Interview zu Störerhaftung und Abmahnungen: „Wir haben ein Problem mit der Anwendung des Gesetzes durch unsere Gerichte“

Alle reden wieder über die Störerhaftung, seit die Bundesregierung eine Gesetzesänderung angekündigt hat. Wir sprechen in einem Interview mit Rechtsanwältin Beata Hubrig über Freifunk-Initiativen und Störerhaftung, Abmahnungen und Gegenwehr und darüber, welche Fragen noch offen sind und ob wirklich weniger Abmahnungen zu erwarten sind, wenn die Gesetzesänderung kommt.

Freifunker und Unterlassungserklärungen

netzpolitik.org: Sie vertreten in Vor- und Gerichtsverfahren Freifunker, die Empfänger der berüchtigten Schreiben von einer Abmahn-Kanzlei sind. Von wie vielen Freifunkern wurden denn mittlerweile erfolgreich Forderungen der auf Abmahnungen spezialisierten Kanzleien im Verfahren oder Vorverfahren eingetrieben?

RAin Hubrig: Keiner meiner Freifunk-Mandanten hat einer solchen Forderung nachgegeben. Auch alle anderen meiner Mandanten, die abgemahnt wurden, zahlten die geforderten Summen nicht und unterschrieben schon gar nicht diese gefährlichen Unterlassungserklärungen – auch keine modifizierten.

netzpolitik.org: Was ist denn das Problem mit diesen Unterlassungserklärungen? Kann man nicht einfach sagen: „Okay, ich werde nie wieder dieses Werk filesharen“, wenn man das ohnehin nicht vorhat, aber danach wenigstens seine Ruhe hat?

RAin Hubrig: Gegenfrage: Warum unterschreiben Sie kein Dokument, dass Sie ab heute „keine Ziegen mehr begatten werden“? Ernsthaft: In der Vergangenheit haben Gerichte solche Erklärungen schon als implizites Schuldeingeständnis eingestuft. Mit der Unterlassungserklärung wird eine Urkunde erstellt, in welcher der Unterzeichner sich dazu verpflichtet, ein konkretes rechtswidriges Verhalten nicht zu wiederholen. Diese Wiederholungsgefahr setzt denklogisch eine rechtswidrige Tat voraus.

netzpolitik.org: Sowohl die Große Koalition, die Piratenpartei als auch die Kanzlerin behaupten stolz, es gäbe nun einen Durchbruch und sie hätten die Störerhaftung abgeschafft oder abschaffen lassen. Zuerst einmal: Was ist ein Störer, warum muss er haften und was hat das mit offenen WLANs zu tun?

RAin Hubrig: Die Störerhaftung ist ein klassisches zivilrechtliches Rechtskonstrukt, welches mit den jetzt diskutierten Ideen auch nicht abgeschafft wird. Die Störerhaftung ist und bleibt im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Dort ist ein Störer jemand, der eine Gefahrenquelle in seiner Sphäre beseitigen und für den daraus entstandenen Schaden haften muss. Ich halte eine Übertragung der Störerhaftung auf das reine Zugänglichmachen von Internet schon immer für mehr als unglücklich. Schließlich soll in dieser Lesart ein Internetanschluss eine Gefahrenquelle sein.

netzpolitik.org: Es gibt entsprechend einen Unterschied zwischen einem Täter und einem Störer, beispielsweise dem Filesharer und dem Anschlussinhaber, der das WLAN betreibt?

RAin Hubrig: Genau, der Unterschied ist wichtig. Der Filesharer ist der sogenannte Täter, der auch schadensersatzpflichtig bleibt. Um ihn geht es derzeit aber nicht, obwohl wir diese Problematik auch dringend diskutieren müssen. Die Aufregung um das Gesetzesvorhaben, also die Novellierung des Telemediengesetzes (TMG), befasst sich allein mit dem Anschlussinhaber, also dem Störer im rechtlichen Sinne.

Ein Mehr an Rechtssicherheit?

netzpolitik.org: Und was genau wurde nun abgeschafft? Oder wofür gibt es nun ein Mehr an Rechtssicherheit? Haben sich die Dinge wirklich verbessert?

