Netzpolitischer Wochenrückblick KW 31: Ein Jahr #Landesverrat

Die netzpolitische Woche zusammengefasst: Ein Jahr nach der Netzpolitik-Affäre, Deutschland ist weltweite Spitze in der Überwachungsindustrie, das Ende des Routerzwanges und neue Wege der Netzzensur.

Foto: centophobia [CC-BY-SA 2.0]

Im Netzpolitischen Wochenrückblick fassen wir jeden Freitag die wichtigsten Themen der Woche zusammen. Ihr könnt ihn auch als Newsletter abonnieren.

Der „Landesverrat“ und seine Auswirkungen

Ein Jahr ist es jetzt her, dass der Generalbundesanwalt wegen „Landesverrats“ gegen uns ermittelt hat, nur weil wir unsere Arbeit gemacht haben. Aufgrund der Brisanz für Pressefreiheit und einer großen Solidaritätswelle wurde daraus die „Netzpolitik-Affäre“. Der Generalbundesanwalt hat deshalb seinen Posten verloren, trotzdem bleiben noch einige Fragen ungeklärt. Wir jedenfalls haben uns gegen den Einschüchterungsversuch gewehrt, werden weiterhin unsere Arbeit machen und dabei selbstverständlich auch Originaldokumente veröffentlichen. Wer noch einmal jede Episode im Detail nachschlagen möchte, findet alle Informationen der Affäre in unserer interaktiven Timeline.

Überwachungsstandort Deutschland

Reporter ohne Grenzen hat zusammen mit anderen Organisationen eine internationale Kampagne gegen das geplante, reformbedürftige BND-Gesetz gestartet. Das Gesetz könnte für internationale Aufmerksamkeit sorgen, denn die das BND-Gesetz betreffenden Artikel des Grundgesetztes (Art.5, Art.10 GG) sind „Jedermannsrechte“, was bedeutet, dass der BND diese auch im Ausland einhalten muss. In einem Gastbeitrag erörtert Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D, die Überwachung von Datenaustauschpunkten, sogenannten Internetexchangepoints (IXP) durch den Bundesnachrichtendienst. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die rechtliche Kontrolle bei einer Ausleitung von Daten aus einem Internet-Knoten nicht sichergestellt werden kann. Insgesamt verletze die Massenüberwachung an Internet-Knoten Grundsätze der Verfassung.

Interessant sind in diesem Kontext auch die Pläne der Bundesregierung für den Aufbau einer Zentralstelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) im Bundesinnenministerium. Eine Kleine Anfrage von Jan Korte (stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag) versucht mehr Klarheit zu schaffen, erhält jedoch keine zufriedenstellenden Antworten. Der grundsätzliche Nutzen von ZITiS wird nicht klar, die Kompetenzverteilung der Bundesbehörden in Sachen Telekommunikationsüberwachung ist unübersichtlich und auch die Rolle des Verfassungsschutzes bleibt unklar.

Um Kompetenz aus der privaten Wirtschaft muss sich die Bundesregierung anscheinend wenig Sorgen machen. Mit über 40 Firmen zählt Deutschland zu den Top 4 der Länder mit den meisten Überwachungsfirmen. Dies geht aus einer von Privacy International veröffentlichten Datenbank zur Globalen Überwachungsindustrie hervor.

Europol will mehr Daten austauschen

Auch Europols Pläne für den Rest des Jahres, die wir bei uns veröffentlichen, sind aufschlussreich. Sie sehen ein einheitliches Datenformat auf EU-Ebene vor. Außerdem sollen mehr Datenbanken mit biometrischen Daten und anderen personenbezogenen Daten verknüpft und der Austausch eingestufter Informationen vereinfacht werden.

Dass Smartphones eine Vielzahl von Daten preisgeben, zeigt auch eine Studie französischer und belgischer Wissenschaftler, die herausfanden, dass die HTML5-Batterie-Schnittstelle zum Tracken genutzt werden kann. Die Schnitstelle, welche eigentlich energiesparende Websites an Endgeräte mit niedrigem Akkustand liefern sollte, könnte somit für Preisdifferenzierung, also dem Anbieten höherer oder niedrigerer Preise bei niedrigerem oder vollerem Akkustand, genutzt werden.

