Netzpolitischer Wochenrückblick KW 17: Cyber-Aufrüstung und digitale Müllabfuhr

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Nächste Woche findet mit der re:publica eine der weltweit größten Konferenzen rund um die digitale Gesellschaft statt. Der zehnte Geburtstag wird mit über 750 internationalen Sprecherinnen und Sprechern auf 17 Bühnen gefeiert. Wir haben uns das Programm genauer angeschaut und eine netzpolitische Empfehlung für Tag 1, Tag 2 und Tag 3 veröffentlicht. Die Beiträge von Bühne 1 können per Live-Stream verfolgt werden. Viele andere Vorträge werden einige Tage später auf YouTube hochgeladen. Wir sind auch mit einem kleinen Stand vertreten und freuen uns über Besuch.

Der Netzpolitische Wochenrückblick erscheint an jedem Freitagnachmittag. Er gibt einen Überblick über die wichtigsten Themen der Woche und ist auch als Newsletter verfügbar.

Bundeswehr will digital aufrüsten

Seit Mitte März wirbt die Bundeswehr mit dem „Projekt Digitale Kräfte“ um Nachwuchs. Diese Woche wurde die Abteilung „Cyber- und Informationsraum“ (CIR) von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vorgestellt, die den Herausforderungen im „Cyberraum“ begegnen soll. Ein entsprechender Bericht (PDF) beschreibt Schritte zur Neuorganisation von Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Aufgaben. Die Anleitung zur Umsetzung der „Strategischen Leitlinie Cyber-Verteidigung“ betrifft verschiedene Bereiche wie Aufklärung, Schutz, Erkennung und Abwehr von Cyberstörungen gleichermaßen.

Bei den Maßnahmen zur Rekrutierung von IT-Personal zielt die Bundeswehr explizit auch auf Menschen „ohne formalen Bildungsabschluss“ oder solche mit „informell oder nicht-formell“ erworbenen Kenntnissen. Wir haben eine Übersicht zur neuen Cyber-Strategie der Bundeswehr und einige Reaktionen dazu aus dem Bundestag zusammengetragen.

Neue Hintergründe zur Landesverrats-Affäre

Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv hat die These aufgestellt, dass es bei den Ermittlungen gegen uns wegen Landesverrats nicht primär um Einschüchterung gegenüber Journalisten und der Vermeidung negativer Berichterstattung ging. Vor kurzem veröffentlichte Recherchen legen nahe, dass die Aushebelung der parlamentarischen Kontrolle von Geheimdiensten das eigentliche Ziel der Anklage war.

EU-Kommission: Plattformen sollen Verantwortung für Nutzerinhalte übernehmen

Laut einem internen Papier (PDF) will die EU-Kommission die Verantwortung über Zensur und Überwachung von Nutzerinhalten auf Online-Portalen den Betreibern übergeben. Dieses Vorhaben richtet sich gegen das Providerprivileg, welches in der E-Commerce-Richtlinie passiv gehostete Inhalte von der Haftung ausnimmt.

Die Betreiber von Plattformen wie Google, Facebook oder auch Wikipedia müssten demnach in Zukunft alle Uploads vor dem Hosten filtern und überprüfen. Dadurch würde eine gewisse Vorzensur durch private Anbieter eintreten. Außerdem wären Plattformen wie Wikipedia, die ihre Inhalte komplett auf den Input von Nutzern stützen, damit akut gefährdet.

Bundesrat: Vorratsdatenspeicherung auch bei Messengerdiensten

Der Bundesrat hat in einem Beschluss (PDF) ein „gleiches Schutzniveau“ für Messengerdienste wie Skype oder Whatsapp gefordert, indem „die Anwendung der im Telekommunikationsgesetz geregelten Vorschriften zum Kundenschutz, zur Marktregulierung, zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz für Dienste gleicher Funktionalität“ sichergestellt werde.

Bislang fielen diese Messengerdienste unter das Telemediengesetz, welches die Speicherung und Nutzung von Kundendaten sowie das Erstellen von Nutzungsprofilen anhand von Verkehrsdaten erlaubt. Auf Grund der immer ähnlicher werdenden Funktionalität von entsprechenden Diensten im Vergleich zu traditioneller Telekommunikation plädiert der Bundesrat dafür, diese auch nach dem Telekommunikationsgesetz zu behandeln. Das würde allerdings bedeuten, dass die dort geregelte Vorratsdatenspeicherung auch auf entsprechende Messengerdienste Anwendung fände.

