Mecklenburg-Vorpommern plant Ausweitung von Handy-Überwachung – Funkzellenabfragen massiv gestiegen

Die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern möchte künftig den Mobilfunk entlang ganzer Straßenabschnitte überwachen, wenn es sich bei ihnen um die „vermutete Fahrstrecke“ von Tatverdächtigen handelt. Seit 2010 hat sich die Zahl der dortigen Funkzellenabfragen um das 17-Fache erhöht.

Bei einer Funkzellenabfrage werden sämtliche Handy-Verbindungen innerhalb einer oder mehrerer dieser Funkzellen an die Polizei gegeben. CC-BY-SA 3.0 Erwin Krauß

Das Landeskriminalamt von Mecklenburg-Vorpommern plant, die Abfragen von Funkzellendaten in einer neuen Richtlinie zu regeln. Datenschützer kritisieren die Pläne und bemängeln den massiven Eingriff in die Grundrechte tausender Unbeteiligter. Bekannt geworden sind die LKA-Pläne durch Recherchen des NDR.

Was sind Funkzellenabfragen?

Telekommunikationsunternehmen speichern vor allem zu Abrechnungszwecken, in welche Mobilfunkzellen sich ein Handy einloggt. Dadurch sind auch Verkehrsdaten ersichtlich, also wer wo und mit wem telefoniert hat. Durch eine Funkzellenabfrage kann die Polizei diese Informationen anfordern. Dem Gesetz nach ausschließlich dann, wenn es der Aufklärung von sogenannten schweren Straftaten dient. In der Praxis sieht das oftmals anders aus.

Mittels der nicht-individualisierten Funkzellenabfrage wird festgestellt, welche Mobiltelefone sich in einer bestimmten Funkzelle in einem bestimmten Zeitraum befunden haben. Dadurch können mitunter zehntausende Anschlüsse erfasst werden, wie unsere Recherchen zu Funkzellenabfragen anlässlich der Autobrandstiftungen in Berlin gezeigt haben. Im Gegensatz dazu wird bei einer individualisierten Verkehrsdatenabfrage ermittelt, in welchen Funkzellen ein bestimmtes Mobiltelefon war.

Statistiken werden nicht geführt

Konkrete Zahlen über Funkzellenabfragen werden meist nur bekannt, weil sie von Abgeordneten erfragt worden sind. Statistiken, welche den Erfolg der Funkzellenabfragen belegen, gibt es nicht. Doch nicht nur die Öffentlichkeit wird mangelhaft informiert. Betroffene, deren Mobiltelefon in eine Funkzellenabfrage geraten ist, werden von den Staatsanwaltschaften nicht über die Erfassung informiert. Dabei ist im Gesetz eine Benachrichtigung sogar vorgeschrieben. Begründung der Staatsanwaltschaften: Die Betroffenen hätten kein Interesse an einer Benachrichtigung.

Mecklenburg-Vorpommern: Funkzellenabfragen entlang ganzer Straßen geplant

Mecklenburg-Vorpommern plant nun als erstes Bundesland, das genaue Vorgehen bei Funkzellenabfragen mittels einer Verwaltungsvorschrift zu präzisieren. Dies ist erst einmal zu begrüßen, fehlen doch genauere Vorgaben abseits des Paragraphen 100g aus der Strafprozessordnung. An den wichtigen Stellen bleibt die Richtlinie aber unklar.

Als Beispiel für einen Fall von Funkzellenabfrage wird laut NDR-Recherche im Entwurf die „vermutete Fahrstrecke“ von Tatverdächtigen genannt. Demnach könnte der Mobilfunk entlang ganzer Straßen- und Autobahnabschnitte überwacht werden. Die Mobilfunkdaten von zehntausenden Unbeteiligten würden so erfasst werden. Der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Saalfeld kommentierte gegenüber netzpolitik.org: „Hier werden schwammige Rechtsbegriffe eingeführt, welche Funkzellenabfragen nicht präzise genug eingrenzen.“ Er befürchtet einen starken Anstieg der Abfragen in Folge der neuen Richtlinie.