RAin Hubrig: In der Vergangenheitsform können wir noch nicht sprechen. Das Vorhaben, das TMG zu verändern, auf welche Art auch immer, ist schon längere Zeit in der Mache. Was sich jetzt verändert hat, beruht auf einem Machtwort der Kanzlerin, welches aber auch nur deshalb geschah, weil wir eine für Betreiber offener Netze positive Stellungnahme des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben. Zusammengefasst lässt der EuGH-Generalanwalt deutlich erkennen, dass er erzwungene Sicherungsmaßnahmen bei WLAN für europarechtswidrig hält.

Die Bundeskanzlerin erkennt diese politische Windrichtung und versucht, ihre Partei dahingehend zu orientieren und die Gesetzesänderung des TMG nach der Stellungnahme des EuGH-Generalanwalts auszurichten. Dahinter steckt, dass sich der EuGH in mehr als zwei Drittel der Fälle in seinen Urteilen nach der Stellungnahme der EuGH-Generanwaltes richtet.

Meine Rechtsmeinung dazu ist unverändert, dass das aktuelle Telemediengesetz schon genug Schutz für Menschen bietet, die ihr Internet teilen möchten. Sie werden privilegiert, ohne Ausnahme bezieht sich diese Privilegierung auch auf Unterlassen, so der Wortlaut. Wir haben einzig ein Problem mit der Anwendung des Gesetzes durch unsere Gerichte, die durch die Übertragung der Störerhaftung aus dem BGB ins Internet hier wohl eine Haftungslücke schließen wollten.

Ein lustiges Bild: Eine internationale milliardenschwere Industrie schickt ihre Anwälte reihenweise in Lumpen vor die Amts- und Landgerichte Deutschlands und überzeugt die Richter davon, wie sehr sie finanziell unter den Auswüchsen des Filesharings litten. Und um ihr Geschäftmodell bis auf den letzten Cent durchdrücken zu können, sollen die Gerichte dafür sorgen, dass das Internet vorgeblich kein rechts- oder haftungsfreier Raum mehr sei.

Das gebetsmühlenartige Gejaule dieser Verfechter einer „Haftungslücke“ soll davon ablenken, dass in diesen und anderen gesellschaftlichen Feldern – wenn überhaupt – in zwanzig Prozent aller Haftungsfälle jemand erfolgreich in Regress genommen werden kann.

netzpolitik.org: Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet ja in seiner FAQ aus dem Jahr 2015, die jüngsten Entscheidungen der Gerichte seien „nur untergerichtlich“ und daher nicht maßgeblich. Was genau wurde denn in den sogenannten Freifunk-Verfahren entschieden, die hier angesprochen sind?

RAin Hubrig: Es handelte sich um eine Kostenentscheidung, also grob gesprochen beantwortete das Gericht rein summarisch die Erfolgsaussichten der negativen Feststellungsklage eines Freifunkers positiv. Man kann immer solche erstinstanzlichen Entscheidungen als minderwertig abtun, wenn man sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht auseinandersetzen möchte – ich würde sie allerdings nie „untergerichtlich“ nennen.

netzpolitik.org: Was ist eine solche „negative Feststellungsklage“?

RAin Hubrig: Eine Abmahnung setzt eigentlich eine berechtigte Forderung voraus. Da meine Mandaten und ich davon ausgehen, dass sie unberechtigt ist, muss diese Forderung natürlich in einem Antwortschreiben an den Vertreter der Rechteinhaber bestritten werden, verbunden mit einer Aufforderung, die Forderung zurückzunehmen. Freifunker beispielsweise tun dies regelmäßig, auch mit einer zeitnahen Frist.

Geht die Rücknahme der Forderung nicht innerhalb der Frist ein, kann mittels dieser negativen Feststellungsklage vor dem zuständigen Gericht (in Berlin das AG Charlottenburg) festzustellen beantragt werden, dass die ursprüngliche Forderung nicht besteht. Dies schafft Klarheit. Oft hängen die Forderungen der Abmahner bis zur Verjährung (grob drei Jahre) in der Luft, der Abgemahnte könnte in dieser Zeit jederzeit verklagt werden.

Was ist mit den Kosten bei unberechtigter Abmahnung?

netzpolitik.org: Kann ich denn mein WLAN zuhause nach der derzeitigen Rechtslage bedenkenlos meinen Nachbarn oder Passanten zur Verfügung stellen?

