Nachmittagsschule mit und für Open Educational Resources? Interview mit Simon Köhl von Serlo Lab School

Wie lässt sich die Erstellung und Aktualisierung offen lizenzierter Lernmaterialien nachhaltig gestalten? Die Betreiber der offenen Lernplattform Serlo schlagen vor, diese Aufgaben zum integralen Bestandteil des Lehrberufs zu machen. Simon Köhl, Serlo-Gründer und geschäftsführender Vorstand im Interview über erste Gehversuche im Rahmen einer Nachmittagsschule für Mathematik.

Serlo-Gründer Simon Köhl (Foto: Serlo, CC-BY 4.0)

Die Online-Lernplattform Serlo beherbergt eine der größten deutschsprachigen Communities für kollaborativ erstellte und offen­ lizenzierte Lernunterlagen, derzeit noch­ vor allem im Bereich Mathematik. Im Jahr 2015 haben insgesamt 2,3 Millionen Schülerinnen und Schüler kostenlos mit Serlo gelernt. Mit Simon Köhl, Serlo-Gründer und geschäftsführendem Vorstand von Serlo Education, haben wir aber vor allem über das jüngste Projekt einer Nachmittagsschule mit und für offene Lernunterlagen (Open Educational Resources, OER) gesprochen.

Seit kurzem betreibt Serlo ein Angebot für außerschulische Hausaufgabenbetreuung. Warum dieses Engagement?

Simon Köhl: Wir haben gemerkt, dass uns für die Weiterentwicklung der freien Lernplattform zwei Dinge fehlten: Erstens ein noch engerer Kontakt zu den Nutzern der Plattform und zweitens qualifizierte Autoren für unsere Lernplattform. Mit der neuen Serlo Lab School können wir beides erreichen. Schüler kommen zum Lernen direkt in unser Büro, sie bekommen Zugriff auf neue Features und unsere Softwareentwickler schauen ihnen beim Lernen mit Serlo über die Schulter. Gleichzeitig ist uns wichtig, dass unsere Autoren direkten Kontakt zu unserer Zielgruppe haben und damit die Lerninhalte und Qualitätsrichtlinien an die Bedürfnisse der Schüler anpassen können. Deshalb werden die Lernbegleiter der Lab School ­ meist Lehramtsstudierende ­ zu Autoren ausgebildet. Sie setzen Ihre Erfahrungen mit Serlo aus dem Unterricht direkt in Verbesserungen der Lernplattform um.

Geht es bei der Lab School also vor allem um das Erstellen von offen-lizenziertem Lernmaterial?

Simon Köhl: Für uns ist die Lab School mehr als nur ein Testlabor für Serlo. Die Lab School ist ein Labor, in dem wir das umsetzen können, was wir uns für eine gute Schule wünschen. Schule soll ein Ort sein in dem schul­- und generationenübergreifend, in offener und angenehmer Atmosphäre gelernt wird. Schüler sollen mit Hilfe digitaler Medien selbständig und in ihrem Tempo arbeiten und sich dabei gegenseitig unterstützen. Dass das geht, wollen wir mit der Lab School zeigen.

Wie genau ist dieses Angebot organisiert und wie stark wird es genutzt?

Simon Köhl: Unsere Schülerinnen und Schüler arbeiten nachmittags in Kleingruppen an ihren Hausaufgaben oder lernen für Prüfungen. Anstatt die Lernbegleiter um Hilfe zu bitten, motivieren wir unsere Schüler, sich gegenseitig zu helfen und selbständig auf serlo.org das Wissen nachzuschauen, das sie benötigen. Sie können sich außerdem Lernvideos ansehen und mit den Übungsaufgaben und Musterlösungen auf der Plattform den Lernstoff vertiefen. Die Lernbegleiter agieren dabei mehr als Moderatoren und unterstützen die Schüler, sich die Inhalte selbst zu erarbeiten. So machen wir Schüler mittelfristig unabhängig von externer Nachhilfe. Es ist uns auch wichtig, in lockerer Atmosphäre lernen zu können ­ da wird zwischendurch auch mal ein wenig gequatscht oder Musik gehört. Die Serlo Lab School soll ein Ort sein, zu dem Schüler gerne hingehen und wo das Lernen Spaß macht.

Wieviele Plätze gibt es derzeit in der Serlo Lab School?

