Tatort goes Darknet: „Wir sind doch nicht die NSA!“

Der neue Kieler Tatort „Borowski und das dunkle Netz“ beschäftigt sich mit dem Darknet. Dabei geht er selbstironisch mit der Unerfahrenheit der Ermittler um und vermeidet so Peinlichkeiten. Und am Ende kann all das Ermitteln im Cyberraum die normale Polizeiarbeit nicht ersetzen.

Bild: NDR/Christine Schroeder

Das Ermitteln im Internet nimmt einen immer größeren Raum im Tatort ein. In der aktuellen Tatort-Saison legten schon „HAL“ aus Stuttgart und die Frankfurter Folge „Wendehammer“ einen Fokus aufs Digitale. Jetzt taucht das Kieler Team mit den Ermittlern Borowski und Brandt am 19. März um 20:15 auf ARD in den sogenannten Cyberraum ab, genauer ins Darknet. Oder anders: das „dunkle Netz“, wie es im Titel heißt.

Ein Tatort über das Darknet – das kann nur schiefgehen, erwartete ich. Und um ehrlich zu sein – gerade aufgrund dieser Erwartung freue ich mich immer wieder kindlich über das Vorkommen von Datenanalyse, Hacking und Co. in der Tatort-Welt. Gerade deshalb habe ich ja alle Folgen von CSI:Cyber gesehen – mit einer Mischung aus Facepalm-Schmerz und Schadenfreude.

Der Kieler Tatort schafft es jedoch, sich mit humoristischer Distanz um diese Peinlichkeiten herumzuwinden. Mit, wenn auch stellenweise überzogener, Situationskomik gelingt es, sich vom Anspruch einer hochrealistischen Darstellung zu lösen. Das Darknet ist kein Bereich, mit dem die Tatort-Kommissare viel Erfahrung haben, das merkt man und das soll man merken.

Mordauftrag aus dem Darknet

Der Mörder trägt schwarzen Kapuzenpulli und böse grinsende Wolfsmaske. Er erschießt in einer Szene in bester wackliger Egoshooter-Perspektive den Leiter des LKA-Dezernates Cyber-Crime – Dezernat 23. Es stellt sich heraus, dass der Mörder im Auftrag gehandelt hat. Der Mordauftrag kam aus dem Darknet, die Zahlungen erfolgen per Bitcoin – „professionell, diskret, effizient“ wirbt die Plattform mit rot-weißer Schrift auf düsterem Hintergrund. „Sie geben uns einen Namen, wir geben Ihnen einen Autopsiebericht.“ Es geht gut los.

Kommissar Borowski im Neuland – mit skeptischem Blick.
Bild: NDR/Christine Schroeder

Halt, langsam. Ein nicht unwesentlicher Teil der Tatort-Zuschauer dürfte hier schon nur noch Bahnhof verstehen. Oder höchstens Assoziationen zu dem Amoklauf von München entwickeln. Damit ist der Zuschauer nicht allein: Kommissar Borowski reiht sich in die Reihe derjenigen ein, für die das Darknet ein böhmisches Dorf ist. Ausgerechnet er bekommt diesen Fall. Er, der sich noch damit abmüht, mit seiner Smartphone-Sprachsteuerung namens „Sabine“ zu interagieren. Aber zum Glück gibt es neben seiner wesentlich technikversierten Kollegin Brandt noch zwei weitere Mitarbeiter aus Dezernat 23, die Borowski erklären, was es mit diesem Darknet und den Bitcoins auf sich hat.

Nerds im Keller

Hier bricht der Tatort mit der üblichen visuellen Darstellung. Borowski wird zur Comicfigur und taucht ein ins Darknet, das mit der Eisberg-Metapher dargestellt wird, die auch das BKA benutzt. Etwas abgegriffen, doch die Funktionsweise von Tor wird ausreichend einsteigerfreundlich erklärt. Leider wirkt die nur einmalige Verwendung des Stilmittels etwas inkonsequent, da wäre mehr gegangen.

Die Nerds, die in einem Keller des LKA ihr Dasein fristen, sind Karikaturen eines „Cyber-Ermittlers“. Sie sitzen im Keller, allein in einer großen Halle. Eine wenig subtile Anspielung auf die Problematik, IT-Spezialisten für die Polizeiarbeit zu gewinnen, die für die Löhne des öffentlichen Dienstes arbeiten wollen.

