Regulierungsdauerfeuer gegen Fake News und Social Bots ohne empirische Grundlage

Als würden Falschmeldungen und Meinungsroboter die Demokratie im Wahljahr 2017 umstürzen, überschlägt sich die Bundespolitik mit immer neuen Vorschlägen. Dabei könnte die Regulierung selbst mehr Schaden an Grundrechten anrichten als die Phänomene, die bekämpft werden sollen. Ein Kommentar.

Foto: CC-BY-NC-ND 2.0 [ad7m]

Es vergeht momentan kein Tag ohne neue Vorschläge gegen Fake News und Social Bots. Gestern forderten die Grünen eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots, heute fordert die Union eine Gegendarstellungspflicht bei Fake News in sozialen Netzwerken. Obwohl es sehr wenig bis keine empirischen Erkenntnisse zum Themenfeld gibt. Das bestätigt auch das 16-seitige Thesenpapier des Büros für Technikfolgen-Abschätzung. Dort heißt es zum Thema Social Bots:

Es gibt lediglich eine begrenzte Anzahl prominenter Beispiele der Einflussnahme durch Social Bots, auf die sowohl in der Presse als auch in wissenschaftlichen Artikeln immer wieder Bezug genommen wird. Der in den Artikeln beschriebene Wirkungsraum ist an erster Stelle Twitter und schon seltener Facebook. Das Ausmaß der tatsächlichen Einflussnahme ist allerdings noch kaum belegt.

Auch sind die Beispiele von Fake News in Deutschland relativ dürftig. Die meisten Falschmeldungen hierzulande kommen aus dem fremdenfeindlichen Spektrum und sind Versuche, Ausländer und Geflüchtete als Kriminelle darzustellen. Gesammelt werden sie unter anderem von einer Initiative, die auf Hoaxmap.org diese Fake News dekonstruiert.

In der teilweise hysterisch geführten Diskussion kommt erschwerend hinzu, dass der Begriff der Fake News mittlerweile zum Kampfbegriff mutiert ist, den alle Seiten benutzen, um ihnen nicht genehme Nachrichten zu diskreditieren.

Dauerfeuer unüberlegter Regulierungsvorschläge

Dem entgegen steht eine Haltung aller Parteien im Bundestag, die nach dem Motto verfährt: „Irgendwas müssen wir doch tun.“ Die zeigte sich gestern auf besondere schöne Weise, als die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots forderte – aber keine konkreten Vorschläge für so ein Konzept lieferte und damit die Öffentlichkeit über das gesetzte Schlagwort hinaus vollkommen ratlos hinterließ. Heute wurde nun nachgeliefert, dass es sich um eine gesetzliche Verpflichtung für Parteien handeln könnte, den Einsatz von Bots kenntlich zu machen.

Bei der Union hingegen kommen alte Ideen einer Klarnamenpflicht im Internet wieder zum Vorschein, während gegen Fake News ein Gegendarstellungsrecht in sozialen Netzwerken gefordert wird. In Medienberichten heißt es, dass alle Nutzer, die eine Fake News gesehen hätten, über deren „Identifizierung als solche sowie gegebenenfalls ihre Richtigstellung obligatorisch informiert werden“ sollen. Das mag technisch möglich sein, ungeklärt bleibt aber, wer nach welchen Kriterien wo darüber entscheidet, ob beispielsweise eine falsche Aussage des Innenministers als Fake News deklariert und dann den Nutzern zurückgespielt wird. Zusätzlich prüfe die Union einen Anspruch auf Gegendarstellung, der sich an das Presserecht anlehnt. Auch hier sollen Geschädigte die Möglichkeit haben, eine Gegendarstellung an alle auszuspielen, die eine ursprüngliche Nachricht in sozialen Netzwerken gesehen haben.

Auf dem Tisch sind auch zahlreiche Vorschläge, die zu einer privatisierten Rechtsdurchsetzung führen könnten und die negative Auswirkungen auf Meinungs- und Pressefreiheit haben. Sogar Netzsperren, also die Errichtung einer Zensurinfrastruktur, waren kurzzeitig im Gespräch.

Sachverständigenanhörungen in Bundestagsausschüssen

Fake News und Social Bots sind jetzt auch Thema in den Ausschüssen des Bundestages. Am Mittwoch gibt es eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss Digitale Agenda (an der ich für netzpolitik.org mit dieser Stellungnahme dabei bin) und am Donnerstag lädt der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu einem Fachgespräch über Social Bots.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist gut, dass das Thema diskutiert wird. Es handelt sich bei politischen Falschmeldungen und automatisierter Bot-Propaganda tatsächlich um Phänomene, die negative Auswirkungen auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Demokratie haben können. Es mehren sich aber zugleich die Anzeichen, dass Fake News keinen so großen Einfluss auf die Wähler haben.

