Intelligente Videoüberwachung: Regierung will Folgen der Grundrechtseingriffe später reflektieren – vielleicht.

In Zukunft soll „intelligente Videotechnik“ auffälliges Verhalten erkennen und Gesichtserkennung leisten können. Das bedeutet einen noch tieferen Eingriff in die Privatsphäre durch Überwachungskameras. Aber die Regierung macht sich zu diesem Effekt bisher nur wenig Gedanken, zeigt ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage von Konstantin von Notz.

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Immer und immer wieder ertönen die Rufe nach mehr Videoüberwachung und intelligenter Videoüberwachung. Und das, obwohl längst nicht bewiesen ist, dass Videoüberwachung überhaupt einen signifikanten Nutzen bei der Strafverfolgung hat, schon gar nicht bei der Verhinderung von Straftaten. Jüngst forderte das Bundesinnenministerium (BMI) im Rahmen eines Sicherheitspaketes unter anderem „intelligente Videotechnik“ an Bahnhöfen, Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen sowie automatischen Datenabgleich.

Neuregelung „intelligenter Videoüberwachung“ geplant

Heute berichteten die Ruhr Nachrichten über einen Gesetzentwurf des BMI, in dem die Videoüberwachung neu geregelt werden soll. Passend dazu trafen Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Konstantin von Notz ein, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag und Obmann der Fraktion im NSA-Untersuchungsausschuss. Es geht speziell um die sogenannte „intelligente Videoüberwachung“. Die Intelligenz besteht dabei in automatischer Mustererkennung von auffälligem Verhalten. Also beispielsweise der längere Aufenthalt an einem Bahnsteig, Hin- und Herlaufen. Auch das automatische Abgleichen von Videoüberwachungsbildern mit Bildern aus Datenbanken gehört zu intelligenten Videosystemen.

Laut BMI werde derzeit kein intelligentes Videoüberwachungssystem im Verantwortungsbereich des Bundes eingesetzt, aber man stimme sich gerade mit der Deutschen Bahn ab, um den Nutzen der Systeme an einem Pilotbahnhof zu testen. Im Mai wurde bekannt, dass dafür der Bahnhof Südkreuz in Berlin im Gespräch war. Das BMI gesteht ein, bisher keine Erkenntnisse dazu zu haben, wie gut solche Systeme im realen Einsatz funktionieren – gerade bei Beeinflussung durch wechselnde Licht- und Witterungsverhältnisse. Zum Thema der Erkennungsleistung von Gesichtern gehe man aber davon aus, dass sich bei den Systemen in den letzten Jahren „signifikante Verbesserungen“ ergeben hätten:

Hier vorliegende Informationen zu Tests von ausländischen Behörden lassen vermuten, dass die Erkennungsgenauigkeit aktueller Systeme deutlich gestiegen ist.

Tiefere Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung

Videoüberwachung mit Muster- und Gesichtserkennung wirft viele rechtliche Fragen auf, beispielsweise die nach der Verhältnismäßigkeit eines automatischen Datenabgleichs. Aufgrund des Eingriffs in die Privatsphäre wäre zu prüfen, ob derlei Aktivitäten mit dem aus dem Grundgesetz abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar sind. Von Notz kommentiert gegenüber netzpolitik.org, dass „die Überwachung des öffentlichen Raums mit herkömmlichen Kameras bereits eine Gefährdung für das Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger“ darstellt und dies „bei sogenannter ‚intelligenter‘ Videotechnik umso mehr der Fall“ sei.

Das BMI beruft sich darauf, dass die Notwendigkeit einer „verfassungsrechtlichen Neubewertung“ davon abhänge, wie die Technik letztlich genutzt werde. Das spiegelt den Trend wider, erst nach dem Beginn der Nutzung von Systemen zu überlegen, ob diese überhaupt eingesetzt werden dürften. Das konnte man unter anderem bei der Nutzung von Staatstrojanern beobachten, bei denen das BMI den Einsatz auch ohne Rechtsgrundlage für Quellen-Telekommunikationsüberwachung abgesegnet hat. Eine Rücknahme der Befugnisse, die durch den Einsatz der Technik erweitert werden, erfolgt später fast nie.

