Das Spiel des Lebens: Auf Highscore-Jagd im US-Wahlkampf

Politiker in den USA nutzen die Möglichkeit, Wähler auch zu „Spielern“ zu machen. Der Trend, aus dem Wahlkampf einen Wettkampf für jeden zu machen, soll die Mobilisierung und Motivation von Unterstützern verbessern. Die „Gamification“ ist nichts vollkommen neues, Präsidenschaftskandidaten haben diese aber gerade für sich entdeckt.

Das Smartphone einer Unterstützerin von Hillary Clinton (Archivbild) Foto: Gage Skidmore CC BY-SA 2.0

Der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf wird wie in kaum einem anderen Land medial inszeniert. Zu jedem Wahltermin werden große Mengen an Unterstützern und Daten organisiert, um auch jeden potentiellen Wähler anzusprechen. Natürlich nutzen die verschiedenen Kandidaten dabei alle ihnen zur Verfügung stehenden technischen Mittel.

Einige Kandidaten gehen dieses Mal noch einen Schritt weiter. Ihre Kampagnen haben Apps veröffentlicht, die es Unterstützern ermöglichen, spielerisch ihren Favoriten zu unterstützen. Anstatt nur passiv Informationen aufzunehmen, sollen die „Spieler“ zu einem Teil der Kampagne werden. Solche Apps sind nur ein Beispiel von unzähligen für einen Trend, der sich unter dem Begriff „Gamification“ zusammenfassen lässt. Man hofft, damit unter anderem die Motivation der Unterstützer zu vergrößern.

Ein im amerikanischen Wahlkampf weit verbreitetes Mittel ist das sogenannte „Klinkenputzen“ (englisch: canvassing). Dabei arbeiten meist Freiwillige Listen mit privaten Adressen ab, klingeln bei diesen und versuchen, die Bewohner von dem eigenen Kandidaten zu überzeugen. Wer einmal im Gespräch war, wird registriert und beispielsweise als „Unterstützer“ oder „Unentschlossen“ im eigenen System verzeichnet. Letztere können sich direkt auf erneute zukünftige Besuche einstellen.

Viele der Präsidentschaftsbewerber haben mit Apps versucht, hier ihren Erfolg zu steigern. Das Grundgerüst ist bei allen gleich: Ein gutes Beispiel hierfür ist John Kasich. Er hat mit seiner App Informationen zu seiner Kampagne verbreitet und damit die Unterstützung und das Spenden vereinfacht. Die freiwilligen Helfer werden direkt mit den neuesten Informationen und Argumenten für den nächsten Besuch gewappnet. Bereits vor vier Jahren hatte Obama mit einer ähnlichen App großen Erfolg erzielt.

Stimmenfang als Wettbewerb

Diese Art der Stimmenwerbung wollte auch Bernie Sanders durch eine App unterstützen. Im Gegensatz zu Obamas und Kasichs Angeboten wurde aber der gesamte Prozess während der Vorwahlen digitalisiert. Nicht nur wurden die Adresslisten durch digitale Karten ersetzt, auch Änderungen der persönlichen Informationen der Befragten und deren Antworten konnten direkt in die App eingegeben werden.

Doch es gab noch ein anderes Element, das die App herausstechen lässt: Für jede Aktion erhielt man Punkte. An einer Tür klopfen: 5 Punkte! Die politische Einstellung von jemandem eintragen: 10 Punkte! Alle gesammelten Punkte konnte man dann noch mit seinen Freunden, seinem Bundesstaat oder sogar dem gesamten Land vergleichen. Doch warum fängt eine politische Bewegung an, seine Unterstützer mit Punkten zu belohnen und mit Ranglisten zu vergleichen?

Indem man solche Spielelemente in einen Prozess einbaut, erhofft man sowohl die Motivation als auch die Leistung zu steigern. Dass so etwas funktionieren kann, kennt wahrscheinlich jeder selbst aus der eigenen Kindheit. Man erschafft mit seinen Spielzeugen eine eigene Welt. Man misst sich mit anderen, wer es schafft, länger ruhig zu bleiben oder wer als erster zu Hause ankommt. „Spielen“ tun wir nicht nur, wenn wir vor einem Brettspiel oder World of Warcraft sitzen, das Prinzip des Spiels ist fest in vielen Bereichen unseres Alltags eingebaut. „Spielend lernen“ ist keine hohle Phrase, sondern beschreibt, dass wir durch Spiele soziale Regeln und Fähigkeiten lernen; und dies meist besser als würde uns nur jemand davon erzählen. Gamification beschreibt das Phänomen, solche „Spieltriebe“ in einem eigentlich spielfremden Kontext zu nutzen.