Simon Köhl: Die ersten 15 Plätze der Lab School waren schnell vergeben. Um noch mehr Vielfalt in den Klassenzimmern zu haben, möchten wir für die nächsten 15 Plätze verstärkt Real­ und Mittelschulen ansprechen.

War es schwer Lehrende zu finden, die bereit sind, sich neben dem Unterricht auch der Erstellung offener Lernmaterialien zu widmen?

Simon Köhl: Tatsächlich ist es schwer Lernbegleiter zu finden, die offenen Lernmethoden positiv gegenüber stehen, didaktisch talentiert und gleichzeitig gute Autoren für die Lernplattform sind. Deshalb bieten wir unseren Lernbegleitern Unterstützung in Form von Workshops und eines Mentors aus unserem Redaktionsteam.

Wie genau funktioniert dann der Prozess der Lernmittelerstellung und -bearbeitung?

Simon Köhl: Die Lernbegleiter sammeln nach dem Unterricht Verbesserungsvorschläge für die Lernplattform, wie etwa einen Artikel einfacher zu formulieren oder fehlende Übungsaufgaben zu ergänzen. Zusammen mit dem Mentor – zum Beispiel aus der Mathematik­-Redaktion -­ arbeiten sie die Änderungen anhand unserer Qualitätsrichtlinien ein. Des Weiteren gibt es Methodenworkshops für die Lernbegleiter. So wollen wir mit der Lab School auch junge Lehrer ausbilden, die später einmal gute Beziehungen zu den Schülern haben werden, digitale Tools nutzen und als Autoren auf serlo.org einen Beitrag zu freier Bildung leisten.

Steigen durch die Zusatzleistungen der Lehrenden nicht die Kosten für die Eltern? Warum sind diese bereit, mehr als notwendig für die Lernbegleitung zu bezahlen?

Simon Köhl: Man könnte meinen, dass aufgrund der Ausbildung der Lernbegleiter und ihrer zusätzlichen Aufgabe, mehr Kosten für die Eltern anfallen. Jedoch geht es uns als gemeinnütziger Verein nicht darum, kommerzielle Nachhilfe anzubieten und Gewinne zu erwirtschaften. Die Eltern können die Höhe des Preises selbst wählen. Die meisten Eltern sind begeistert von unserer Vision, mit serlo.org hochwertige Bildung weltweit frei verfügbar zu machen und unterstützen das sehr gerne. Dadurch finanzieren wir auch unseren stark reduzierten Solidarpreis, der auch denjenigen die Teilnahme an der Schule ermöglicht, die sich eine kommerzielle Nachhilfe nicht leisten können.

Aktuell findet die Serlo Lab School in den Büroräumlichkeiten von Serlo statt. Wie geht es von hier aus weiter? Wollt ihr eine eigene Schule gründen?

Simon Köhl: Es ist großartig, die Schüler jeden Tag bei uns im Büro zu haben. Aber es ist nicht unser Ziel eine weitere Privatschule zu gründen, wir wollen lieber öffentlichen Schulen helfen eine offene Lernkultur zu etablieren. Denn es gibt einerseits bereits faszinierende Privatschulen, die eine Leuchtturmfunktion in der Gesellschaft übernehmen und andererseits stehen wir als Serlo Education e.V. der Privatisierung des Bildungswesen generell eher kritisch gegenüber. Deshalb werden wir ab September die Serlo Lab School in Räumlichkeiten öffentlicher Schulen anbieten, damit wir mit unseren Methoden direkt in die Schulen hineinwirken können. Es gibt zwar viele Studien und renommierte Pädagogen, die für mehr Selbständigkeit und Mitgestaltungsmöglichkeiten der Schüler werben. Jedoch können letztendlich Schülerinnen und Schüler, Lehrerkräfte, Eltern aber auch Schulleiter am besten von Veränderung überzeugt werden, wenn sie ein funktionierendes Beispiel direkt sehen und erleben.

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3 Ergänzungen

  1. Zitat:
    … Die Online-Lernplattform Serlo beherbergt eine der größten deutschsprachigen Communities …

    Öhem … bist du sicher, das es eine Community ist, wenn die Mitarbeiter größtenteil bezahlt sind? Simon nennt ja selber das größte Problem, dass qualitfizierte Autoren fehlen. Weil Lehrern das nicht so wirklich gefällt womöglich, was Serlo mit fiel finanziellem Aufwand herbeizaubert.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.