Auch von Notz sieht drohende Gefahren für Grundrechte:

Die Überlegungen von Thomas de Maizière bezüglich des weiteren Ausbaus der Videoüberwachung sind völlig unausgegoren. Sicherheitspolitisch stellen sie keinen Mehrwert dar, schaffen aber neue Gefahren für die Grundrechte. Es handelt sich hier um kaum mehr als Placebos zur Beruhigung der Öffentlichkeit.

Zumindest plant das BMI nicht, einen Datenabgleich von Videokamerabildern mit zur Ausweiserstellung erhobenen Lichtbildern einzuführen. Die Aussage aus den Pass- und Personalausweisgesetzen, dass eine „bundesweite Datenbank der biometrischen Merkmale“ nicht errichtet wird, gilt weiterhin:

Das Verbot zur Errichtung einer bundesweiten Datenbank der biometrischen Merkmale […] wurde aus sachlichen Erwägungen heraus vom Gesetzgeber festgelegt. Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, dass diese Sachgründe entfallen wären oder zukünftig entfallen könnten.

Bundespolizei hat Zugriff auf ca. 8.000 Kameras an Bahnhöfen und Flughäfen

Aus der Antwort auf die Kleine Anfrage geht weiterhin hervor, dass die Bundespolizei – auch abgesehen von den Plänen für sogenannte intelligente Videotechnik – Zugriff auf eine große Anzahl an Kameras hat: 6.400 Kameras der Deutschen Bahn und 1.730 Kameras allein an den fünf größten Flughäfen in Deutschland.

Bereits 2001 hielt der Bundesdatenschutzbeauftragte in seinem Tätigkeitsbericht fest, es sei Konsens, „dass die Schaffung flächendeckender Beobachtungsmöglichkeiten durch Videokameras zur Verhinderung bloßer Störungen der öffentlichen Ordnung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren ist“. Im Jahr zuvor kamen die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes zu der Entschließung: „Videoüberwachung darf nicht großflächig oder flächendeckend installiert werden.“

Was hält die Bundesregierung davon? Unterstützt sie diese Auffassung? Das bleibt fraglich, denn: „Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung hierzu dauert noch an“ – zu einem Thema und einer Diskussion, die keineswegs zum ersten Mal im Jahr 2000 aufkam. Unabhängige, umfassende Studien zur Wirksamkeit von Videoüberwachung in Deutschland gab es bisher nicht. Dabei wäre das dringend geboten, bevor reflexartig weitere Gesetze erlassen werden, die die Grundrechte vieler beschneiden. Von Notz findet, vor mehr Videoüberwachung sollte etwas anderes stehen:

In beinahe jeder sicherheitspolitischen Diskussion wird von konservativer Seite der Ruf nach dem Ausbau der Videoüberwachung laut. Dabei ist der sicherheitspolitische Nutzen von immer mehr Videoüberwachung höchst zweifelhaft. Videoüberwachung kann zwar einen Teil dazu beitragen, Straftaten im Nachhinein aufzuklären, Taten verhindern kann Technik jedoch nicht. Das kann nur gute Polizeiarbeit. Das haben nicht zuletzt die Vorkommnisse in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof noch einmal gezeigt.

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8 Ergänzungen

  1. Tja … wenn BND und Verfaselungsschutz „Die Terroristen“ im öffentlichen Raum nicht finden können, werden „sie“ vermuten, das diese „Terroristen“ sich im „nichtöffentlichen Raum“ aufhalten und sich dort verstecken!
    … also im „stillen Örtchen“ … im Schlafzimmer … also muss man auch die „nichtöffentlichen Bereiche“ überwachen, damit man endlich die Terroristen finden kann, die ja theoretisch irgendwo sein sollen, weil das die Dienste so behaupten!
    Hui … Life Porn for the Excellence!

  2. Wer mit 8000 „dummen“ Überwachungskameras keine Rauschgifthändler schnappt, schafft das mit „intelligenten“ Überwachungskameras auch nicht. Dass es um „Terroristen“ geht, geht nicht mal als albernes Märchen durch. Es geht IMMER um Profite von Konzernen, denen diese viertklassigen Schnüffler Aufträge verschaffen wollen. Die können ja mal den Frankfurter Bahnhof voll mit Kameras ausstatten und dann beweisen, dass sie überhaupt noch Herr der Lage sind. Dann werden wir ja sehen, wer kriminell, und wer nicht, ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.