Das derzeitige Dauerfeuer immer neuer unüberlegter Vorschläge ohne jegliche empirische Grundlage hinterlässt den faden Beigeschmack, dass es um Aktionismus geht oder um die Durchsetzung von Regulierungen gegenüber sozialen Netzwerken, die man in der Hate-Speech-Debatte nicht durchsetzen konnte.

Durchatmen und Phänomene erforschen

Vielleicht sollten wir uns stattdessen mit all den neuen Erkenntnissen und der gewonnenen Sensibilisierung zum Thema erst einmal zurücklehnen und durchatmen. Es gibt viele gute und einfache Ansätze wie Nutzer Bots und Fake News erkennen können. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie Journalisten Fake News enttarnen können, und es ist einfach, den automatisierten Relevanzzuschreibungen der Social Bots nicht aufzusitzen. Zudem können Wissenschaftler und investigative Journalisten die Phänomene im Wahljahr eingehend untersuchen und bewerten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Damit man weiß, um was es eigentlich genau geht.

Und ein bisschen vertrauen sollten wir der vielfältigen deutschen Medienlandschaft schon auch, dass nicht Fake News und Social Bots jetzt die Stimmung im Land komplett drehen können. Der Erfolg des Rechtsradikalismus, der AfD und die damit verbundene anwachsende Fremdenfeindlichkeit werden sich jedenfalls nicht mit Maßnahmen gegen Fake News & Co. bekämpfen lassen. Sie haben ihre Wurzeln woanders.

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19 Ergänzungen

    1. Vielleicht hätte sich die Politik ernsthafter mit den Hundertausenden beschäftigen sollen, die gegen die Freihandelsabkommen auf die Straße sind? Mir ist Mr. Trump durchaus sympathisch geworden jetzt.

          1. Der neutrale Begriff Yoni bezeichnet im Tantra den weiblichen Intimbereich, Lingam den männlichen. Das Ablehnen des Körpers oder von Teilen des Körpers bindet Lebensenergie und blockiert die Liebeslust.

      1. Mir ist Mr. Trump durchaus sympathisch geworden jetzt.

        Jeder Mist ist zu etwas nütze, je mehr er stinkt und dampft, umso besser.

        Kritiker, Gegner und Feinde der USA reiben sich die Hände und ergehen sich in erfülltester Schadenfreude. Mit Trump konnte es nicht besser für sie kommen.

        Den Rausch überbordender Macht hingegen werden genau jene Überflüssigen und Abgehängten bezahlen, die ihn in verzweifelter Hoffnung aus ein besseres Leben gewählt haben. Man mag den mangelnden Verstand dieser nützlichen Idioten beklagen, oder sich aber freuen, auf den Ausbruch emotionaler Wut der Enttäuschten. Der Zahltag kommt.

  1. Das gestrige Interview von MEEDIA mit dem Correctiv-Chef macht deutlich, dass man sich keine Sorgen mehr machen muss. Wer die eigene Voreingenommenheit, Abhängigkeit und Ahnungslosigkeit derart freizügig in Interviews und auch auf Twitter präsentiert, der wird sicherlich keine Gefahr für die Grundrechte sein. Erkennt ja jeder, dass was faul ist.

    http://meedia.de/2017/01/23/correctiv-chef-david-schraven-wir-sind-kein-dienstleister-wir-arbeiten-nicht-fuer-sondern-auf-facebook/

    > Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie
    > Journalisten Fake News enttarnen können

    wobei es wichtiger wäre, „Journalisten Fake News“ zu enttarnen. Deren tägliche vorsätzliche Falschinformationen haben in den letzten eine verbrecherische Politik ermöglicht, die millionfach Leid und viele Propagandaopfer erzeugt hat. Die besonders negativen Auswirkungen auf die politische Meinungs- und Willensbildung werden nicht von Bots oder ausländerfeindliche Lügen erzeugt, sondern sind Teil unseres Alltags.

    Ansonsten gute Stellungnahme für Mittwoch. Viel Erfolg.

  2. Bei Fake News denke ich zuallererst an ausländische Regierungstrolle, käufliche PR, sogenannte Shitstorm-Abwehr, Lobbyisten, und Rechts-/Linksradikale, deren Lügen irgendwo aufgegriffen und oft missverständlich verbreitet werden. Unsachliche Agendapublikationen fallen mir erst danach ein – aber nur dagegen kann die Gesetzgebung etwas tun. Aber das merkt sie nicht ;)) Bald kommt der Vorschlag, den Zentralen Bundespost-Server des Internet doch einfach abzuschalten.

