Interview mit Johannes Caspar über Informationszugang zu amtlichen Unterlagen: „Unbefriedigend“

Wir sprechen in einem Interview mit dem Hamburgischen Informationsfreiheitsbeauftragten über das Recht auf Informationszugang und die Bewertung einer Verfassungsbeschwerde, die im Juni zu einem Beschluss des höchsten Gerichts geführt hatte. Was muss sich ändern, um amtliche Unterlagen besser zugänglich zu machen?

Tempus fugit. CC-BY-NC-ND 2.0 Rotten Reverie

Wenn Spitzenpolitiker oder Spitzenbeamte ihre Posten räumen, müssen für den Umgang mit ihren dienstlichen Unterlagen rechtliche Regeln beachtet werden. Denn auch wenn der Amtsträger wechselt, sollen wesentliche Vorgänge vollständig und wahrheitsgemäß und damit nachvollziehbar aktenkundig sein und bleiben. Seit einem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 20. Juni 2017, über den wir mit der Beschwerdeführerin Gaby Weber und dem Bundesarchiv sprachen, stellen sich einige neue Fragen in Bezug auf die Informationsfreiheit. Denn amtliche Dokumente können zwar nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder von Jedermann angefordert werden. In der Praxis heißt das aber noch lange nicht, dass man sie auch bekommt.

Weber ist Journalistin und hat nicht das erste Mal zur Herausgabe von Akten den Rechtsweg beschritten. Sie kämpfte in früheren Verfahren um Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur in den 1970er Jahren, aktuell um Zugang zu Unterlagen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschen Bank. Es geht auch darum, ob für das Bundesarchiv eine Pflicht zur Wiederbeschaffung besteht, wenn politische Stiftungen und Unternehmen solche Unterlagen im Besitz haben. Das im Jahr 1950 gegründete Bundesarchiv verwahrt – wie schon der Name sagt – das Archivgut des Bundes, macht es nutzbar und verwertet es auch wissenschaftlich.

Wir haben in einem Interview mehr über die Frage, wie es um die Informationsfreiheit bei amtlichen Unterlagen steht, erfahren wollen und sprachen mit Johannes Caspar. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit erklärt die derzeitige Rechtslage und plädiert für mehr Transparenz – und natürlich mehr Informationsfreiheit. Zwar gibt es seit dem Jahr 2005 das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und zudem das Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG, jedoch keinen allgemeinen Informationszugangsanspruch. Sollte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Anlass geben, die Forderung nach Schaffung eines Grundrechts auf Zugang zu öffentlichen Informationen zu erneuern?

Johannes Caspar ist Jurist, Professor an der Universität Hamburg und seit 2009 der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit.

Was bedeutet die Aktenführungspflicht?

caspar, johannes
Johannes Caspar, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit.

netzpolitik.org: Wie ist die Rechtslage derzeit, wenn Spitzenpolitiker oder Spitzenbeamte ihre dienstlichen Unterlagen nach Ende des Amtes oder der Dienstzeit an sich nehmen und damit potentiellen Informationsfreiheitsanfragen entziehen?

Johannes Caspar: Was in amtliche Unterlagen gehört, bestimmt sich nach den Aktenordnungen. Die Aktenführungspflicht der Behörden ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, da nur eine geordnete Aktenführung einen rechtsstaatlichen Verwaltungsvollzug mit der Möglichkeit einer Rechtskontrolle durch Gerichte und Aufsichtsbehörden ermöglicht. Verstoßen Behörden dagegen, kann dies im Einzelfall zu einer Beweislastumkehr führen. Bei Verstößen einzelner Mitarbeiter – und das umfasst auch das Führungspersonal – müsste die Behörde mit Disziplinarverfahren dagegen vorgehen.

Das Entziehen von dienstlichen Unterlagen bzw. amtlichen Dokumenten kann darüber hinaus unter verschiedenen Aspekten sogar strafrechtlich relevant sein. So wird nach § 274 Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Urkunde, die ihm nicht gehört, oder beweiserhebliche Daten, über die er nicht ausschließlich verfügen darf, unterdrückt. Dabei muss jedoch die Absicht vorliegen, einem anderen Nachteil zuzufügen. Ist eine derartige Absicht nicht vorhanden, kommt lediglich ein Diebstahl bzw. eine Unterschlagung der Akten in Betracht.

netzpolitik.org: Betrifft das auch amtliche Dokumente, die beispielsweise digital auf Computern und Mobiltelefonen vorliegen, etwa Briefe in Form von E-Mails, Gespräche per Chat-Programm, Korrespondenz per SMS oder digitale Fotos?

