Nächstes Jahr werdet ihr euch über die Terrorismus-Richtlinie der EU beschweren

Die geplante Terrorismus-Richtlinie der EU könnte einen nachhaltigen Effekt auf das offene Internet haben. Der Beitrag zeigt auf, warum es wichtig ist sich schon heute über die Richtlinie zu informieren und den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. Und damit Netzsperren und noch mehr Überwachung zu verhindern.

Bild: @ep_justice

Dies ist ein Gastbeitrag von Joe McNamee, Executive Director bei EDRi. Der Beitrag erschien zuerst in englischer Sprache auf EDRi.org und wurde von Ben und Fabian übersetzt.

Die Europäische Union arbeitet momentan an einer Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung. Die endgültige Version soll im Laufe des Jahres vom Rat der EU-Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beschlossen werden. Da es sich um eine Richtlinie handelt, muss diese von den Regierungen der Mitgliedstaaten anschließend in nationales Recht umgesetzt werden. Diese haben dabei auch zu entscheiden, wie die Inhalte der Richtlinie auszulegen sind.

In den zwei Wochen nach den Anschlägen in Paris im November 2015 hat die Europäische Kommission einen ersten Entwurf der Richtlinie verfasst und dabei größtenteils auf existierende europäische und internationale Instrumente zurückgegriffen. Dieser Entwurf wurde anschließend ohne ein „Impact Assessment“ (Folgenabschätzung) in den Gesetzgebungsprozess gebracht. Ein solches Impact Assessment gleicht den Gesetzesentwurf mit empirischen Befunden ab und zeigt mögliche Alternativwege auf. Dies ist üblicherweise für alle Gesetzesvorschläge notwendig. Es scheint jedoch, dass es hierfür Ausnahmen gibt, wenn es um Menschenleben und Grundrechte geht. „Warum?“ fragt man sich. Weil es wichtig ist, den Menschen das Gefühl zu geben (selbst wenn dieses Gefühl unberechtigt ist), dass die EU etwas zu ihrem „Schutz“ unternimmt.

Der politische Prozess hat erst begonnen, deshalb sind die Medien nicht interessiert

Drei Monate später veröffentlichten die EU-Mitgliedstaaten im Rat ihre nicht-formelle Position zum Gesetzesentwurf der Kommission – sie nennen diese auch ihre „Allgemeine Ausrichtung“. Auch sie haben sich ohne ein „Impact Assessment“ am Gesetzgebungsprozess beteiligt, also ohne eine Analyse, was bzw. was nicht am vorliegenden Entwurf rechtmäßig, angebracht, nützlich, notwendig oder verhältnismäßig ist.

Der Rat fügte außerdem neue Absätze in den Entwurf ein, welche die Blockade von Webseiten erlauben, die „öffentlich zur Begehung terroristischer Straftaten auffordern“, ohne Hinweise darauf, ob der Inhalt legal oder illegal ist oder warum solche Websperren ihrer Ansicht nach eine gute Idee sind. Die Vorschläge der Mitgliedstaaten sehen zudem die „Erfassung, Registrierung und Aufnahme von Äußerungen und Gesprächen in privaten oder öffentlichen Fahrzeugen oder an privaten oder öffentlichen Orten sowie von Bildmaterial von Personen in öffentlichen Fahrzeugen und an öffentlichen Orten (…)“ vor.

Der politische Prozess hat erst begonnen, deshalb sind die Medien nicht interessiert

Das Europäische Parlament arbeitet nun seine Position aus [Berichterstatterin für das Parlament ist die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier, Anm. d. Redaktion.]. Im Unterschied zu Gesetzentwürfen bei anderen Themen, bei denen mehrere parlamentarische Ausschüsse ihre Meinung an den leitenden Ausschuss weitergeben, wird in diesem Fall lediglich ein Ausschuss den Kommissionsvorschlag beurteilen und Änderungsvorschläge einbringen. Denn ein schneller Beschluss scheint wichtiger zu sein als Beweise dafür, dass die vorgesehenen Instrumente effektiv oder nützlich sind.

