Netzpolitischer Wochenrückblick KW24: Bloß nicht wegsehen

Wer guckt wem mit welcher Rechtfertigung zu? Die letzte Woche drehte sich viel um Fragen der Überwachung, der Öffentlichkeit, des Datenschutzes und des offenen Netzes.

Der Sturm und sein Auge. CC-BY-SA 2.0 Roger W

Totalitäre Tendenzen in der Überwachung

Blieb es in der Netzpolitik-Redaktion zwar in der letzten Woche etwas ruhiger, war in der Politik dafür so einiges los. Auf der Innenministerkonferenz bewies Bundesinnenminister Thomas de Maizière erneut sein rhetorisches Talent, kritische Sachverhalte sprachlich nett zu verpacken. Der kommende Einsatz von Staatstrojanern und der Ausbau der Kommunikationsüberwachung diene ja schließlich nur der Sicherheit. Die hierzu eingerichtete Entschlüsselungsbehörde ZITiS steht dem einstigen Anliegen der Digitalen Agenda, Deutschland zum Verschlüsselungsstandort Nr. 1 zu machen, diametral entgegen. Unberührt von diesem Widerspruch ging der Minister auf der Konferenz sogar noch weiter und forderte potentielle „Gefährder“ besser zu überwachen und bereits Kinder unter 14 Jahren durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen.

Von des Ministers schönen Worten zum bösen Spiel lässt sich nicht jeder täuschen. So hagelte es zum innerdeutschen Ausbau der Online-Überwachung heftige Kritik. Sechs Menschenrechtsorganisationen beklagten die Vorhaben der Bundesregierung als schwere Eingriffe in die Grundrechte und warnten vor einem kommenden Totalitarismus.

Auf EU-Ebene gibt es ebenso Tendenzen zur Ausweitung der Überwachung. Handelte es sich bis jetzt beim Austausch von Fluggastdaten zwischen Mitgliedsstaaten und Fluggesellschaften noch um ein dezentrales System, so wird nun die Zentralisierung über einen zentralen „Router“ diskutiert. Zu diesem Vorhaben hat die EU-Kommission eine Machbarkeitsstudie bis 2018 in Auftrag gegeben.

Die europäische Exekutive plant, Fluchthilfe nun auch online zu verfolgen. Grund hierfür sei, dass die meisten Kontakte zwischen Helfenden und Flüchtenden über Facebook und ähnliche Nachrichtendienste zustande kämen. Das „Zentrum für Migrantenschmuggel“ fordert daher, sogenanntes „E-Smuggling“ durch eine eigene Datei zu überwachen. Europol, Frontex, Bundesnachrichtendienst und andere wollen Dienste wie Facebook oder Whatsapp zur Löschung von Helfer*innen-Accounts verpflichten. Der Rechtsweg über die Staatsanwaltschaft soll dabei umgangen werden, damit die Überwachung einfacher vonstattengehen kann.

Öffentlichkeit unter Beschuss

Der Europäische Gerichtshof urteilte letzte Woche zugunsten der Urheberrechts-Lobby und machte die Indexierungsseite The Pirate Bay für urheberrechtlich geschütztes Material, das man über sie erreicht, direkt verantwortlich. Außerdem wurden die zwei größten Internetdiensteanbieter der Niederlande verpflichtet, die Domain und IP-Adressen von The Pirate Bay zu sperren. Abgesehen davon, dass in den Niederlanden bald kaum mehr Zugriff auf die Website möglich sein wird, kann das Urteil ein zukünftiges Einfallstor für europäische Zensur sein und stellt einen problematischen Präzedenzfall für die Öffentlichkeit des europäischen Internets dar.

Gegen die zunehmende Intransparenz in der Öffentlichkeit gibt es in Deutschland nun die Kampagne „Gläserne Gesetze“, die es zu einem Kinderspiel machen soll, in Erfahrung zu bringen, wie sich Lobbyist*innen am Gesetzgebungsprozess beteiligen.