Auch der Datenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Dankert, kritisiert den Richtlinienentwurf. In seinem Tätigkeitsbericht (pdf) befasste er sich mit den Plänen. Dort heißt es:

Eine vermutete Fahrstrecke als Kriterium für eine Funkzellenabfrage zu werten, ist aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht mit den in der Richtlinie angeführten Verhältnismäßigkeitserwägungen zu vereinbaren. Es bestünde die Gefahr, dass – je nachdem, wie viele Kilometer eine Fahrstrecke beträgt – unter Umständen mehrere Funkzellen großflächig abgefragt und hinsichtlich der Verkehrsdaten ausgewertet werden

In einem weiteren Punkt bleibt die Richtlinie unklar. Sie sieht vor, dass zur Vorbereitung einer Funkzellenabfrage eine vorherige Funkzellenbestimmung stattfindet. Damit sollen die abzufragenden Funkzellen eingegrenzt werden, um möglichst wenig Unbeteiligte zu treffen. Allerdings kann diese Funkzellenbestimmung laut Informationen von netzpolitik.org unterbleiben, wenn eine Löschung der Daten aus der Funkzelle droht oder aus „anderen Gründen der Ermittlungserfolg gefährdet ist.“ Vor allem der letzte Abschnitt der Öffnungsklausel bietet viel Interpretationsspielraum für die Polizei. Dadurch können im Endeffekt ohne Überprüfung mehr Funkzellen abgefragt werden als nötig. Statt genau die Ausnahmefälle zu nennen, wird mit der Formulierung „andere Gründe“ das Tor für eine Vielzahl von Fällen geöffnet.

17-Mal mehr Abfragen 2015 als noch vor fünf Jahren

Der Landtagsabgeordnete Johannes Saalfeld fragte im Mai nach der Anzahl der Funkzellenabfragen im Rahmen einer Kleinen Anfrage. In der Antwort schrieb das Justizministerium, dass es keine Statistiken über die Abfragen führe. Nach mehrmaligem Nachfragen des NDR rückte es dann doch mit Zahlen heraus. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Zahl der Funkzellenabfragen zwischen 2010 und 2015 um das 17-Fache erhöht. Während es vor fünf Jahren nur 32 Abfragen gab, sind es im letzten Jahr schon 568 gewesen. Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern begründet gegenüber netzpolitik.org den Anstieg der Abfragen mit dem „enormen“ Zuwachs mobiler Kommunikation.

Die Zahlen machen deutlich, an was es mangelt: Transparenz. Und zwar nicht nur über die Anzahl der Funkzellenabfragen in Deutschland und deren Bedeutung für Ermittlungen, sondern auch gegenüber den Betroffenen. Wer in das Raster einer Funkzellenabfrage gerät, sollte darüber informiert werden.

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10 Ergänzungen

  1. Ja, es gibt sie noch, die Dümmsten aller Dummen. Auf Rang eins der „Best of Polizeiberichte“ ist noch immer die Visitenkarte des Täters am Tatort, bevorzugt in Form eines Personalausweises. Auf Rang zwei folgt sogleich „von Polizei geweckt: im Suff am Tatort eingeschlafen“. Beliebt sind diese Beispiele vor allem deswegen, weil die Polizei bei solchen Fällen eigentlich nicht mehr falsch machen kann, außer den Namen nicht richtig abzuschreiben.

    Die Polizei und ihre Täter, das ist so wie Fuchs und Hase oder Maus und Katz‘ – ein Wettbewerb eben um gelebte Intelligenz. Sinkende Aufklärungsraten können zweierlei bedeuten: Die Täter werden immer klüger oder die Polizei wird immer ….er?

    Unter diesem Blickwinkel ist es nur konsequent, wenn versucht wird, mangelnde Ressourcen der Polizei mittels Hilfsmittel (z.B. Polizeihund) und intelligenter Technologie auszugleichen.

    Wenn man positive Beispiele sucht, so finden sich immer welche: Aufklärung wurde durch Funkzellenabfrage möglich. Und auch noch: steigende Aufklärungsrate gegenüber dem Vorjahr.

    Doch wie passt das dazu, dass Ermittler in einschlägigen Kreisen immer weniger mitgeführte mobile Endgeräte während Tatausübungen feststellen? In Vernehmungsprotokollen liest sich das z.B. so: „Ich habe mein SmartPhone zu Hause liegen lassen.“ Dumm gelaufen!

    Macht nichts, solange es sich nicht herumspricht!

