Interview zur Videoüberwachung in Görlitz: Keine automatisierte Identifizierung von Personen

Im sächsischen Görlitz setzt der Landesinnenminister auf „intelligente Videoüberwachung“. Was es damit auf sich hat, haben wir den Sächsischen Datenschutzbeauftragten gefragt. Außerdem haben wir uns nach den Plänen zur neuen „Sicherheitsarchitektur“ im Polizeigesetz und zum Ausbau des Staatstrojanereinsatzes in Sachsen erkundigt.

CC-BY-NC 2.0 Taz etc.

Zwar richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit in Sachen automatisierter Videoüberwachung aktuell auf den Testlauf am Bahnhof Südkreuz in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern wird technisch aufgerüstet. Der Trend, Videoüberwachungssysteme zu installieren, die Menschen im öffentlichen Raum permanent erfassen und identifizieren können, ist auch in Sachsen zu beobachten. In der Stadt Görlitz wird auf automatisierte Videoüberwachung gesetzt, wie Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) schon vor Monaten ankündigte. Im August besuchte der Minister dann die Görlitzer Altstadt, um sich zu informieren.

Eine solche technische Maßnahme, die Menschen im öffentlichen Raum optisch erfasst und ihre Körpermerkmale aufzeichnet und auswertet, ist ein intensiver Grundrechtseingriff. Ob Videoüberwachung Kriminalität senken kann oder sie nur verlagert, darüber wird seit Jahren gestritten. Zudem wohnt biometrischer Videoerfassung ein hohes Fehlerpotential inne, weil Ergebnisse einer Gesichtserkennung beispielsweise je nach Lichtsituation sehr schwanken können und Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts oder Herkunft nicht gleich gut erkannt werden. Forschung zur automatisierten Gesichtserkennung wird vom Forschungsministerium allerdings finanziell gefördert.

Ob es sich in Görlitz tatsächlich um eine „intelligente Videoüberwachung“ handelt, interessierte den grünen Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann. In einer Antwort vom 13. März (pdf) erklärte das Landesinnenministerium, es sei „bestrebt, durch die Einführung analytischer Komponenten bei der Videografie die Effizienz der polizeilichen Arbeit zu erhöhen“. Wir haben an den Sächsischen Datenschutzbeauftragten einige Fragen zu den Plänen des Innenministers zur Videoüberwachung und einer etwaigen biometrischen Gesichtserkennung in Görlitz und zum sächsischen Polizeigesetz (SächsPolG) gestellt.

Andreas Schneider beantwortete unsere Fragen. Er ist Sprecher des Sächsischen Datenschutzbeauftragten.

Ist das wirklich „intelligente Videoüberwachung“?

Andreas Schneider
Andreas Schneider.
(Foto: Der Sächsische Datenschutzbeauftragte.)

netzpolitik.org: Handelt es sich bei den Plänen des Landesinnenministers in Görlitz tatsächlich um „intelligente Videoüberwachung“?

Andreas Schneider: Es handelt sich meines Erachtens nicht um „intelligente Videoüberwachung“ in dem Sinne, dass bestimmte vorher hinterlegte Referenzdaten – Gesichter oder Verhaltensmuster – erkannt werden und ein entsprechender Warnhinweis an die Polizeidienststelle erfolgt, so dass diese einzuschreiten in die Lage versetzt wird. Es handelt sich vielmehr um die Anfertigung von Bildaufnahmen und -zeichnungen gemäß § 37 Absatz 2 SächsPolG im Rahmen der Gefahrenabwehr an festgelegten Kriminalitätsschwerpunkten im Görlitzer Stadtgebiet, auf die anlassbezogen, nach Bekanntwerden einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zurückgegriffen werden können soll, und dies auch zeitlich beschränkt.

netzpolitik.org: Umfasst der geplante Pilotversuch tatsächlich Gesichts- und Verhaltensscanner oder eine Form von automatisiertem Abgleich? Welche Technik soll zum Einsatz kommen?

