Politikerdebatte auf der Gamescom: Videospiele sind endlich Kulturgut

Auf der Gamescom waren dieses Jahr neben Besuchern und Spieleentwicklern auch die politischen Parteien vertreten. In der „Wahlkampfarena“ ging es um den Status von Videospielen, Breitbandausbau und digitale Bildung. Die Debatte im Überblick.

von links: Dr. Peter Tauber (CDU), Hubertus Heil (SPD), Matthias Höhn (Die Linke), Michael Kellner (Die Grünen), Nicola Beer (FDP) – Alle Rechte vorbehalten Rocket Beans TV

Die diesjährige Gamescom zeigte zwei Dinge. Erstens: Videospiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 42% der Deutschen spielen nach neusten Umfragen regelmäßig. Zweitens: Es ist Wahlkampf. Und die Politik hat offenbar erkannt, dass sie die große Gruppe der Spieleinteressierten, wie auch die allgemeine Medienpräsenz auf der Kölner Messe nicht mehr ignorieren kann.

Videospiele: Nur Wirtschaftsfaktor oder auch Kulturgut?

Nachdem bereits die Bundeskanzlerin die Messe am Dienstag zum ersten Mal eröffnete und feststellte, dass „Computer- und Videospiele […] als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor von allergrößter Bedeutung“ seien, trafen sich am Mittwoch verhältnismäßig junge und hochrangige Parteivertreter in der eigens eingerichteten „Wahlkampfarena“. Anwesend waren die Generalsekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer der Parteien des aktuellen Bundestages, Peter Tauber (CDU), Hubertus Heil (SPD), Matthias Höhn (Die Linke) und Michael Kellner (Die Grünen) sowie Nicola Beer für die FDP.

Ähnlich wie die Kanzlerin überschlugen sich dann auch die Parteien mit verbalen Zugeständnissen. Einigkeit bestand darin, dass Videospiele als Kulturgut anzusehen sind und dass es, zusätzlich zum Deutschen Computerspielpreis unter der Schirmherrschaft von Alexander Dobrindt (CSU), auch noch weiterer Förderung bedürfe.

Die Vertreter der Koalition legten ihren Schwerpunkt dabei, ähnlich wie die Kanzlerin, auf den wirtschaftlichen Aspekt der Spieleindustrie. Die CDU möchte besonders wirtschaftlich erfolgreiche Entwickler fördern, um die deutschen Hersteller im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger zu machen. Im Gegensatz dazu möchte die Linke hauptsächlich kleine Studios fördern, während die Grünen zusätzlich die Rahmenbedingungen für Fördergelder aus EU-Mitteln verbessern wollen.

Als Pioniere für andere Industriebereiche bezeichnete SPD-Politiker Heil die Spieleentwickler. Die Liberalen forderten mehr Bürokratieabbau und eine Deregulierung von Risikokapital und Crowdfunding, um zu verhindern, dass die Spieleentwickler „am staatlichen Tropf hängen“. Auch die SPD spricht sich dafür aus, den Rechtsrahmen anzupassen, mit besonderem Verweis auf die Abschaffung einer Rundfunklizenz für Streamer. Einig waren sich alle Parteien darin, den e-Sport offiziell anzuerkennen und bei den Olympischen Spielen zu berücksichtigen – schließlich seien „auch andere merkwürdige Sportarten dabei“, so SPD-Mann Heil.

Breitband: Jetzt aber wirklich

Nur die erste halbe Stunde der Debatte ging es tatsächlich um Computer- und Videospiele, danach wurden weitere Aspekte der Digitalisierung diskutiert. Wichtigstes Thema war hier der Breitbandausbau, bei dem alle Parteien den bestehenden Nachholbedarf einräumten und mehr Glasfaseranschlüsse versprachen. Auch die Kanzlerin hat das Problem offenbar erkannt:

Deshalb ist eine unserer großen Prioritäten der Breitbandausbau, und zwar nicht nur bis 50 Megabit pro Sekunde, sondern in den Gigabitbereich hinein. Das wird in den nächsten Jahren auch erfolgen. Ich denke, Köln ist dabei nicht der dramatischste Ort; da wird das schon ganz gut gehen. Aber wenn man im ländlichen Raum zu Hause ist und sich dann vielleicht noch mit seinen Eltern den Internetzugang teilen muss, dann kann man als junger Mensch, denke ich, schon einmal verzweifeln.

