Der netzpolitische Wahlprogramm-Vergleich, Teil 4: Digitale Arbeit

Im vierten Teil unseres Wahlprogramm-Vergleichs zur Bundestagswahl schauen wir uns an, wie die Parteien die Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt meistern wollen. Während CDU und FDP neue Jobchancen durch Start-Ups und Industrie 4.0 sehen, wollen die rot-rot-grünen Parteien eine Regulierung der Sharing Economy.

Auch in der Arbeitswelt sorgt die Digitalisierung für Verwerfungen CC-BY 2.0 Juliette Leufke

Am 24. September ist Bundestagswahl. Was sind die netzpolitischen Forderungen der politischen Parteien? Wir haben die Wahlprogramme analysiert und präsentieren in einer Artikelserie, wer was verspricht – und welche Themen unter den Tisch fallen. Im vierten Teil dieser Serie geht es um digitale Arbeit.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Dass die Digitalisierung auch die Arbeitswelt verändert, haben inzwischen alle Parteien mitbekommen. Alle wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, um Beruf und Familie besser vereinbar zu machen. Während die CDU hier allgemein von „neuen Arbeitszeitmodellen“ spricht, fordern alle anderen Parteien das Recht auf Arbeit im Home-Office. Die rot-rot-grünen Parteien sehen durch die Digitalisierung eine Arbeitszeitverkürzung kommen und fordern langfristig die Einführung einer 30-Stunden-Woche. Die SPD spricht hier von einem Kulturwandel, der in der Arbeitswelt vollzogen werden muss:

Für familiengerechte Arbeits- und Besprechungszeiten, Homeoffice- und Dienstreiseregelungen sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Pflicht. Der öffentliche Dienst soll dabei Vorreiter sein und die partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbsarbeit, Kindererziehung und Pflege fördern.

In Zeiten der digitalen Arbeit verschwimmen Freizeit und Beruf zunehmend. Flexibilität und eine ständige Erreichbarkeit werden inzwischen von zahlreichen Arbeitgebern verlangt. Hiergegen stemmen sich SPD und Linke und fordern ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit, sowie eine Anti-Stress-Verordnung. So schreiben die Linken in ihrem Wahlprogramm:

Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit führt dazu, dass niemals Feierabend ist. Das ist nicht nur für Menschen mit Kindern eine enorme Belastung. […] Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, Arbeitszeiten vollständig zu erfassen und mit Zuschlägen oder Freizeitausgleich abzugelten. Wir wollen das Recht auf Nichterreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit sowie eine Begrenzung und den zeitnahen Ausgleich von Mehrarbeit gesetzlich verankern. Dienstreisen und in der Freizeit erbrachte Arbeitsleistungen müssen vollständig als Arbeitszeit angerechnet werden.

Eine korrekte Arbeitszeiterfassung wäre heutzutage durchaus möglich, es müssen allerdings Datenschutzfragen geklärt werden.
Die FDP hingegen will die Einführung eines arbeitgeberunabhängigen Langzeitkontos, bei dem man Überstunden, Resturlaub etc. als Wertguthaben sammelt. Dieses kann dann später bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie helfen oder für ein Postgraduiertenstudium oder ein Sabbatjahr genutzt werden. Im Wahlprogramm der FDP ist zu lesen:

Das Langzeitkonto soll unabhängig vom Arbeitgeber werden, damit einfacher als heute übertragbar sein und das Guthaben für alle Formen der Freistellungen genutzt werden können.

Generell wollen alle Parteien einfachere Möglichkeiten für Auszeiten und
Sabbatjahre schaffen und Erziehende und Pflegende finanziell unterstützen.

Auch die Altersvorsorge will die FDP digitalisieren: Ein persönliches Vorsorgekonto für alle Bürger soll übersichtlich zusammenfassen, wie viel Rente man aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge erhält. Das ganze soll für den Bürger jederzeit über das Smartphone abrufbar sein, wobei laut FDP jeder die „Kontrolle über seine Daten behalten und sich auf höchste Schutzstandards verlassen können“ soll.

Regulierung der Sharing Economy

CDU und FDP sehen in der Digitalisierung vor allem die Möglichkeit neue Jobs zu schaffen, etwa in der Verwaltung oder der Dienstleistungsbranche. Die Union betont hier die Wachstumschancen, die durch neue Technologien wie den 3D-Druck entstehen (Stichwort Industrie 4.0), während die FDP vor allem Start-Ups fördern will.

Grüne und Linke hingegen sind die einzigen Parteien, die die neuen Arbeitsmodelle der Sharing Economy überhaupt erwähnen. Erst kürzlich haben einige Mitglieder der Linkenhierzu ein umfassendes Positionspapier mit ihrer Vision einer digitalen Arbeitswelt vorgestellt.

In ihrem Wahlprogramm warnt die Partei vor „entgrenzten und prekären Beschäftigungsformen“, die auf Crowdworking-Plattformen herrschen. Sowohl Linke als auch Grüne fordern eine Regulierung der Plattformen und wollen gewährleisten, dass auch dort die gesetzlichen Arbeits- und Sozialstandards gewährleistet sind. Dazu sollen die Begriffe „Beschäftigte“, „Arbeitgeber“ und „Betrieb“ den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Außerdem soll es Mindesthonorare für Selbstständige geben.

