Gar nicht mal so neu: Leistungsschutzrecht in historischer Linie

Tendenziell gefährlich für etablierte Geschäftsmodelle und das öffentliche Interesse: Neue Medien

Eine vergleichende Studie der University of British Columbia und der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover vergleicht die strategischen Abwehrmechanismen etablierter Medien gegen „neue“ Medien und zeigt auf: Die konzertierte Lobbyarbeit deutscher Medienunternehmen für ein sogenanntes „Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ weist erhebliche Ähnlichkeiten mit einem Fall auf, der beinahe 100 Jahre zurückliegt. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts versuchte Wolffs Telegraphisches Bureau, damals wichtigste deutsche Nachrichtenagentur, sich durch die Schaffung eines neuen Nachrichtenschutz-Gesetzes gegen die Verbreitung von Agenturmeldungen durch öffentliche Radiostationen zu wehren. So sollte das eigene Geschäftsmodell des Nachrichtenverkaufs an Zeitungsverlage geschützt werden.

Die Autoren der „Changing the Rules of the Game“-Studie beschreiben das Abwehrvorgehen der etablierten Medienunternehmen damals wie heute als „strategische Institutionalisierung“: Um ihr Geschäftsmodell abzusichern, versuchen etablierte Medienunternehmen aktiven Einfluss auf die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen des Medienwesens zu nehmen. Das Urheberrecht wird den Autoren zufolge in beiden Fällen unter Verwendung von Diebstahl-Rhetorik als eine Form „reaktiven Widerstands“ in Stellung gebracht. In beiden Fällen erweisen sich laut der Forscher zudem vor allem Hinweise auf eine Gefährung des öffentlichen Interesses durch ausländische Unternehmen als zielführend, um Politiker für die Etablierung neuer rechtlicher Regeln zur ökonomischen Absicherung etablierter einheimischer Medienunternehmen zu gewinnen.

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7 Ergänzungen

  1. Der Nachrichtenschutz für das Wolffsche Telegraphen-Bureau ist nicht aus dem 19. Jahrhundert, sondern aus dem 20.Jahrhundert und wurde von 1927-1932 diskutiert – bevor die Nazis die Firma verstaatlichten und zum „Deutschen Nachrichtenbüro“ (DNB) umbauten.
    Eigentlich reicht der Gedanke des Leistungsschutzes viel früher zurück, sogar viele Jahrhunderte vor dem Entstehen des Urheberrechts, siehe Raubdruck und Druckerprivileg https://de.wikipedia.org/wiki/Raubdruck wo Verlage sich dem jeweiligen Machthaber vorbehaltlos unterstellten, der im Gegenzug Strafverfolgung versprach. Das ist der eigentliche Leistungsschutzgedanke, eine unselige Mischung aus Zensur und Strafe in Arbeitsteilung.

    1. Hi Jörg,
      selbstverständlich muss es „20. Jhdt.“ heißen, habe den Flüchtigkeitsfehler korrigiert – vielen Dank für den Hinweis!
      Grüße
      Ingo

  2. Die „20er Jahren des 19. Jahrhunderts“ sind allerdings schon beinahe 200 Jahre her. „Radiostationen“ lässt mich vermuten, dass es eher um’s 20. Jahrhundert geht?

  3. Mit der Frage, wie sich das Urheberrecht vergangener Jahrhundert (also in der Gutenberg-Galaxie) auf die Einkünfte von Autoren und Verlegern auswirkte, ist Eckhard Höffner (Geschichte und Wesen des Urheberrechts) nachgegangen und zu interessanten Ergebnissen gelangt. Weil es in Großbritannien ein umfassendes und strafbewehrtes Urheberrecht schon seit 1710 gab, während es in den deutschen Ländern erst 1837 flächendeckend eingeführt wurde, lassen sich aufschlussreiche Vergleiche anstellen. Fazit: In der urheberrechtsfreien Zeit in Deutschland sind im Vergleich zu Großbritannien nicht nur mehr Bücher in höherer Auflage erschienen, sondern die Autoren – und zwar sowohl die literarischen Koryphäen als auch die Verfasser der unzähligen, heute längst vergessenen Gebrauchsschriften – durften mit erheblich höheren Einkünften rechnen. Das erklärt sich daraus, dass der Raubdrucker allein durch die potentielle Möglichkeit, dass er auf den Plan treten könnte, den autorisierten Verleger daran hindert, seine Marktmacht gegenüber dem Autor auszuspielen. Genaueres unter http://spaeterlesen.de/page4.html oder natürlich bei Eckhard Höffner selbst.

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