NSA-Untersuchungsausschuss: Opposition stellt Antrag zur Erweiterung des Untersuchungsauftrages

Europasaal vor der Sitzung

„Nicht Untersuchungsgegenstand!“ – Das ist eine der häufigsten Äußerungen im NSA-Untersuchungsausschuss von Zeugen und vor allem Philipp Wolff vom Bundeskanzleramt, wenn die Rede auf vom BND und der Regierung verantwortete Missstände fällt. Das behindert und verzögert die Arbeit des Ausschusses. Deshalb haben Grüne und Linke heute einen gemeinsamen Antrag vorgestellt, um den Untersuchungsgegenstand zu erweitern und den zeitraubenden Diskussionen, was zum Unterschungsgegenstand gehört und was nicht, ein Ende zu setzen.

Neue Erkenntnisse, neue Fragen

Als der Ausschuss im März 2014 eingesetzt wurde, konnte noch niemand ahnen, wie weit der BND selbst im Sumpf der unrechtmäßigen Spionage steckte. Viele Fragen ergaben sich erst mit der scheibchenweise geleisteten Aufklärung aus dem Ausschuss und Presseveröffentlichungen. In der Begründung des Antrags heißt es:

Die Beantwortung der in dem Ergänzungsantrag gestellten Fragen ist offensichtlich nötig, um ein umfassenderes und realistischeres Bild von dem aufzuklärenden Missstand zu vermitteln.

Im Laufe des Ausschusses ist allen voran die Selektoren-Affäre ein Beispiel dafür, wie der BND der NSA half, deutsche und europäische Ziele auszuspionieren.

Dazu wurde bekannt, dass der BND auch von sich aus Regierungen und Institutionen befreundeter Staaten abhörte. Wie es heißt, am Auftragsprofil der Bundesregierung vorbei. Die will von alledem am liebsten nichts gewusst haben.

Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im Ausschuss, sagte in der Pressekonferenz, der Antrag sei ein logischer weiterer Schritt des NSA-Untersuchungsausschusses vor dem Hintergrund der Dinge der letzten zweieinhalb Jahre. Im Wahlkampf im August 2013 habe das Credo der Bundesregierung gelautet: „Snowden, merkwürdiger Typ“, „Wir haben damit nichts zu tun“ und „Wir verhandeln ein No-Spy-Abkommen“. Das alles hat sich mittlerweile als falsch herausgestellt. Dass die Opposition jetzt den Erweiterungsantrag stellt, funktioniert laut von Notz nach der „Erst-Recht-Theorie“.

Auslegung des Untersuchungsgegenstands behindert die Ausschussarbeit

Zu den BND-eigenen Erfassungen darf bisher im Ausschuss nicht gefragt werden. Der Untersuchungsauftrag bezieht sich bisher nur auf die Spionage von Geheimdiensten der Five Eyes in Deutschland und die Beteiligung des BND sowie das Wissen deutscher Einrichtungen darüber. Doch BND-eigene Aktivitäten und solche in Zusammenhang mit den Five Eyes sind nicht leicht voneinander zu trennen. So haben Zeugen im Ausschuss ausgesagt, dass der BND teilweise Selektoren der NSA für die eigene Erfassung übernommen hat, auch wenn sie zuvor gegenüber der NSA abgelehnt wurden. Untersuchungsgegenstand oder nicht? Fragt man die Bundesregierung und den BND, fällt die Antwort klar aus: Nein. Für die Abgeordneten aber ist solches Wissen unerlässlich, um Zusammenhänge begreifen zu können.

Auftragserweiterung

Der Auftrag soll daher folgendermaßen erweitert werden:

  • Selektoren, die gegen deutsche und europäische Interessen verstoßen: Wie weit hat der BND Selektoren, Telekommunikationsmerkmale und Suchbegriffe gesteuert, die gegen deutsche und europäische Interessen verstoßen? Welche BND- und Five-Eyes-Selektoren gegen deutsche und europäische Bürger, Regierungen, Institutionen, Firmen, NGOs oder gegen Institutionen und Firmen aus NATO und EFTA wurden bis zum Zeitpunkt der Erweiterung des Untersuchungsauftrages genutzt?
     

