#np13 – Was sind Smart Cities?

Leon Kaiser hat auf der „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz über Smart Cities gesprochen. Dass darunter vieles verstanden wird, sollte uns nicht davon abhalten, genau auf die Hoffnungen, Interessen und Prozesse zu schauen, unter denen Technologie in Städten eingesetzt wird. Und es gibt Wege, sich einzubringen.

Leon Kaiser bei seinem Vortrag auf der „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz. CC-BY-SA 4.0 Jason Krüger

Am 1. September 2017 fand unsere vierte „Das ist Netzpolitik“-Konferenz im Kosmos in Berlin statt. Alle Vorträge finden sich als Audio und Video auf media.ccc.de und Youtube.

Bevor wir unsere sechs Anforderungen für Smart Cities veröffentlicht haben, hat unser früherer Praktikant Leon Kaiser eine kurze Einführung in den Smart-City-Diskurs gegeben.

Dabei ist es nicht so leicht, Smart Cities zu beschreiben. Ein Weg, den besonders die Industrie immer wieder geht, ist, Smart Cities über „neue Technologien“ zu definieren: mal sind es dann Drohnen, die alle Transportprobleme lösen, mal sind es Sensoren, die alle Stadtbehörden effizient machen. So unterscheiden sich die Definitionen von Smart Cities dann. Der Grund liegt, so Leon, darin …

… dass Smart Cities immer wieder durch Technologien, die immer wieder neu sind, sich immer wieder neu definieren lassen, immer wieder eine neue Zukunftsvision über verschiedene Paradigmen des Computing definiert wird – damit kommt man zu keiner Definition, es ist immer wieder ein Hinterherlaufen hinter den Zyklen von Innovation und Rückständigkeit.

Leon fordert, dass wir stattdessen schauen müssen, wie wir heute in der Stadt zusammenleben und welche Technologien uns dabei helfen. Dazu gehören Ampeln, Tempo-Limits oder Fahrradwege. Sie sind dazu da, uns zu helfen. In der Stadt gehe es darum, das Überleben von allen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern auch mit Hilfe von Technologien dauerhaft möglich zu machen. Als Beispiel erwähnt Leon den Gabenzaun am Hamburger Hauptbahnhof, an den Stadtbewohnerinnen und -bewohner Tüten mit Essen, Shampoo und Geschenken hängen.

Auf die Prozesse und Akteure achten

Leon zufolge sollte vor allem auf die konkreten Akteure und Prozesse geachtet werden, durch die Technologien in die Stadt kommen. Start-Ups etwa hoffen, „Lösungen“ für Smart Cities zu entwickeln und dadurch zu einer disruptiven Kraft zu werden. Allerdings, so warnt Leon, ist „Disruption“ ein besonders wirtschaftsliberales Geschäftsmodell, dessen Auswirkungen auf Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner sowie städtische Infrastrukturen folgenreich sein können. AirBnB hat in Berlin beispielsweise zu einer Steigerung der Mieten geführt.

Momentan erhoffen sich Smart-City-Planer, durch Verbundprojekte zwischen „Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung“ die Stadt effizienter und lebenswerter zu gestalten. Leon weist darauf hin, dass die Forschung Gefahr läuft, Technologien zu entwickeln, nach denen niemand gefragt hat. Als Beispiel nennt er Rio de Janeiro, wo die Verwaltung mit IBM zusammengearbeitet und ein Kontrollzentrum eingerichtet hat. Dort laufen viele Daten in einem Raum auf Bildschirmen zusammen. Mittlerweile sitzt die Militärpolizei an den Steuerungspulten und bekommt dadurch viel Macht – sie kann beispielsweise strategisch Internetsperren verhängen.

Schließlich verweist Leon darauf, dass Daten in der Stadt besonders sensibel sein können. Hilfsorganisationen in London haben zum Beispiel eine Datenbank mit dem Namen CHAIN aufgebaut, in der sie Informationen über Obdachlose gesammelt haben, unter anderem mit deren Nationalität und den Orten, an denen sie sich regelmäßig aufhalten. Eigentlich als gute Idee gedacht, hat das britische Home Office Zugriff auf diese Datenbank erhalten, und die Festnahmeraten von ausländischen Obdachlosen sind um vierzig Prozent gestiegen:

Daten in der Stadt sind sehr abhängig vom sozialen Status. Eine einfache Information darüber, wo ich mich aufhalte, kann zum Problem werden, wenn ich obdachlos bin. […] „Smart“ kann für verschiedene Menschen verschiedene Konsequenzen haben.

Der Vortrag ist auch als Audiodatei verfügbar:


Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

7 Ergänzungen

  1. Sehr schön, dass ihr dieses wichtige Thema so präsent auf der Agenda habt!
    Im 6-Punkte-Artikel bin ich an zwei Dingen hängen geblieben.

    1. Zwischenüberschrift: „Neue Technologien müssen an Menschen und Orte angepasst werden.“
    Exakt … bei den Industrie 4.0-Bemühungen kostet die Tatsache, dass es gerade umgekehrt abläuft nur Zeit und Geld. Im „City“-Bereich: Lebensqualität.