Ich will doch nur spielen

Natürlich gibt es keine universale Definition, was ein Spiel ist und was nicht mehr, aber Beispiele können das Prinzip von Gamification gut aufzeigen. „Zombies, Run“ zum Beispiel soll zum Laufen motivieren. Über Kopfhörer erzählt die App dem Läufer eine Geschichte, dieser wird quasi in eine post-apokalyptische Welt versetzt. Läuft er zu langsam, werden Zombiestimmen lauter. Fangen lassen darf man sich nicht, und durch erfolgreich absolvierte Läufe kann man eine Basis aufrüsten. Die Motivation, im Spiel voranzuschreiten, soll zum Laufen anregen.

Andere Fitnessapps transportieren uns zwar nicht in eine „Spielrealität“, verfolgen aber durch Punkte und Ranglisten gleiche Ziele. Erste Krankenkassen lassen solche Punktesysteme bereits in ihre Tarife einfließen, was nicht nur Datenschützern Sorge bereitet. Hier besteht das Risiko (oder je nach Ansicht der Vorteil), dass der eigentliche Sinn und Zweck der Aktion im Spiel verlorengeht, also dass Mittel und Ziel sich vertauschen.

Während für ein Unternehmen das Spiel für bessere Leistung sorgt, ist für den Nutzer bessere Leistung nur noch ein Mittel für bessere Punkte. Man kann spielend Programmieren oder Sprachen erlernen. Man kann das langweilige Aufräumen und Putzen der Küche in ein Spiel verwandeln und es so interessanter machen. Die Methoden können sehr divers sein. Sowohl eine Punktevergabe für bestimmte Aktionen, als auch Ranglisten und Highscores kommen typischerweise vor. Aber auch Dinge wie Fortschrittsbalken, Auszeichnungen und freizuschaltende virtuelle Güter werden in diesem Kontext benutzt. Dies bringt uns zu den Apps von Hillary Clinton und Ted Cruz.

„Wenn du dich gut kümmerst, kriegst du vielleicht Besuch von ein, zwei besonderen Gästen“

Seit Ende Juli bietet Hillary Clinton durch ihre Kampagne eine App an, die fast alle ihre Mitstreiter in Sachen Gamification in den Schatten stellt. In Sims-ähnlicher Manier wird man zum Leiter einer Zentrale der Wahlkampfkampagne. Dazu müssen am besten täglich mehrere kleine Aufgaben erledigt werden. Ob man nun seine Handynummer einträgt, um fortan von Hillary Nachrichten zu bekommen, ein Quiz beantwortet oder einen Treueschwur auf Hillary leistet – alles gibt Punkte. Man sieht direkt, wie viele Punkte zum Tagesziel fehlen, um auch ganz sicher „Donald Trump aus dem Weißen Haus herauszuhalten“.

Mit gesammelten Punkten kann man sich nicht nur mit anderen Unterstützern beziehungsweise Spielern messen, sondern auch neue Einrichtungsgegenstände für die virtuelle Zentrale kaufen. Mit genügend Punkten lässt sich sogar ein Autogramm der Präsidentschaftskandidatin erkaufen. Wer „für“ Hillary ein Quiz vollständig richtig beantwortet, bekommt eine Auszeichnung. Fast jede Aktion, ob es Freunde einladen oder Werbevideos angucken ist, wird belohnt. Und wer die tägliche „Herausforderung“ überspringen oder nicht machen will, verliert wieder Punkte. Das Ganze ist gepaart mit vagen Versprechen, dass gute Spieler in ihrem virtuellen Büro „besondere Gäste“ zu Besuch bekommen könnten. Im Gegensatz zu der App von Bernie Sanders wurde nicht einfach irgendwo ein Spielelement eingebaut. Der Fokus liegt eindeutig auf einem Spielerlebnis.