Johannes Caspar: Für digitale Speichermedien bzw. Dateien steht die rechtswidrige Unterdrückung von Daten ebenfalls nach § 303a Strafgesetzbuch unter Strafe.

netzpolitik.org: Wie ist die Rechtslage, wenn solche Akten von Politikern oder Beamten bei privaten Stiftungen hinterlegt werden oder nach deren Tod von deren Erben dorthin übergeben werden?

Johannes Caspar: Eine unmittelbare gesetzliche Pflicht zur Beschaffung, auch zur Wiederbeschaffung von Dokumenten besteht nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen bislang nicht. Der Anspruch auf Informationszugang im Sinne des § 1 Abs. 1 IFG wurde bislang auch von Rechtsprechung und Lehre in einem engen Sinne verstanden und begrenzt auf die bei den informationspflichtigen Stellen vorhandenen Informationen.

Das ist höchst fragwürdig. Im Ergebnis eröffnet die Beschränkung des Zugangsrechts auf tatsächlich bei der Behörde vorhandene Informationen problematische Umgehungsmöglichkeiten bei der Erfüllung des Zugangsrechts von Bürgerinnen und Bürgern. Aus dem Verfügungsbereich der öffentlichen Hand geratene Dokumente sind dann nicht mehr vom Zugangsrecht erfasst.

netzpolitik.org: Wie steht es nach der Entscheidung des Gerichts um eine „Wiederbeschaffungspflicht“ amtlicher Dokumente? Ändert der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Juni etwas in Bezug auf die Informationsfreiheit?

Foto: BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Foto von jgieseking via flickr, CC BY-NC 2.0.

Johannes Caspar: Das Bundesverfassungsgericht hält diese Beschränkung des Bundesgesetzgebers für verfassungsrechtlich unbedenklich. Immerhin führt das Gericht in seiner jüngsten Entscheidung aus, dass es durchaus Konstellationen geben kann, in denen die Dokumente trotz ihrer Weitergabe an private Dritte durch die Behörde wieder zurückzuholen sind. Das kann insbesondere für den Fall angenommen werden, dass die informationspflichtige Stelle die Unterlagen in Kenntnis eines geltend gemachten Informationsbegehrens aus der Hand gegeben hat. Letztlich bleibt aber auch nach dieser Auffassung die Bestimmungskompetenz über eine Wiederbeschaffung zunächst bei der herausgabepflichtigen Stelle, die darüber zu befinden hat, ob sie von dem Herausgabeanspruch Gebrauch und damit das Dokument der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Auch wenn das Gericht einen Anspruch auf Wiederbeschaffung nicht grundsätzlich ablehnt, erscheint das Ergebnis für Informationszugang und Transparenz staatlichen Handelns unbefriedigend.

netzpolitik.org: Woran liegt dieses „unbefriedigende“ Ergebnis?

Johannes Caspar: Das liegt weniger an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als an der verfassungsrechtlichen Unterbelichtung des Rechts auf Informationszugang: Art. 5 Abs. 1 GG schützt das Recht, sich ungehindert zu informieren, eben nur aus allgemein zugänglichen Quellen. Was allgemein zugänglich ist, folgt nicht aus dem Grundrecht selbst, sondern wird vom Gesetzgeber festgelegt. Anders als im Bereich grundrechtlicher Gewährleistungen, wo die Gesetze Schranken ziehen, die an rechtsstaatliche Vorgaben wie Bestimmtheitsgebot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sind, legt der Gesetzgeber hier bereits fest, ob der Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit überhaupt eröffnet ist.

Die Informationsfreiheit im Grundgesetz steht damit unter einem umfassenden Auslegungsvorbehalt durch das einfache Gesetzesrecht. Das ist letztlich auch der Grund dafür, dass in den Bundesländern ganz unterschiedliche Klassen der Informationsfreiheit vorherrschen. Neben einigen Ländern, die moderne Transparenzgesetze haben, stehen andere Länder, die bisher überhaupt keine Informationsfreiheitsgesetze erlassen haben. Hier läuft die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 S.2 GG dann leer.

netzpolitik.org: Was wäre also zu fordern?