Andreas Schneider: Hierbei ist bei dem Vorgang der Auswertung der Videoaufnahmen vorgesehen, dass ein („intelligentes“) automatisiertes Verfahren die Polizeibediensteten beim „Herausfiltern“ von Gesichtern und Kennzeichen unterstützt. Es wird dabei wiederum lediglich automatisiert erkannt, ob überhaupt ein menschliches Gesicht oder Kennzeichen in einem bestimmten Zeitabschnitt erfasst worden ist, nicht aber ein bestimmtes Gesicht oder Kennzeichen.

Die dafür benötigten Arbeitsschritte durch die Bediensteten waren bisher manuell und zeitaufwendig durchzuführen. Die gespeicherten Daten sollen so auch die Ermittlungstätigkeit optimieren und Beweismittel für Strafverfahren besser erschlossen werden. Eine automatisierte Identifizierung von Personen oder ein automatisierter Abgleich mit anderen Datenbanken aus den polizeilichen (Fahndungs-) Systemen soll hingegen nicht erfolgen.

netzpolitik.org: Im Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ sagte der sächsische Innenminister Markus Ulbig im Februar, in Görlitz arbeite man bereits an dem Pilotprojekt, dort sollen „bei Straftätern typische Verhaltensmuster“ erkannt und Gesichtserkennung getestet werden. Das ließe das bisherige Polizeigesetz auch zu. Teilen Sie diese rechtliche Einschätzung?

Andreas Schneider: Das geltende sächsische Polizeirecht lässt die Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten zu, § 37 Absatz 2 SächsPolG. Das automatisierte Erkennen von typischen Verhaltensmustern oder Auswerten bestimmter Gesichter, um erst dann Aufzeichnungen zu machen, ist bisher im sächsischen Polizeirecht nicht vorgesehen. Gegenteiliges hat der sächsische Innenminister in dem angeführten Interview meines Erachtens so auch nicht gesagt.

Beteiligung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten

netzpolitik.org: Ist der Sächsische Datenschutzbeauftragte in Ulbigs Pläne eingeweiht worden, liegt ein Datenschutzkonzept dafür vor? Sind die Pläne zur Videoüberwachung in Görlitz nach Ihrer Einschätzung rechtswidrig oder rechtmäßig? In einer Antwort des Innenministeriums vom 13. März (pdf) an den Abgeordneten Valentin Lippmann ist angegeben, dass eine „Abstimmung mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten“ derzeit andauert. Welcher Art ist diese Abstimmung und mit welchem Ergebnis?

Andreas Schneider: Der Sächsische Datenschutzbeauftragte begleitet das Projekt seit August 2016. Die nach geltendem Recht zulässigen Möglichkeiten und die konkrete Umsetzung durch die erforderlichen Anordnungen sind mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten abgestimmt worden. Das Vorhaben begegnet – anhand der mir vorgelegten Unterlagen – keinen durchgreifenden datenschutzrechtlichen Bedenken.

netzpolitik.org: Der Landesinnenminister hat außerdem eine neue „Sicherheitsarchitektur“ und eine Anpassung der Rechtslage angekündigt. Was ist in Fragen der Überwachung im Polizeigesetz geplant? Sind auch für Messenger-Dienste wie WhatsApp neue polizeiliche Eingriffsbefugnisse geplant, also ein erweiterter Staatstrojanereinsatz?

Andreas Schneider: Einzelne geplante Änderungen des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen sind meiner Dienststelle bisher nur durch die Presse oder auf Arbeitsebene bekannt geworden. Eine formelle Beteiligung meiner Dienststelle mit einem zwischen den Koalitionspartnern abgestimmten Entwurf hat noch nicht stattgefunden. Deshalb kann ich mich dazu derzeit noch nicht äußern.

netzpolitik.org: Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Und wie soll technisch sichergestellt werden, dass eine solche Auswertung nicht über Dritte erfolgt?
    Das wird schrittweise (und eventuell unbemerkt) eingeführt oder einfach gemacht.
    Die Ergebnisse dürfen nur vorerst rechtlich nicht ausgewertet werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.