Tagesspiegel-Recherche: „Europa plant den Überwachungsstaat“

Eine umfangreiche Recherche zur Grenz- und Sicherheitspolitik der EU zeigt: Mitgliedsstaaten und Kommission pumpen Milliarden in die technologische Aufrüstung. Das wachsende Überwachungssystem zahlt sich vor allem für beteiligte Unternehmen aus.

Das "Frontex Situation Centre" in Warschau fungiert als Lagezentrum für EUROSUR.
Das „Frontex Situation Centre“ in Warschau fungiert als Lagezentrum für EUROSUR.

Der Tagesspiegel hat am Wochenende eine langfristige Recherche zur Kontrolle der EU-Außengrenzen veröffentlicht, die seit heute frei verfügbar ist. Mehrere Monate ist das internationale Team von Investigate Europe den Ursprüngen, Geldflüssen und Konsequenzen der Grenzschutz-Politik der EU nachgegangen.

Drei zentrale Erkenntnisse finden sich in den lesenswerten Texten:

  1. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten investieren Milliardenbeträge in Forschung und Implementierung von Systemen zur Totalüberwachung und Steuerung des Grenz- und Reiseverkehrs in Europa. Dazu gehören der massive Ausbau der Grenzschutzagentur FRONTEX (seit kurzem „Europäische Grenz- und Küstenwache“), Aufbau und Verknüpfung diverser Datenbanken über Millionen Menschen (inklusive der neuen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten namens PNR), Satellitenaufklärung, automatisierte Grenzkontrollsysteme und der Einsatz von Überwachungsdrohnen im Mittelmeerraum.
  2. Die Systeme zeigen bislang kaum Wirksamkeit bzw. könnten im Kombination mit einem bei vielen Staaten dahinterstehenden Kalkül der Kostenersparnis durch Automatisierung sogar für mehr Unsicherheit sorgen.
  3. Die strategische Ausrichtung ist in erheblichem Maße durch europäische Rüstungskonzerne sowie deren Lobbyorganisationen vorgedacht und beeinflusst. Die Verquickung von Administration und Wirtschaft geht so weit, dass die Vergabe von Fördermitteln von Gremien gesteuert wird, die zu großen Teilen mit Lobbyisten besetzt sind – welche dann ihren eigenen Firmen oder ehemaligen Kollegen Gelder zuschieben.

Der Überwachungsstaat wird an den Schwächsten getestet

Laut Tagesspiegel ist es dieser große Einfluss der Industrie auf die Sicherheitspolitik der EU, der zu deren erschreckender Einseitigkeit führt:

Im Ergebnis wird fast ausschließlich Technologie gefördert. Mehr Sicherheit durch Sozialprogramme etwa, um junge Migranten vor Radikalisierung zu bewahren, ist kein Thema für die Sicherheitsberater. Beinahe automatisch sind unter den Begünstigten der Forschungsförderung dann auch jene Unternehmen, deren frühere oder derzeitige Mitarbeiter die Kommission beraten, wenn es um die Ausschreibung entsprechender Projekte geht.

Weil die ersten Betroffenen – Geflüchtete und reisende EU-Ausländer – gerade keine starke Lobby haben, bleibt der massive Ausbau der Grenzüberwachung relativ unbemerkt von einer breiten europäischen Öffentlichkeit.

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23 Ergänzungen

    1. Naja, die Überwachung wird für die individuelle Freiheit zerstören und aus der Bevölkerung eine manipulierbare homogene Bevölkerung machen. George Orwell lässt grüßen.

      Ebenso wäre die Erhöhung des Rüstungsetats sinnvoller in bedingungsloses Grundeinkommen, Bildung, oder Reisefreiheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich sinnvoller investiert. Aber gewünscht ist eben das wir unkritisch nur funktionieren und konsumieren.

  1. Die einzigen die uns „grenzenlos“ überwachen UND manipulieren sind Facebook, Google und co. Für Staaten gelten immer noch Gesetze.