Screenshots aus der „Hillary 2016“-App
Screenshots aus der „Hillary 2016“-App

Die App „Cruz Crew“ von Ted Cruz gibt es schon etwas länger, wurde allerdings von der Firma „ucampaign“ entwickelt, die baugleiche Apps bereits für die Waffenlobby-Organisation National Rifle Association (NRA) oder den dominikanischen Präsidenten Danilo Medina bereitgestellt hat. Im Gegensatz zu der App von Clinton hat sie zwar ein paar weniger Elemente, Ranglisten und Auszeichnungen dürfen aber natürlich auch hier nicht fehlen. Die Möglichkeit zur Spende und zum Lesen ausgewählter Artikel über den Wahlkampf bieten beide Apps natürlich auch noch. Die gesamte „Hillary 2016“- und auch die „Cruz Crew“-App wirken allerdings durch und durch wie ein Spiel, die politische Werbung fällt fast nicht mehr auf. Es lohnt sich, einzelne Aspekte dieser Apps genauer zu betrachten.

Screenshots aus der „Cruz Crew“-App
Screenshots aus der „Cruz Crew“-App

Überzeugung oder Ehrgeiz?

Man kann aus den Apps heraus direkt Nachrichten an Freunde schicken oder selbst auf Twitter oder Facebook posten. Ähnliche Funktionen bot selbst die App von Obama im letzten Wahlkampf schon an. Dieser hatte mit seinen beiden Kampagnen stark auf die Nutzung von Social-Media-Plattformen gesetzt und so versucht, große Massen von vor allem jungen Wählern zu mobilisieren. In einer Zeit, in der für viele Menschen ein soziales Netzwerk zur primären Nachrichtenquelle geworden ist, wird auch mein Freund zum Nachrichtensprecher. Freunde, die politische Statements oder Links teilen, setzen ihren eigenen Namen darunter.

Was sich nun ändert, ist allerdings die Art und Weise, wie man von jetzt an solche Social-Media-Posts lesen muss. Findet man hier wirklich die politische Meinung eines Freundes oder möchte er sich nur nicht in dem Spiel abhängen lassen? Auf die Spitze getrieben: Kann man persönliche Nachrichten über Hillary überhaupt noch als politisches Statement wahrnehmen? Das Prinzip kann man natürlich noch ausweiten. Bei Ted Cruz ist das Spenden sogar an Punkte gekoppelt – sicherlich in der Hoffnung, mehr Spenden einzusammeln. Das heißt im Umkehrschluss: Er hat wahrscheinlich mehr Geld für seine politische Kampagne bekommen, nicht nur weil Leute seine Politik unterstützten, sondern auch, weil ein Spiel sie dazu gebracht hat.

Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters

Die App von Clinton wirbt bei Nutzern damit, zu einem Experten in den Wahlkampfthemen zu werden. Man kann sich „briefen“ und danach testen lassen. Dazu stehen die aus vielen Quiz-Shows bekannten Auswahlmöglichkeiten zur Wahl. Ebenso wird man durch „Wahr-oder-Falsch-Fragen“ geprüft. Hierbei kann es leicht geschehen, dass man das Spiel nicht mehr als das wahrnimmt, was es ist: ein Wahlkampfmittel. Gerade durch Quizfragen, in denen die „richtige“ Antwort belohnt wird, suggeriert die App eine Wahrheit, die es in Wahrheit gar nicht zu geben braucht.

Ein reales Beispiel: „Wie sehr hätte die amerikanische Wirtschaft 2014 davon profitiert, wenn Frauen genauso bezahlt würden wie Männer?“ Zur Auswahl stehen hohe Milliardenbeträge. Einmal abgesehen von der Unmöglichkeit, eine exakte Zahl wissenschaftlich zu ermitteln, wird durch die Antwortmöglichkeiten bereits bestimmt, was man sich politisch merken soll: Würden Frauen mehr verdienen, hätten wir alle davon profitiert. Auch wenn man dieser Zusage zustimmt, geht unter, dass sie mindestens so politisch wie wissenschaftlich ist.

Würde Donald Trump in einer vergleichbaren App fragen: „Wie viel weniger Amerikaner wären 2014 gestorben, wenn man alle Mexikaner ausgewiesen hätte?“, wird eindeutig, dass das Ziel solcher Quizze nicht das Testen von Wissen ist. Durch implizite Annahmen in der Frage und durch klare Begrenzung der Antworten wird ein politischer Inhalt kommuniziert. Man kann bezweifeln, dass man mit der Beantwortung solcher Fragen zu einem Experten in einem Politikfeld wird; viel eher verinnerlicht man die politische Agenda des jeweiligen Kandidaten. Der Soziologe Stefan Selke beschrieb dieses Phänomen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk:

„Es sieht eben so spielerisch aus und da wird natürlich Wert drauf gelegt, dass es so spielerisch aussieht. Die Ideologie ist ja am perfidesten, die überhaupt nicht mehr als Ideologie wahrgenommen wird, sondern eben nur noch als Spiel. Und das ist, glaube ich, der Punkt, wo das dystopisch wird.“

Doch eines darf man auch bei dem ganzen „Spielspaß“ nicht vergessen. Die Apps sind nicht nur zur Unterhaltung gedacht, sondern gelten auch für die Kampagnen als interessante Informationsquellen.

