Grundrechte-Report 2017Zum Verbot der Ausgabe anonymer Prepaidkarten

Heute erscheint der Grundrechte-Report 2017, der die Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland bewertet. Nils Leopold widmet sich darin der Anonymität beim Telefonieren und der Pflicht zur Identifizierung beim Kauf von Prepaidkarten. Ab 1. Juli 2017 wird eine Ausweisvorlage obligatorisch.

Whitney Blake im Film „The Case of the Restless Redhead“, 1957 CC-BY-NC 2.0 classic_film

Liberty dies by inches, so betitelt unser Gastautor Nils Leopold seinen Artikel zur gesetzlichen Pflicht zur Vorlage von Ausweispapieren beim Kauf von Prepaidkarten. Frei übertragen: Die Freiheit stirbt scheibchenweise. Es ist einer von mehr als vierzig Beiträgen des heute in Karlsruhe vorgestellten Grundrechte-Reports 2017 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Wie der Titel schon ankündigt, beschäftigt sich das Buch mit den Grundrechten – hier mit dem Artikel 10: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“

Nils Leopold ist Jurist und setzt sich seit Jahren für den Datenschutz ein. Er arbeitet bei der grünen Bundestagsfraktion als wissenschaftlicher Referent. Sein Artikel erschien im heute präsentierten Grundrechte-Report. Wir veröffentlichen eine leicht gekürzte Fassung, mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags. Der Grundrechte-Report erscheint beim Verlag S. Fischer und widmet sich jedes Jahr der Analyse der Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Liberty dies by inches

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Der Grundrechte-Report 2017 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Mit dem „Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ vom 26. Juli 2016 (BGBl. 2016 I 1818) wurde, neben zahlreichen anderen Bestimmungen, auch das Telekommunikationsgesetz (§ 111 TKG) geändert. Bei der Vergabe von Prepaidkarten muss danach neben der bereits bestehenden Registrierungspflicht auch die Identität der Käufer und Käuferinnen überprüft werden. Dies geschieht durch Vorlage von geeigneten Ausweispapieren. Der Grund dafür sei, dass die Anschläge von Paris und Brüssel von Tätern begangen wurden, die untereinander mit Hilfe von Prepaidkarten unbeobachtet kommuniziert hatten. Zudem seien trotz der seit 2004 bestehenden Registrierungspflicht bei den Telekommunikationsunternehmen überwiegend Phantasienamen wie Mickey Mouse erfasst.

Kritisch reagierten auf die Erweiterung der Erfassung wegen des Aufwands für die Identifizierung zunächst besonders die betroffenen Unternehmen. Auch wenn dieser Punkt nicht im Mittelpunkt bürgerrechtlicher Bewertung steht, ist er keineswegs trivial: Die gesetzliche Pflicht zur Vorlage von Ausweispapieren gegenüber privaten Stellen wie etwa einem Supermarkt stellt eine Ausnahme von der gängigen Pflicht der Vorlage gegenüber Amtspersonen dar. Vor allem aber führt sie zu einer Erweiterung der Speicherung einiger besonders schützenswerter Daten.

Mit der nunmehr bis zum 1. Juli 2017 umzusetzenden Bestimmung zur Identifizierung der Prepaidkarteninhaber und -inhaberinnen durch Ausweisvorlage fand die Debatte um die zunehmende Abschaffung der Möglichkeiten anonymer oder auch nur pseudonymer Telekommunikations- und Internetnutzung einen weiteren Höhepunkt. Die Regelung führt zu einem Verbot pseudonymer Prepaidkartenangebote, weil die bislang faktische Nutzbarkeit von Prepaidkarten unter Angabe falscher Namen deutlich erschwert bzw. weitgehend ausgeschlossen wird. Sicherheit wird damit aber nicht geschaffen. Da es sich nicht um eine europäische Regelung handelt – die Mitgliedstaaten sind sich über Identifizierungspflichten uneinig – lassen sich weiter anonym Karten aus anderen Staaten über das Internet beziehen.

Innen- und rechtspolitische Indifferenz

Die bereits seit den terroristischen Anschlägen von Paris und Brüssel erregt und seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz von Berlin teilweise schrill geführte Debatte um die innere Sicherheit hat sowohl kurz vor der hier besprochenen Regelung als auch danach zu einer ganzen Reihe von weiteren gesetzlichen Neuregelungen und Änderungen geführt. Im Angesicht der anhaltenden und ernstzunehmenden Terrorgefahr und dem damit verbundenen Druck auf die Politik, Antworten zu liefern, bleibt dennoch stets die Frage nach dem rechtsstaatlich Vertretbaren.

Kaum Notiz genommen wurde von der noch vor wenigen Jahren geführten netzpolitischen Diskussion um notwendige Maßnahmen zum Erhalt anonymer Nutzungsmöglichkeiten von Internet und Telekommunikation. Die dürfte nun für lange Zeit beerdigt sein.
 

