Medien, Politik und Terror: „Durchschaubare Reflexe“

Prof. Dr. Klaus Beck lehrt am Institut für Publizistik und Kommunikationsforschung der Freien Universität Berlin. Wir haben mit ihm über Reflexe in der Terrorberichterstattung und politischen Diskurs im Krisenmodus gesprochen – und ihn gefragt, wie hilfreich das Twittern von Katzenbildern ist.

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ElBarto

netzpolitik.org: Nach den Ereignissen der vergangenen Wochen diskutieren wir wieder, wann Straftaten als Terroranschläge bezeichnet werden sollten. Können wir hierzulande eine Entgrenzung des Terrorbegriffes beobachten?

Prof. Dr. Klaus Beck. Foto:  B. Wannenmacher
Prof. Dr. Klaus Beck, Freie Universität Berlin.
Foto: B. Wannenmacher

Klaus Beck: Ich denke schon. Das würde ich in erster Linie aber zunächst gar nicht nur auf die Medienberichterstattung beziehen. Da ist es momentan natürlich so ein bevorzugtes Schema, immer zuerst die Frage zu beantworten, ob es nun Terror – und vor allem islamistischer Terrorismus – ist oder nicht. Aber die eigentliche Entgrenzung des Terrorbegriffs findet ganz woanders statt, nämlich auf Seite jener politischen Akteure, die mit Sicherheitsargumenten Freiheitsrechte, Bürgerrechte, Menschenrechte einschränken wollen. Der Ausgangspunkt, zumindest in der jüngeren Geschichte, ist hierfür der 11. September, mit dem darauffolgenden Krieg gegen Terror und seinen maßlosen Überziehungen, den gefälschten Beweisen als Grundlage für Interventionskriege und so weiter. Dass das funktioniert, hat sich halt herumgesprochen, und mittlerweile behaupten auch Putin oder Erdogan, dass sie unter terroristischen Bedrohungen leider gezwungen sind, Grundrechte einzuschränken, Journalisten zu verhaften, Gerichte zu entmachten.

netzpolitik.org: Lässt sich das so auch auf die Situation in Deutschland übertragen?

Klaus Beck: Auch bei uns wird das Argument, dass es eine terroristische Bedrohung gibt, die ich gar nicht leugnen möchte, genutzt, um klassische Forderungen zu erheben: eine stärkere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz bei Überwachungsmaßnahmen, die internationale Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden, die Vernetzung von europäischen Datenbanken, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Nehmen wir als jüngstes Beispiel München: Da geht es gar nicht um Terrorismus, wie wir jetzt wissen, sondern um einen Amokläufer. Das hält aber diverse Politiker nicht davon ab, zu sagen, dass wir jetzt auf jeden Fall Einsätze der Bundeswehr im Inneren brauchen.

netzpolitik.org: Was macht dieses Framing mit dem politischen Diskurs, wenn jetzt so viele Ereignisse, deren Zusammenhänge wir nicht kennen, automatisch und fast ausschließlich im Rahmen von Terrorismus besprochen werden?

Klaus Beck: Wenn nur die üblichen Akteure das bekräftigen, was sie immer schon zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gefordert haben, entzieht das dem politischen Diskurs die sachliche Grundlage. Jeder kocht sein Süppchen: Die Gewerkschaft der Polizei sagt, wir brauchen besser bezahlte Polizisten mit besserer Ausstattung, aber die Bundeswehr brauchen wir nicht. Die Bundeswehr sagt im Zweifel: Wir könnten aber auch etwas tun. Also alles Partialinteressen, die sich artikulieren, die aber nicht mehr wirklich in einem argumentativen Kontext miteinander stehen. Dieses Abrufen von bekannten Positionen, die häufig auch noch relativ schlecht argumentativ begründetet werden, hat zwei schädliche Folgen: Erstens werden die politischen Probleme nicht gelöst, inklusive der Sicherheitsprobleme. Und zweitens verliert die Politik weiter an Glaubwürdigkeit, weil auch wirklich jeder Rezipient durchschaut, welche Reflexe ein Gewerkschaftsvertreter, ein CSU-Politiker oder ein Polizeipräsident hat. Irgendwann erreicht das einen Punkt, an dem man das nicht mehr ernst nimmt.

netzpolitik.org: Wie könnte man den medialen Diskurs denn fruchtbarer führen? Was wären denn Alternativen, auch in der Berichterstattung?

