Digitale Gesellschaft veröffentlicht Handlungsempfehlungen für Jamaika-Netzpolitik

– Alle Rechte vorbehalten Mark Rabe / Unsplashed.com

Kurz vor Beginn der Sondierungsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen zum Thema Digitalisierung hat die Digitale Gesellschaft Handlungsempfehlungen für zehn verschiedene Sachbereiche veröffentlicht. Die Empfehlungen richten sich an alle beteiligten Parteien und sollen einen Weg zu einer grundrechts- und verbraucherfreundlichen Netzpolitik gewährleisten.

Hier ist der Katalog:

1. Anlasslose Massenüberwachung beenden.

  • Bestehende Gesetze zur anlasslosen Überwachung (Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenspeicherung) aufheben.
  • Freiwillige Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten sowie Speicherung zu Abrechnungszwecken durch Provider auf absolut notwendiges Maß begrenzen.
  • Keine neuen Maßnahmen und Gesetze zur anlasslosen Speicherung personenbezogener Daten einführen.

2. Schutz der Identität online und offline gewährleisten.

  • Intelligente Videoüberwachung weder punktuell noch flächendeckend einführen.
  • Möglichkeit der pseudonymen Nutzung von Online-Diensten erhalten.

3. Datenschutz wahren und fördern.

  • Verbraucherunfreundliche Abweichungen von der Datenschutzgrundverordnung aus dem deutschen Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz streichen.
  • Im Rahmen der ePrivacy-Reform Privacy-by-Design und Privacy-by-Default festschreiben, Verarbeitung von Verkehrs- und Inhaltsdaten wirksam begrenzen.
  • Datenschutzprinzipien, vor allem Datenminimierung und Zweckbindung, beibehalten und stärken, etwa durch Unterstützung wirksamer Datenschutzfolgeabschätzungen und Konkretisierung der Regelungen zu Privacy-by-Design und Zertifizierung.
  • Datenschutz als Standortvorteil begreifen: Förderung von StartUps und innovativen Datenschutzprojekten, durch die Privacy-by-Design und Privacy-by-Default gestärkt werden. Innovationen beim Datenschutz als Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel berücksichtigen.
  • Forschung zu automatisierten Entscheidungsverfahren und den Möglichkeiten ihrer Regulierung fördern.

4. Meinungs- und Informationsfreiheit online stärken.

  • Das bewährte Haftungsregime Notice-and-Action beibehalten.
  • Wissenschaftliche Untersuchung der Phänomene Hate Speech und Fake News anstoßen und fördern.
  • Keine Upload-Filter für Host-Provider vorschreiben, Rechtsdurchsetzung nicht privatisieren.
  • Netzwerkdurchsetzungsgesetz aufheben.

5. Verschlüsselung und IT-Sicherheit gewährleisten.

  • Hersteller und Entwickler von Verschlüsselungstechnologie verpflichten, bekannte Lücken unverzüglich zu schließen.
  • Produkthaftungsanspruch und Möglichkeit der Verhängung von Bußgeldern gegen Hersteller bei Verstößen gegen diese Pflicht schaffen.
  • Hersteller und Entwickler nicht zur Einrichtung von Backdoors, zur Hinterlegung von Schlüsseln oder zum Einsatz von Generalschlüsseln zwingen.
  • Staatlicherseits bekannt gewordene Sicherheitslücken unverzüglich veröffentlichen.
  • Staatliche Stellen dürfen keine Zero-Day-Exploits oder andere Sicherheitslücken ankaufen.

6. Flächendeckenden, nachhaltigen Breitbandausbau vorantreiben.

  • Einsatz zukunftsfester Leitungstechnologien (Glasfaser) fördern.
  • Alternative Finanzierungskonzepte fördern, beispielsweise Bürgerfond Breitband
    oder kleinteilige genossenschaftliche Finanzierungsmodelle.
  • Neue, für Breitbandausbau zweckgebundene Fördermittel durch Verkauf der Bundesanteile an der Telekom bereitstellen.

