Big Brother Awards 2016 – „Lifetime-Award“ für den Verfassungsschutz

Zum 17. Mal werden heute in Bielefeld die Big Brother Awards an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen.

Bild: Photon [CC BY-NC-ND 2.0]

Der Livestream der Gala beginnt um 18 Uhr.

Die Jury besteht aus Vertretern unabhängiger Bürgerrechts- und Datenschutz-Organisationen – neben zwei Vertretern des Digitalcourage e. V. setzt sich die Jury aus dem Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft, Peter Wedde, und je einem Vertreter des Chaos Computer Clubs, der Internationalen Liga für Menschenrechte und der Deutschen Vereinigung für Datenschutz zusammen. Die Gastlaudatio wird von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justizministerin a. D., gehalten.

Die „Oscars für Datenkraken“ werden in fünf verschiedenen Kategorien vergeben:

  • Lifetime-Award
  • Wirtschaft
  • Technik
  • Verbraucherschutz
  • Kommunikation

Die Gewinner

Der prestigeträchtige Lifetime-Award geht an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Über 65 Jahre hat die Behörde konsequent Datenschutz- und Bürgerrechte verletzt und gewinnt daher höchstverdient zum Renteneintrittsalter den Award für’s Lebenswerk.

Ausgezeichnet wird der „Verfassungsschutz“ insbesondere für Überwachung und Stigmatisierung staats- und gesellschaftskritischer Gruppen und Personen, für sein unkontrollierbares V-Leute-System, für heillose Verflechtungen in mörderische Neonazi-Szenen und die Vertuschung illegaler Praktiken.

Die Negativauszeichnung kritisiert, dass der Verfassungsschutz trotz unzähliger Skandale – von denen auch Netzpolitik.org betroffen war – in seinen Ausfällen nicht gebremst, sondern stattdessen mit weiteren Befugnissen ausgestattet wird.

Den Award in der Kategorie Wirtschaft kann sich Change.org sichern. Die Petitionsplattform wird dafür ausgezeichnet, massenhaft personenbezogene Nutzerdaten der UnterzeichnerInnen in Verbindung mit ihren aus den unterzeichneten Petitionen entnommenen politischen Einstellungen zu vermarkten. Die US-Firma inszeniere sich als alternatives Projekt, sei jedoch ein gewinnorientiertes Unternehmen. Zu den mangelhaften Datenschutzpraktiken der Plattform zählt zum Beispiel das Speichern von Nutzerdaten auf US-Servern trotz dem Ungültigkeit des „Safe Harbor“-Abkommens.

Die Berliner Verkehrsbetriebe BVG erhalten den Big Brother Award in der Kategorie Technik für ihre elektronische VBB-Fahrcard, auf der bei jedem Einsteigen Datum, Uhrzeit, Buslinie und Haltestelle abgespeichert wurden. Besonders preiswürdig ist hierbei die Informationspolitik der BVG, die lange Zeit trotz besseren Wissens behauptete, eine solche Speicherung sei technisch nicht möglich. Der Award kritisiert überdies hinaus auch andere Verkehrsunternehmen, die planen Papiertickets durch Chipkarten zu ersetzen.

Wenn der Datenschutz hier nicht schon von Anfang an eingebaut wird, werden freie Bewegung und unbeobachtetes Reisen in Zukunft nahezu unmöglich.

Für das Versprechen ihren Versicherten Vorteile zu gewähren, wenn diese ihre Fitnessdaten und ihr Einkaufsverhalten per App melden, wird die Generali-Versicherung mit dem Award in der Kategorie Verbraucherschutz ausgezeichnet. Die gesammelten Daten werden anschließend an ein Bonuspunkte-System nach Südafrika übermittelt. Versicherte, die sich nicht an die von Generali vorgegebenen Standards für ein gesundes Leben halten oder ihre Daten nicht übermitteln wollen, werden durch dieses System benachteiligt . Dies führe zu einer Entsolidarisierung und widerspreche dem Grundgedanken unseres Sozialsystems.

Der fünfte Award des Abends in der Kategorie Kommunikation geht an IBM für die Software „Social Dashboard“. Die Software erlaubt es Firmen das Sozialverhalten ihrer Angestellten zu kontrollieren und auszuwerten. „Social Dashboard“ bedient sich dabei Metadaten aus dem firmeninternen sozialen Netzwerk „Connections“ und vergibt für Likes und Weiterleitungen eine Punktzahl und ein „Soziales Ranking“. Dies sei der Versuch, die Bewertung von sozialem Verhalten einer Maschine zu überlassen. Es setze falsche Anreize und führe zu mehr Arbeitsdruck.

Im vergangenen Jahr gehörten unter anderem der BND und die (Ex-) Innenminister Hans-Peter Friedrich und Thomas de Maizière zu den Preisträgern, Amazon konnte damals gleich zwei Awards feiern.

Update: Eine Aufzeichnung der Veranstaltung gibt es hier.

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9 Ergänzungen

    1. „Wir erheben so wenig Daten wie irgend möglich.“

      Wenn man die Seite aufruft kommt einem recht schnell google analytics vor die Augen.

      Als ich die Datenschutzbestimmungen aufrufe, kommt mir Cloudflare unter die Augen.

      Alles klar. An der Stelle ist dann mein Interesse Lebenszeit zu investieren um mir die Gegenposition anzusehen zu Ende :D

  1. Lieber Ben Siegler & andere,

    da ich hier gelesen habe, dass change.org ein schönen Award gewonnen hat, will ich gerne nach sinnvollen Alternativen suchen. Gibt es die? Warscheinlich ist die sinnvollste sich lokal zu engagieren.

    Grüße,
    B.G.

  2. Ich glaube, der BB-Award ist an die falsche Adresse gegangen. Da gibt es wahrlich schlimmere. Solche, die sich gerade auf der Hannover Messe treffen, um die totale Gesellschaftsverdatung vorantreiben. Solche, die „intelligente“ Zähler in jede Wohnung installieren wollen und überall vernetzte Kameras aufstellen wollen, „zu Ihrer eigenen Sicherheit und für besseren Service“. Solche, die alle Fortbewegungsmittel vernetzen und zu konzerngesteuerten Datensammlern machen wollen. Solche, die die übrigen 3 Milliarden noch ins Netz holen wollen – und zwar in ihr Netz, schnell schnell, bevor sich da etwas nichtkommerzielles entwickelt. Das wären die richtigen Adressaten!

    Selbst wenn die Vorwürfe alle noch zutreffen sollten, würde Change.org nicht mal gegenüber der durchschnittlichen im Web aktiven Firma besonders herausstechen.

    1. VBB kann ich auch nachvollziehen, wenn es stellvertretend für die ganze Branche zählt. Also alle, die Entwicklungen vorantreiben, gegen die ein Mangel an Leichtgläubigkeit nicht mehr schützt.

  3. Zur Generali ist anzumerken, dass diese ebengerade kein Teil des Sozialsystems – im Gegesnatz zu den gesetzlichen Krankenkasse wie AOK, TK, oder die BKKen ist. Insofern geht der Vorwurf der Entsolidarisierung ins Leere.
    Grundsatz bei sämtlichen privatrechtlich organisierten Versicherungen ist es, das individuelle Risiko – wenn auch in vorab festgelegten Grupppen und kategorien – zu erfassen und dementsprechende Prämien zu verlangen.

  4. Die deutschen Geheimdienste geben Daten von Buergern an ¨“befreundete Dienste“ weiter, damit koen-nen sich Andere an illegalen kriminellen Operationen beteiligen.

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