Johannes Caspar: Es gibt wohl kaum einen Bereich im Föderalismus, bei dem zentrale Rechte für Bürgerinnen und Bürger so disparat geregelt sind – angesichts des hohen Werts staatlicher Transparenz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein im digitalen Zeitalter anachronistischer und nicht haltbarer Zustand. Gefordert ist daher ein allgemeines Grundrecht auf Informationszugangsfreiheit gegenüber staatlichen Stellen im Grundgesetz.

netzpolitik.org: Haben Sie Informationen darüber, wie häufig es vorkommt, dass Akten von Politikern an private Einrichtungen übergeben werden, die amtliche Unterlagen sind?

Johannes Caspar: Aus meiner hamburgischen Praxis ist mir kein einziger derartiger Fall bekannt.

Beim Kanzleramt anklopfen

netzpolitik.org: Der Grundsatz der Subsidiarität ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht von der Beschwerdeführerin verletzt worden. Wäre es daher sinnvoll, mit einer Informationsfreiheitsanfrage nun beim Kanzleramt anzuklopfen?

Johannes Caspar: Die Subsidiarität verlangt, dass das Bundesverfassungsgericht erst dann eingeschaltet wird, wenn die Frage fachgerichtlich geklärt wurde und immer noch die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung besteht. Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die Klägerin nur gegen das Bundesarchiv vorgegangen ist. Dieses hatte die Akten aber niemals auch nur angeboten bekommen (was einen Rechtsverstoß darstellt). Es hatte deshalb keine rechtliche Möglichkeit, sich die Akten zu beschaffen.

Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
Gebäude der „Konrad-Adenauer-Stiftung“ in Berlin,
Foto: sporst, CC BY 2.0 via flickr.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hätte die Klägerin sinnvollerweise gegen das Bundeskanzleramt klagen müssen, denn dieses hat das Eigentum an den Akten und könnte sie immer noch von der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Historischen Institut der Deutschen Bank AG zurückverlangen. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die Fachgerichte zu klären haben, ob es eine Pflicht zur Beschaffung von Unterlagen gibt, die zur Beantwortung von IFG-Anfragen benötigt werden. Nach seinen Ausführungen deutet alles darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht eine solche Pflicht zumindest für sinnvoll hält.

„Privatisierung“ amtlicher Unterlagen

netzpolitik.org: Kann und sollte das Bundesarchiv eine Wiederbeschaffung von Informationen anstreben, die von Spitzenpolitikern nicht an das Archiv übergeben wurden? Hätte das Bundesarchiv überhaupt eine rechtliche Möglichkeit dazu, wenn es wollte?

Johannes Caspar: Hier kann ich nur auf das verweisen, was das Bundesarchiv selbst ausgeführt hat:

  • Der Präsident des Bundesarchivs teilte mit, dass […] immer wieder amtliche Dokumente nicht an das Bundesarchiv abgegeben würden, sondern in die privaten Papiere von Politikern und Spitzenbeamten gelangten und mit diesen zum Beispiel an die „Archive der Parteien“ übergeben würden. Wiederholte Versuche, dieser „Privatisierung“ amtlicher Unterlagen entgegenzuwirken, seien gescheitert. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien als Fachaufsichtsbehörde über das Bundesarchiv wies die Beschwerdeführerin ergänzend darauf hin, dass dem Bundesarchiv bereits von Gesetzes wegen keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, wenn amtliche Stellen ihrer […] bestehenden Ablieferungspflicht [beim Bundesarchiv] nicht nachkämen.

Nach dem Gesetz ist es die Aufgabe des Bundesarchivs, Archivgut des Bundes nutzbar zu machen und seine wissenschaftliche Verwertung zu ermöglichen. Wenn dies in das Belieben Einzelner gestellt wird und die Akten privaten Archiven übergeben werden, die nach Gutsherrenart und eventuell sogar politischen Vorlieben entscheiden, wer Zugang zu Archivgut des Bundes erhält und wer nicht, berührt das den Kern der Aufgaben des Bundesarchivs.
 