Viele Mitglieder des Ausschusses für „Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres “ (LIBE-Ausschuss) haben Vorschläge zur Ergänzung der Entwurfs um zusätzliche, meist zusammenhangslose oder irrelevante Maßnahmen eingebracht – von Websperren, über ein Verbot von „terroristischer Malware“, der Kriminalisierung von Onlineplattformen, die „Nachahmung[en] von Handelsmarken“ enthalten, sowie ein Bündel weiterer Maßnahmen, die ebensowenig relevant sind und deren Nützlichkeit, Effektivität, Verhältnismäßigkeit oder Legalität nicht bewiesen ist.

Der politische Prozess hat erst begonnen, deshalb sind die Medien nicht interessiert

Anstatt nun über die 438 im LIBE-Ausschuss eingebrachten Änderungsvorschläge abzustimmen, wird in einer kleinen Gruppe von nur acht Ausschussmitgliedern der verschiedenen Fraktionen hinter verschlossenen Türen weiterverhandelt, um für die kontroversen Punkte Kompromissvorschläge auszuarbeiten.

Hat dieser Prozess einmal begonnen, können die einzelnen Änderungen nicht mehr auf bestimmte Abgeordnete zurückgeführt werden – die Bürger werden also niemals erfahren, wer welchen Vorschlag eingebracht oder welche Beschlüsse unterstützt hat. Die anschließende Abstimmung im LIBE-Ausschuss ist nur noch eine Formalität, denn die anderen Politiker tendieren dazu, sich denjenigen Abgeordneten anzuschließen, die den Text verhandelt haben.

Der politische Prozess hat erst begonnen, deshalb sind die Medien nicht interessiert

Sobald der Ausschuss abgestimmt hat, muss der Gesetzesvorschlag zunächst nicht vom Rest des Parlaments beurteilt werden. Stattdessen werden die acht Parlamentarier zusammen mit Vertretern der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission in Verhandlungen hinter verschlossenen Türen treten, die sogenannten „Triloge“. Dort werden sie einen Kompromiss zwischen der Position des LIBE-Ausschusses und der „Allgemeinen Ausrichtung“ der Mitgliedstaaten auszuarbeiten. Dabei ist keine dieser beiden Positionen für die jeweilige Institution bindend. Der Prozess und die Verhandlungensentwürfe sind geheim und es gibt kein offizielles Enddatum für den Prozess.

Der Prozess ist zu undurchsichtig, deshalb sind die Medien nicht interessiert

Sobald die Trilog-Verhandlungen abgeschlossen sind, werden die Mitgliedstaaten im Rat und das Parlament das Ergebnis ihrer Verhandler wohl abnicken, wobei es nahezu unmöglich wird, weitere Änderungen vorzunehmen. Einige Entscheidungsträger werden, auch wenn sie bei spezifischen Punkten Vorbehalte haben, für die Annahme des Textes stimmen. Auf Nachfrage werden sie auf die „Notwendigkeit für politische Kompromisse“ verweisen. Wenn sich ein Abgeordneter gegen den Vorschlag stellt, muss er mit einer Rüge durch seine Fraktion rechnen. Erst zu diesem Zeitpunkt werden Pressemitteilungen herausgegeben, die auf das finale Votum verweisen und bereits die zu erwartenden Erfolge für die Terrorismusbekämpfung anpreisen.

Die Medien interessieren sich, jedoch ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Es ist zu spät, um noch irgendetwas zu ändern

Nächstes Jahr, wenn deine Regierung anfängt Webseiten zu blockieren, ohne dass du genau weißt warum, wenn die Nutzung von Tor und Proxy-Servern eingeschränkt wird, ohne dass du genau weißt warum, wenn eine unklare EU-Richtlinie zu willkürlichen und diskriminierenden Maßnahmen führt und deine Regierung dir sagt, dass all das aufgrund von „EU-Recht, das sie implementieren müssen“ passiert und du dich wunderst, warum die Medien nie darüber berichtet haben, wenn du vergeblich nach denen suchst, die für einen schwachen und gefährlichen Gesetzestext verantwortlich sind, komm hierher zurück und lies diesen Text noch einmal.