Klaus Beck: Terrorismus funktioniert natürlich nur mit medialer Resonanz: Wenn ich Schrecken verbreiten will, brauche ich Multiplikatoren. Terroristen sind also zwingend auf Medien angewiesen, egal ob sie jetzt auf Journalisten setzen, ob sie auf eh schon isolierte Gruppen oder Individuen abzielen, bei denen sie mit ihrer Social-Media-Strategie Prozesse der Selbstradikalisierung auslösen wollen. Aber die journalistischen Medien kommen da nur sehr schwer raus, weil sie in einem konstanten Konkurrenzverhältnis stehen. Nachrichtenunterdrückung ist weder eine ökonomisch vernünftige Strategie noch istes eine ethisch wünschenswerte. Es gibt in der Praxis schwer implementierbare Konzepte wie das des „Friedensjournalismus“, das früher im Kontexte bewaffneter zwischenstaatlicher Konflikte verhandelt wurde. Es geht davon aus, dass bewusst multiperspektivisch berichtet werden muss, ohne dass man sich direkt dem Vorwurf ausgesetzt sieht, Verständnis für Kriegsgegner oder eben Terroristen zu zeigen. Es muss möglich sein, auch die Perspektiven von Straftätern deutlich zu machen – analytisch beschreibend, nicht sympathisierend. Nur dann kann es gelingen, Konflikte zu verstehen. Das heißt ganz konkret: Wir bräuchten mehr Hintergrundberichterstattung. Aber die ist teuer, und die Finanzierungskrise des Journalismus ist bekannt. Deswegen ist das leider nicht unbedingt die realistischste Perspektive, aber ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, dieses Schema zu durchbrechen.

Online-Medien im Krisenmodus

netzpolitik.org: Wir erleben gleichzeitig ja eine entgegengesetzte Entwicklung, einen Zirkel der Beschleunigung. Die Online-Medien schalten auf Krisenmodus, schmeißen den Live-Ticker an und versuchen immer wieder zu erklären, was man womöglich weiß und was nicht.

Klaus Beck: Es gibt aber eben auch eine Nachfrage danach. Die Leute holen sich ihre Push-Nachrichten aufs Handy und werden dann von allen möglichen Dingen, die so aussehen wie Terror oder entsprechend geframet werden, erreicht. Und offensichtlich möchten sie das auch. Für die Anbieter bleibt es erstmal ein Wettrennen. Das ist aber auch kein völlig neues Phänomen, das verschärft sich jetzt einfach. Medien sind auch früher nicht immer der Anforderung gerecht geworden, zwischen Ereignis und Bericht eine Reflexionsphase und eine Prüfungsphase einzubauen, wie es journalistischen Qualitätskriterien entspricht.

netzpolitik.org: Welche Rolle spielen dabei soziale Medien, wo ja nicht nur Berichterstattung stattfindet, sondern auch die emotionale Aufladung der Ereignisse, etwa dadurch, dass Menschen ihre Profilbilder anpassen oder ähnliches?

Klaus Beck: Klicktivismus ist natürlich rasch gemacht und verpflichtet einen zu nichts, wie viele Self-Marketing-Maßnahmen im Social-Web. Gerade noch während solche Ereignisse laufen, ist es aber ein unglaublicher Verstärker von Gerüchten. Wenn die Münchner Polizei aufgrund von Social-Media-Gerüchten fälschlicherweise einen Großeinsatz am Stachus durchführt, dann merkt man, dass das eben auch real schädlich sein kann. Da braucht eine Gesellschaft auch Zeit, um eine entsprechende Social-Media-Ethik zu entwickeln, von der wir noch relativ weit entfernt sind. Mir geht es dabei aber nicht darum, Social Media zu verdammen. Der Einsatz von Social Media durch die Münchner Polizei war zum Beispiel wegweisend. Das ist ein Frühwarnsystem, das den Social-Media-Strom auch ein bisschen erden kann und den Leuten eine seriöse Alternative bietet, die auch mehr Glaubwürdgkeit hat in so einer Situation.

netzpolitik.org: Stichwort Social-Media-Ethik: Was halten Sie von der Initiative, Twitter im Krisenfall mit Katzenbildern statt mit Terrorberichterstattung zu füllen?

Klaus Beck: Das ist als eine Art Notwehr, als Selbstregulierung sicher kurzfristig hilfreich. Aber das kann langfristig keine gute Strategie sein, in solchen Situationen alles mit Bedeutungslosigkeit zuzumüllen. Ich habe da aber auch kein Patentrezept, und es gibt auch niemanden, der sich jetzt hinsetzt und an Konzepten arbeitet. Bislang ist es ein Aushandlungsprozess der User untereinander.

