Neue Vorratsdatenspeicherung für Grenzübertritte von Unionsangehörigen geplant

Die Europäische Union könnte bald das Datum und den Ort jedes Übertritts einer EU-Außengrenze speichern und für polizeiliche Zwecke nutzen. Das mitgeführte Ausweisdokument würde ausgelesen und die biografischen Daten mit Angaben zum Grenzübertritt gespeichert.

Die neuen Kontrollen von EU-Angehörigen an den Außengrenzen sollen sich lohnen: Ihre Grenzübertritte sollen auf Vorrat gespeichert werden. – Public Domain Ralf Roletschek

Einem Dokument der Europäischen Kommission zufolge könnten europäische Grenzbehörden bald die Reisewege aller Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten ausforschen. So steht es im Abschlussbericht der „hochrangigen Expertengruppe für Informationssysteme und Interoperabilität“.

Neben biografischen Daten soll das System die Richtung des Grenzübertrittes protokollieren. Die Reisenden würden hiervon nichts bemerken. Der neue Vorschlag ist unabhängig von dem bald eingeführten EU-Passagierdatensystem (PNR), in dem ebenfalls umfangreiche Daten zum Grenzübertritt der Reisenden verarbeitet und für fünf Jahre aufgehoben werden. Hiervon betroffen sind jedoch lediglich Fluggastdaten.

Neuer Datenspeicher oder Speicherung im SIS II?

Die neue Datensammlung zu Grenzübertritten aller Land-, See- und Luftgrenzen könnte im Schengener Informationssystem (SIS II), der größten Datenbank europäischer Polizei- und Grenzbehörden, angesiedelt werden. Bevorzugt wird jedoch die Einrichtung eines gänzlich neuen Datenspeichers.

Hintergrund des Vorschlags ist die Ausweitung des Schengener Grenzkodex, der seit März systematische Kontrollen beim Übertritt einer Außengrenze für UnionsbürgerInnen vorschreibt. Dabei wird das Ausweisdokument nicht mehr nur auf Echtheit geprüft, sondern mit dem Schengener Informationssystem (SIS II) und zwei Interpol-Datenbanken für gestohlene beziehungsweise zur Fahndung ausgeschriebene Ausweisdokumente abgeglichen. Die neue Regelung sorgt derzeit für lange Schlangen vor den Kontrollstellen an Flughäfen der EU-Mitgliedstaaten.

Aus Datenschutz wird Datenschmutz

Zu Zwecken des Datenschutzes und der Informationsfreiheit wird jede Abfrage der Dokumente protokolliert. Die „Expertengruppe“ schlägt nun vor, diese Logs um den Ort und den Zeitpunkt des Grenzübertritts zu erweitern. Auf diese Daten könnten dann Strafverfolgungsbehörden zugreifen und den Reiseweg einer Person nachvollziehen. Die Abfrage soll nicht nur zur Gefahrenabwehr erlaubt sein, sondern auch in Ermittlungen zu Terrorismus oder Formen schwerer Kriminalität.

Der Vorschlag, auch die Reisehistorie von Unionsangehörigen einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen, stammte zuerst vom französischen Innenministerium. Demzufolge sollte das derzeit neu errichtete „Ein-/ Ausreisesystem“ (EES), in dem alle Grenzübertritte von Drittstaatenangehörigen gespeichert werden, auf EU-Angehörige ausgeweitet werden. Die „Expertengruppe“ verwarf die Option jedoch, da dies dem Zweck des EES – der aufenthaltsrechtlichen Kontrolle – widerspräche.

Biometrische Superdatenbank

Eine Ausweitung der Überwachung betrifft auch jene Personen, die im SIS II zur verdeckten Kontrolle ausgeschrieben sind. Dabei wird der ausschreibenden Sicherheitsbehörde mitgeteilt, wann und wo die Person angetroffen wurde. Manche Mitgliedstaaten erlauben zudem das heimliche Durchsuchen des Gepäcks oder des Fahrzeugs. Diese heimlichen Ausschreibungen könnten nun ebenfalls in einem eigenen Datenspeicher landen, den dann auch Europol nutzen darf. Die Polizeiagentur soll jeden neuen Eintrag sofort mit eigenen Beständen abgleichen.

Zu den weiteren Vorschlägen der „Expertengruppe“ gehört die Zusammenlegung aller biometrischen Datensätze aus dem SIS II, dem Visa-Informationssystem (VIS), der Fingerabdruckdatenbank EURODAC und dem Europäischen Strafregister (ECRIS). Die technische Umsetzung hatte die Gruppe bereits im Dezember in einem Zwischenbericht erläutert.

