Zur Entwicklung des digitalen Journalismus und sozialen Plattformen

Benutzerfreundlich: Instant Articles auf dem Smartphone

Nachrichten werden zunehmend über soziale Plattformen verbreitet und konsumiert. Das bedeutet auch eine Bündelung von Macht und Kontrolle über journalistische Publikationen in einigen wenigen Händen. Die Medienexpertein Emily Bell steht dieser Entwicklung äußerst kritisch gegenüber. Die Direktorin des Center for Digital Journalism an der Columbia Journalism School hat sich in der vergangenen Woche beachtenswert zu Trends, Risiken und Chancen der Verlags- und Nachrichtenbranche geäußert.

Laut Bell sind Nachrichtenunternehmen zunehmend gezwungen, die Leitung über Produktion, Technologie und Werbung an Internet-Plattformen zu übergeben, um sich über Wasser zu halten. Dadurch riskieren sie, die Kontrolle über die Verbreitung ihrer Inhalte zu verlieren – und damit auch die Bindung zu den Lesern. Undurchsichtige Algorithmen und andere Mechanismen sozialer Medien bestimmen nun, was angezeigt wird – und damit geklickt. Nachrichtenportale können auch schwieriger nachvollziehen, wie ihre Beiträge den Nutzer erreichen.

Damit spricht die Wissenschaftlerin auch die Machtzunahme der Social Media-Unternehmen an, auch in finanzieller Hinsicht. Einerseits stärken Internet und Social Media zwar die journalistische Arbeit, in dem sie ihr (wieder) eine Plattform geben. Andererseits werde die finanzielle Rentabilität geschwächt, so Bell. Die Nachrichtenseiten selbst werden weniger geklickt, die Werbeeinnahmen gehen zurück. Nur auf den Social-Media-Plattformen sprudeln die Einnahmen. Dementsprechend streben Anbieter danach, dass ihre Nutzer immer seltener die Plattform für bestimmte Inhalte verlassen müssen: Laut einer Studie betrachten 47 Prozent der US-amerikanischen Facebook-User die Plattform als Quelle für Nachrichten.

Die Nutzerbindung bei Facebook

Gerade Facebook steht sinnbildlich für diese Entwicklung. In den letzten Jahren hat das Unternehmen viel dafür getan, dass niemand mehr die Plattform verlassen muss: Bei Facebook lassen sich auch externe Videos einbetten, im Messenger ist Videotelefonie möglich. Nun der folgt nächste, nutzerbindende Schritt: die Integration von Nachrichten durch die Instant-Article-Funktion. Facebook hat entsprechende Pläne auf media.fb.com konkretisiert. Für das Projekt gebe es nun ein WordPress-Plugin. Wer das auf der eigenen Seite einbindet, sorgt dafür, dass die eigenen Artikel direkt auf Facebook zu lesen sind. Auf den ersten Blick macht das den Zugriff auf Nachrichtenartikel für Facebook-Nutzer leichter. Doch für Verleger würde das erhöhte Werbeeinnahmen, jedoch eine undurchsichte Verbreitung ihrer Artikel zu verzeichnen haben.

Bell beklagt, dass wir durch den Umbruch in der Nachrichtenbranche wichtige Teile unseres privaten und öffentlichen Lebens riskieren – und zwar an demokratisch nicht legitimierte Institutionen. Sie plädiert dafür, allen Bürgern den gleichen Zugang zu den Netzwerken und Diensten ihrer Wahl zu garantieren. Zudem müsse die transparente Handhabung öffentlicher Reden und anderer Beiträge gesichert werden. Im 21. Jahrhundert gehören solche Forderungen zur Grundausstattung einer funktionierenden Demokratie, so die Wissenschaftlerin. Die Pressefreiheit sollte nicht abhängig von den Mitarbeitern sozialer Medien sein.

