Österreich: Rechtsaußen-Regierung plant massives Überwachungspaket, Pornofilter und Lobbypolitik

„Digitalisierung“ zieht sich durch das gesamte Regierungsprogramm der gestern angelobten österreichischen Rechtsaußen-Regierung. Schwarz-Blau plant in erster Linie mehr Überwachung, industriefreundliche Politik und einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk an der kurzen Leine. Eine Übersicht der ersten Analysen.

Die Prinz-Eugen-Statue auf dem geschichtsbelasteten Wiener Heldenplatz. CC-BY-NC 2.0 Bernhard Scheid

Es war eine symbolträchtige Kulisse, vor der sich die Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Samstag der Presse stellten: Ausgerechnet auf dem Wiener Kahlenberg, wo 1683 die zweite Wiener Türkenbelagerung ihr Ende fand – ein augenzwinkerndes Signal in Richtung der ausländerfeindlichen Kernwählerschaft beider Parteien –, präsentierten der frischgebackene Bundeskanzler Kurz und sein Vize Strache das Programm der neuen österreichischen Rechtsaußen-Regierung. Übers Wochenende sind die ersten Analysen der 182 Seiten starken Übereinkunft (PDF) erschienen, die nichts Gutes für die Grundrechte in Österreich lebender Menschen verheißt.

Aus netzpolitischer Sicht besonders relevant ist die Neuauflage des Überwachungspakets der Vorgängerregierung, samt Vorratsdatenspeicherung light („Quick Freeze“), dem Schließen von „Lücken bei der Überwachung internetbasierter Telekommunikation“, was wohl auf einen Bundestrojaner hinausläuft, und einem neuen, im Bundeskanzleramt angesiedelten „Supergeheimdienst“, wie Der Standard schreibt:

Die neue Regierung plant einen großflächigen Ausbau der elektronischen Überwachung. Außerdem soll es zu Investitionen im Bereich der Cyberabwehr kommen. Das geht aus dem Regierungsprogramm hervor, das ÖVP und FPÖ am Samstag präsentiert haben. Im Kapitel Sicherheit heißt es, dass „zukunftsorientierte Ermittlungsmethoden“ forciert werden sollen. Als Beispiele werden die Gesichtsfelderkennung und Big-Data-Analysen genannt. Auch der Bereich der Abwehr und des Einsatzes von unbemannten Objekten, also Drohnen, soll ausgebaut werden.

Wirtschaft vor Datenschutz

Die Grundrechts-NGO epicenter.works hat das Regierungsprogramm eingehend unter die Lupe genommen. Neben dem Ausbau der Überwachung finden sich darin zahlreiche Absichtserklärungen, die vor allem der Industrie dienen und die darüber hinaus versuchen, europäische Regelungen wie die Datenschutzgrundverordnung zu unterlaufen. Selbst das in Deutschland gescheiterte und derzeit in Europa heiß umkämpfte Leistungsschutzrecht für Presseverleger soll nach Österreich kommen, sollte keine gesamteuropäische Einigung gefunden werden. Ebenfalls auf der Abschussliste stehen Teile der EU-Regeln zur Netzneutralität, da Netzbetreiber möglicherweise standardmäßig Pornofilter aktivieren sollen.

Vom generellen Willen zur Ausgabenkürzung der künftigen Regierung sind nur zwei Bereiche ausgenommen: Bildung und Sicherheit. Den Sicherheitskräften sollen neue Technologien zur Verfügung gestellt werden. Dafür soll massiv in Überwachungstechnologien wie Gesichtserkennung, Drohnen und Big-Data-Analysen investiert werden. Der erste Schritt wären Feldversuche für automatisierte Gesichts- und Gefahrenerkennung wie derzeit am Berliner Südkreuz auch in Österreich, obwohl dieses Projekt bisher vor allem für negative Schlagzeilen sorgt.

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Industrielobby sitzt nun in der Regierung

Wie sehr sich das Regierungsprogramm an den Wünschen der Industrielobby ausrichtet, lässt sich auch an der Personalie der künftigen Digitalministerin Margarete Schramböck ablesen. Diese war bis vor Kurzem Chefin des größten Netzbetreibers A1 Telekom Austria sowie Vize-Präsidentin der „Internetoffensive Österreich“, einem der deutschen „Netzallianz“ grob vergleichbaren Industrieverband. Die bereits unter der Vorgängerregierung erfolgreiche Lobbyarbeit des Vereins dokumentierte Barbara Wimmer Anfang 2017 ausführlich auf futurezone.at. Was damals noch verschleiert vonstatten gehen musste, hat es nun direkt auf die Regierungsbank geschafft.