Ein bisschen erinnern mich die beiden Ermittler aus dem Cyber-Dezernat an Moss und Roy aus IT-Crowd, vor allem ihr unbeholfener Umgang mit Frauen – da hilft leider das T-Shirt mit „πmp“-Aufdruck nichts. Immerhin: Für Damenbesuch wurde extra eine Farbwechsel-Stimmungsbeleuchtung installiert.

Ermittlerin Brandt zeigt sich dadurch wenig beeindruckt, letztlich ist sie es, die einen mutmaßlichen Fehler des Täters aufdeckt und damit die Nerds aus dem Keller beeindruckt. Für den konstanten Fastfood-Nachschub sorgt ein großer, roter Button, der automatisch Pizza bestellt. Für das perfekte Klischee haben mir jedoch die Mateflaschen gefehlt. Und ehrlich gesagt war der große Kellerraum ein bisschen zu hell.

Bild: NDR/Christine Schroeder

Das Darknet ist nicht nur böse

Bei all dem Rummel um das Darknet als Schutzraum für Auftragsmorde besteht die Gefahr, dass das vielbeschworene Bild vom Darknet als Tummelplatz von Kriminellen, Verbreitern von Kinderpornographie und Drogenhändlern wiedergekäut wird. Naiv fragt Kommissar Borowski: „Warum wird denn da nicht ermittelt?“

Die Antwort von Cyber-Ermittler Dennis:

Wir sind ja nicht die NSA. Wir können die Anonymität im Darknet nicht aushebeln. Und ganz ehrlich: Ich will das auch gar nicht. Wollen Sie in einem totalen Überwachungsstaat leben?

Dann wird er darauf hingewiesen, dass es ein notwendiges Mittel für Journalisten und Dissidenten ist, die in ihren Ländern verfolgt werden. Leider kommt der Satz etwas auswendig gelernt daher und mich lässt das Gefühl nicht los, ihn schonmal in irgendeiner Tagesschau-Ausgabe gehört zu haben.

Für die Lösung braucht es mehr als Cyberpolizei

Der Tatort bekommt die Kurve aber nicht wegen dieses einen Satzes. Vielmehr zeigt er, dass „Cyber-Ermittlungen“ nicht die traditionelle Polizeiarbeit ersetzen können. Und dass das Anhäufen von Daten und immer mehr Informationen nicht zur einfacheren Ermittlung des Täters, sondern zum Ertrinken auf der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen führt.

Wer den Tatort nicht mit verbissenem Ernst betrachtet, wird seinen Spaß haben. Trotz allem Cyber-Ermitteln fehlt die traditionelle Verfolgungsjagd nicht – sogar in überdurchschnittlicher Länge, Unterbrechung eines Fußballspiels inklusive. Getrübt hat den Tatort überbetonter Sexismus. Der weist zwar auf ein real existierendes Problem hin, dass der LKA-Chef Borowskis Kollegin Brandt dann aber platt als „Kaffeetasse“ bezeichnet, zieht das Ganze ins Lächerliche.

Mein absoluter Lieblingsausschnitt ist übrigens ein Promovideo für SCHAKAL – das SCHleswig-Holsteinische Analyse-, Kriminologie-, Archivierungs- und Leitungssoftware – „alles digital, alles unter einem Dach“. Inklusive: Informationssysteme, Onlineüberwachung und Rasterfahndung, denn: „Wie das Land, so die Software!“

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11 Ergänzungen

  1. πmp die Kaffeetasse? Der „typische“ Nerd, der sich von Pizza und Cola ernährt, hätte schon in jüngeren Jahren eine andere Figur (und auch Diabetis).

    Bei all der Verteufelung des Darknets ist kaum einem „Medium“ der Öffentlichkeitsveralberung aufgefallen, dass der Torbrowser und nur der, ein Schutz vor Hackern und deren Schadware ist. Es ist bestimmt sehr konservativ geschätzt, dass der Torbrowser bei seinen Benutzern mehr als 75% aller theoretisch möglichen Angriffe aus dem Internet abschmettert. Der Torbrowser und sein Netz sind nützlicher, als jeder Virenscanner und viele Firewalls.

    Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Regierungen im Dienste der Internetkonzerne/Softwareproduzenten im Darknet mit seinen guten und schlechten Seiten nur „Neuland“ sehen.

    1. Virenscanner und Firewalls schützen dich eher vor den Angriffen aus deiner näheren Umgebung, was ja auch einen gewissen Sinn ergibt, nicht?

