Der netzpolitische Wahlprogramm-Vergleich, Teil 6: Wissenschaft

Im sechsten Teil unseres Wahlprogrammvergleichs geht es um Wissenschaft. Es soll mehr Geld in die Forschung investiert werden. Beim Urheberrecht und der digitalen Lehre sind die Positionen schwammig. Das Digitale wird von nahezu allen Parteien dazu instrumentalisiert, die Wissenschaften auf kurzfristige Profite auszurichten.

Der kritische Blick der Wissenschaften scheint den meisten Parteien nicht wichtig zu sein. CC-BY-NC 2.0 Tom Woodward via flickr

Am 24. September ist Bundestagswahl. Was sind die netzpolitischen Forderungen der Parteien? Wir haben die Wahlprogramme analysiert und präsentieren in einer Artikelserie, wer was verspricht – und welche Themen unter den Tisch fallen. Im sechsten Teil dieser Serie geht es um Wissenschaft.

Dass Geld nicht das einzige Kriterium für Bildung und Forschung sein kann, zeigen die Wahlprogramme in Bezug auf die Wissenschaftspolitik. Wichtig ist auch, wie es investiert wird. Es gibt dazu einen rot-grün-schwarzen Konsens: SPD, Grüne und CDU wollen den Anteil der Förderung für Forschung von etwa drei auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) erhöhen. Damit lägen die Ausgaben im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld. Die FDP hingegen möchte die Studiengebühren wieder einführen.

Unklare Positionen zum Urheberrecht

Einig sind sich alle Parteien – bis auf die CDU – im Hinblick auf die Förderung von Open-Access-Modellen im akademischen Verlegermarkt. Oder anders gesagt: Das Wort kommt in den Wahlprogrammen zumindest vor. Darüber hinaus sind die Realisierungswege aber wenig deutlich artikuliert, es gibt vielmehr generelle Aussagen, obwohl es im letzten Jahr einen öffentlich ausgetragenen Streit zwischen der VG Wort und deutschen Universitäten gab und mittlerweile über 140 deutsche Forschungsinstitutionen Verträge mit dem Wissenschaftsverlag Elsevier gekündigt haben. Denn derzeit ist die Mehrheit wissenschaftlicher Artikel hinter teuren Paywalls versteckt, obwohl Forschung oft von öffentlicher Hand finanziert wird und die Belieferungskosten durch digitale Distributionswege enorm gesunken sind.

Die FDP schreibt, dass Forschung öffentlich zur Verfügung stehen sollte. Allerdings unter „Berücksichtigung eines Erstverwertungsrechts“, was die Verlage auch heute schon wahrnehmen. Die SPD betont auffallend häufig, dass auch die Rechte der Urheber gewahrt werden müssten, und sagt dann, dass „der Gesetzgeber“ entscheiden müsse, „was als lizenzfreier Basiszugang gewährleistet werden muss“. Ähnlich äußern sich auch die Grünen.

Die Linke fordert konkret, dass für Bildung eine allgemeine Ausnahme im Urheberrecht verankert werden müsse. Dann würden wissenschaftliche Artikel, aber auch Lehrmaterialien, allen Schülern, Studierenden und Forschenden direkt zur Verfügung stehen und sie müssten nicht den rechtlich fragwürdigen Umweg über Plattformen wie sci-hub.bz oder libgen.io gehen. Sie fordert außerdem, dass nicht nur wissenschaftliche Veröffentlichungen im Open-Acess-Modell publiziert werden sollen, sondern auch – falls existent – die ihnen zugrunde liegenden Daten.

Digitale Bildung

Die SPD will Campus-Systeme und Lernplattformen digitalisieren, konkretisiert aber nicht weiter, wie das genau geschehen soll. So ist etwa unklar, ob dabei freie Soft- und Hardware eingesetzt werden soll. Die FDP fordert, dass Vorlesungen online gestellt werden müssten und will zudem Massive Open Online Courses (MOOCs) als „lebenslanges Lernen mit Online-Tools“ einrichten und die Anerkennung von Onlinekursen durch Arbeitgeber vereinfachen.

Das Hochschulforum Digitalisierung hat sich mit dem Thema MOOCs bereits auseinandergesetzt. Es hält dem entgegen, dass die Digitalisierung im Bildungsbereich kostenintensiv sei und Erfahrungen mit MOOCs in den Vereinigten Staaten bewiesen hätten, dass „digitale Bildungsangebote“ nur „eingeschränkt skalierbar“ seien. Außerdem sei der Schutz der Daten von Schülern, Studierenden und Lehrenden auf Lernplattformen zu beachten und noch nicht abschließend geklärt. Eine kostengünstige Lösung für den Fachkräftemangel durch eine Open University, die auch die SPD einführen will, ist nicht so leicht, wie es im Wahlkampf dargestellt wird.