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9 Ergänzungen

  1. Zitat: „Und zweitens verliert die Politik weiter an Glaubwürdigkeit, weil auch wirklich jeder Rezipient durchschaut, welche Reflexe ein Gewerkschaftsvertreter, ein CSU-Politiker oder ein Polizeipräsident hat. Irgendwann erreicht das einen Punkt, an dem man das nicht mehr ernst nimmt.“

    Ich denke ich nicht, dass große Teile der Bevölkerung Scharfmacher-Medien/Politiker nicht mehr ernst nehmen. Im Gegenteil, das Narrativ von „Mehr Sicherheit zum Preis von weniger Freiheit“, „Datenschutz ist Täterschutz“, „Wer nichts zu verbergen hat, muss nichts befürchten“, „Das Internet/Verschlüsselung/Anonymität ist böse“ verfängt bei den meisten Leuten. Ich kenne jedenfalls kaum jemanden, der im Zweifel für Freiheit, Datenschutz oder Anonymität kämpfen würde. Niemand möchte Kriminelle und Terroristen unterstützen.

  2. „Terrorismus funktioniert natürlich nur mit medialer Resonanz: Wenn ich Schrecken verbreiten will, brauche ich Multiplikatoren. Terroristen sind also zwingend auf Medien angewiesen,…“.
    Nachfrage hin oder her: Die Live-Bericht-Erstattung der ARD über Stunden, die sich in Spekulationen über einen IS-Terrorangriff verliert, nur um dann darüber aufzuklären, dass sie nicht spekulieren möchten, befeuert geradezu den Eindruck Deutschland werde vom Terror des IS überzogen. Einen Erkenntnisgewinn gab es bereits nach der regulären Tagesschau nicht mehr. Hier spielen die öffentlich rechtlichen Sender eine sehr unrühmliche Rolle. So tragen auch Sie mit dazu bei, dass Forderungen nach mehr Kontrolle und Staat (Polizei, Überwachung, …) einen erneuten Aufschwung bekommen, obwohl solche Massnahmen einen Anschlag wie in München nie verhindern könnten.
    Stattdessen sollte man sich über die Ursachen solcher Täterprofile Gedanken machen und überlegen, wie ein solches „Abdriften“ in unserer Gesellschaft verhindert werden kann. Woher kommt der Hass? Ist es nicht zuletzt ein Zeichen der modernen Gesellschaft, die mehr Wert auf Gewinnoptimierung legt als auf das Wohl der Menschen. Mangelnde Achtung voreinander schlägt so bei einigen in Verachtung um.

  3. Warum geht man nicht dazu über, wie es bei Selbsttötungen schon lange der Fall ist, nicht mehr medial darüber zu berichten? Aber Terrorismus für den wir ja auch im Westen selber mitverantwortlich waren und sind, geht immer. Denn solange der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung den Rest der Welt noch immer als seine Kolonien betrachtet und auch so behandelt, braucht sich niemand über Terrorismus und Flüchtlinge im Westen beschweren. Ursachen und Wirkung nicht verwechseln.

    1. Nicht mehr über Amok und Terror berichten? Wovon sollen dann die notleidenden Medien leben? Die „vierte Gewalt“ könnte keine mehr ausüben.

      Der Terror-Abend der ARD-Anstalten brachte bisher unerreichte Quoten, obwohl da nur einer ständig penetrante und die gleichen Fragen an die „Reporter vor Ort“ stellte, die sie beim besten Willen nicht beantworten konnten. Offenbar trifft das den Nerv vieler und nervt leider nur wenige.

      Es geht eben nicht nur um Information sondern auch um die Befriedigung von Bedürfnissen der Gaffer, wie sie sich sonst an Tatorten herumdrücken.

      Mich würde zum Beispiel im Rückblick noch interessieren, wie es zu den „gehörten Schüssen“ im Hof der populären Abendzeitung in München kam. Die Abendzeitung in aller Munde, welch ein Geschenk!

  4. Nach gewissen Events kann man die Uhr danach stellen, bis die bekannten Mantras gebetsmühlenartig auf die Republik herunter prasseln. Bildungsgesättigte leiden bekanntlich unter aufgedrängten Rehearsals, während es beim entgegengesetzten Pol wie ein sonst verweigertes Aufputschmittel wirkt.

    Wenn Politiker bei jeder sich bietender Gelegenheit solche Junkies bedienen, nennt man das Populismus. Das Ausmaß der Beschaffungskriminalität dieser Junkies lässt sich an Wahlergebnissen ablesen.

    Bekanntlich sind es nicht die allerhellsten, die in der Politik das große Rad drehen. Die Verzweiflung daran jedoch kann auch Reflexe auslösen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.