    2. @murph in den Kommentaren: „Und wer die im Titel erwähnte Effizienzsteigerungslogik überwinden will, muss den Neoliberalismus/Kapitalismus überwinden.“
    Exakt das ist das Problem, das ich B2B (siehe 1.) aktuell erlebe. Alte eingespielte Prozesse werden ersatzlos gestrichen und durch neue digitale ersetzt. Die neuen Digitalen sind aber nur für den „Anbieter“ vorteilhaft / effizient. Der „Empfänger“ muss (äh … soll *g*) sich danach richten. Was in der Regel bedeutet: eigene digitale Prozesse zu unterbrechen und die Daten von Hand, per Webformular in das System des „Anbieters“ zu übertragen. Mir kommen als die Tränen, wenn mir wieder ein 80er-Jahre Webformular als Industrie 4.0 verkauft werden soll. omg.
    Anderes Thema, aber wenn ich sehe, wie die kommunale Verwaltung hier ihre Prozesse ökonomisch optimiert, sehe ich schwarz.

  2. Da der Begriff „smart“ so schön offen ist, kann man ihn schön zum Derailen von Technologie weg zu so Dingen wie Nischenproblemen wie dem Gabenzaun nutzen. Man hätte bei den Mietpreissteigerungen in Berlin auch diskutieren können, warum in dem 1990ern es noch hipp war, in den Berliner Speckgürtel als junge Familie zu ziehen, während die jungen Familien auf dieses 1950er Jahre Modell keinen Bock mehr hatten, ihn den Prenzlauer Berg zogen und die Gentrifzierung anfeuerten. Aber man kann natürlich auch technophob AirBnB bashen wie esder Berliner Senat macht, der mit Anti-AirBnB-Gesetzen auch seinen Bürgern in den Rücken fällt, die in den Randbezirken ihre Wohnungen im Urlaub vermieten wollen.
    Schade dass der Mindchange in Barcelona nicht erwähnt wurde, wo gesehen wurde, dass die Marketingmaßnahmen der IT-Firmen nicht ein Business-Modell schaffen. Cisco z.B. hat ja auch Bücher zur Msart City schrieben lassne, die zwar ein Dashboard für den Bürgermeister hatten, aber keinen Business Case (wie das Derailing mit dem Gabenzaun).
    Ich will jetzt niemanden damit langweilen, welche Chancen wir mit immer besser und billiger werdenden Technologie z.B. auch bei der Umweltverschmutzung hätten, wie zum Beispiel das zivilgesellschaftliche Luftdaten.info macht bei der Feinstaubmessung. Das ist wahrscheinlich zu komplex für Journalisten, die lieber die Wut des Bürgers provozieren, was ja auch eine höher Reichweite bring, wie wir bei der letzten BT-Wahl gesehen haben.

    1. Danke. Hättest du dir den Vortrag angeschaut, auf den sich dieser Artikel bezieht, dann wäre dir aufgefallen, dass (1) ich die Offenheit des Begriffs minutenlang anspreche und versuche einen Weg zu finden, damit umzugehen. Dass ich (2) Geschäftsmodelle, oder Business-Cases, sehr wohl anspreche und (3) der Punkt, den ich mit dem Gabenzaun gemacht habe sich nicht auf ein Geschäftsmodell, sondern auf den Umgang mit Daten in der Stadt bezieht – im Vergleich zu dem, was das Business in Bezug auf Pricacy by Design heute an Stadt-Technologie liefert ist das nämlich echt smart. Luftdaten.info spreche ich um Minute 10 an. Wenn dich Barcelona interessiert, dann schau doch mal hier: https://netzpolitik.org/2017/zur-diskussion-sechs-anforderungen-fuer-smart-cities/

  3. Der Artikel war so derailend und abschreckend, dass er für mich ein Motiv war, einen 20 Minuten langen Film anzusehen. Der Exkurs zum Gabenzaun hat mit Netzpolitik nichts zu tun und ist in hohem Maße derailend. Und die sechs Punkte sind in hohem Maße aus der Nische gedacht und leisten kaum einen Beitrag, moderne Technologien sinnvoll zu nutzen. In Berlin wird seit über 20 Jahren über verkehrssteuernde Technologien gesprochen (damals mit Echtzeitdaten aus dem Adlershof und der Ampelsteuerung), über 3-D-Modelle, durch die man Echtzeitdaten nutzen kann, über 3-D-Modelle, wo man in VR in ein Hotel gehen konnte, auf die Klingel klopfen konnte und man den Empfang real am Telefon hatte. Vor 10 Jahren sprach man davon, dass man digital Dinge auf Ämtern erledigen könnte. Nichts davon gibt es, aber eine breite Diskussion darüber,w as alles gefährlich ist und was wir verhindern müssen. Das ist keine Netzpolitik sondern nur ein schmalstes Segment, das aber gut dazu passt, dass wir in Deutschland mittlerweile die rote laterne tragen was Digitalisierung betrifft.
    Die 6 Anforderung erklären nicht den Policy-Change in Barcelona von supply-driven to demand-driven.