Netzbetreiber ohne Zukunft?

Kürzlich haben europäische Netzbetreiber ihr „5G-Manifest“ veröffentlicht. Darin erklären sie, welche zukünftigen politischen Schritte notwendig seien, um einen Erfolg des neuen Mobilfunkstandards 5G zu gewährleisten. Wie Joe McNamee feststellt, hat dieses Manifest allerdings noch den Zusatz „Kommunistisches Manifest“ verdient. Die Netzbetreiber sehen sich scheinbar nicht in der Lage, selbstständig ein realisierbares wirtschaftliches Konzept für die Technologie zu entwickeln. Stattdessen sind sie auf finanzielle Unterstützungen in Milliardenhöhe angewiesen, das geht zumindest aus dem Manifest hervor.

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang auch oft fällt, ist die Netzneutralität. Hierzu hat das Wirtschaftsministerium am Mittwoch einen Gesetzentwurf bei Verstößen gegen diese vorgestellt. Die aufgelisteten Bußgelder bewegen sich aber in einem so kleinen Rahmen, dass sie bei den Netzbetreiber kaum eine Abschreckungswirkung hervorrufen werden.

Weniger mit Abschreckung hat die Ungleichverteilung von so genannten Pokéstops im Hype-Spiel des Monats zu tun. Wegen der Art der verwendeten Daten kommt es zu einer ungleichen Verteilung der attraktiven Orte im Spiel, bei der ärmere Stadtviertel benachteiligt sind. Das Beispiel zeigt, wie analoge Ungleichheit in einer so banalen Sache wie einem Handyspiel ins Digitale weitergetragen wird.

Upgrade für die Privatsphäre oder für’s Geschäft?

Die EU-Kommission wird die ePrivacy–Richtlinie, welche die Sicherheit und Vertraulichkeit in der elektronischen Kommunikation gewährleisten soll, überarbeiten. Damit steht die nächste Lobbyschlacht um Geschäft und Privatsphäre im digitalen Europa an. In welche Richtung die Kommission tendiert, wird in großem Maße von Digitalkommissar Günther Oettinger abhängen.

Passend hierzu wurde das US-EU Privacy Shield abgesegnet. Das US-Handelsministerium möchte nun sicherstellen, dass europäische Datenschutznormen eingehalten werden und nimmt deshalb Anträge von Unternehmen an, die sich am Privacy Shield beteiligen möchten. Zu den Vorreitern zählt unter anderem Microsoft. Das Unternehmen arbeitet jedoch seit 2007 eng mit den US-Geheimdiensten zusammen und war in die PRISM-Affäre verwickelt.

Uploadfilter und Festplattenscanner sind im Gespräch

Auf europäischer Ebene werden Uploadfilter diskutiert, welche Betreibern von Internetseiten die Möglichkeit geben sollen, unerwünschte Inhalte schon beim Hochladen erkennen und löschen zu können. Derweil nutzt das BKA bereits das von Microsoft entwickelte PhotoDNA.

Eine schwedische Lobbyorganisation will hingegen Hersteller von Betriebssystemen per Gesetz zwingen, das Herunterladen von urheberrechtlich geschütztem Material zu verhindern. Der Vorstoß wurde von Verbraucherschützern kritisiert. Ein Passus, der so ein Verfahren ermöglichen würde, befindet sich jedoch bereits beispielsweise in den Nutzungsbedingungen von Windows 10. In beiden Feldern droht also eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung.

Podcast-Community weckt wirtschaftliche Interessen

Diverse Plattformen wie Audible (Amazon), Spotify und Google buhlen um die Gunst von Podcast-Machern. Die Podcast-Community ist derzeit größtenteils sowohl dezentral organisiert als auch finanziert. Nun gibt es Stimmen, die die Vorstöße mit Vorsicht betrachten. Der Hoffnung auf eine bessere Finanzierung durch die Plattformen steht die Sorge von Abhängigkeit und dem Verlust der Vielfalt gegenüber.