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Nur noch gegen Identifizierung zu haben: Prepaid-SIM-Karten für Mobiltelefone.
Bildlizenz: CC BY 2.0, von Karl Baron.

Leerlaufen bestehender verfassungsrechtlicher Bewertungsmuster

Bereits die Einführung der Registrierungspflicht von Prepaidkunden und -kundinnen 2004 hat das Bundesverfassungsgericht quasi en passant und mit dürren Worten abgesegnet. Das Gericht ordnete Bestandsdaten, also die Kundendatenbestände mit Angaben zu Namen, Wohnort, Zahlungsmodalitäten etc., dem Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Artikel 2 Absatz 1 GG zu und nicht dem weitergehenden Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses aus Artikel 10 GG. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Identifizierungspflicht anders entscheiden würde. Das Gericht hielt den mit der Registrierung einhergehenden Eingriff in die Privatheit der Betroffenen angesichts der begrenzten Aussagekraft jedenfalls für nicht erheblich (Beschluss vom 24. Januar 2012, Az. 1 BvR 1299/05).

Grenzen bestehender Bewertungsmuster im Recht

Die überkommenen Muster der verfassungsrechtlichen Einordnung und Bewertung von staatlichen Eingriffen in die digitale Kommunikation passen nicht mehr. Das belegt auch der Fall der Prepaidkundenidentifizierung. Die pauschale Anordnung der Erfassung aller Nutzer und Nutzerinnen verringert den Schutz der Privatheit in einem Umfeld weiter, in dem Unbeobachtetheit der Kommunikation als weitgehend aufgehoben betrachtet werden muss. Insoweit hat sich die Praxis der Telekommunikationsüberwachung grundlegend verändert und ausgeweitet.

Mit der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, der Legalisierung der Massenüberwachung durch die Geheimdienste und deren Datenaustausch werden die Daten aller Bürger und Bürgerinnen für Sicherheitszwecke zunehmend anlasslos und flächendeckend gespeichert. Es verbleiben kaum noch Möglichkeiten der nichtüberwachten Kommunikation. Wenn aber die Funktion von Anonymität für freiheitlich demokratische Rechtsstaaten dadurch auf der Strecke bleibt, sind die Folgen für Demokratie und Rechtsstaat unabsehbar.

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10 Ergänzungen

  1. Muss ich mich erst ab dem 1.Juli 2017 identifizieren?
    Falls ja, wäre es ja nun an der Zeit schnell noch viele Pre-Paid Karten anonym zu kaufen.

    1. Und am 1. Juli kommt dann eine SMS vom lieben Provider:
      “ Sehr geehrter Herr Mickey Mouse,

      bitte übersenden Sie uns zeitnah eine Kopie ihres Personalausweises…“

      Spätestens mit der nächsten fälligen Aufladung, die dann nur noch per SEPA, Paypal, CC möglich ist, kriegen sie Dich.

      Tor wird natürlich auch geblockt.

      Und das Bewegungsprofil im Handy-Netz verrät auch so einiges.

      Stichwort IMEI: Sie haben Ihr Handy doch sicher nicht von Ebay?

  2. „Wenn aber die Funktion von Anonymität für freiheitlich demokratische Rechtsstaaten dadurch auf der Strecke bleibt, sind die Folgen für Demokratie und Rechtsstaat unabsehbar.“

    Interessant wird es, wenn sich sich das Bundesverfassungsgericht zu solchen und vergleichbaren Zumutungen äußert.
    Ob es ähnlich desinteressiert wie ein Großteil der Bevölkerung reagiert oder ob es das Grundgesetz noch ernst nimmt.

    1. Wie Nils im Artikel ja auch schreibt: Schon 2004 hat es keine großen Beanstandungen aus Karlsruhe gegeben.

  3. Ganz klar unzulässig ist es übrigens auch (§ 20 Abs. 2 Personalausweisgesetz -PAuswG), den Personalausweis einzuscannen und auf diese Weise einer automatischen Datenverarbeitung zugänglich zu machen. Eine Einwilligung des Kunden hierzu wäre unwirksam, da das PAuswG keine eigene Regelung über eine Einwilligung des Betroffenen enthält. Hierzu gibt es ein rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 28.11.2013, Az.: 10 A 5342/11 –Das PAuswG, so dass Verwaltungsgericht, sei ein Spezialgesetz, welches das BDSG „verdränge“. Mit anderen Worten: Da im PAuswG keine Einwilligungsmöglichkeit geregelt ist, darf man bzgl. des Ausweises auch nicht auf die allgemeine Regelung einer Einwilligung im BDSG zurückgreifen. Auf dieses Urteil hat sich auch das Bundesinnenministerium erst jüngst in einer Anfrage vom 24.März 2016 berufen. Das Urteil wird also von den beteiligten Behörden ganz aktuell als Maßstab herangezogen, es ist nicht etwa zwischenzeitlich überholt……

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.