Viel besser ist die Breitbandversorgung auf dem Land in den letzten Jahren unter der Großen Koalition freilich nicht geworden. SPD-Politiker Heil kritisierte den Fokus auf die Vectoring-Technologie, während Tauber auch weiterhin einen „Technologiemix“ bevorzugt. Die Oppositionsparteien kritisierten vor allem, dass die Gelder aus Dobrindts Förderprogramm zwar zugesagt, aber kaum abgerufen würden. FDP-Politikerin Beer wies mit Nachdruck darauf hin, dass die Regierungskoalition versäumt habe, ihre Versprechen in der letzten Legislaturperiode auch umzusetzen. Grüne und FDP wollen zudem die Bundesanteile an der Telekom verkaufen und das Geld in den Breitbandausbau investieren.

Was die Parteien beim Thema Netz- und Breitbandausbau fordern, vergleichen wir im dritten Teil unseres Wahlprogrammvergleichs.

Wie viel Netzneutralität darf’s sein?

Kurz angeschnitten wurde auch die Netzneutralität. CDU und FDP wollen diese im Grundsatz wahren, sehen aber Ausnahmen für qualitätsgesicherte Dienste vor. Schließlich brauche der Arzt während der Operation eben eine geschützte Bandbreite, wie CDU-Politiker Tauber anführte.

Linke und SPD kritisierten das Bestehen weniger Datenmonopolisten, „die sich das Netz untereinander aufteilen“ (Höhn). Die Chancen der Digitalisierung müssten aber gerecht ausgestaltet und von allen gleich nutzbar sein. Der SPD-Generalsekretär Heil forderte in diesem Zusammenhang auch, dass die Meinungsfreiheit im Internet nicht durch solche Monopolisten beschnitten werden dürfe, woraufhin die Liberale Beer der Koalition vorwarf, mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz genau diese Situation geschaffen zu haben.

Zum Schluss ging es dann noch um digitale Bildung in Schule und Gesellschaft. Hier votierten die Parteivertreter dafür mehr Fördermittel bereitzustellen, um für gleiche Standards in den Schulen zu sorgen. Mehr sei auf Bundesebene aufgrund der Länderkompetenz in der Schulpolitik auch nicht möglich. Grünen-Politiker Kellner möchte das Kooperationsverbot in diesem Punkt gar ganz abschaffen. Ansonsten sei es wichtig, die Digitalisierung im Klassenzimmer zuzulassen und auch die Lehrer entsprechend fortzubilden, denn in vielen Schulen sei „das digitalste […] derzeit die Pause“, so die Liberale Beer. Darüber hinaus wollen FDP und Linke auch Vorbehalte bei den Eltern abbauen.

Fazit: Endlich Kulturgut

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, fasste die Aussagen der Politiker auf der Gamescom folgendermaßen zusammen:

„Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Debatte über die Computerspiele als Kulturgut, zweifelt kaum jemand mehr an, dass Computerspiele selbstverständlich Kulturgut sind. […] Auf der diesjährigen Gamescom hat das nicht nur die Bundeskanzlerin gesagt, […] sondern haben auch die Generalsekretäre von CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP diese Meinung vertreten. Der zehnjährige Kampf für Computerspiele als Kulturgut war erfolgreich.“

Wir schließen uns diesem Fazit an und hoffen, dass der neue Status von Videospielen als Kulturgut dazu führt, dass die Politik der nächsten Jahre sich nicht nur auf die wirtschaftlichen, sondern auch auf die gesellschaftlichen Aspekte konzentriert. Und natürlich, dass der scheinbar parteiübergreifend existierende Enthusiasmus für digitale Bildung und Infrastruktur dazu führt, dass nach zwölf Jahren die nächste Legislaturperiode endlich auch die versprochenen Fortschritte bringt.

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10 Ergänzungen

  1. Klingt schon mal ganz gut bis hierhin.

    Können wir jetzt bitte anfangen, den deutschen Alleingang bei Jugendschutz und Frewilliger Selbstzensur abzuschaffen? Das wäre ganz toll, liebe Politik. Selbst ein hohles Lippenbekenntnis könnte meine Pest- vs. Cholera-Abwägung bei der Wahl schon beeinflussen.