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Netzneutralität und Telco-Monopole

Umorganisieren will Schwarz-Blau die Regulierungsbehörde für Rundfunk und Telekom RTR, die im kommenden Jahr plangemäß den BEREC-Vorsitz übernimmt und damit einen gewissen Einfluss im Gremium der europäischen Telekom-Aufseher ausüben kann. Ob die österreichische Regierung auf diesem Weg versuchen wird, die EU-Regeln zur Netzneutralität aufzuweichen, bleibt vorläufig offen.

Relevant ist der BEREC-Vorsitz – und vielleicht auch die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr – zudem für die Überarbeitung des Regulierungsrahmens für den Telekommunikationssektor, die sich derzeit in den Trilog-Verhandlungen befindet und 2018 abgeschlossen sein soll. Zwar kann die Position des Rats, der auf eine vollständige Deregulierung neuer (Glasfaser-)Netze drängt, kaum schlimmer werden, aber die beratende Funktion von BEREC könnte sich durchaus als Zünglein an der Waage herausstellen, wenn es um die endgültige Entscheidungsfindung geht.

Medienpolitik soll Identität stiften

An den Kragen dürfte es dem unabhängigen Journalismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehen. „Auch im ORF wollen wir Optimierungen vornehmen, was die Objektivität betrifft“, frohlockte FPÖ-Chef Strache. Zum Standardrepertoire von Rechten zählt bekanntlich die Opferrolle, in der sie sich am meisten wohlfühlen. Damit lässt sich nicht nur Stimmung in der eigenen Basis machen, sondern erlaubt es auch, unbequemen Fragen von unbequemen Journalisten aus dem Weg zu gehen – oder sie gleich ganz aus dem Weg zu räumen, wenn möglich. Doch das Regierungsprogramm geht noch einige Schritte weiter, analysiert das Handelsblatt:

Der neuen Mitte-rechts-Regierung in Österreich geht es aber um mehr als nur Personalrochaden. Sie will über ein neues ORF-Gesetz die Zukunft der Rundfunkanstalt ganz auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Im 179 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag von ÖVP und FPÖ sind die Ziele zumindest holzschnittartig formuliert. Darin wird eine umfassende Austrifizierung gefordert, wie beispielsweise mehr österreichische Inhalte oder die Forcierung neuer Technologien „Made in Austria“. „Neben österreichischen Inhalten sind auch die Leistungen österreichischer Künstler, Sportler und Produzenten für die nachhaltige Identitätssicherung entsprechend im öffentlich-rechtlichen Auftrag als Schwerpunkt zu verankern“, heißt es auf Seite 84 des Koalitionsvertrags.

Und weiter: „Österreichische Künstler sind in den Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstärkt und nachhaltig zu fördern.“ Der ORF als mediale Gegenwelt zur Globalisierung. Es ist unverkennbar, dass beim Schreiben dieses Teils des Regierungsprogramms die Rechtspopulisten die Feder geführt haben.

Futurezone.at hat ebenfalls eine Übersicht aller netzpolitischen Punkte zusammengestellt und erste Reaktionen aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft eingeholt. So soll das eGovernment ausgebaut und ein „Ethikrat Digitalisierung“ eingerichtet werden, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Zudem soll IT-Sicherheit zu einem der Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft erklärt und das „Cyber Security Center“ zu einer „modernen Hightech-Einheit“ entwickelt werden.

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10 Ergänzungen

  1. Es ist extrem unglaubwürdig, irgendwas zu behaupten und als Nachweis einen Tweet anzuführen, in dem eine weitere Person eine Behauptung aufstellt und im selben Satz aber bestätigt, dass es gar keine Prüfung gab bzw. wegen fehlender Lust/Zeit/sonstwas eingestellt wurde:

    „Was damals noch verschleiert vonstatten gehen musste, hat es nun direkt auf die Regierungsbank geschafft.

    [Tweetbeweis] Ich höre für heute damit auf. Aber ich bin mir ziemlich sicher, ich finde alle 10 Punkte der IOÖ mit den „Forderungen an die Bundesregierung“ im Regierungsprogramm von #SchwarzBlau.“

  2. Das warten wir mal ab. Dass „Pornofilter“ nicht funktionieren, ist bekannt. Immerhin sollen 30% des Internettraffics auf Pronkonsum zurückgehen. Wenn sie davon einen Teil blocken, können sie die Bandbreite für anderwertigen Unsinn nutzen. Das hatte sogar STOP-Schild-Uschi noch begriffen.