Erneuerung des Urheberrechts wäre wirtschaftlich von Vorteil

Eine neue Studie zu Ausnahmen im Bildungs- und Wissenschaftsurheberrecht beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Aspekten dieses Themas. Nachdem sich bereits vor gut zwei Jahren eine Studie mit den juristischen Aspekten beschäftigte, sind die Empfehlungen sehr ähnlich. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebene Arbeit spricht von einem klaren Reformbedarf und fordert eine Vereinfachung der Regelungen ebenso wie die Einführung einer umfassenden Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Eine solche „Schranke“ erlaubt es beispielsweise Lehrern, Teile eines Buches für ihren Unterricht zu kopieren ohne den Urheber um Erlaubnis fragen zu müssen.

Chelsea Manning drohen weitere Repressionen

Die US-amerikanische Whistleblowerin, der nach einem Suizidversuch unbefristete Einzelhaft droht, hat in einem Interview Einblicke in ihr Leben in einem amerikanischen Militärgefägnis gegeben.

Open-Source wird (nicht wirklich) gestärkt

Eine FCC-Entscheidung in den USA sorgt für Wirbel, weil sie fordert, dass Router-Hersteller einerseits die Einhaltung der Funkparameter sicherstellen und gleichzeitig die Installation von Open-Source-Firmware ermöglichen müssen. Ein solcher Spagat ist in der Praxis allerdings schwer umzusetzen. Ob alternative Software-Projekte am Ende von der Entscheidung tatsächlich profitieren, ist zweifelhaft.

Auch in Deutschland gab es in dieser Hinsicht Entwicklungen. Der Routerzwang ist endlich Geschichte, sodass von der Endgerätefreiheit Gebrauch gemacht werden kann. Jeder kann nun also selbst entscheiden, über was für ein Gerät er seinen Internetverkehr laufen lässt, anstatt sich dem Internetanbieter unterordnen zu müssen.

Die Open Knowledge Foundation Deutschland und das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben währenddessen einen Fond für Open-Source-Projekte gestartet. Der „Prototype Fund“ (so dessen Name) soll die Entwicklung neuer digitaler Werkzeuge für Bürgerinnen und Bürger (Civic Tech) sowie Anwendungen für einen aufgeklärten Umgang mit Daten (Data Literacy) unterstützen. Unabhängig von dieser Initiative haben syrische Geflüchtete begonnen, eine App zu entwickeln, welche Neuankömmlingen helfen soll, sich im deutschen Bürokratiedschungel zurecht zu finden.

E-Voting in Australien

Nach dem Wahlkrimi bei den Parlamentswahlen in Australien ist dort erneut eine Diskussion zum Thema E-Voting entbrannt. Der Austausch altbekannter Argumente wird dadurch verstärkt, dass die Herausgabe des Quellcodes der Wahlsysteme unter das Geschäftsgeheimnis fällt. Auch unter den Wählern herrschen eher gemischte Gefühle, was die Sicherheit des elektronischen Wählens betrifft. Sowohl die altbekannte Papierwahl, als auch ihre „elektronische Schwester“ sind nicht vor Manipulation und Fehlern gefeit, jedoch lassen sich diese bei der Papiervariante einfacher aufdecken und zurückverfolgen.

Hashtag-Hürdenlauf bei Olympia

Die Hashtag-Regelungen in sozialen Medien im Rahmen der Olympischen Spiele sorgen für Verwirrung aber auch Ärger und Spott, sowohl bei Athleten als auch sonstigen Sportbegeisterten. Während manche Sportler ob der strengen Regeln ihre Social-Media-Aktivitäten ruhen lasssen, da bei Zuwiderhandlung mit Turnierausschluss gerechnet werden muss, gab es von Twitter bisher keine offizielle Stellungnahme.

Tipps fürs Wochenende

Als Empfehlung für das Wochenende gibt es dieses mal einen Beitrag aus dem Deutschlandfunk über das Vorgehen von Ermittlern im „Darknet“.

2 Ergänzungen

  1. Neues Geschäftsmodell für Netzpolitik org … „Man kann ja über Donald [T.] sagen, was man will“ fefe de ;D

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.