RAin Hubrig: Mein klare Rechtsmeinung dazu: ja, aber nicht bedenkenlos. Aber was kann man heute schon noch bedenkenlos machen? Bei mir holen sich selbst Künstler inzwischen im Vorfeld rechtlichen Rat ein.

netzpolitik.org: Wenn die Abmahnung unberechtigt war, werden dann eigentlich meine Anwaltskosten ersetzt?

RA beata hubig
Rechtsanwältin Beata Hubrig.

RAin Hubrig: Es gibt rechtstheoretisch die Möglichkeit, sich bei einer unberechtigten Abmahnung seine eigenen Kosten bei Einschaltung eines eigenen Anwalts ersetzen zu lassen. Nach ständiger Rechtsprechung bei Abmahnungen im gewerblichen Rechtschutz existiert ein Schadensersatzanspruch aus allgemeinem Deliktsrecht, also § 823 BGB. Hier sagt die Rechtsprechung, der Abmahnende hätte sich durch eine gewissenhafte Prüfung und aufgrund vernünftiger und billiger Überlegung die Überzeugung verschaffen müssen, dass sein Schutzrecht rechtlich besteht. Das sind sehr hohe Voraussetzungen, und dass der Abgemahnte dies auch tatsächlich beweisen kann, ist fast ausgeschlossen, da er fast nie Zugang dazu hat, wie der Abmahnende die vorgebliche Rechtsverletzung im Vorfeld prüft. Weiter ist fraglich, ob diese Rechtsprechung zum gewerblichen Rechtsschutz auch auf das Urheberrecht übertragen werden kann. Für die Übertragung auf das Urheberrecht spricht, dass sich sonst der Abmahner relativ weit mit seinen Abmahnungen bewegen kann, ohne irgendwelchen möglichen Kosten ausgesetzt zu sein, so dass auch Abmahnungen auf gut Glück möglich sind.

netzpolitik.org: Was würden Sie denn betroffenen Bürgern auf den Weg geben?

RAin Hubrig: Ich denke, dass jeder einzelne Betroffene diesen rechtlichen Auswüchsen – diesem Quatsch! – mit Härte begegnen muss. Dazu gehört mindestens, dass den Forderungen deutlich widersprochen wird. Faustregel ist: „Wenn ich es nicht war, bestehen gegen mich auch keine Forderungen.“

Wichtig ist auch, dass die Tatsache als solches benannt wird, nämlich dass dieses Geschäftsmodell der im Industriemaßstab massenhaft abmahnenden Kanzleien auf der Angst vor Anwälten und Gerichtsprozessen beruht. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass durch diese Abmahnpraxis das Ansehen der Juristen erheblich leidet.

netzpolitik.org: Vielen Dank, dass Sie uns für dieses Gespräch zur Verfügung standen.

Beata Hubrig ist Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Datenschutz und Kommunikationsrecht. Sie unterstützt seit Jahren ehrenamtlich Freifunker in ihrem Kampf gegen urheberrechtliche Abmahnungen.

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26 Ergänzungen

  1. Man soll also anstelle des Abmahnanwalts sein Geld dem eigenen Anwalt geben. Zusätzlich hat man das Risiko und den Ärger. Keine sehr sinnvolle Alternative.

    1. Du übersiehst, daß die Anwaltskosten für die eigene Verteidigung nur rund ein Zehntel des von den Abmahnkanzleien geforderten Betrags ausmachen.

        1. Immerhin unterstützt die RAin Freifunker ehrenamtlich. Ein sehr feiner Dienst.

  2. Danke an Constanze und die Rechtsanwältin für das Interview im erfrischenden Stil, das viele Fragen beantwortet.

    Mit den Anwaltskosten ist es so: Eine derartige Abmahnung ist Mist, doch gerade wenn die Gegenseite sieht, dass bei der/dem Beschuldigten keine anwaltliche Vertretung vorliegt, wird mit den fiesesten Tricks und Drohungen gespielt, die leider nur versierte Anwälte als solche enttarnen können. Hat nicht nur damit zu tun, dass alle Anwälte aus finanziellen Vorteilen eine Vertretung empfehlen. :(

  3. Ich hab ehrlich gesagt nicht richtig verstanden was sich jetzt konkret geändert hat.

    Kann das mal jemand in einfachen Worten wiedergeben?