    Und Herr Tauber, wer über das Internet lebenswichtige Operationen durchführt, gehört schon vorher wegen grober Fahrlässigkeit weggesperrt, bevor erst Menschen sterben. Wenn das nächste Mal ein Bagger ein Kabel durchbuddelt, hilft es dem Patienten auf dem OP-Tisch nämlich leider kein bisschen, wenn Sie sich eine digitale Überholspur für behandelnde Ärzte wünschen.

  2. Glücklicherweise ist der Presse auch mittlerweile klar geworden, dass es mittlerweile dumm ist Gamer als fette faule chipsfressende Amokläufer zu betiteln, und zum Thema Killerspiele hört man in Deutschland auch kaum noch was. Endlich ist es klar geworden

  3. So kann man seine Lebenszeit auch verplempern! Welche Zeit täglich steht denn für Computerspiele zur Verfügung bei einem arbeitenden Menschen, der vielleicht noch Familie hat und evtl. permanent übers Handy erreichbar sein muss?
    Oder wieviel Zeit haben Menschen dafür, die wegen Geldmangels 2 oder 3 Mini-Jobs haben?
    Computersuchtprobleme sind sicherlich auch bekannt! Also – was ist der Vorteil der Computer-Spiele für die Gesellschaft – drr für die Industrie und die Regierungen ist mir klar!

      1. eine unfreundlich und herablassend wirkende antwort, finde ich. selbst wenn der aufschlag-kommentar drastisch formuliert war.

        :|

        doch davon abgesehen, bleibt der angesprochene kritikpunkt substantiell und zieht auch dann, wenn man „computerspiele“ durch „filme“ ersetzt. die kritik böte die chance, um mit etwas abstand eine höhere blick-position einzunehmen und eine gesellschaftskritische diskussion zu eröffnen. die wird aber mit einer solchen brachial-antwort vertan.

      2. Einfach mal ein neues 50 bis 80 € teueres Videospiel mit einer 5 bis 8 € Kinokarte, oder DVD vergleichen.
        Einfach mal schauspielerische Leistung und filmische Innovation (vor allem im Kurzfilmsektor) durch die immer wieder gleichen lahmen Storys (mit wenigen Ausnahmen) mit den selben Plots und der selben Spielemechanik vergleichen. (Aber immer neue Grafik damit die Leute denken boah sieht das geil aus…Kleiner Tipp: richtig krass-fette Realgrafik gibt es im Reallife! X-D)
        Einfach mal die Anzahl der Computer(spiel)-, und Handysüchtigen mit den Kino- und DVD-Süchtigen vergleichen (Kinosucht gibts es das überhaupt? o_0)
        Alles klar Markus… -.- wenn du zu keinem geistreichen Kommentar in der Lage warst, wieso schriebst du dann dennoch einen?

  4. Es geht eben nicht um Kulturgut, sondern rein um wirtschaftliche Interessen.
    Seid ihr echt so blöd auf den Scheiß herein zu fallen?
    Btw.: die wenigsten heutigen Games haben die Betitelung Kulturgut verdient, das sind fast alles nur noch 10-15 stündige Grafikfeuerwerke, dessen Drehbuch sich jeder depp am Wochende selbst zusammenschreiben kann!
    Das ging Ende der 90er, spätestens aber mit der Jahrtausendwende schon los!
    Die meisten der wirklichen guten Spiele wurden nie und werden nicht finanziell unterstützt von dem Kapitalgeschwür der Gamerbranche (den Publishern) bestes Beispiel ist aktuell Shenmue III, erst jetzt wo Yu Suzuki die Millionen über kickstarter zusammengekratzt hat kommt plötzlich so ein Pub-lisher und sagt „oh toll das wollen wir unterstützen“ (Deep Silver).
    Wenn einfach alle Entwickler alles opensource machen würden und jeder daran mitarbeiten könnte, DANN und NUR DANN wären Games Kulturgut!
    Zwei schönes Beispiele für erfolgreiche OS Projekte mit toller Community sind z.B. Minetest (ein Minecraft Clon), openMW (eine Engine für The Elder Scrolls II: Morrowind).
    minetest.net
    openmw.org

  5. Muss Kulturgut von der Allgemeinheit erstellt werden?
    Interesanter Grundgedanke …
    war die Decke der Sixtinischen Kapelle Opensource?

    Zu den Politikern auf der Gamescon … blabla wie üblich.
    Ich hab mal eine Reportage über Linuxprogger gesehen, dort meinte einer sinngemäss „Die Regel ist ganz einfach. Labber nicht … zeige mir.“

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.