Die Linke will, dass Betreiber und Auftraggeber paritätisch an der Sozialversicherung der Plattform-Arbeitenden beteiligt werden. Auch bei den vielen Plattformen mit Sitz im Ausland müsse deutsches Arbeitsrecht angewendet werden. Plädiert wird hier auch für eine Regelung auf EU-Ebene, wie Die Linken in ihrem Wahlprogramm schreiben:

Es muss ein EU-Rahmen zum Thema Crowdworking geschaffen werden, damit Mindestlöhne, Arbeitszeitregulierung, Sozialversicherung, Rentenversicherung, Besteuerung etc. weder ausgehöhlt noch umgangen werden können.

Auch den Arbeitsschutz wollen die Parteien verbessern. SPD und Grüne fordern hier ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, um die Verarbeitung von persönlichen Daten von Arbeitnehmern zu regeln.

Weiterbildung für die Digitalisierung

Einen Bereich, den ebenfalls alle Parteien ausbauen wollen, ist die berufliche Weiterbildung um Arbeitnehmer im digitalen Bereich fortzubilden. Wahlweise soll das in einer nationalenv Weiterbildungsstrategie (CDU) oder mit einer nationalen Weiterbildungskonferenz (SPD) geschehen. Gefördert werden soll das aus staatlichen Mitteln. Vorschläge sind hier die Einführung eines sogenannten Arbeitslosengeldes Q (SPD), das die Qualifizierungsmaßnahmen finanziert und nicht auf das reguläre Arbeitslosengeld angerechnet wird, oder die Umwandlung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung, aus der derartige Maßnahmen gefördert werden können.

Zusammengefasst: Alle Parteien sehen in der Digitalisierung neue Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und bessere Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. CDU und FDP preisen Entwicklungen wie Industrie 4.0 als große Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und wollen keine gefährlichen Entwicklungen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt zu sehen. SPD, Linke und Grüne hingegen greifen zum Teil viel diskutierte sozialpolitische Forderungen auf und wollen das Arbeits- und Sozialrecht auch in der Sharing Economy durchsetzen.

Hinweis zur Auswahl der verglichenen Parteien: Wir haben solche Parteien untersucht, die in den Umfragen des vergangenen Halbjahres bundesweit mindestens einmal bei über fünf Prozent lagen. Parteien, deren Wertesystem auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit basiert, haben wir in diesen Vergleich nicht mit aufgenommen.

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3 Ergänzungen

  1. Recht auf Arbeit im Home-Office
    Zusammengefasst:
    Alle Parteien sehen in der Digitalisierung neue Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und bessere Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. CDU und FDP preisen Entwicklungen wie Industrie 4.0 als große Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und wollen keine gefährlichen Entwicklungen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt zu sehen. SPD, Linke und Grüne hingegen greifen zum Teil viel diskutierte sozialpolitische Forderungen auf und wollen das Arbeits- und Sozialrecht auch in der Sharing Economy durchsetzen.

    Die Vorstellung, dass Verkäuferinnen, Krankenschwestern, Pflegekräfte, Ärzte, Stahlkocher, Autobauer & sonst real arbeitende Menschen das vom homeoffice aus tun, klingt komisch. Keine der Parteien begreift offenbar, dass die Zentralbanken die größte Finanzblase aller Zeiten aufgepustet haben. Die wird platzen und es ist gut möglich, dass die jetzigen Währungen dann völlig wertlos sind. Aber immerhin sieht nicht jeder Gefahren durch den Unsinn, der uns über die Medien jeden Tag als Industrie 4.0 nahegelegt wird. Roboter gibt es seit Jahrzehnten, das Internet auch und die Erde dreht sich trotzdem noch. Wer mal eine moderne Fabrik, meinetwegen ein VW-Werk, besichtigt hat, sieht dort massenhaft Roboter. Deshalb geht es ohne Arbeiter trotzdem nicht. Ungeachtet dessen können die weitaus mehr herstellen, als sie selbst für Schleuderpreise verkaufen könnten. Zur Zeit schön an den Autoverkäufen in den USA zu verfolgen. Deshalb vielleicht auch die Dieseldebatte, denn die deutschen Hersteller sind selbst mit x-fach höheren Emissionen als diktierte „Grenzwerte“ weltweit Spitze. Bleibt auch zu hinterfragen, wie das mit den „Bio-Treibstoffen“ ist. Mein Auto verbraucht mehr als 10% weniger, wenn ich es mit Tschechenbenzin fahre. Hier SuperPlus98, dort 95plus, oder so. Man hat aber noch nicht davon gehört, dass Ford, GM, Renault, Peugeot oder Asiaten auf Diesel verzichten wollen oder könnten. Weder bei LKW, noch bei Traktoren, Transportern oder PKW. Die Nachrichten derzeit sind m.E. einfach ekelerregend. Wandel gab es seit jeher und das wird sich nicht ändern.

  2. Hallo,
    blos soviel, daß Anke Domscheid-Berg, ( DIE) für die Linke für den BTag im Wahlkreis 60
    zur Direktwahl- Kandidatin steht !
    Hofffentlich viel Erfolg.

  3. Hallo Johann,

    ich bin auf deinen interessanten Artikel gestoßen. Finde ihn sehr hilfreich. Vor allem aber deine Erläuterungen dazu welche Sichtweise die Politik auf die Digitalisierung hat, finde ich mehr als gelungen und sehr empfehlenswert. Danke dafür. Hat mich echt inspiriert.

    lg, Tina

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.