      Das Onion Netzwerk ist (grob Gesagt) zur Wahrung der Privatsphäre da, das sich auch kriminelle Vereinigungen das Recht heraus nehmen, Privatsphäre als ihr Recht zu proklamieren, sieht man, sobald ein Journalist bei einem Politiker/einer Partei, die Leichen aus dem Keller ans Tageslicht bringt!

      Der Punkt ist doch, das ein Journalist, der sich nicht überwachen lassen möchte, etwas zu verbergen hat und somit am Interessantesten für die Ermittler ist, da in der heutigen Zeit aber die Unterscheidung zwischen Journalist und Normalbürger nicht mehr so ganz gegeben ist, müssen eben alle auf die Liste der Verdächtigen gehieft werden, damit die Privatsphäre der kriminellen Vereinigungen aus Politik und Wirtschaft, wieder gewahrt werden kann!

      [Wer Ironie und Sarkasmus findet, usw.]

  2. > Wollen Sie in einem totalen Überwachungsstaat leben?

    Respekt. Ich sollte den Tatort wohl anschauen. Ich frage mich, ob wir da auch etwas Werbung für das Freenet-Projekt in die verbreitete Wahrnehmung bringen können ☺

  3. Wenn ihr uns helfen wollt, diesen Tatort zu nutzen, um mehr Leute ins Darknet zu kriegen, wo sie ihre Privatsphäre schützen können, dann schreibt heute in allen sozialen Netzen, in denen ihr seid, zum Hashtag #Tatort Texte wie

    > Für alle, die den #Tatort schauen und ein #Darknet sehen wollen: Hier ist #Freenet: https://freenetproject.org frei für Windows, OSX und Linux
    https://twitter.com/ArneBab/status/843270596209377280
    https://plus.google.com/u/0/105415590548476995777/posts/Fjzwvp4Ah36

  4. Kann den Eindruck vom Tatort nur bestätigen.
    Zum Teil wie BildungsTV.
    Meine Frau hatte dennoch ein wenig den Anschluss verloren.
    Alles in allem ein sehr guter Tatort.
    Hätte mir nur gewünscht, dass die guten Seiten von BitCoin und
    TOR-Netzwerk etwas deutlicher werden.

    … wo gibt es diese Schuhe mit Rollen für Erwachsene?
    Holgi wollte doch welche ;-).

  5. Dieser Einspiel-Werbe-Film für mehr cyber in der Polizei, so ziemlich am Anfang, strotzte nur so von religiös-rassistischen und sexistischen 70er Jahre-Werbungs-Klischees. Kommentar der Protagonisten dazu? „So was modernes haben nicht mal die in Bayern“ (Zitat ungefähr so). Der Rest schien in meinen Augen oft ziemlich ungebrochen zusammenhanglos und Situationen zu absichtsvoll konstruiert. Insgesamt, finde ich, ein wenig sehr klischeehafte Aufklärung für den bürgerlich opportunistischen Kindergarten.

  6. Wenn man hier schon die Sexismuskeule ausprackt: Sonderlich sexistisch ist er eigentlich eher gegen Männer aufgefallen. Die klischeehaften Nerds, die Kommisarin löst alles Relevante und die Täter natürlich auch alles Männer.

    Auf der anderen Seite hatten wir die Figur der Rosie, die als Plus-Size Frau eine Nacktszene spielt. Das ist gerade echter Feminismus! Die meisten Regisseure und Schauspielerinnen würden sich das doch niemals trauen. Dafür sollte man echt mehr Respekt zeigen.

    Und dass der Tatort weniger eine „Wunschwelt“ darstellt, wie die meisten internationalen Produktionen, ist auch positiv hervorzuheben

  7. Eine Mitarbeiterin, wahrscheinlich Journalistin, des ARD-/ZDF-Morgenmagazins war ganz stolz, noch nie das Darknet gesehen zu haben. Der Pizzabuzzer, auf Knopfdruck Pizza, kam im Morgenmagazin dagegen gut an.

  8. welchen Stellenwert das Internet in den Köpfen der Verantwortlichen von ARD/ZDF hat, lässt sich ………..allerliebst darin beobachten,
    welche Anstrengungen diese Kacksp.cken unternehmen,
    selbstproduzierten Inhalt nicht einfach herunterladbar zu machen.
    Ohne Javascript, was bis vor kurzem ganz normal funktionierte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.