    Mir ist nicht klar, woher diese Staats-Trojanerpanik kommt. Wenn ich es richtig verstand, braucht man nur ein gültiges Zertifikat für moderne Windows, um eine Hintertür einzurichten. Alles andere gibt es als Bordwerkzeug. Nicht wenige Schadprogramme kommen heute schon mit „echten“ Zertifikaten durch alle Hindernisse.

    Den Staat und auch diverse Internetkonzerne im Netz aufzublasen, kann man machen oder besser gleich sein lassen. Menschen leben nach wie vor als Fleisch und Blut und nicht als bits und bytes.

  3. Warum sind denn alle plötzlich gegen den Quick Freeze? Der wurde doch von den Gegnern der VDS bisher immer als durchaus taugliche und akzeptierbare Alternative bezeichnet. (Aber nur mit Richtervorbehalt.) Das finde ich schon ein bißchen unglaubwürdig.
    Die restlichen Maßnahme sind aber wirklich bedenklich.

    1. Also, ich hatte im Laufe der Jahre so viele P*Filmchen heruntergeladen, das ich nicht mehr auf das Internet angewiesen bin!
      Huiii! Jetzt bin ich schon P*Filmchenhändler, oder?
      Menno, gleich kommen die schwarzen Männer durch die Tür und wollen dieses Material beschlagnahmen, warum?
      Nun, da ich es nicht mehr über das Internet konsumiere, bin ich ein Cyberterrorist, der die Werbewirtschaft schädigt!
      Ich gucke mir keine Werbung an! Das ist doch das Verbrechen!
      Hat schon mal einer gemessen, wieviel Internetverkehr von den 30% P*Filmchen auf Werbung zurückzuführen ist?
      Ja, genau, das möchte keiner Wissen, das wären ja Geschäftsgeheimnisse, die unter das Datenschutzgesetz der FPÖ fallen würden!
      Ein gutes hätte es, dann wären bei den Regierungsanschlüssen wieder ordentliche Bandbreiten möglich, die sonst durch die viele Filmchenguckerei belegt wären!

        1. Nun, mit meinem Beispiel wollte ich darstellen das, egal welche Gesetze jetzt verabschiedet werden sollen, die Nutzer dieser P*Filmchen sich sicherlich einen Vorrat von diesen angelegt haben, auf den sie im Ereignisfall beruhigt zugreifen können.
          Soviel zu den Legalen P*Filmchen.

          Bei den illegalen P*Filmchen ist der Fall Dutroux ( https://de.m.wikipedia.org/wiki/Marc_Dutroux ) zu nennen, der die Sinnlosigkeit der Gesetze für „gewisse Personengruppen“ (Täterkreis) sehr effizient darstellt und wozu man die Überwachung wirklich benötigt, um die betreffenden Zeugen zu identifizieren und eliminieren, damit dem „gewissen Personenkreis“ kein Leid geschehe!
          Da sich dieser Personenkreis selbstverständlich mit Filmchen nicht mehr abgibt und diese „über dem Gesetz“ stehen, müssen die Bürger, die unter dem Gesetz stehen besser überwacht werden, um eine Entdeckung zur Zufälle zu entgehen, dies betrifft z.B. das Posten von Selfis bei Facebook, bei denen diverse Leute durchaus im Hintergrund zu sehen sein könnten, die nicht an diesen Orten hätten sein sollen.

          Man sollte diesen Politikern mal die richtigen Fragen stellen, welcher Personenkreis denn geschützt werden soll, die schützenswerten Personengruppen, wobei eventuelle Zeugen schon frühzeitig/präventiv zum realen Schweigen gebracht können oder der Normale Bürger?

          Ich schätze mal, das der letztgenannte bestimmt nicht besser geschützt wird, als mit den bisherigen Gesetzen!

  4. Ich würde mir ja Wortschöpfungsungetüme wie „Trilog“ aus euren Texten wünschen. Das Wort Dialog, von dem der Trilog ja offensichtlich als Steigerung aufgefasst wird, indem von einer vermeintlichen Dualität nun auf Drei erhöht wird, hat aber auch gar nichts mit Zwei zu tun, sondern kommt von griechisch „diá“ „durch, gemeinsam“. Mit solchen Kunstworten unterminiert ihr eure Argumentation völlig unnötig.

  5. Die Europäischen Politiker sind sich scheinbar durch die Bank weg einig, der Bürger muss kontrolliert überwacht werden, damit ihm nichts böses Widerfährt!

    Das ist so, als ob man alle Verbrecher aus den Gefängnissen entlässt, um die Unschuldigen in die Gefängnisse zu Pferchen, damit unsere Politik eben diese vor den Freilaufenden Verbrechern optimal schützen kann!

    Das nenne ich doch mal Politik im Sinne des Bürgers!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.