-Mail-Verteiler.

Ich versuche, mich ein wenig darüber zu freuen, dass meine Daten möglicherweise tatsächlich getrennt vorgehalten werden und die SPD durch ihre Taten Plattform-Unabhängigkeit zu unterstützen scheint. Allerdings fällt das bei der ausnehmend großen Benutzer-Unfreundlichkeit auch irgendwie nicht mehr ins Gewicht.

Die nächste Aktion, die via Facebook Messenger an mich herangetragen wird, ist das Teilen eines Videos in Snapchat-Länge. Angekündigt wird es als „Renten-Konzept der Union“, der Untertitel auf der SPD-Facebook-Seite, wo ich mich mal wieder separat hinklicken muss, lautet „Sehr witzig, Frau Merkel! Keiner lacht.“ Ich auch nicht. Schon längst nicht mehr. Das Video ist muffig und das Merkel-Bashing auch nicht so clever gemacht. Ich teile es nicht.

Martins Kampagne unterstützen

Auf der Homepage wird inzwischen keine Kachel mehr für „Argumente“ angezeigt. An ihrer Stelle gibt es jetzt einen „Sharepic“-Generator, mit dem man eigene Bilder und vorgefertigte Sätze kombinieren können soll. Leider kann ich auch diese Kachel nicht anklicken und benutzen. Nachdem ich die Bugs gemeldet habe, versichert man mir, an der Lösung der Probleme werde gearbeitet.

Screenshot „Kampa17“-Homepage

Im Messenger erhalte ich immer noch hin und wieder Missionen. Ich ignoriere sie inzwischen. Die E-Mail-Benachrichtigungen funktionieren auch, aber die top Tipps, um „Martins Kampagne zu unterstützen“, archiviere ich nur noch müde. Vielleicht gehe ich nächstes Mal besser Plakate kleben.

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7 Ergänzungen

  1. Die Sicherheitshinweise zum Auswählen eines Passworts sind total in Ordnung. Es muss mindestens ein Sonderzeichen, eine Ziffer, Groß- und auch noch Kleinbuchstaben enthalten.

    Kann für schlechte Datenbanksicherung sprechen.

  2. P.S. wäre auch interessant zu erfahren, wer diesen Online-Wahlkampf verantwortet. Angeregt durch diesen Artikel habe ich mich kurz durch martinschulz.de geklickt und bin verwundert, dass mir (Browser meist in der Nähe von Köln verortet) Termine in Göttingen, Trier und Bremen angeboten werden. Legal erhältliche Daten könnte man ja schon nutzen, seltsam, dass in 2017, fast 10 Jahre nach dem Obama-Wahlkampf, da so wenig geht.

    Naja, eh ich anfange, Checker wie Sascha Lobo oder Matthias Richel anzugehen, höre ich lieber mal auf zu schreiben. Noch fix gegoogelt: hier steht ein bisschen zum Thema Bundestagswahl-Kampagnen und Agenturen, Schwerpunkt ist SPD.

    1. Ja die „Lob über den grünen Klee“-Agenturen… Im VHS-Kurs saß ein ehemaliger Kreativkopf mal neben mir. Die Champagnerzeiten vorbei, die Perspektiven wenig kreativ. Werbung geht heute billigst und besser im sehr entfernten Ausland. Wahlkampf made in Korea oder so.

  3. Messen wir die Parteien an ihren „Leistungen“. Man denke an die Gesetze von SPD Maas und CDU Miesere. Und die Grünen entzogen sich dezent der Verantwortung durch Nichtanwesenheit oder Stimmenthaltung. Das Verfassungsgericht deutete dieses Treiben als „etwas weitere“ Auslegung des Rechtes. Das sähe ich nicht so. Dann kann man seine Kreuzchen machen und hat die nächsten 4 Jahre absolut nichts mehr zu sagen.

  4. „Es muss mindestens ein Sonderzeichen, eine Ziffer, Groß- und auch noch Kleinbuchstaben enthalten.“

    Das Internet ist für uns alle Neuland
    *facepalm*

  5. Auf Facebook tummeln sich die nützlichen Idioten. Um den Aufwand niedrig zu halten empfiehlt sich der Einsatz von bots. Gegenüber chat-bots wären vote-bots dann doch effektiver und zielführender.

  6. Die Schilderungen stellen dar, was ich von Bots erwarte und stehen im Kontrast zu der Panik die zuletzt verbreitet wurde. Bots beeinflussen die Wahlen, Bots stürzen die USA in’s Chaos und immer stecken hinter Bots die Russen. Deshlab macht uns die Poltik weis, es müsste Gesetze gegen Bots geben https://netzpolitik.org/2017/hausfriedensbruch-4-0-zutritt-fuer-fake-news-und-bots-strengstens-verboten/

    Ich habe nach wie vor keine Erklärung gesehen, die technisch glaubhaft die Manipulation von Bots darlegt. Da wird selbst von Wissenschaftler etwas schwadroniert, das klingt als ob es intelligente Bots gibt, die irgendwo sich im Netz aufhalten und darauf warten deine Meinung zu beeinflussen. dabei sieht die Realität anders aus, wie sich an dem Beispiel hier schön zeigt.

    Das ganze dient eher als Argumentationshilfe für Zugangsbeschränkungen und Bedrohunszenarien gegenüber Anbietern von sozialen Plattformen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.