Personenarchiv mit IP-Adressen

Ganz schön kompliziert: Die europäischen Datentöpfe.
Ganz schön kompliziert: Die europäischen Datentöpfe. - Rat der Europäischen Union

Die EU-Kommission plant außerdem ein EU-weites Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) für Reisende aus Drittstaaten. Es soll die bestehenden Datenbanken durch die vorzeitige Angabe geplanter Grenzübertritten ergänzen. Eine Software gleicht die Angaben mit den einschlägigen Datenbanken ab und sucht nach verdächtigen Reisemustern. Verläuft diese „Vorabkontrolle“ ohne Befund, wird die Einreise genehmigt. Das ETIAS nutzt hierfür das SIS II, EURODAC, ECRIS sowie die Interpol-Datenbanken. Das System gilt deshalb als Vorreiter der angestrebten Interoperabilität europäischer Informationssysteme.

Noch weitergehende Pläne sehen sogar ein zentral geführtes Personenarchiv vor, in der auch „Hintergrundinformationen“ zu einer Reise oder die bei der Anmeldung im ETIAS genutzte IP-Adresse gespeichert würden. Das Personenarchiv könnte der „Expertengruppe“ zufolge um andere Systeme erweitert werden. Die für den Betrieb von IT-Großsystemen zuständige Agentur eu-LISA soll etwa prüfen, inwiefern beispielsweise Daten aus dem SIS, dem VIS oder EURODAC genutzt werden könnten. Selbst die Integration von Europol-Daten sei möglich.

Migrationsdaten für polizeiliche und geheimdienstliche Zwecke

Schließlich soll auch der Zugriff von Polizeien und Geheimdiensten auf die Informationssysteme ausgeweitet werden. Ihnen soll sowohl die alphanumerische Suche als auch die Abfrage per Fingerabdruck oder Gesichtsbild ermöglicht werden. Allerdings ist der Vollzugriff derzeit rechtlich nur in engen Grenzen erlaubt. Abfragen zu vorhandenen Daten dürfen nur im „Treffer/ Kein Treffer“-Verfahren erfolgen, eine eventuelle Freigabe der gewünschten Information muss anschließend genehmigt werden.

Die Kommission soll deshalb eine neue Rechtssetzung prüfen, wonach Kriminalämter beispielsweise über eigene Accounts auf die Datenbanken zugreifen dürften. Damit würde ein weiteres Ziel der „Expertengruppe“ umgesetzt, nämlich die Nutzung von Daten des Migrationsmanagements für polizeiliche und geheimdienstliche Zwecke.

9 Ergänzungen

    1. He he, die Assoziation hatte ich auch:D Es wäre ihnen zu wünschen; wäre zudem tatsächlich dazu geeignet, für mehr Sicherheit zu sorgen. Wenn nämlich protokolliert wird, wohin die Grundrechtsterroristen so unterwegs sind und zu welchen Lobbygruppen sie womöglich Kontakt haben.
      …bleibt aber leider nur ein Wunschtraum infolge einer falsch interpretierten Überschrift.

    1. Nein, biografisch, also vermutlich Name und Meldeadresse. Die biometrischen Daten von Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten sind ja bereits innerhalb der EU vorhanden.

  1. Also die eigenen Bürger werden „nackig“ gemacht, ist man dagegen ein Mensch wertvoller als Gold, schmeisst man seinen Pass weg und zack, freie Reise, Gratisunterkunft und Hilfe ohne Überwachung!

    Was für eine DDR 3.0 Farce.

    1. Na ja, ohne Übewachung ja auch nicht mehr, da sie jetzt ihre Mobiltelefone zur Analyse hergeben müssen (was immer das auch bringt).

      Was mich viel mehr nervt, daß die Bundesregierung nicht unwesentlich an der Situation der hohen Kriminalität und Terrorgefahr in vielfältigster Weise (nicht nur durch die Grenzöffnung 2015, sondern u.a. auch durch die Wirtschafts- und Außenpoltik) schuld ist und jetzt einen auf „starken Mann“ machen will – ob CxU oder SPD. Und die meisten Wähler fallen wohl auch noch darauf herein.

      1. Sie Fördern die Kriminalität und Fordern mehr Befugnisse für die Kriminalitätsbekämpfung, ist doch ein guter Deal!
        Das dient der politischen Gemeinschaft aus Union und SPD!
        Natürlich dient es auch der organisierten Kriminalität, da die politische Gemeinschaft diese benötigt, um dem „Michel“, die nächsten Gesetze gegen die „Kriminalität“ verkaufen zu können!

  2. Wenn Leute sagen: wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Meinen Sie in Wirklichkeit, es gut so wie es ist, wir sorgen dafür, verzichtet auf euere Macht und euere Freiheit. Wir kümmern uns um euch, vertraut uns. Aber in der Demokratie geht es nicht um Vertrauen, sondern um Mitbestimmung. (Edward Snoden)

  3. „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen.“ –(Ernst Benda, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts)

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