    1. Es liegt kein Gesetzentwurf vor, daher hat sich noch nichts geändert. Und das Hauptproblem der Störerhaftung ist die Abmahnindustrie, gegen die wird nichts unternommen. Die wurde auch von der letzten Großen Koalition geschaffen.

      1. »Was sich jetzt verändert hat, beruht auf einem Machtwort der Kanzlerin, welches aber auch nur deshalb geschah, weil wir eine für Betreiber offener Netze positive Stellungnahme des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben«

        Das ist mir jetzt aber peinlich. Ich bin aber auch blöd. Ich war geblendet von den Worten „Was sich jetzt verändert hat.“ Aber da steht es ja auch ganz deutlich:
        „beruht auf einem Machtwort der Kanzlerin“ – mit anderen Worten „es ruht“ – also nichts ist passiert.

        Danke für die Aufklärung.

  4. Dieses „RAin“ geht ja mal gar nicht.

    Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, ist das jetzt ein Tippfehler mit einem komischen Vornamen, oder ist das ein komischer Nick?

  5. Ich dachte immer, Freifunker nutzen ein Mesh-Netz mit VPN nach Schweden (odér so), wie können die dann als Störer ermittelt werden?

    1. Die Freifunkas haben diesem technischen VPN-Fix gebaut (der nie Teil der Urspungsidee war) damit Menschen ohne Angst weiter freifunken konnten.

      Einige Freifunkas lehnen die Nutzung des Antiangst-VPNs ab und scheuen die mögliche juristische Auseinandersetzung nicht. Wir haben uns parallel auch politisch für die Abschaffung/Klarstellung zur Störerhaftung eingesetzt, u.a. weil uns die dafür nötige Infrastruktur Geld und ne Menge Aufwand kosten. Diese Energie würden wir lieber in die Erweiterung des Gemeinschaftsnetzes stecken. Vor allem aber wird das Netz durch die VPN-Tunnel viel langsamer und die benötigten Gateways stellen zentralistische Instanzen dar, was die Bildung von Machtstrukturen im Netz begünstigen kann, die wir ablehnen.

  6. RAin Hubrig: Gegenfrage: Warum unterschreiben Sie kein Dokument, dass Sie ab heute „keine Ziegen mehr begatten werden“?

    Die Frau ist echt ok! Man weiß ja nie auf was man noch alles Lust bekommt.

    PS: Hat der/die InterviewerIn das Dokument unterschrieben?

  7. Das Interview strotz vor Fehlern.

    Die Unterlassungserklärung ist kein Schuldeingeständnis!

    „Es gibt rechtstheoretisch die Möglichkeit, sich bei einer unberechtigten Abmahnung seine eigenen Kosten bei Einschaltung eines eigenen Anwalts ersetzen zu lassen. Nach ständiger Rechtsprechung bei Abmahnungen im gewerblichen Rechtschutz existiert ein Schadensersatzanspruch aus allgemeinem Deliktsrecht, also § 823 BGB.“.

    Frau Kollegin möge § 97a Abs. 4 Satz 1 UrhG lesen! Es ist ein Spezialgesetzlicher Anspruch der § 823 BGB vorgeht und weit geringere Anforderung hat als der Anspruch aus § 823 BGB .

  8. (4) Soweit die Abmahnung unberechtigt oder unwirksam ist, kann der Abgemahnte Ersatz der für die Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen, es sei denn, es war für den Abmahnenden zum Zeitpunkt der Abmahnung nicht erkennbar, dass die Abmahnung unberechtigt war. Weiter gehende Ersatzansprüche bleiben unberührt.

    Inhaltlich das selbe Problem. Aber nett! Danke!

    1. Hallo Frau Ulrich, nett, dass Sie hier mitlesen. :-) Dieses Hindernis dabei, die eigenen Kosten geltend zu machen, entfällt aber mit dem Antwortschreiben, das die Unrechtmäßigkeit feststellt. Das heißt, für eine negative Feststellungsklage kann ich mir meine Auslagen durchaus vom Abmahner erstatten lassen. Ist das so richtig?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.