IFG-Ablehnung des Tages: Auswärtiges Amt hält Böhmermann-Gutachten unter Verschluss

Jan Böhmermann in Rostock (Foto: Jonas Rogowski, CC BY-SA 3.0)

Das Auswärtige Amt hält seine interne juristische Prüfung zum Fall Böhmermann weiter unter Verschluss. Das geht aus einer Antwort auf unsere Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hervor. Um auf Nummer sicher zu gehen, dass es das offenbar neunzeilige interne Gutachten nicht herausgeben muss, macht das Amt gleich vier der über dreißig möglichen Ausschlussgründe geltend:

Die Veröffentlichung des Gutachtens würde laut Auswärtigem Amt „nachteilige Auswirkungen auf den Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren haben“.

Zur Begründung führt das Amt aus, dass die Unschuldsvermutung staatlichen Stellen Äußerungen verbiete, wonach eine bestimmte Person eine strafbare Handlung begangen habe. Unklar ist allerdings, warum das Auswärtige Amt dann überhaupt ein solches Gutachten anfertigen ließ – wohlgemerkt, bereits bevor es eine Anklage Erdogans gegen Böhmermann gab.

Eine Herausgabe der Informationen könnte nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen Deutschlands zur Türkei haben, da es eine Veröffentlichung des Gutachtens als „Vertrauensbruch“ werten könnte.

Der Ausschlussgrund zu „nachteiligen Auswirkungen auf internationale Beziehungen“ ist ein viel genutzter Gummiparagraph des IFG – danach können Behörden Veröffentlichungen recht willkürlich ablehnen, wenn diese ihrer Ansicht nach negative Folgen für die Bundesrepublik nach sich ziehen könnten. Laut Bundesverwaltungsgericht ist diese Entscheidung dann „nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar“.

Nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen, Ermittlungen, faires Verfahren

Das Gutachten ist offenbar als Verschlusssache VS-Vertraulich gekennzeichnet, die dritthöchste Geheimhaltungsstufe.

Eine Einstufung nach der Verschlusssachenanweisung sollte im Sinne der Informationsfreiheit eigentlich kein legitimer Ausschlussgrund sein. Zum einen muss bei einer Anfrage ohnehin überprüft werden, ob die Einstufung eines Dokuments weiterhin Bestand hat. Zum anderen sollten die anderen Ausschlussgründe nach dem IFG – also etwa negative Auswirkungen auf die innere Sicherheit – ausreichend sein, um eine Herausgabe zu klären. Spricht kein inhaltlicher Grund gegen eine Veröffentlichung, sollte auch die Einstufung eines Dokuments als vertraulich kein Ausschlussgrund sein.

Die Offenlegung des Textes könnte strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigen.

Laut Bundesverwaltungsgericht ist die Beeinträchtigung von Ermittlungen nur dann ein Ausschlussgrund, wenn „das Bekanntwerden der Information den Untersuchungszweck, d.h. die Sachverhaltsaufklärung und Wahrheitsfindung, beeinträchtigt“. Dies würde bedeuten, dass das Auswärtige Amt durch die Veröffentlichung seiner juristischen Einschätzung eine öffentliche Wirkung befürchtet, die die Wahrheitsfindung des Gerichts beeinträchtigt würde.

Damit sollte recht klar sein, dass die juristische Einschätzung des Auswärtigen Amts per Informationsfreiheitsgesetz nicht das Licht der Welt erblicken wird.

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25 Ergänzungen

  1. In dem Gutachten wird die Z-Frage ausgiebig erörtert. Darin sind sensible Daten infrage kommender Ziegen enthalten, u.a. zu Rasse, Herkunft, Geschlecht, Alter, Gesundheitsdaten und Beliebtheit.

    Bitte haben sie Verständnis dafür, dass sowohl Gründe des Datenschutzes als auch §4a der türkischen Verordnung zum Ziegengebrauchsgesetz gegen eine Herausgabe des Gutachtens zum gegenwärtigen Zeitpunkt sprechen.

