Big Brother: Wie sich mit Chinas Scoring-System Geld verdienen lässt

Baut ein Staat erst einmal eine Überwachungs-Infrastruktur auf, lässt der freie Markt nicht lange auf sich warten. Aus Regierungsdatenbanken stammende, private Daten chinesischer Bürger sind für geringe Summen für alle verfügbar, die etwa ihrem lästigen Kollegen eins auswischen wollen.

China baut den Überwachungsstaat rasant aus. Dabei angesammelte Daten finden ihren Weg nicht nur in staatliche Datenbanken, sondern können von jedermann aufgekauft werden. CC BY-ND 2.0, via flickr/Jonathan Kos-Read

Während die chinesische Regierung ein engmaschiges Überwachungsnetz aufzieht, das fast jeden digitalen Tritt der Bürger sammelt und in riesige Datenbanken einspeist, finden diese privaten Daten zunehmend ihren Weg auf den freien Markt. Wie die Online-Zeitung SupChina berichtet, kann sich für eine moderate Summe offenbar jedermann zum Big Brother aufschwingen und umfassende digitale Profile seiner Nachbarn, Kollegen oder vermeintlicher Rivalen aufkaufen.

Für nur 700 Yuan, umgerechnet knapp 100 Euro, konnten chinesische Journalisten im freiwilligen Selbstversuch einen Kollegen von Kopf bis Fuß durchleuchten: Sämtliche Hotelbuchungen, Flugreisen, besuchte Internet-Cafés, Grenzübertritte, Mietzahlungen sowie Immobilienbesitz und Bankeinlagen ließen sich per Mausklick von Datenhändlern erwerben. Diesen reichte dazu einfach nur eine persönliche ID- oder Telefonnummer aus. Selbst der aktuelle Aufenthaltsort, vermutlich über das Mobilfunknetz ermittelt, stand zum Verkauf bereit – und wurde innerhalb von 30 Minuten frei Haus geliefert.

Von Big Data zu Big Brother

Laut SupChina existieren hunderte solcher Tracking-Dienste in China. Die Informationen stammen teils aus (halb-) privaten Quellen wie den Sammlungen von Hotelketten, Banken oder Mobilfunkbetreibern, aber augenscheinlich auch aus Polizei- und sonstigen Regierungsdatenbanken, die korrupten Beamten offenstehen. Wenn staatliche und kommerzielle Überwachung zusammenkommen, dann ist der Schritt „von Big Data zum Big Brother“ nicht weit, fasste es der Economist zusammen.

China arbeitet derzeit daran, bis 2020 ein sogenanntes „Social Credit“-System aufzubauen. Darin soll möglichst alles Eingang finden, was sich digital abbilden lässt und schließlich zu einem umfänglichen Rating-System werden, das jeden Bürger in eine Bewertungskategorie steckt. Vorstellen muss man sich das wie einen Schufa-Score, nur eben auf alle Lebensbereiche ausgedehnt, auch auf die intimsten.

„Honest Shanghai“ soll „ehrliche“ Bürger belohnen

In Shanghai befindet sich ein solches, euphemistisch „Honest Shanghai“ genanntes System, bereits im (noch freiwilligen) Alltagseinsatz, berichtete NPR. Eine Smartphone-App gleicht dabei die nationale ID-Nummer, unterstützt von Gesichtserkennungs-Algorithmen, mit Regierungsdatenbanken ab und liefert innerhalb von 24 Stunden einen Scoring-Wert zurück: Sehr gut, Gut oder Schlecht. Errechnet wird der Score aus bis zu 3000 Datensätzen, die aus fast 100 staatlichen Datenbeständen stammen. In Zukunft sollen auch kommerziell gesammelte Daten hinzugezogen werden.

Als Belohnung für gut bewertete Bürger winken Preise wie verbilligte Flugtickets, schlecht bewertete wiederum dürften künftig Schwierigkeiten haben, an Kredite zu kommen oder Reisetickets zu buchen. Freilich regen sich auch kritische Stimmen. So zitiert NPR den in Shanghai lehrenden Universitätsprofessor Zhu Dake, der vor einem staatlichen „Credit-Totalitarismus“ warnt. Das Regime könnte das Rating-System, das zu mehr „Ehrlichkeit“ der Bürger führen soll, jederzeit auf beliebige Bereiche ausweiten und Bürger anhand moralischer oder ideologischer Kriterien bewerten, so Zhu. „Sie nutzen moderne Technologie, um Orwells Vision von 1984 umzusetzen“.