Nach BKA-Gesetz-Urteil: De Maizière plädiert für Ausnutzung der gesetzen Grenzen

Letzte Woche befand ein Urteil zum BKA-Gesetz dieses als teilweise verfassungswidrig. Wir haben einige Reaktionen zum Urteil zusammengefasst, wobei insbesondere die Äußerungen Thomas de Maizières Grund zur Sorge machen.

Der Minister meinte beispielsweise, das Gericht würde dem Berliner Gesetzgeber in Sachen Sicherheit ständig in den Arm fallen. Er ließ verlautbaren, zukünftig solle man hart am Rande des verfassungsrechtlich gerade noch Erlaubten handeln und zeigte sich insgesamt wenig beeindruckt von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.

Merkel fordert mehr Geld, Personal und Befugnisse für „Terrorabwehr“

Bei einem Treffen mit Spitzen von Polizeien und Geheimdiensten im neuen gemeinsamen Terrorabwehrzentrum hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine weitere Stärkung des Sicherheitsapparats ausgesprochen. Einige Tage nach dem überwachungskritischen Urteil des Verfassungsgerichts zum BKA-Gesetz behauptete sie: „Wir haben immer wieder das Verhältnis von Datenschutz und Sicherheit der Menschen in eine Balance zu bringen.“

„Ich kann jetzt mit Überzeugungskraft gemeinsam mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière dafür werben, dass wir im politischen Raum unseren Sicherheitsbehörden den notwendigen Rückhalt verschaffen“, versprach sie weiter. Das neue „Anti-Terror-Paket“ der Bundesregierung wirft zahlreiche Fragen hinsichtlich Verhältnismäßigkeit, Datenschutz, Bund-Länder-Kompetenzen sowie Grund- und Bürgerrechten auf.

Einblicke in die digitale Inhaltsmoderation

Anlässlich einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Titel „Die Müllabfuhr im Internet“ berichteten wir über die nebulöse Situation von „Commercial Content Moderation“-Dienstleistern auf den Philippinen. Bis zu 150.000 Menschen arbeiten dort für Unternehmen wie Facebook, um die Inhalte der Nutzer zu filtern und zu löschen.

Der Sektor ist von massiver Intransparenz gekennzeichnet. Theaterregisseur Moritz Riesewieck hat mit Moderatoren, Gewerkschaftern und Psychologen vor Ort gesprochen und so versucht, Licht ins Dunkle der Branche zu bringen. Viele der Moderatoren klagen demnach über Beziehungs- und Alkoholprobleme und über die teilweise schweren psychologischen Folgen auf Grund der alltäglichen Konfrontation mit anstößigen beziehungsweise abartigen Inhalten.

Europol fordert Filter für „Hassreden“

Eine Mitteilung der EU-Kommission gibt Einblicke zu einer bei Europol eingerichteten „EU-Meldestelle für Internetinhalte“. Demnach hat die Behörde in mehr als 3.200 Fällen bei Internetprovidern die Entfernung von Inhalten verlangt, was zu 91 Prozent erfolgreich verlief. Informationen zum sogenannten „EU-Internet Forum“, in dem sich die Strafverfolgungsbehörden mit „der Internetbranche“ organisieren, offenbaren eine Forderung von Europol. Internetplattformen sollen zukünftig einen Filter einführen, um abermaliges Hochladen von bereits gelöschten Material zu verhindern.

Erfolgreiche IFG-Anfrage

Zu guter Letzt noch eine Meldung in eigener Sache. Als Ergebnis einer erfolgreichen Informationsfreiheitsgesetz-Anfrage haben wir 2.630 Seiten Akten erhalten. Diese werden wir zur ausgiebigen Recherche nutzen, allesamt einscannen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Leider ist der Bezug von solchen Informationen nicht gerade preisgünstig. In diesem Fall waren 763,10 Euro fällig. Um entsprechende Recherchen auch in Zukunft zu ermöglichen, sind wir auf die Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser angewiesen. Mit einer Spende oder einem Dauerauftrag könnt ihr uns unterstützen.

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Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Was sonst noch war …

    Da es sich Hr. Kauder nicht nehmen lässt, den Hass zwischen den Religionen weiter zu schüren, in dem er diese Woche die staatliche Komplettüberwachung aller Moscheen fordert, hier ein netzpolitischer Vorschlag:

    In allen Kirchen und Moscheen werden Webcams mit Mikrofonen auf die Kanzel ausgerichtet eingebaut, die alle öffentlichen Predigen ins freie Internet übertragen, jeder Gläubige und jeder Beamte kann sich jede Predigt ansehen, ganz einfach.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.