    1. Die Anforderungen sind ein erster Versuch, von Gemeinplätzen wegzukommen, um konkrete Chancen und ja, auch Probleme, aufzuzeigen, über die dann gerne diskutiert werden kann. Habe Ihnen eine Email geschrieben.

  4. @Leon
    Die Anforderung sind eine Beschränkung einer kleinen Nische und lassen große Probleme einfach aussen vor:
    – wie kommen wir zur Echtzeitmessung von Umweltverschmutzung? Der Dieselsakndal hat gezeigt, dass tausende Menschen in D an Dreck sterben. Für Feinstaub haben wir eine große zivilgesellschaftliche Aktion aus Stuttgart. Staatliche Stellen messen auch und veröffentlichen. Wir haben zusätzlich aus Satellitenbeobachtung Möglichkeit für eine Vielzahl von Schadstoffen zusätzliche Daten bereitzustellen. Über die Wichtigkeit von Dreck in der Stadt habe ich 2013 geschrieben. 2017 habe ich Beispiele aus Indien gezeigt, wo die mittels preiswertem IoT versiffte Seen messen und als Open Data veröffentlichen. In der Studie für die Bertelsmannstiftung habe ich weitere Möglichkeiten geschildert. Aufgabe von Netzpolitik wäre da m.E. darüber zu diskutieren, wie diese Daten der Umweltbelastung online zum Büerger kommen. Was aber passiert? Anstatt voran zu schreiten und die Bürger vor Vergiftung und Tod zu schützen, diskutieren wir, ob wie möglicherweise bei Echtzeitdaten von Bussen, den Busfahrer trcken könen, und sagen, dass dessen personenbezogener Datenschutz wichtiger ist als das Verhindern des Töten von Menschen.
    – Diskutieren müssten wir, dass wir wie in England die Echtzeitdaten des ÖPNV als Open Data frei bekommen, so dass die Effizienz des ÖPNV steigt und wir damit Verkehrstote und Emissionen absenken. Aber Gabenzäune sind uns wichtiger in Deutschland als Thema für die Netzpolitik.
    – in der Straßenleuchtung könnten wie ob wir die Straßenlaternen nachts abschalten oder intelligent on demand anschalten lassen können. Dafür brauchen wie eine Business Case für den Bürgermeister. Der aber ist in Cisco bezahlten Büchern nicht disktutiert worden.
    – Auf Facebook haben wir in „Open Data“ diskutiert, dass in D die Smart City industriegetrieben ist, während jetzt Barcelona den Spieß umgedreht hat. Das diskutieren wir hier nicht.
    -Der Spiegel hat vor Jahren geschrieben, dass das Samrt Metering unwirtschaftlich für den Verbraucher ist (nur Spülmaschine und Waschmaschinen profitieren von den theoretischen Preisvorteilen. Marc Elsberg hat beschrieben (Black Out) dass Smart Metering gefährlich ist, weil man zentral Haushalte abschalten kann vom Netz. Die Smart Meter nutzen aber nur großen Netzbetreibern und sind für genossenschaftliche lokale Netze irrelevant, die ihre Windmühle aus dem 3D-Drucker vor Ort ausdrucken. Aber wir maulen nicht, wenn das Umweltministerium eine dusselige Studie herausgibt, dass Autarkie in Städten unmöglich sei und deshalb viele neue neue 380 kV-Leitung gebraucht werden, wo der erstellende Ingenieur so doof ist, über 30 Jahre mit festen Preisen zu rechnen und das UBA das auch raus gibt, obwohl dort viele diesen Anfängerfehler aus den „Grenzen des Wachstums aus den 1970er Jahren kennen. Die Frage einer smarteren Stromversorgung unserer Städte wird aber nicht ansatzweise als Netzpolitik gesehen. Aber der Gabenzaun.
    – und wenn wir schon die Straßenbeleuchtung anfassen, wie integrieren wir dann Larowan und freies WiFi.
    – vergleicht man die sechs Anforderungen mit den überakademisierten Ansprüchen z.B. von Jörn von Lucke und Katharina Grosse:
    http://ojs.imodev.org/index.php/RIDDN/article/view/178/290
    könnte man auch meinen, dass die sechs Anforderungen auch übertrivialsiert sind und wir hohes Risiko laufen, dadurch den Diskurs zu töten und das Theam so kaputt zu machen, wie wir es mit Bildung, Kinderarmut, Umverteilung von unten nach oben, Digitalisierung und anderen auch geschafft haben. Wen wir so weit kommen, dass Grüne die völkerrechtswidrigen NATO-Kriege und das Töten mit Dieseln verteidigen, dann ist die Politik am Arsch. Also Bitte keine Gabenzäune mehr, die nichts mit Smart Cities zu tun haben.
    Am Rande: wenn ich öffentliche Diskussionen führe, möchte ich die nicht auf E-Mail derailen. Danke für das Verständnis.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.