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6 Ergänzungen

  1. Mich würde mal interessieren, ob große Medien überhaupt darüber nachdenken, Alternativen zu nutzen, und auswerten, ob es zum Beispiel sinnvoll ist, eigene GNUsocial/Quitter- oder z.B. Friendica-Server aufzusetzen. Die communities sind zwar sehr klein, würden ja aber schlagartig an Relevanz gewinnen, wenn Nachrichtenanbieterinnen dort eine Präsenz unterhalten (insbesondere auch ansprechbar sind).
    Mit einer eigenen Instanz kann man auch Konsumentinnen einen Zugang abieten.

  2. Im Moment wird erstaunlicher Weise immer noch bei den Medienunternehmen gejammert, obwohl das Problem nun doch schon recht lange bekannt ist und auch bekannt ist, dass es nur noch bergab geht, wenn sich Medienunternehmen nicht an die technischen Möglichkeiten anpassen. Denn letztlich haben sich nur die technischen Rahmenbedingungen geändert, die dann Facebook u.a. voll ausnutzen.

    Vermutlich liegt das Problem, wie immer in der Leitungsebene der Unternehmen. Die Leute, die dort derzeit tätig sind, sind mit ihren Fähigkeiten dort hin gekommen, die sie im Alter von 20 bis 35 gelernt und gezeigt haben. Und sie maßen sich selber an, dass diese Fähigkeiten aktuell ausreichend sind. Sind sie nicht. Sonst sähe die Medienlandschaft anders aus. Ob das dann zwar zum Vorteil des Konsumenten wäre, steht auf einem anderen Blatt.

    Hat je ein Unternehmen daran gedacht in die Globalisierung einzusteigen und mit großen, finanzstarken Partnern in anderen Ländern der Facebook-Community ein journalistisch geprägtes Äquivalent zu Facebook zu schaffen? Allein der Ansatz mit ein paar Millionen Mitgliedern würde reichen, um Facebook mit marktwirtschaftlich vollen Händen gegenüber zu stehen. Aber nee, man jammert wie die Steinkohlindustrie im Ruhrpott vor Jahrzehnten. – Es hilft gar nichts, der guten alten Zeit, die nöse neue Zeit gegenüber zu stellen. Sie ist nur böse zu denjenigen Firmen, die jegliche Flexibilität eingebüßt haben. Sei es, weil sie zu groß und schlecht strukturiert geworden sind oder weil die Führungskräfte sich schon am Arbeitsplatz ihr Altenteil zurecht gelegt haben, auf dem sie hoffen, die letzten Jahre bis zur Rente durchzuhalten.

  3. Von wegen Abgabe der Nachrichten „an demokratisch nicht legitimierte Institutionen“ – man muss FBs undurchsichtigen Algorithmus nicht mögen – aber auch die bisherigen Zeitungen sind demokratisch ebenfalls nicht legitimierte Privatunternehmen (etwas anders beim ÖR). Und sie sind ebenfalls Gatekeeper, sowohl aus Platzgründen (auch im Netz ein relevanter Punkt) als aus Gründen ihres inhaltlichen Zuschnitts. Entscheidender Unterschied ist IMHO nur das etwas unterschiedliche Ziel der traditionellen menschlichen Gatekeeper vs. FBs Gatekeeper. Damit findet der Leser/Nutzer bei einer Zeitung mit höherer Wahrscheinlichkeit etwas für ihn Überraschendes und von seiner Grundposition Abweichendes, was im weitesten Sinne „bilden“ kann. Dafür ist bei FB der emotionale Wohlfühlfaktor höher.
    Wieviel von der Distribution sie aus der Hand geben, haben sie selbst bei FB in der Hand – sie können statt Instant Article bei FB auch bei eher traditioneller Verlinkung auf die eigene Seite bleiben. Beide Wege haben Vor- und Nachteile, wo jedes Medium sehen muss, was besser ist. ÖR hat da andere Zwänge als ein werbefinanziertes Medium.

    Zersplitterung mit immer noch einem Kanal und immer noch einer hippen neuen Comunity, die bespielt werden soll, verringert die zur Verfügung stehenden Ressourcen um die Inhalte überhaupt erst mal zu schaffen. Irgendwer muss die Geschichten (den vielbesungenen „Content“) ja erst mal recherchieren – sonst sitzen irgendwann die Grafiker und Programmierer und die SocialMedia-Experten da und können nur noch Agenturmeldungen bearbeiten. Lauter Coder und Teaserschreiber, aber keiner, der noch Fakten und Behauptung auseinanderhalten kann.