„Gründerkultur“ für Hochschulen

Das seit 2005 laufende Bundesprogramm Exzellenzinitiative wird von der CDU nicht angesprochen. Ebenso wenig der Abbau des akademischen Mittelbaus oder die enorme Konkurrenz um Forschungsgelder zwischen Universitäten, der Beschäftigte immer mehr Arbeitszeit widmen müssen. Dass besonders an Universitäten viele Beschäftigte nur befristete Verträge haben und viele Studiengänge zu wenig Lehrpersonal haben, spricht nur die Linke an. Dabei gibt es seit Jahren Berichte aus erster Hand und Befragungen (pdf), die die prekäre Situation von akademisch Beschäftigten deutlich machen, beispielsweise die Mittelbaustudie der TU Berlin.

Mehr Geld für Forschung und Entwicklung erscheint im Angesicht dieser Probleme sinnvoll, allerdings liegt der Teufel im Detail – nämlich darin, wie das Geld eingesetzt werden soll. Die CDU bietet einen Dreiklang an: Investiert werden soll in „Grundlagenforschung, anwendungsbezogene Forschung und neue Technologien“. Eine Seite später schreibt die CDU, welche Disziplinen und Forschungsfelder sie besonders fördern will. Darunter sind „Künstliche Intelligenz, Hoch- und Höchstleistungsrechner, Umgang mit großen Datenmengen, Quantentechnologie und Robotik“. Dabei handele es sich um Zukunftstechnologien, die auch in der Arbeit der zukünftigen Bundesregierung wichtig werden sollen.

Zwei Milliarden Euro sollen außerdem, so SPD und CDU, in die außeruniversitäre Forschung investiert werden, durch Steuervorteile und direkte Förderung für „kleine und mittlere“ Unternehmen. In der Universität sollen zudem, nach Willen der FDP und SPD, Studierenden Urlaubssemester für die Gründung eines eigenen Start-Ups ermöglicht werden. Die FDP fordert eine „Gründerkultur für Hochschulen“:

Um Wissen und Fortschritt generieren zu können, müssen Hochschulen gerade auch mit anderen Akteuren außerhalb der Hochschule zusammenarbeiten und insbesondere zusammen forschen dürfen. Die oftmals artikulierte pauschale Forderung nach strikter Trennung von Wirtschaft und Hochschule verneint diese Tatsache und wird von der FDP abgelehnt.

Die SPD greift die Kritik an Exzellenzstrategie und Kettenbefristungen in der Wissenschaft auf und kommt zu einer kuriosen Lösung: Die sich in der beruflichen Krise befindenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen „potentiell disruptive Innovationen“ direkt und unbürokratisch „ausprobieren“ können:

Für Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen brauchen wir die Kreativität von Forscherinnen und Forschern. Sie benötigen für ihre Arbeit wissenschaftliche Autonomie und finanzielle Planungssicherheit. Forscherinnen und Forscher sollen aber auch mehr Spielräume erhalten, um ihre Forschungsthemen unabhängig von kurzsichtigen Aussichten auf Nutzen und Verwertungschancen wählen und verfolgen zu können. Wir werden dafür gemeinsam mit der Wissenschaft einen neuen Förderungsansatz schaffen, in dem potentiell disruptive Innovationen direkt und unbürokratisch ausprobiert werden können.

Wissenschaften sollen Profite liefern

Die SPD hat allerdings die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), die wenig an der Situation von Beschäftigten an Universitäten geändert hat, als Regierungspartei mitzuverantworten und hofft nun, die Krise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sei durch Start-Up-Semester für Studierende und Anschubförderung für Start-Up-Projekte von Wissenschaftlern zu lösen. Die Linke will konkrete Investitionsprogramme auf Bundesebene: Ab Oktober sollen 100.000 Stellen in der Wissenschaft neu geschaffen beziehungsweise entfristet werden.

Bildungs- und Forschungsinitiativen, die digitale Technologien und ihre möglichen Folgen in den Fokus rücken, sind im gegenwärtigen Transformationsprozess wichtig. Es scheint allerdings, dass mehr Forschung zu „neuen Technologien“ als Grund dafür genommen wird, andere Disziplinen, deren Forschungsfragen nicht unmittelbar zu Profiten führen, weniger oder nicht zu fördern – und das Digitale damit als Wirtschaftskrücke zu definieren.