Foto: bundesarchiv koblenz
Das Bundesarchiv in Koblenz. Bild: CC BY-SA 3.0, Holger Weinandt via Wikipedia.

 
Dass eine solche Situation misslich ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Man stelle sich nur einmal vor, ich würde nach Ende meiner Amtszeit sämtliche Akten zu Facebook und Google mit nach Hause nehmen und sie einer parteinahen Stiftung meiner Wahl übergeben. Nichts von dem, was sich in diesen Bereichen in den letzten Jahren abgespielt hat, wäre für meine Behörde noch nachvollziehbar, eine fortlaufende Bearbeitung der Vorgänge praktisch unmöglich.

netzpolitik.org: Den Rechtsweg zu beschreiten, ist also geradezu logisch?

Johannes Caspar: Wenn dem Bundesarchiv eine Verfolgung dieses rechtswidrigen Vorgehens nicht möglich ist, die zuständigen Behörden aber nichts unternehmen, kann nur der Rechtsweg die richtige Antwort sein. Ob die Behörden durch einen IFG-Antrag zukünftig dazu zu bringen sind, die Unterlagen in ihren Einflussbereich zurückzuholen, wird letztlich von den Fachgerichtsbarkeit zu entscheiden sein. Das Ergebnis ist mit Spannung zu erwarten.

netzpolitik.org: Vielen Dank für das Interview!

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Eine Ergänzung

  1. Aktuell gibt es eine Akte, die unter den Themen an Schultz zu dessen Erstaunen ganz oben war (Exopolitik hatte zur Unterstützung aufgerufen).
    Zugriff auf die Deutschen „UFO-Akten“. Er hatte versprochen es soll Zugriff geben, wenn da keine Geheimhaltungsgründe gegen sprechen. Also Zugriff, denn Ich glaube Robert Fleischer hatte schon Zugang, er darf sie nur nicht veröffentlichen. Damit ist Geheimhaltung auf jeden Fall obsolet.
    Ich glaube nicht dass da etwas geheimes im Sinne von versteckter Technik etc. drin steht.
    Aber das BRD (ja, „das“ ;-] ) bzw. dessen Vertreter betrachten das Thema als etwas dass „pfui“ ist.
    Man scheint zu glauben dass wenn bekannt würde, dass sich der Staat ernsthaft mit UFOs beschäftigt, dass seinem (oder jetzt „Ihrem“? ;-] ) Ruf schaden würde.
    In den Akten steckt evtl. ein Gutachten über UFOs, und dieses ist nicht so ablehnend wie es das BRD gerne hätte. Ob es noch Hinweise auf eine Beschäftigung der Bundeswehr gibt, das wäre schon interessant.
    Laut Insidern soll es wohl wirklich eine interne Stelle geben, die alle Informationen erhält.
    Aber das scheint dem BRD bzw. der Regierung peinlich zu sein…

    Übrigens:
    Jedes Mal wenn ein Brief eines Hartz4-„Kunden“ an das Jobcenter „nicht angekommen“ ist, weil der Sachbearbeiter ihn hat verschwinden lassen, liegt ein solcher „Verwahrungsbruch“ vor.
    Inkl. der Absicht jemand zu Schaden. Und damit eine Straftat.
    Man könnte solche SB auflaufen lassen.
    Angenommen sie lassen nichts verschwinden dass per Einschreiben eingeht, aber als normaler Brief.
    Dann filmt man man einen solchen Brief, und ohne Schnitt packt man ihn in einen beschrifteten Umschlag dessen Empfänger man filmt, und wirft ihn in den Briefkasten des Amtes.
    So hat man nicht nur einen Beweis einen Brief gesendet zu haben, sondern über den Inhalt.
    Wenn die Person behauptet es ist nichts angekommen erstattet man Strafanzeige.
    Falls die Person dabei bleibt, müsste die Briefdrohne die das im Haus verteilt für die Person den Sündenbock spielen, und das wird sie nicht tun.
    Man kann das noch verschärfen, indem man den Brief ungewöhnlich gestaltet.
    Bunt, oder ein paar Streifen, evtl. ein Trauerumschlag etc..
    Dann wird sich die Briefdrohne in jedem Fall daran erinnern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.