Der durchsichtige Wähler

Gerade im amerikanischen Wahlkampf dürfte der Datenhunger der Wähleranalysten keine geringe Motivation gewesen sein, eine solche App zu entwickeln. Man ist sich einig, dass die Big-Data-Strategie von Obama 2008 und 2012 erheblich zu seinem Erfolg beigetragen hat.

Natürlich braucht man daher zur Benutzung der Apps einen Account. Freundlicherweise bietet die App die Möglichkeit, sich direkt mit Facebook zu verbinden. Man wird gebeten mitzuteilen, welche Themen einem bei der kommenden Wahl besonders wichtig sind. In Echtzeit könnte eine Kampagne hier Meinungsschwankungen beobachten. Eine zukünftige „Challenge des Tages“ könnte danach fragen, wie man zu dem Thema Abtreibung steht. Wer nicht antwortet, würde dann Punkte verlieren. Die Antwort wäre natürlich auch sofort mit dem eigenen Account verknüpft.

Ted Cruz‘ App war sogar zwischenzeitlich in den Schlagzeilen, weil sie alle erdenklichen Daten des Smartphones abgegriffen und zur psychologischen Analyse in eine Datenbank eingespeist hat. Die datenschutzrechtlichen Bedenken außer Acht gelassen, könnte man hier kritisieren, ob man prinzipiell ein politisches System gutheißt, in dem Kandidaten sich immer der Wählerschaft anpassen. Wenn man seine Stimme Repräsentanten leiht, dann in der Hoffnung, dass diese die eigene Meinung aus Überzeugung vertreten und nicht, weil sich dafür gerade zufällig eine Mehrheit gefunden hat.

Zwischen Motivation und Manipulation

Wahlkampf-Apps dieser Art scheinen aber bei weitem noch kein Massenphänomen zu sein – der republikanische Kandidat Donald Trump hat nicht einmal eine offizielle App. Zwar gibt es auch keine genauen Downloadzahlen, aber anhand der Anzahl von Rezensionen lässt sich schätzen, dass sich die Nutzerzahlen im mittleren fünfstelligen Bereich bewegen. Und wenn die Kampagnen und Entwickler die Ergebnisse aus der jetzigen Kampagne ziehen, werden sie sicherlich ihre Methoden weiter professionalisieren.

Dennoch muss man bedenken, dass schon seit Langem politische Kampagnen zu ähnlichen Mitteln greifen. Weder dass sich die Kandidaten als gleichgestellte Mitstreiter inszenieren noch dass detaillierte Meinungsbilder erfragt werden oder dass politische Kampagnen einen eigenen Narrativ präsentieren, ist neu. Das Potential einer Kombination dieser Taktiken in einer spielerischen Umgebung sollte man trotzdem nicht unterschätzen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir diese Form der politischen Mobilisierung in Zukunft immer mehr zu Gesicht bekommen werden. Die Bewertungen der Apps fallen jedenfalls durchweg positiv aus, auch wenn unklar ist, ob damit die App oder ein Politiker bewertet wurde. Daher bleibt am Ende dann noch die Frage, ob durch solche Apps lediglich mehr Menschen dazu gebracht werden, sich am politischen Prozess zu beteiligen, oder ob es Politikern gelingt, eine passende „Wahrheit“ zu verkaufen.

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3 Ergänzungen

  1. Hm, in Deutschland nutzen Erzieherinnen das HELLO KITTY Symbol um Politik zu machen.
    In diesem Fall sind es eher der Gewerkschaft ver.di nahestehende Erzieherinnen.
    Ist Hillary Clinton auch dieser Organisation zuzuordnen?
    Auffällig ist in diesem Zusammenhang die starke Vernetzung in Deutschland mit Psychologinnen, welche an Gerichten als Gutachterinnen in familienpolitischen Rechtsstreitigkeiten tätig werden.
    Kollateralschäden und Suizidversuche sind hier mittlerweile legitimiert.
    Lieben Gruß SUSI

    1. Hallo, mir ist momentan noch der Bezug zu dem Artikelthema unklar. Die Handyhülle im Artikelfoto war eher zufällig.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.