    Ich tippe eher drauf, dass hochwertiger, verbindlicher Medienkomptenz-Unterricht der kommenden Generation helfen könnte. Und wir? Wir sind die verlorene Generation, die an der ungebändigten Revolition des Internets zugrunde geht – wie damals die Arbeiter während der industriellen Revolution, auch damals musste schmerzhaft aus Fehlern gelernt werden. Ist Trump vielleicht der Anfang dessen?

  3. Ist eigentlich das plötzliche Fehler allerlei hier sonst heftig Nonsense schreibenden rechtspopulistischen russlandfreunden, mit allerlei lustigen Namen, auf NP, ursächlich einer aktiven Maßnahme von NP ?
    Wo sind die plötzlich alle hin ? Erfolgteeine Selbstanalyse der eigenen Kommentarschreiberlinge bzgl. Propaganda ?

  4. Es mehren sich aber zugleich die Anzeichen, dass Fake News keinen so großen Einfluss auf die Wähler haben.

    https://web.stanford.edu/~gentzkow/research/fakenews.pdf

    Ich kann mich dieser Wertung nicht anschließen. Dafür taugt die Studie nur wenig, zumal sie Anlass zu Kritik gibt.

    Das Thema US-Wahlkampf ist überaus komplex, die Untersuchung von Fake sehr anspruchsvoll, und es ist wenig überzeugend dargelegt, dass die Studie methodischen Mindeststandards genügt. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse verbietet sich schlicht.

    Die Stichprobe ist auf ersten Blick hin schief bezüglich der Schulbildung der Befragten. In einer Tabelle findet sich ein Hinweis auf das Haushaltseinkommen, was zumindest seltsam ist (wie wurden die Daten erhoben und warum?).

    Es ist bekannt, dass Individuen im Hinblick auf Wahlverhalten bei Antworten zum Täuschen neigen. Es ist nicht ersichtlich, dass etwa sozialpsychologische Methoden verwendet wurden, um Bias zu vermeiden, oder Resultate zu validieren.

    Die Rechnung von Korrelationen allein genügt nicht, um valide Aussagen zu finden. Das Thema ist zu komplex dafür.

    Ich würde diese Studie nicht für wissenschaftliche Argumentation heranziehen. Politik hingegen kann man mit ihr allemal machen.

  5. „Fake News“ sind die „Killerspiele“ von 2017.
    Kommt mir zumindest sehr ähnlich vor, wie die Debatte darum geführt wird und was da für teils hirnrissige Vorschläge gemacht werden.

  6. Natürlich nützen Fake-News der AfD.
    Z.B. die Fake-News das ein Flüchtling aus Tunesien der in Deutschland mit 14 verschiedenen Identitäten unterwegs gewesen ist in Berlin einen Terroranschlag verübt hat, dann unbemerkt das Land verlassen konnte und in Italien bei einer zufälligen Kontrolle um sich geschoßen hat.
    Wenn man solche Fake-News nicht wirksam unterbindet dann reiten morgen Nazis auf Dinosauriern auf deutschen Straßen – und wer will das schon ?

    1. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser ganze Anschlag Fake war. Nicht nur die vertrauten Begleitumstaende islamistischer (?) Attentate mit gefundenen Ausweisen etc. Der Verfassungsschutz scheint in noch nicht ganz geklaertem Ausmass involviert zu sein. Das riecht nach „Terrormanagement“ a la Gladio, Staatsterrorismus, dessen Existenz ja inzwischen erwiesen ist und auf den nicht nur Helmut Schmidt anspielte. Es gibt ihn auch unabhängig von Rechtsextremen , diese werden aber dabei gerne eingespannt. Wozu? Nicht vorrangig um gegen Muslime zu agieren, sondern um ein Klima der Angst zu schaffen und gesellschaftliche Gruppen allgemein gegeneinander aufzubringen.
      Das primäre Ziel ist bei allem, die Demokratie abzubauen durch mehr Überwachung und einschränkende Gesetze.Wir sollen danach verlangen.Genau genommen kann man dafür Terror von jeder Seite nutzen und vortäuschen. Und gegenseitig aufschaukeln.

  7. Müssen wir zur Bekämpfung von Fake-News jetzt auch die Bundespressekonferenz verbieten, oder beginnt deren Sitzung zukünftig mit einer halbstündigen Richtigstellung der „Alternativen Fakten“ die uns dort gerne präsentiert werden?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.