  2. Dumm sind die Brüder nicht … McPom ist ein Transitbundesland … für Autoschmuggler!
    Viele moderne Atos sind mittlerweile „Vernetzt“ … zumeist via GSM/UMTS bzw. LTE!
    Wird ein Auto gestohlen und ist die Telefonnummer/IMEI „des Fahrzeuges“ bekannt, so kann es observiert werden …
    Dann kommt noch ein anderes Telefon hinzu, das sich im gestohlenen Fahrzeug befindet … und schon hat man ein Telefon, das viele Autos klaut!
    … im übrigen … um ein Fahrzeug zu überwachen, braucht man dafür einen Gerichtsbeschluss?
    Schließlich ist ein Auto keine Person … oder?

  3. Dann kann man auch jede Strasse überwachen, den jede Strasse ist eine „vermutete Fahrstrecke“ für Bösewichte. Hier am Niederrhein ist der sogenannte Drogenhighway (A61) in die Niederlande. Sollte großflächig überwacht werden damit der kleine Kiffer auch tatsächlich geschnappt und seiner Strafe zugeführt werden kann. Die Polizei wird sich über die ganze (unnützte) Arbeit sicher freuen.
    Alle Autobahnen nach Luxemburg ebenso, dort sind die Haupt(einfall)strassen für potentielle Schwarzgeldschmuggler. Sollte überwacht werden. Usw. usw. Alles überwachen. Jederzeit. Merken die eigentlich noch was?

    1. Du erkennst den Unterschied zwischen Überwachung und Abfragen nicht. Es wird gar nichts überwacht. Wenn Bedarf besteht, werden die Daten analysiert, genauso wie man Blitzerfotos durchsieht, Überwachungskameras etc. pp

  4. Der Artikel ist insofern falsch, dass es seit 2015 kein Auskunftsrecht der Beteiligten für Maßnahmen nach 100g mehr gibt. Statt sich selbst zu referenzieren, sollte man sich bei Recherchen an die geltenden Gesetze halten.

    1. Wieso soll es diesen § 100g nicht mehr geben?
      Durch die „Einführung“ Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (ehemals VDS) wurde dieser § lediglich neu gefasst, oder sehe ich das Falsch?

      1. Ich meinte das Auskunftsrecht. Ist aber mein Irrtum, denn das ist nur von 101 nach 101a verzogen.

        1. … hmmmm § 101a … -> https://dejure.org/gesetze/StPO/101.html
          Tja … tut mir jetzt Leid (nicht wirklich, aber als Narzisst muss ich das jetzt aus diplomatischen Gründen schreiben), das von mir benannte Beispiel „Autoschmuggler“ (-> Bandendiebstahl und schwerer Bandendiebstahl /gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und gewerbsmäßige Bandenhehlerei) ist zwar nicht aufgeführt, kann aber als „Transportvehikel“ für eine flächendeckende Maßnahme missbraucht werden!

          Nicht falsch verstehen, ich wäre von diesem Missbrauch auch betroffen!
          Szenario … Handy eines Bandenmitgliedes in einem gestohlenem KFZ mit SIM Karte -> festgestellt mit von dir benannter Abfrage mit anschließender Auswertung (macht ja sonst keinen Sinn)!
          Auto ist schon längst weiterverkauft … Bandenmitglied fährt per Anhalter (z.B. Uber/Mitfahrzentrale) zum nächsten Einsatzort … das Handy des Fahrers, sowie dessen KFZ (falls mit SIM) und der anderen Mitfahrer sind nun mit (zumindest) als „Helfer“ im Raster gefangen …

          … ich finde die Vorstellung nicht sehr prickelnd, da man von diesem Raster erst nach dem Beweis der Unschuld vor einem Gericht gestrichen werden muss!
          … und welcher Innenminister streicht schon gern potenzielle Gefährder von seiner Rasterliste?
          Je mehr Gefährder, desto mehr Angst -> umso mehr Budget, um sich dieser Angst „anzunehmen“!
          Klar, das ich jetzt nicht mehr von Bandenkriminalität schreibe, oder?
          Na‘ der eine oder andere Terrorverdächtige wird doch auch per Anhalter unerkannt durch die Gegend schippern, nicht?
          … und schon … steigert sich die Terrorgefahr in das Unermessliche!
          Die Folge?
          Noch mehr Budget und Ausnahmeregeln/Gesetze für unsere Innenminister!

          Man, dieser Terrorismus, ist er nicht eine perfekte Geld- und Gesetzdruckmaschine für unsere Behörden … ja für die Regierungen der Ganzen freien westlichen Welt?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.