Digital Refugee Labs: Mit Design-Methoden Geflüchteten helfen

Bei einem Workshop des Digital Refugee Lab kamen am Wochenende in Leipzig Menschen zusammen, um gemeinsam digitale Lösungen für die (manchmal sehr analogen) Probleme von Geflüchteten zu entwickeln.

digitalrefugees1Am Ende kleben an den Wänden erste Papier-Prototypen und viele bunte Post-its, vollgeschrieben mit Ideen, Notizen, Fragen. Das bunte Kreativchaos an den Wänden zeigt, wie intensiv die mehr als zwanzig Teilnehmer des Digital Refugee Lab Kick-Off in den vergangenen Stunden in den Räumen des Basislagers Coworking in Leipzig gearbeitet haben. Digitale Lösungen für die (manchmal sehr analogen) Probleme von Geflüchteten entwickeln – das war das Ziel der Veranstaltung. Und das Konzept ging auf: Nach der letzten Arbeitsphase stellen mehrere Gruppen ihre konkreten Projektideen oder teilweise sehr ausgefeilten Verbesserungsvorschläge für bestehende Projekte vor. Beispielsweise eine App, die Frauen bei Gewaltübergriffen helfen soll. „Jedes Mal, wenn man sie herunterlädt, bekommt die App automatisch einen neuen Namen“, erklärt eine Teilnehmerin aus dem Team. Diese Funktionalität soll die Frauen schützen: „Wenn der Partner etwas mitbekommt, könnte das sehr gefährlich werden.“ Denn die App könne beispielsweise unkompliziert Kontakt zur Polizei oder einer Beratungsstelle herstellen.

Sollte eine solche Idee Realität werden, könnte sie einigen Menschen tatsächlich helfen. Das jedenfalls ist das Ziel von Code for Germany, einem Programm der Open Knowledge Foundation Deutschland. Eigentlich handelt es sich hierbei um ein deutschlandweites Netzwerk, bestehend aus Ehrenamtlichen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten, die durch digitale Hilfsmittel ihre Städte oder Nachbarschaften besser machen wollen. In Deutschland gibt es bislang 25 Treffpunkte für Aktive. Finanziell gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, widmen sich vier dieser sogenannten OK Labs bis Oktober den Bedürfnissen und Problemen Geflüchteter. Leipzig bildet den Auftakt der Refugee Labs, in den kommenden Wochen werden noch Hamburg, Berlin und Karlsruhe folgen.

„Im vergangenen Jahr gab es mehrere Hackathons zum Thema, und wir wollten diesen Impuls durch die Digital Refugee Labs verstetigen“, erklärt Elisabeth Lindinger, eine der Organisatorinnen des Formats. Da es sich bei den Digital Refugee Labs um eine neue Idee handelt, konnten die Veranstalter den möglichen Output im Vorhinein nur schwer abschätzen: „Das Stichwort, das am meisten gefallen ist, war ‚ergebnisoffen‘. Unser Ziel war es, Initiativen mit Entwicklern zusammenzubringen, und im schlechtesten Fall, Menschen nur zu vernetzen“, sagt Lindinger.

Neu ist auch die Herangehensweise an die Ideenentwicklung selbst, auch für die Organisatorinnen, sagt Lindinger. Im Workshop führen zwei Trainer durch den „Design Thinking“-Prozess. Hierbei geht es darum, Design-Konzepte auf Ideenfindungsprozesse zu übertragen und vom Nutzer aus zu denken. Visualisierung ist wichtig, Quantität auch. Deshalb werden auch die Leipziger Teilnehmer von den Coaches darauf gedrillt, immer wieder Ergebnisse zu präsentieren.