(Via Washington Post)

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17 Ergänzungen

    1. Weil die von Ihnen genannten Fälle natürlich auch 1:1 vergleichbar sind mit den Umständen in dem Artikel…

  1. Richtig so …
    Menschen können eh nicht mit Freiheit umgehen.
    Sie verfallen in schlichten Konsumsmus
    und vermehren sich wie Bakterien.
    Wenn unsere Spezies eine Chance haben soll,
    muss man dafür hart durchgreifen.
    Um das zu können bedarf es der nötigen Instrumente.
    Niedriges Scoring? Zwangssterilisation.
    Was falsches gesagt? Ab ins Umerziehungslager
    Unbelehrbar? Arbeitslager

    Das System wird ein chinesischer Exportschlager.
    Schäuble und Merkel haben sicher schon ganz feuchte Träume… allerdings aus unterschiedlichen ideologischen Beweggründen.

    *kannSpurenvonIronieenthalten*

  2. Das wäre doch phantastisch für die Innere Sicherheit Deutschlands.
    Und erst die Polizeibeamten die man abschaffen könnte = Riesensteuerersparnis.
    Und die entstehenden Arbeitsplätze in der datenverarbeitenden Industrie.
    Eine WIN-WIN-WIN-Situation. Da können ja wohl nur Verbrecher und Aluhutträger dagegen sein.

  3. Das dient der Demokratie, Ihr wisst schon. Demokratie schützen. Da kaufen dann sicher auch NDs ein für zukünftige Säuberungstätigkeiten bei vermeintlichen Systemgefährdern, die so sicher nicht ihr Dasein fristen möchten. Oder sind das etwa diese furchtbaren Leute, die ihre Freiheit nicht aufgeben wollen?

    Na dafür braucht es dann in der Tat eine Lückenlose Überwachung. Haben Hitler, Honnecker, Stalin und Co auch so gemacht bei unliebsamen Systemgegnern. Nur da war die Chance höher anonym noch etwas erreichen zu können. Heute soll genau aus diesem Grund alles überwacht werden. Somit keine Chance für Gegenmaßnahmen bzw. Massenaufstände durch die Bevölkerung gegen das Überwachungssystem. Die sollen alle schön auf ihr Smartphone glotzen, konsumieren und sich auf Facebook als unfehlbare Helden präsentieren.

    Mag bei 95% der Leute ja auch gut aufgehen, diese hübsche Strategie, die restlichen 5% müsst ihr dann aber anderweitig loswerden.

  4. Hallo Tomas, ich verstehe den Artikel in SupChina so, dass in China keinerlei relevante Schutzfaktoren für die Sicherung privater Daten/Datensammlungen vorhanden und daher auf dem „Markt“ frei handelbar sind. Weniger so als dass die staatliche Sammlung und die Vorbereitung des „Human-Value-Social-Scoring“ dafür verantwortlich wären, dass man sich für ein (paar) hundert Euro komplette Überwachungsprofile von sich in China befindenden Menschen kaufen könnte.
    <>
    Ich wollte jetzt noch was ironisches dazu schreiben, aber mit dreht sich grad der Magen um.

    1. Hallo Karl,

      im Prinzip richtig. So wollte ich das auch beschreiben, habe aber wohl zu implizit formuliert. Ich habe jetzt noch einen Halbsatz hinzugefügt, um das klarer zu machen („die korrupten Beamten offenstehen.“)

      Wobei natürlich – um auch das ausdrücklich auszusprechen – die besten datenschutzrechtlichen oder technischen Sicherungen nichts an den grundsätzlichen Problemen ändern würden: Die Vorstellung, dass Menschen quantifizierbar sind und sie ein Score abbilden kann; dass ein solches System nicht manipulierbar wäre (sowohl von staatlicher, als auch von finanzstarker privater Seite) ; dass keine anderweitigen Begehrlichkeiten geweckt würden, wenn ein solches System erst einmal errichtet und befüllt ist.

      Was wir hier beobachten, ist erst der Anfang. Vergleiche bspw. auch mit diesem durchgeknallten Wahnsinn.

  5. Really appreciate for your amazing article on China’s scoring system. Keep going on, good stuff. Thank you for this valuable information. I have enjoyed reading many of the articles and posts contained on the website, keep up the good work and hope to read some more interesting content in the future.

  6. WOW, statt einer Regierung haben die ne bizarr gruselige Geisterbahn.
    Mein aufrichtiges Beileid an alle darunter leidenden chinesischen Bürger.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.