    Darüber hinaus besteht jedoch wie immer die Möglichkeit, das Dokument auf den üblichen Kanälen zu leaken.

    Wir hoffen, Ihnen mit dieser Auskunft geholfen zu haben.

  2. Zwischen den Zeilen zu lesen macht auch Spaß:
    Demnach wären Erdogan Chancen juristisch negativ.
    Sonst musst man ja keine „nachteilige Auswirkungen“ auf die Beziehungen zur Türkei befürchten.
    Die strafrechtlichen Ermittlungen wären ebenfalls nicht beeinträchtigt.
    Die politisch opportune Strafjustiz der 60er Jahre lässt grüßen.

  3. Wen interessiert denn die 19-zeilige Einschätzung eines kleinen Hausjuristen aus dem Auswärtigen Amt? So etwas würde ich wirklich nicht als „Gutachten“ bezeichnen.

    Die Rechtsauffassung des Auswärtigen Amtes ist im Fall Böhmermann (Klärung der Frage ob Beleidigung ja/nein) etwa so interessant wie die Meinung vom Wasser- und Schifffahrtsamt.

  4. Döpfner hat ja jetzt auch bald eine Anklage am Hals, weil er Böhmermann zu diesem Gedicht gratuliert hatte … ich finde, das dies tief in das halb Leere Glas unserer Meinungsfreiheit blicken!

    1. Das zeigt nur, dass unsere Justiz funktioniert. Jammern kannst du, wenn er tatsächlich verurteilt wird.

    2. @Habo
      Döpfner,als Vorsteher der Hetzblattzeitungen,BLÖD und Co,geriert sich als Bürgerrechtler und Verfechter von Meinungsfreiheit,mehr Heuchelei geht kaum.

  5. Vielleicht möchte man aufgrund der öffentlichen Unterstützung für J.B. die Öffentlichkeit nicht wissen lassen, dass das Gutachten eine Beleidigung bejaht und eine Strafverfolgung befürwortet. Die Äußerungen von Frau M. („beleidigend“) und die Ermächtigung der Bundesregierung nach § 103 StGB. gehen genau in diese Richtung.

    Mit einer Offenlegung würde man sich in der öffentlichen Meinung quasi selber versenken. Zumal Herr E. aus der Republik Türkei so ziemlich jeden, der nicht seine Meinung verkündet (Journalisten, Schüler, Studenten, Kurden, …), als Terroristen bezeichnet, was in der Bundesregierung bis heute nicht einmal zu Widerspruch geführt hat.

    1. Sehe das ähnlich, sowohl die Kanzlerin als auch das Auswärtige Amt haben ein etwas weiteren Fokus, als Herr Böhmermann oder irgendwelche Anfragesteller, für die nur der persönliche Aufmerksamkeitsgewinn im Vordergrund steht. Sicher mag selbst das AA die Gebärden eines Herrn Erdogan nicht, aber man braucht ihn halt, nicht nur bis morgen, wenn hier längst die übernächste Ziege – äh Sau – durchs Dorf getrieben wird. Allein deswegen ist diese Ausnahme im IFG gerechtfertigt und wird nie fallen.

      1. Meine Ausführungen sind so zu verstehen, dass griechische künstlerische Aufmachungen eine deutschen Kanzlerin mit Oberlippenbart und Hakenkreuzen und entsprechende verbale Äußerungen nicht notwenigerweise zu juristischen Auseinandersetzungen führen muss. In einer Demokratie muss man sich daran gewöhnen, gewisse Dinge zu ignorieren.

        Dazu bedarf es auch keiner Ausnahmen des IFG. Den „etwas weiteren Fokus“ des AA werte ich eher als Blindflug.

        1. Richtig interessant wirds, wenn Davutoglu, Dündar und Co. in Deutschland um Asyl bitten.

        2. … das ist das Privileg eines solchen Despoten … er darf die Handlungen seiner Bürger anders gewichten, als die Handlungen der Untermenschen!