Es geht in diesen Forderungen auch unter, dass Entwicklung von digitalen Technologien noch lange nicht heißt, dass auch ihre gesellschaftlichen Folgen und die ihnen zugrunde liegenden Werte erforscht und diskutiert werden. Angesichts dessen ist es angebracht zu fragen, ob die versprochene Erhöhung der Aufwendungen für Forschung auf 3,5 Prozent des BIP nicht als versteckte Wirtschaftssubventionierung bezeichnet werden sollte. Die SPD nennt ihre Wissenschaftspolitik jedenfalls ganz offen eine Stärkung von „wissensbasierten Netzwerken“ zwischen Wissenschaft, Industrie, Mittelstand und Start-Ups.

Hinweis zur Auswahl der verglichenen Parteien: Wir haben solche Parteien untersucht, die in den Umfragen des vergangenen Halbjahres bundesweit mindestens einmal bei über fünf Prozent lagen. Parteien, deren Wertesystem auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit basiert, haben wir in diesen Vergleich nicht mit aufgenommen.

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9 Ergänzungen

  1. Habt ihr das Clickbaiting eigentlich nötig?
    Wenn ihr eh nur 5 handverlesene Parteien von 42 betrachtet, sind Teasertexte, die „die Parteien“ zu vergleichen versprechen einfach unseriös — schlicht Fake News. :-(

  2. Jetzt warte ich schon freudig gespannt auf Euren Überblick zum Thema „Das System der sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland“. Manche hören sich Tag für Tag die lautlosen Schreie derjenigen an, die durch das soziale Netz hindurchrutschen. Und fallen und fallen und fallen. Und die Jahre auf der Uni… sind unwichtig geworden. Oder vielleicht nicht ganz, gelingt es doch immerhin gelegentlich, Worte zu finden für das, was so grauselich grauenhaft scheint. Das Internet ist das neue Netz, an das sich jetzt alles klammert. Wir schaffen das. Erledigt. (Und am Ende steht ein großes Fragezeichen. Und viele Tränen. Und der Tod.)

    1. Auch wenn soziale Sicherheit ohne Zweifel ein unglaublich wichtiges Thema ist: Wir beschränken uns auf netzpolitische Themen.

  3. Ich finde es wirklich schade, dass ihr die gleiche Schiene wie viele etablierte Nachrichtenportale fahrt und die AFD einfach versucht tot zu schweigen.
    Auch würde ich mir wünschen hier mehr über die anderen zur Wahl stehenden Parteien lesen zu können.

    1. Ich habe nicht das Gefühl, dass die AfD zu wenig Aufmerksamkeit bekommt…

      Zu den anderen Parteien haben wir versucht, eine kurze Übersicht zu geben. Aber: besonders dominant ist Netzpolitik bei den Kleinparteien nicht.

      1. „Kurze Übersicht“ — sehr witzig.
        Handverlesene Kleinparteien, über die man sich gut lustig machen kann.
        Aber dann bei netzpolitischen Themen die Piratenpartei außen vor lassen —
        das ist schlicht Propaganda für den Status Quo. :-(

        1. Ich vermisse mehr als alles andere die Piraten, die umfassende Stellungnahmen zur Änderung des Urheberrechts, Netzneutralität, freier Zugang zu öffentlichen Inhalten, Ablehnung der Exzellenzinitiative, und Mensch ich weiß fast gar nicht wie viele tausend weitere Inhalte ich aufzählen könnte. Mir hätte das Nennen von den Piraten wenigstens ein wenig Freude geschenkt – mehr noch, die Perspektiven, die sie hinsichtlich Wissenschaft liefert.

  4. Ich vermisse mehr als alles andere die Piraten, die umfassende Stellungnahmen zur Änderung des Urheberrechts, Netzneutralität, freier Zugang zu öffentlichen Inhalten, Ablehnung der Exzellenzinitiative, und Mensch ich weiß fast gar nicht wie viele tausend weitere Inhalte ich aufzählen könnte. Mir hätte das Nennen von den Piraten wenigstens ein wenig Freude geschenkt – mehr noch, die Perspektiven, die sie hinsichtlich Wissenschaft liefert.

  5. Bevor über irgendwelche Themen weiter referiert werden muß die „freie Lehre“ in der Wissenschaft Einzug erhalten.
    Parteiprogramme + wirtschaftliche Deutungshoheit sind immer parteilich + fördern den Gedanken:
    „Welch Brot ich ess, des Lied ich sing, s. zunehmendes Militärbudget, Forschungsgelder für Ent-Demokratiesierungseffekte wie die Förderung f. „Schnüffeldienste“; Gen-Technologie usw. an den Hochschulen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.