Die Taktik funktioniert erstaunlich gut, weil sich die einzelnen Arbeitsphasen mit greifbaren Etappenzielen in schneller Taktung abwechseln – 15 Minuten für eine Problemdefinition, 20 Minuten für die Lösung. Eine überdimensionierte Eieruhr pro Team macht die Umsetzung diese Arbeitsweise erst möglich. Immer wieder folgen Feedback- und Präsentationseinheiten. Bei dieser Form des Teamworks merken die Teilnehmer kaum, wie viel sie schon gearbeitet, konzipiert und prototypisiert haben und dass sie Pausen schlichtweg vergessen.

digitalrefugees2Ein weiterer Mehrwert des Workshops liegt in der Diversität der Teilnehmenden. Dass eine möglichst heterogene Gruppe mit einer Vielzahl von Ausbildungen, Interessen oder Berufsrichtungen zusammentrifft, um gemeinsam kreativ zu werden, ist fester Bestandteil der Kreativ-Methode. Auch zum Leipziger Digital Refugee Lab bringen einige das technische Wissen mit, andere bezeichnen sich selbst als eher „analog denkend“, arbeiten aber beispielsweise in der Geflüchtetenhilfe und wollen sich mit den Techies vernetzen. Die wollen ihrerseits auch Kontakte dorthin knüpfen, wo ihre Unterstützung gebraucht wird: „Wir haben Zeit und Manpower, wissen aber nicht immer, wo wir sie am sinnvollsten einsetzen können“, sagt Max Brauer, Co-Organisator der Leipziger Ok Labs.

Spätestens am Abend ist klar, dass die Strategie des Kreativ-Treffens aufgegangen ist. Viele Teams mit guten Ideen und Prototypen haben sich gefunden, etwa das Team von Hoaxmap. Auf hoaxmap.org werden Gerüchte über Verbrechen gesammelt, von denen Facebook-User oder andere behaupten, sie seien von Geflüchteten verübt worden. Sortiert nach Orten stehen auf der Webseite das jeweilige Gerücht und seine Widerlegung. Vor dem Workshop hakte die technische Umsetzung der Seite noch an einigen Stellen. Beim Digital Refugee Lab haben sich versierte Mitstreiter gefunden, die in den nächsten Wochen helfen wollen, das Projekt zu verbessern. Obwohl der Tag an sich schon anstrengend war, liegt die größte Herausforderung noch vor den kleinen Gruppen – die langfristige Umsetzung ihrer Ideen. „Ich wünsche mir sehr, dass die Projekte weitergehen“, sagt eine Teilnehmerin zum Schluss. Das ist auch der Anspruch der Organisierenden: Bereits im Oktober sollen die Projekte gemeinsam evaluiert und präsentiert werden.

Die kommenden Termine:

  • Kick-Off Berlin: 25. Juni 2016
  • Kick-Off Karlsruhe: 02. Juli 2016
  • Kick-Off Hamburg: TBA

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

3 Ergänzungen

  1. Tolle Idee! Dann meldet man als Propagandist einfach alle Verbrechen als „Gerüchte“ an, sucht sich die am meisten heruntergespielte Pressemitteilung, nimmt als Referenzpunkt die am meisten hochgespielte Bild-Kolumne und am Ende sind Ideologen und Täter glücklich. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf … besser kann man Opfer nicht verhöhnen. Und die Probleme können ausgeblendet und zum Gerücht erklärt wachsen – anstatt dass man sich eine für alle gerechte und unaufgeregte Lösung überlegt.

    Sorry, aber wenn ich die Verbrechen in der Presse mit denen vergleiche, die ich – ohne Facebook – von Freunden und Bekannten erfahre, die bei Polizei, in der Landeserstaufnahmebehörde oder in Geschäften aus erster Hand bei der täglichen Arbeit erleben, dann weicht die Berichterstattung eher in die verharmlosende oder gar verleugnende Richtung ab. Was aber gar nicht so an der Presse liegt, sondern daran, dass es von Vorgesetzten nach außen hin offiziell Redeverbote über dieses heikle Thema gibt, um das Ansehen des Betriebes bzw. der Behörde nicht zu beschädigen. Also werden sicher viele echte Verbrechen als Hoaxes auftauchen.

  2. Hallo Rebecca, danke für den schönen Artikel, den ich leider viel zu spät erst sehe! Ich war im Mai mit dabei in Leipzig. Es war ein ausgesprochen intensiver Workshop!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.