  6. Wenn die Veröffentlichung des Gutachtens einen „fairen Prozess“ verhindern würde, dem Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland schaden könnte und die Ermittlungen beeinträchtigt werden könnten, ist der Inhalt doch bereits offenkundig ;-)

    Man kann sich also gut vorstellen, wie in nur neun (9!) Zeilen ausgeführt wurde, dass ein Despot, der rund 2000 Menschen bereits wegen Beleidigung verklagt hat, diplomatisch in diesem Gutachten zusammengefaltet wurde. Würde das Gutachten offen auf dem Tisch liegen, wäre es noch wahrscheinlicher, dass man dem Beispiel aus Köln folgt und die Klage zurückweist.

    Immer wieder hört man übrigens das dämliche Argument, dass die Beziehungen zur Türkei wegen der Flüchtlingsfrage für Deutschland wichtig wären. Betrachtet man diesen Sachverhalt mal etwas abstrakter, dann wäre auch für jemanden, von dem Schutzgeld erpresst wird, das Verhältnis zu seinem Erpresser von großer Bedeutung. Allen wäre aber in diesem Fall bewusst, dass der Betroffene nur so lange seinen Verpflichtungen unter vollständiger Selbstaufgabe nachkommen kann, bis er vollständig ruiniert ist. Eine Beziehung, die aus einer Erpressung resultiert, sehe ich daher weniger als „schützenswert“ an, weshalb ich sowohl die Entscheidung der Kanzlerin verwerflich finde, wie auch den gesamten EU-Türkei-Deal, der wohl bereits im Juni ohnehin nur noch Makulatur sein dürfte.

  7. Möglicherweise würde das Gutachtens Erdogan erzürnen, möglicherweise Merkel unangenehm ins Rampenlicht stellen. Das es überhaupt soweit kommen musste ist schon falsch und feige als auch durchsichtig! Da nun mal der Paragraph im Gesetz verankert ist, wird es sicherlich auch zu einer Verurteilung kommen. Dieser Majestätsbeleidigung-Paragraph sieht ausdrücklich einen politischen Vorbehalt vor und hätte schon im vergangenen Jahrhundert vom Verfassungsgericht gestrichen werden müssen. Dieses „ja“ der Kanzlerin war wohl aus Ihrer politischen Sicht zum Türkei-Deal nicht zu vermeiden. Hätte es sich um Putin gehandelt, wäre ein „nein“ – sofort gekommen. So lässt sich die EU und vor allem wir uns weiter am Nasenring durch die Manege führen.

  8. Das Merkel, Gauck und einige andere „Volksvertreter“ sich nicht hinter Böhmermann stellen, das zeigt mir persönlich deren Charakter sehr gut.

    Was mir fehlt, was ich bisher nirgends las, ist eine inhatliche Auseinandersetzung.

    Wird man auch strafrechtlich belangt wenn man folgendes Beispiel veröffentlicht?
    Zum Beispiel ist ja auch verboten den Holocaust zu verleugnen.
    Ich distanziere mich vollumfänglich von dem Inhalt folgender Aussage und führe es nur als Beispiel an: „Der Holocaust war nicht schlimmer als ein Kindergeburtstag“ Diese schändliche Verharmlosung des Holocaust wäre meines Wissens strafbar, oder?
    Darf man jetzt solche Beispiele auch nicht mehr anführen? Auch nicht zur Aufklärung oder wie in diesem Beispiel, um ein Beispiel zu finden, einer ähnlichen strafbaren Aussage?