    1. Lieber Leser,
      vielen Dank dafür – Sie haben m. E. den unterschiedlichen Charakter rsp. die unterschiedlichen Folgen zwischen journalistischem Gatekeeping und dem bei FB auf den Punkt gebracht, ohne – wie so oft in der öffentlichen Diskussion – Gatekeeping als etwas ‚undemokratisch-zensorisches‘ zu ‚brandmarken‘.

      Jedem, der diesem leider verbreiteten Missverständnis zuneigt, möchte ich mal das Stöbern in älteren Medienarchiven empfehlen, was vor Verbreitung massenhafter Breitbandanschlüsse sicher teils schwierig, teils sogar unmöglich ist. Im Erfolgsfall wird sich indes bspw. beim Vergleich von TV-Nachrichtensendungen – auch nach Sendebeginn der Privaten – wie auch bei den Tageszeitungen feststellen lassen: viele ‚Hersteller‘ hatten die gleichen Inhalte in gleicher Priorisierung im Angebot.
      Nicht indes, weil sie sich untereinander etwa ‚abgesprochen‘ hätten, sondern schlicht weil die Grundlagen der redaktionellen Arbeit klare hnadwerklich-journalistische Regeln waren.

      Mit dem zunehmen der Onlineangebote bis hin zu Social Media ist das deutlich ‚verwaschen‘ worden, was bis zu den auch hier erwähnten (siehe SUSI) ‚Filterblasen‘ geführt und das tolle Netz in weiten Teilen zu einer ‚mentalen Müllkippe‘ gemacht hat. Nun mag man dies als ‚Gewinn der Vielfalt‘ betrachten, zumal das Leben in der Filterblase oft erschreckend unreflektiert abläuft.

      Diese Entwicklung indes ist, wie ich finde, eines der stärksten Argumente FÜR den Sinn und die Berechtigung nach Gatekeeping – solange es eben nach handwerklich fundierten journalistischen Regeln erfolgt, die auch kein ‚geheimes Herrschaftswissen‘ mehr darstellen, und darum dringend von dem ‚Schmuddelimage‘ befreit werden muss.

      Wie wenig dies selbst einem Gewinn an Vielfalt und selbst ‚abseitigen Nischen‘ im Netzzeitalter entgegensteht, beweist u. a. dieses Portal. Mag man die hier behandelten Themen, die mit dem nötigen Sachverstand erst mal ‚ausgebuddelt‘ werden müssen, auch als ‚irrelevant‘ erachten: Sie sind es eben ganz klar nicht! Und zwar ganz offenkundig auch deswegen nicht, weil die Macher noch über ein – sonst im Netz oft schmerzlich zu vermissendes – klares journalistisches Handwerkszeug verfügen.

      Klar ist damit auch, dass AUSSCHLIESSLICH marketing- und werbungsgetiebene Technologien und deren Veranstalter dem strukturell und intentional entgegenstehen müssen.

  4. Hm, ich war vor ein paar Jahren in HEATHROW im Buchladen.
    Dort gab es ein Buch: Der Internet Bubble Filter, ich glaube von Herrn Rosenbaum.
    Dort war, leider auf Englisch, beschrieben, wie ich mir meine virtuelle Realität so gestalten kann, dass sie mir gefällt. Viele Journalisten können dies dann dadurch erfüllen, dass ich sie in meine Favoriten aufnehme und immer wieder like.
    Ob mich dieser geistig herausfordernde Ansatz in meinem Denken weiterbringt, ist die Frage, oder nicht?
    THINK ABOUT IT. IT IS REAL ET. YOURS SUSI

  5. Das ist eine durchaus lesenswerte Zusammenfassung der Aussagen der Direktorin des Center for Digital Journalism an der Columbia Journalism School – allerdings heißt sie Emily BELL und nicht Bill

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.