    1. Wir werden personenbezogene Daten an Unternehmen, Organisationen oder Personen außerhalb von Google weitergeben, wenn wir nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, dass der Zugriff auf diese Daten oder ihre Nutzung, Aufbewahrung oder Weitergabe vernünftigerweise notwendig ist, um

      * geltende Gesetze, Vorschriften oder Rechtsverfahren einzuhalten oder einer vollstreckbaren behördlichen Anordnung nachzukommen. [z. B. extralegale Gerichte wie das United States Foreign Intelligence Surveillance Court.. https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Foreign_Intelligence_Surveillance_Court%5D

      * die Rechte, das Eigentum oder die Sicherheit von Google, unserer Nutzer oder der Öffentlichkeit vor Schaden zu schützen, soweit gesetzlich zulässig oder erforderlich.

      https://www.google.com/policies/privacy/

      1. Machen wir uns nichts vor, die Überwachung ist ein riesen Geschäft und untenstehendes Zitat hat schon angefangen.

        Zitat von Thomas Joseph Dunning auf das, von Marx:

        Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.
        Zitat Ende:
        Die Lobby, die an wichtigen politischen Stellen sitzt, kann unkontrolliert seine Interessen durchsetzen.

    2. Die einzigen die uns „grenzenlos“ überwachen UND manipulieren sind Facebook, Google und co. Für Staaten gelten immer noch Gesetze.

      Korrekt.

      Ich finde wenn der OP die Behauptung aufstellt, dass Milliarden in die technologische Aufrüstung gepumpt werden und „Überwachungsdrohnen im Mittelmeer“ eingesetzt werden, dann sollte er das belegen können. Wo sind die Videos von den Drohnen? Wo sind die Überwachungskameras?

      1. Verstehe ich nicht ganz. Meinst du, die Tagesspiegel-Journalisten haben sich das mit den Drohnen ausgedacht? Der hier im Text verlinkte Artikel zum Einsatz der Drohnen verweist (und verlinkt wiederrum) ja auf ein Interview mit dem zuständigen Behördenleiter. Kannst du deine Behauptung irgendwie belegen?

        1. Kannst du deine Behauptung irgendwie belegen?

          Ich beziehe mich auf vorherige groß angekündigte Überwachungsprogramme wie INDECT was angeblich aus der EU einen BigBrother Staat machen sollte, tatsächlich jedoch ein Miniprogramm war, was geradeeinmal Kosten von 11 Mio EUR verursacht hat. Mit diesem Betrag kann man noch nichtmal ein Dorf in Bayern mit Glasfaserkabel versorgen.

  2. Ich bin auch gegen Überwachung, nur bringt der Euro, der im die Verhinderung der Radikalisierung der jungen Migranten gesteckt wird, auch nichts, sofern sich der junge Migrant im Einflussbereich eines rassistischen, nationalistischen und ultrakonservativen Familien-/Clanoberhauptes oder einer berliner Gangsta-Straßengang befindet. ;)

  3. na danke. schon wieder eine kreischende überschrift gelesen und dann gedacht: warum haben sie bloß nicht „die totale kontrolle der aussengrenzen“ geschrieben?

    wenn ihr euch wundert, warum die digitale boheme seit einem jahrzehnt nicht wirklich erbst genommen wird, ich hätte da eine idee …

  4. es geht schon seit 2001 spätestens darum alles Mögliche zu unternehmen um die Bevölkerung im Griff zu haben. Die USA macht es vor. Im Krieg in Irak und in Afghanistan werden schön weit weg von der Heimat Kriegsspielzeuge getestet um diese dann irgendwann mal gegen die eigene Bevölkerung einsetzen zu können. Und das zahlt auch noch der Steuerzahler.
    Selbst Deutschland testet massiv Drohnen in Afghanistan. Wenn man sich die Stimmen ehemaliger deutscherSoldaten aus Afghanistan anhört weiß man, dass dort bestimmt nicht „unsere Freiheit am Hindukusch“ verteidigt wird.
    Die Mikrowellen – Technologie aus den Kriegen der USA wird mitlerweile bei Demonstrationen in den USA auch angewandt.

    http://musikmagieundmedizin.de/standard_seiten/schallwaffen_II.html

  5. Wenn diese Unternehmen die Subventionen benötigen, könnte man denen doch die Technik abkaufen und dann schrotten. Das wäre zumindest human.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.