    Wenn es nicht strafbar ist ein solches Beispiel zu veröffentlichen, spielt es dann eine Rolle ob es sich um einen Satz oder um ein ganzes Gedicht handelt?
    Wenn die Intention eine Rolle spielen würde, wäre dass dann nicht eine Art „Gedankenpolizei“?
    Und wenn die Intention war, nicht den Präsidenten zu Beleidigen, sondern unsere Redefreiheit zu verteidigen, hätte Böhmermann dann nicht ein Bundesverdienstkreuz verdient?
    Und hat sich Böhmermann nicht vorher und nachher ausdrücklich vom Inhalt distanziert, so wie ich das nun auch noch mal aufrichtig hier tue. Denn Ich denke sehr wohl dass Erdogan Menschenrechte hat und keines Falls möchte ich den Holocaust relativieren.
    Ich denke jedoch das Präsidenten keine Extrawurst bekommen sollten. Weder der türkische noch unser Präsident. Ich denke auch, es kann nicht sein, dass auf der einen Seite ich als Bürger, einen „Ausländer“ wie Erdogan nicht rechtlich belangen kann für etwas das er tut, Erdogan mich, als Bürger Deutschlands, aber rechtlich belangen kann. Das wäre für mein Empfinden nicht fair.

  9. „…dass die juristische Einschätzung des Auswärtigen Amts per Informationsfreiheitsgesetz nicht das Licht der Welt erblicken wird.“

    *LACH* kurz und trocken. Was soll da schon drinstehen. zum Vorteil von Herrn Erdogan.
    Klartext “ könnte nachteilige Auswirkungen auf die Beziehungen Deutschlands zur Türkei haben“,
    er wäre noch beleidigter.
    Vergleicht die Cableleaks(wikileaks) mit der PR in den Medien. Die NSA Manuals(Edward Snowden) mit der, insbesondere vor deren Veröffentlichung, Nebelmaschine der Regierungs-PR, und dem „alles ALUhut“-Geplapper in den Foren.
    Öffentliche Kommunikation ist keine private Kommunikation! Falls der Unterschied überhaupt noch verstanden wird.

    1. Wenn ein Abgeordneter ihn in seiner Rede als Ziegenficker beleidigt, kann er nicht strafverfolgt werden, da er Abgeordneter ist, wenn ein Satiriker ihn in seinem Werk mit einem Ziegenficker vergleicht, fällt das nicht unter künstlerische Freiheit, soweit jedenfalls Hr. Gysie und sein seltsames Verständnis unserer westdeutschen Rechtsordnung.

  10. Das Gutachten betrifft juristische Fragen. Das Gutachten nicht zu veröffentlichen, ist wie die ganze causa Böhmermann eine politische Entscheidung.

    Juristische Fragen gibt es ausreichend. Auch wenn sich alle Welt wie selbstverständlich auf die materielle Frage gestürzt hat, sind formale Fragen viel interessanter. Eine davon ist die Inlandsgeltung des § 103 StGB, denn es ist ein nicht zu erklärender Wertungswiderspruch der Güter, wenn Erdogan bei einem Angriff auf Leib und Leben nach § 102 StGB nur im Inland geschützt wäre, bei einer Ehrverletzung aber zusätzlich auch im Ausland. Eine Straftat ist bei Distanzdelikten dort begangen, wo der Erfolg eintritt. Erdogan ist als Ausländer im Ausland betroffen. Nach dem Territorialprinzip ist deutsches Strafrecht formal grundsätzlich gar nicht anwendbar. Allenfalls wäre § 130 StGB zu prüfen.

      1. Das ist erstens eine zivilrechtliche Auseinandersetzung und zweitens noch nicht rechtskräftig und drittens als einstweilige Verfügung ein Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache.

        „Damit ist auch klar, dass Herr Böhmermann sich strafbar gemacht hat.“ (Ralf Höcker) ist zudem wirklich absurd – und er weiß es auch besser. Schlecht gebrüllt, Löwchen, kann man Höcker nur zurufen.

        1. Schon … allerdings zeigt doch schon die einstweilige Verfügung, den vorauseilenden Gehorsam unserer Gerichte!
          Die Kanzlerin hat die Richtung festgelegt, das Innenministerium pflichtet ihr bei … die Justiz?
          Wird sie es wagen zu widersprechen?
          Wir dürfen gespannt sein!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.