Das Arbeitsfeld der Bundesdatenschutzbeauftragten sind auch Beschwerden an Bundesbehörden hinsichtlich des Informationsfreiheitsgesetzes. Wie aus einer Antwort der Bundesdatenschutzbeauftragten hervorgeht, haben diese Beschwerden und Eingaben im letzten Jahr abgenommen.

Wenn sich schon auf Bundesebene weniger um die öffentliche Situation gekümmert wird, so geht netzpolitik.org mit gutem Beispiel voran. Am 1. September wird es wieder die Netzpolitik-Konferenz geben. Über unseren Call for Paper könnt ihr euch auch mit einem Beitrag an der Konferenz beteiligen und der Welt eure Meinung sagen.

Rohstoff Daten

In einem Positionspapier sprach die CDU vom Rohstoff „Daten“, der der Wirtschaft doch wenn möglich zugeführt werden solle. Die Rede von der Datensparsamkeit ist passè – stattdessen wird nun über die Erweiterung der Aufgaben der Bundesdatenschutzbeauftragten zur Dateninnovation phantasiert. Der ohnehin schon widersprüchliche Aufgabenbereich zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit soll nach Willen der CDU jetzt der Synthese durch die Wirtschaft zugeführt werden. Unsere Privatsphäre gegen den ökonomischen Fortschritt – ein schlechter Tausch, doch Absicht der CDU.

Dass persönliche Daten bereits zum Rohstoff mancher Industrien geworden sind, zeigte Privacy International anhand des Versicherungs- und Finanz-Sektors. Eine solche „Datenexploitation“ wirkt sich auch auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben und individuelles Verhalten aus.

Netze

Der Europäische Gerichtshof entschied letzte Woche, die Roaming-Gebühren abzuschaffen. Doch sind mit diesem Urteil noch nicht alle Schranken der Ungleichheit zwischen den einzelnen EU-Staaten gefallen. Immer noch gibt es Limitierungen im Datenvolumen und Differenzen bei der jeweils gewählten Flat.

Die Debatte um die Abschaffung der Netzneutralität in den USA erhielt erneuten Aufschwung. Mehrere große Websites, darunter Amazon, Reddit und Pornhub, haben sich mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu einem Aktionstag im Juli gegen die Abschaffung zusammengeschlossen.

Technologie

Waren es bisher nur Aufklärungsdrohnen, so will die Bundeswehr bis 2019 auch Kampfdrohnen einsetzen. Geplant wird eine sogenannte „Eurodrohne“.

In die völlig entgegengesetzte Richtung weist das italienische Technologiekollektiv Autistici/Inventati, das sich mittlerweile seit über zehn Jahren für Unabhängigkeit von Regierungen und eine freie Technologienutzung einsetzt.

Links

Außerdem berichteten wir darüber, wie das Justizsystem in den USA zunehmend ungerechter wird. Die Polizei setzt dort Algorithmen ein, um Wahrscheinlichkeiten von Verbrechen vorherzusagen. Im Ungefähren tappte auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries erneut, als sie sich zur IT-Sicherheitsdebatte äußerte. Wie nötig die Diskussion aber zu führen wäre, betonte nicht zuletzt die re:publica-Debatte über die europäische Zensurmaschine. Die Spitzenpolitik lechzt der Wirtschaft nur zu sehr hinterher, um sich mit den Auswirkungen falsch angewandter Technologie auf Individuen und Gesellschaft zu befassen.

2 Ergänzungen

  1. Noch 14 Tage bis zur Vorratsdatenspeicherung.

    Danke hierfür an den Umfaller Heiko Maas und an die Parteitagsdelegierten der SPD.

    Im September ist dann aber auch schon Zahltag.

  2. „Gegen die zunehmende Intransparenz der Öffentlichkeit“, fehlt da nicht das Wörtchen ‚… gegenüber [der Öffentlichkeit]‘?

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