    An wen wurden die selektierten Daten übermittelt, wer wusste davon und wer hat das kontrolliert? Wie verlief die BND-interne Selektorenprüfung, welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

    Wo wurden die Selektoren und Ergebnisse gespeichert, wurde nach G-10-relevanten Fällen und Selektoren des BND und ausländischer Geheimdienste getrennt?

  • Erfassung von Routineverkehren: Wo hat der BND noch, außer bei Eikonal und Glotaic, Routineverkehre erfasst, verarbeitet, ausgeleitet? Wurden diese Daten mit den Geheimdiensten der Five-Eyes-Staaten geteilt? Wie ist das rechtlich zu beurteilen, und wurde eine solche Beurteilung überhaupt vorgenommen?
     
  • Einbindung ins weltweite Spionagenetz: Ist der BND Teil des „Global Reach“-Ansatzes der NSA, durch Zusammenarbeit von Geheimdiensten eine weltweite Überwachung zu ermöglichen? Inwiefern hat der BND Daten zugeliefert, den Abgriff von Daten unterstützt und ermöglicht? Waren dabei Dritte, ob staatlich oder privat, beteiligt? Gibt oder gab es einen Nachfolger von Eikonal, wurden daraus Daten an Five-Eyes-Staaten übermittelt?

    War der BND Teil von RAMPART-A, bei dem Geheimdienste außerhalb der USA der NSA Zugriff auf Kabel im jeweiligen Land bereitstellen und US-Equipment einsetzen?

  • Informationspflichten: Was wusste wer wann? Und vor allem: Hat die Bundesregierung im umfassenden und zutreffenden Maß Öffentlichkeit, Parlament und Kontrollgremien informiert oder wurden Informationen vorenthalten?

Erfolgsaussichten

Wie realistisch ist es, dass der Antrag angenommen wird? Laut Untersuchungsausschussgesetz hat eine Minderheit das Recht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Wie das bei einer Änderung aussieht, ist nicht eindeutig festgelegt. Doch die Opposition argumentiert in der Antragsbegründung, dass die Zustimmung von Union und SPD rechtlich gar nicht nötig sei:

Da es sich bei dem parlamentarischen Untersuchungsrecht um ein Minderheitenrecht handelt, muss auch die Minderheit mit entsprechendem Quorum ohne Einholung der Zustimmung der Mehrheit des Untersuchungsausschusses zusätzliche Fragen in den Beschluss aufnehmen dürfen, auch und gerade wenn es um Fragen geht, die der Mehrheit unangenehm sein könnten.

In der Pressekonferenz erklärt Martina Renner, Obfrau der Linken im Ausschuss, kurz die Besonderheiten des Prozederes, da der ursprüngliche Untersuchungsausschuss durch alle Fraktionen beschlossen wurde:

Die Koalition hat in den Beratungssitzungen signalisiert, dass sie mit der Behandlung von BND-Selektoren nicht einverstanden ist […] Ob die Minderheit den Untersuchungsauftrag erweitern kann, ist eine spannende Frage. Wir sind der Meinung, dass ja. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist immer ein Recht der Opposition. Deshalb wird es möglich sein, auch die Erweiterung ohne Stimmen der Koalition zu beschließen.

Dennoch scheint die Koalition zu blockieren und auf Zeit zu spielen. Den Punkt in dieser Woche auf die Tagesordnung zu setzen, sei gescheitert. Er wurde nun für die nächste Sitzung platziert, und es wird eine Debatte in weiteren Gremien darüber geben. Diese „formalen Spielereien“ werfen „ein schlechtes Licht auf die Große Koalition“, meint Renner. Notfalls werde man eine Geschäftsordnungsdebatte führen.

Hans-Christian Ströbele von den Grünen bringt einen interessanten Gedanken ins Spiel. Vielleicht entschließt sich die Koalition, die Erweiterung gar nicht zu blockieren, denn wenn es einen neuen Untersuchungsausschuss geben sollte,…

[…] dann ist die Frage, wer wird Vorsitzender? Da gibt es interessante Gedankenspiele. Irgendwann ist auch die Opposition dran. Das könnte dazu führen, dass sie doch dem Erweiterungsantrag zustimmen.