7. Netzneutralität sichern.

  • Zero-Rating ausdrücklich verbieten.
  • Unklarheiten und Unschärfen in europäischer Verordnung zur Netzneutralität beseitigen.
  • Neutrale Messverfahren in der Transparenzverordnung festschreiben.

8. Urheberrecht zeitgemäß liberalisieren.

  • Recht auf Remix und Fair-Use-Klausel schaffen.
  • Urheberrechtliche Schranke für Text- und Data-Mining einführen.
  • Offene Lizenzen bei Vergaben und Mittelbeschaffung durch staatliche Stellen bevorzugen.
  • Keine (Re-)Upload-Filter zur Durchsetzung von StayDown-Verpflichtungen vorschreiben.

9. Digitale Grundbildung ausbauen und fördern.

  • Zur Verbesserung der Medienkompetenz umfassende Fördermittel für außerschulische digitale Bildungsangebote bereitstellen (Erwachsenenbildung).
  • Die bereits in der vergangenen Legislaturperiode versprochenen 5 Milliarden Euro für digitale Ausstattung der Schulen bereitstellen.
  • Den Einsatz von Open Educational Resources und freier Software im Bildungswesen fördern.

10. eGovernment und Open Data ausweiten und verbessern.

  • Behördliche Daten öffentlich elektronisch abrufbar machen.
  • Digitalisierung der Verwaltung vorantreiben.
  • Elektronisches „Bürgerkonto“ und „Bürgerportal“ insbesondere für Kontakte mit der Kommunalverwaltung einrichten.

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2 Ergänzungen

  1. > 10. eGovernment und Open Data ausweiten und verbessern.

    Während Open Data ja noch ganz nett ist, wäre es mir lieber, auf eGovernment völlig zu verzichten, denn das erhöht nur den Druck auf die Menschen, elektronische Medien und mobile Endgeräte einzusetzen.

  2. Wer vom Bundesparteitag der AfD berichten will, soll der Speicherung von Angaben zur rassischen Herkunft und zum Sexualleben zustimmen. Sich diese extremen Befugnisse als Bedingung für eine Akkreditierung einräumen zu lassen, ist ein subtiles Mittel, um kritischen Journalisten unakzeptable Hürden aufzubauen. Konkret abgefragt wurden derartige Informationen von der AfD jedoch noch nicht.

    In der von den Journalisten geforderten Einverständniserklärung heißt es unter Verweis auf das Bundesdatenschutzgesetz: „Ich bin mit der Erhebung, Speicherung und Nutzung der vorstehenden personenbezogenen Daten sowie der besonderen Daten einverstanden.“ Zu den „besonderen Daten“ zählen unter anderem Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische und religiöse Überzeugungen oder auch das Sexualleben.

    Es ist eine demütigende Provokation für alle Journalisten, die sich nicht mit Rassismus und Diskriminierung gemein machen wollen, und genau diese Journalisten will die AfD von der Berichterstattung über ihren „Parteitag“ gerne fernhalten. Es verdeutlicht aber eindrücklich, wie sich die AfD den praktischen Alltag vorstellt.

    So „tickt“ also diese radikale Minderheitspartei, die sich gerne als Opfer inszeniert. Wenn niemand hinsieht mutieren sie zu kaltblütigen Tätern mit eindeutiger Agenda.

    Der Minderheitsschutz in unserer Demokratie hat jedoch eine klar definierte Grenze. Wer unsere Gesellschaft und Rechtsstaat angreift, der verwirkt diesen Schutz. Die AfD stellt sich selbst immer wieder mühelos außerhalb dieser Grenze des Tolerablen. Das Verständnis für solches Verhalten ist aufgebraucht. Es ist höchste Zeit, unsere freiheitlichen Werte gegen diese Angriffe zu verteidigen. Dialog wird da nicht mehr viel helfen.

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