Innerhalb des laufenden Prozesses setzt EDRi alle Ressourcen ein, um an Dokumente zu kommen, mit Entscheidungsträgern zu sprechen, auf diesen abgeschotteten Prozess hinzuweisen und die Grund- und Bürgerrechte gegen die Gefahren einer undurchsichtigen und unverantwortlichen Entscheidung zu verteidigen. Die Tatsache, dass der Gesetzgebungsprozess so abläuft, heißt glücklicherweise nicht, dass alle Beteiligten ebenso intransparent arbeiten. Einige sind durchaus offen für positive und konstruktive Hinweise. Viele von ihnen arbeiten hart daran, das beste Ergebnis für die Bürger der EU zu erreichen. Selbst wenn wir uns etwaige Erfolge bei der Beeinflussung dieser Prozesse nicht immer auf die Fahnen schreiben können, ist es wichtig, dass wir alles daran legen und auch eine Reform des Trilog-Prozesses – oder idealerweise dessen komplette Abschaffung – anstreben.

Weiterführende Informationen:

EDRi: EDRi’s recommendations for the European Parliament’s Draft Report on the Directive on Combating Terrorism [PDF] (29.03.2016)

EDRi: Countering terrorism, a.k.a. the biggest human rights threat of 2016 (20.04.2016)

EDRi: Trilogues: the system that undermines EU democracy and transparency (20.04.2016)

Vorschlag für eine Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung [PDF] (02.12.2015)

Allgemeine Ausrichtung des Rats der Europäischen Union bezüglich der vorgeschlagenen Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung [PDF] (11.03.2016)

Entwurf eines Berichts über die vorgeschlagene Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung [PDF] (09.03.2016)

Eingebrachte Änderungsanträge des Europäischen Parlaments bezüglich der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (Nr. 56-246) [PDF] (08.04.2016)

Eingebrachte Änderungsanträge des Europäischen Parlaments bezüglich der Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung (Nr. 247-438) [PDF] (08.04.2016)

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20 Ergänzungen

    1. OK. Aber wir sollten uns eine Platz aussuchen, der in einem Atemzug mit Tianamen, Maidan, Tahrir, Taksim etc. genannt weden kann.

      1. das kann im zweifel jeder beliebige platz, nicht wahr? der schlimme klang entsteht dabei nicht wie eine waschmittelmarke im designkomittee, sondern durch die verstärkte verknüpfung mit den inhalten und bildern.

        dass gewalt und aufstand gar nicht so gut funktionieren, können sie übrigens an den von ihnen gewählten beispielen sehen. wirkliche veränderung geht anders.

        .~.

        1. > wirkliche veränderung geht anders.

          Wie denn bitte? So wie der Vorlauf zur Verabschiedung der Vorratsdatenspeicherung?

  1. „Berichterstatterin für das Parlament ist die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier“

    Man kann garnicht so viel kotzen wie man fressen kann!
    Zum gefühlten 17377586586mal – dubiose, zwielichtige, korrupte,
    kriminelle Politikdarsteller abgeschoben auf gut dotierten Versorgungsposten
    der EU mit unverdienten Altersversorgungen wo wir Normalos mindestens
    1,5 Jahrhunderte für schuften müssten und das alles natürlich auf kosten
    der Allgemeinheit.

    1. Danke, sehr erhellend.

      Einer gewissen Ironie entbehrt der Teil der Terrorismusdefinition „die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern“ ja nicht. Genau das tut ein Präventivstrafrecht mit seinen Gummiparagraphen ja.

      Leider passt der Rest nicht ganz. Sonst würden die Macher der Richtlinie selbst darunterfallen.