Knappe Ressourcen

Den Einsetzungsantrag hat die Opposition vorsorglich gleich mit an den Antrag angehängt. Ressourcen- und personalschonender wäre eine Erweiterung des Auftrags aber allemal.

Und selbst mit einer Erweiterung wird es knapp, denn der Zeitplan ist schon mit den bisherigen Themen mehr als ausgefüllt. Was soll also werden, wenn der Untersuchungsauftrag noch breiter gefasst wird? Konstantin von Notz findet, das sei eine Sache der Priorisierung, es gehe im Erweiterungsantrag um ganz wesentliche Kernpunkte des Untersuchungsausschusses. Martina Renner wirft in den Raum, dass auch Sondersitzungstermine denkbar wären, um die zusätzliche Arbeit zu bewältigen.

Warum nicht einfach die Arbeit dem Parlamentarischen Kontrollgremium überlassen?

Ein Argument der Koalition ist, dass das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) sich bereits mit den BND-Selektoren beschäftigt und dazu auch einen Bericht anfertigen wird. Damit bräuchte man die Erweiterung gar nicht, es kümmert sich ja bereits jemand um das Thema. Für die Oppositionsabgeordneten ist das aber nicht zufriedenstellend. André Hahn von den Linken, der in beiden Gremien Mitglied ist, findet, dass das Parlamentarische Kontrollgremium die Arbeit eines Untersuchungsausschusses nicht ersetzen könne. So habe man im Parlamentarischen Kontrollgremium keine Möglichkeiten, Zeugen unter Wahrheitspflicht zu vernehmen und auch nicht öffentlich über Details zu sprechen.

Es durften bereits Obleute des Untersuchungsausschusses an Sitzungen des PKGr teilnehmen. Aber sie durften weder Notizen machen noch ihre Erkenntnisse in ihre Fragen im Untersuchungsausschuss einbeziehen. Der Bericht, den das PKGr anfertigen wird, wird voraussichtlich als geheim oder streng geheim eingestuft sein – wieder wäre es unmöglich, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Die Arbeit des Ausschusses kann also keineswegs durch die Behandlung im PKGr ersetzt werden.

Martina Renner kommentiert:

Ich bin nicht hier [im PKGr], damit ich als Person etwas erfahre, sondern damit wir unsere Kontrollrechte als Abgeordnete gegenüber der Regierung durchsetzen […] Das schmeichelt, aber dafür sind wir nicht hier. Deshalb ist dieses Verfahren hier nicht der Weg.

Auch wenn die Situation zwischen Opposition und Koalition im Ausschuss schwierig ist und der Aufklärung immer wieder Steine in den Weg gelegt werden – Konstantin von Notz ist optimistisch:

Unser Erweiterungsantrag ist eigentlich auch etwas sehr Erfreuliches. Er ist die Dokumentation, dass der Untersuchungsausschuss sehr viel herausgefunden hat.

Der Erkenntnisgewinn habe es ermöglicht, so präzise nachzufassen. Und er schließt die Pressekonferenz mit den Worten:

Das ist auch ein gutes Zeichen für ein funktionierendes Parlament und einen funktionierenden Untersuchungsausschuss.

„Und eine funktionierende Opposition!“, wirft André Hahn hinterher.

Egal, wie der Antrag ausgehen wird: Wir werden den Ausschuss – oder die Ausschüsse – weiter begleiten.

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3 Ergänzungen

  1. Der Satz „So habe man im Parlamentarischen Kontrollgremium keine Möglichkeiten, (…) und auch nicht öffentlich über Details sprechen.“ ist etwas missverständlich, oder? Schließlich tagt das PKGr doch immer nicht-öffentlich.

    Müsste es nicht z.B. heißen: „So habe man im Parlamentarischen Kontrollgremium keine Möglichkeiten, Zeugen unter Wahrheitspflicht zu vernehmen und muss immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen.“

  2. „Zeichen für ein funktionierendes Parlament und einen funktionierenden Untersuchungsausschuss“

    Ansichtssache. Ich bin eher entsetzt, dass hier jahrelang mit breiter Unterstützung des Parlamentes gegen geltendes Recht verstossen wird und die Justiz darüber gelant hinweg sieht. Funktionierend ist jedenfalls nicht die treffende Bezeichnung!

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