  2. Entlang welcher politischen Linien scheiden sich Befürworter und Gegner?
    Wo kann der Hebel angesetzt werden? Oder braucht es schon Knüppel?

    1. „Wenn sich ein Abgeordneter gegen den Vorschlag stellt, muss er mit einer Rüge durch seine Fraktion rechnen.“

      So weit ist es aber noch nicht. Wie üblich, und wie oben beschrieben, findet die Ausarbeitung auch ggü den meisten Parlamentariern im Verborgenen statt. Man kann getrost darauf wetten, dass eine Mehrheit für den Dreck zu gewinnen ist, die große EVP-Fraktion sowieso (oder dahinter steckt) und es schwierig wird, das zu stoppen.

      Kunden, die EU-PNR kauften, treten auch weitere Bürgerrechte mutwillig in die Tonne.

    1. Nein, wundern muß man sich da nicht. Wer die Demokratie derart aushöhlt, ist für die Folgen mitverantwortlich.

  3. Staatsterrorismus nennt sich immer gern „Terrorismusbekämpfung“.

    Zu hoch gegriffen? Ich glaube nicht. Von EDRi zitiert:

    The UN Secretary-General Ban Ki-Moon has recently described such reactions very well: “repressive and heavy-handed security responses in violation of human rights and the rule of law, such as profiling of certain populations, adoption of intrusive surveillance techniques and prolongation of declared states of emergency, tend to generate more violent extremists.”

    1. Die sogenannte Terrorismus“bekämpfung“ generiert Terrorismus
      Der Terrorismus dient als Vorwand für Terrorismus“bekämpfung“
      repeat

  4. 20.07.2015
    Wesley Clark Calls for Internment Camps for “Radicalized” Americans:
    “We have got to identify the people who are most likely to be radicalized. We’ve got to cut this off at the beginning,” Clark said. “I do think on a national policy level we need to look at what self-radicalization means because we are at war with this group of terrorists.” And he added that “not only the United States but our allied nations like Britain, Germany and France are going to have to look at their domestic law procedures.”

    19. Januar 2016
    Israel is aiming to build an international coalition to force the world’s leading social media giants to prevent their platforms from being abused to peddle incitement to terrorism. .. and developing legislation in Israel and abroad to prosecute social media platforms for failing to keep calls for violence and hateful materials off their platforms.

    22. Mai 2016
    Die Vereinten Nationen und große amerikanische Technologiekonzerne arbeiten an einer Zensur-Infrastruktur für das Internet, wie die UN auf ihrer Website bekanntgeben. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) strebt demzufolge die Schaffung eines globalen Rahmenabkommens für Internet-Zensur an und ermuntert Regierungen, gegen so genannte „Online-Propaganda“, „hasserfüllte Ideologien“ und „digitalen Terrorismus“ vorzugehen.

  5. „Erfassung, Registrierung und Aufnahme von Äußerungen und Gesprächen in privaten oder öffentlichen Fahrzeugen oder an privaten oder öffentlichen Orten sowie von Bildmaterial von Personen in öffentlichen Fahrzeugen und an öffentlichen Orten (…)“ vor.

    Stünde oben nicht „Europäische Kommission“, ginge ich eher von KGB, NSA oder STASI aus.
    Soviel zur Diskussion, was das Label „Demokratie“ inzwischen wert ist. Krass. Leider.

    Wer bezahlt eigentlich diese, um nicht völlig passend ausfällig zu werden, ………..Personen?

  6. Langsam fange ich an, den „Kalten Krieg“ zu vermissen!
    Klare Fronten … hier Freiheit … dort die „Anders Denkenden“!

    Was habe wir nun?

    Wir haben nun die Freiheit zu entscheiden, haben wir Geheimnisse und sind somit Kriminelle oder haben wir keine Geheimnisse … und sind die … „Opfer“?

  7. Was mich eigentlich in den bisherigen Diskussionen immer noch wundert, ist wie selten sich Rechtswissenschaftler zu den fortwährenden Grundrechtsverletzungen öffentlich dazu äußern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.