Berliner Senat: „Intelligente Videotechnik“ vor fünf Jahren am Kottbusser Tor, aber noch nicht am Südkreuz

Berliner Bahnhöfe sollen mit „intelligenter Videotechnik“ ausgestattet werden. Dies betrifft jene Anlagen, die von der Deutsche Bahn AG betrieben werden und auf denen die Bundespolizei für die Sicherheitsaufgaben zuständig ist. Im Namen der Berliner Piraten hat Christopher Lauer dazu nachgefragt. Die Planungen scheinen demnach noch unkonkret.

Quelle: wikipedia

Die Berliner Zeitung berichtete, ein Pilotprojekt mit einer Software zur Mustererkennung könnte noch in diesem Jahr am S- und Fernbahnhof Südkreuz starten. Dort ist die Bundespolizei für die Sicherheit zuständig. Laut dem Vizepräsidenten der Bundespolizeidirektion löse die Anlage beispielsweise einen Alarm aus, „wenn sie feststellt, dass ein Koffer seit längerem nicht bewegt worden ist“.

Christopher Lauer hat dazu im Namen der Piratenfraktion eine Anfrage beim Berliner Senat gestellt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat hierfür Erkundigungen beim der DB AG eingeholt. Wirklich konkret sind die Planungen demnach noch nicht:

Die DB AG setzt bisher keine intelligente Videotechnik in Berliner Bahnhöfen (und Zügen) ein. Es sind Pilotierungen im Rahmen eines noch einzurichtenden „Sicherheitsbahnhofs“ mit intelligenter Videotechnik im Raum Berlin/Brandenburg geplant. […] Die vorgesehenen Pilotierungen werden in enger Zusammenarbeit mit der Bundespolizei erfolgen. Beispielhafte Einsätze wären für die DB AG, das Erkennen von am Bahnsteig abgestellten Gepäckstücken oder auch das Erkennen von Sachbeschädigungen.

Die Bundespolizei will das Pilotprojekt offenbar auf eigene Faust vorantreiben. Datenschutzbehörden, „Interessenvertreter und die Öffentlichkeit“ würden zwar informiert, der Antwort zufolge aber nicht einbezogen.

In 2011 hatte die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) ein ähnliches Projekt mit „intelligenter Videotechnik“ am U-Bahnhof Kottbusser Tor in Kreuzberg durchgeführt. Damals wurde die Anwendung „Synergie Pro V1.21.25“ der britischen Firma Synectics getestet. Die Fähigkeiten der Software, die laut der BVG derzeit nicht im Einsatz ist, wird folgendermaßen beschrieben:

Sie kann die Beschäftigten in der Betriebsleitstelle Sicherheit bei der Videobeobachtung operativ festgelegter U-Bahnhöfe durch eine alarmgenerierte Bildaufschaltung bei definierten Vorkommnissen unterstützen. […]

Das funktioniert so:

Definierte Flächen in Anlagen und Liegenschaften der BVG können zum Teil mittels einer ereignisgesteuerten Videobildaufschaltung auf eindringende Objekte (wie z. B. Personen oder Gegenstände) überwacht sowie auf definierte Situationen (wie z. B. abgestellte Gegenstände und Vandalismus) überprüft werden. Die automatische Erkennung solcher definierter Situationen dient der Unterstützung des für die Beobachtung bzw. Kontrolle der Grundstücksgrenzen zuständigen Personals in Anlagen und Liegenschaften sowie der Personale in den Leitstellen im Zusammenhang mit der Abwehr und Verfolgung von Straftaten.

Datenschutzrechtlich ist der Einsatz von Software zur Mustererkennung aus Sicht der BVG nicht nur nicht zu beanstanden, sondern sogar „vorzugswürdig“:

Im Vergleich zu einer „Komplettbeobachtung“ ist die auf das Erkennen bestimmter Situationen programmierte Software, die im Bereich der BVG zum Einsatz kommt, weniger eingriffsintensiv und damit grundsätzlich datenschutzrechtlich vorzugswürdig.

Diese Einschätzung wurde von Thilo Weichert, dem früheren Landesbeauftragten des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, ebenfalls geteilt. Würden nur „verdächtige“ Verhaltensweisen detektiert, sei dies gegenüber der Komplettbeobachtung „sowohl aus Effektivitätsgründen wie aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes vorzuziehen“.

Weichert wies aber auch darauf hin, dass bei „intelligenten“ Systemen ein verstärkter Eingriff erzielt wird, wenn eine Individualisierung aus einer größeren Menge von Menschen erfolgt. Dies gelte insbesondere, wenn die Video-Mustererkennung „mit einer Bilddatenbank gekoppelt wird“. Ein solches Verfahren ist – soweit bekannt – nicht die Regel, im Einzelfall aber möglich. Standbilder aus der ÖPNV-Videoüberwachung sind geeignet, um diese mit biometrischen Gesichtsbildern der INPOL-Datenbank abzugleichen.

2 Ergänzungen

  1. In dem Zusammenhang kann man mal wieder auf das CV-Dazzle Project hinweisen. Allerdings wird man damit wohl früher oder später auch auffällig werden, wenn man dann nämlich der einzige im ganzen U-Bahn-Schacht ist, der nicht vom System erkannt wird. 1984 halt…

  2. Liebe DB, lieber Berliner Senat, liebe Technikgläubige in Verwaltung und Regierung,

    Es gibt keine intelligente Technik. Das ist Marketinggedöns.

    Es gibt dagegen intelligente Menschen, die zu leicht auf vermeintliche Lösungen für Probleme hineinfallen, die aber alle „ganz zufällig“ weiter in die totale Überwachung führen.

    Es gibt Menschen, die nach unzähligen Warnungen immer noch nicht sehen wollen, wohin das führt, und weiter am Rad drehen. Hier ein bisschen mehr Überwachung, da ein bisschen mehr Speicherung, dort ein bisschen mehr „intelligente“ Auswertung.

    Es ist phantasielos und doof, durch Technik zu herrschen oder beherrscht werden zu wollen. Das wollt ihr letztendlich auch nicht.

    Ihr braucht nicht im Namen angeblicher „Sicherheit“ der totalen Kontrolle den Weg zu bereiten. Baut die verdammten Kameras ab, erteilt der Überwachung, der Speicherung und der automatischen Verhaltensbewertung eine Absage und stellt mehr Menschen ein, damit tätet ihr das einzig Richtige. Damit stelltet ihr euch gegen den dümmlichen 1984-Zeitgeist.

    Gleiches gilt für alle ÖPNV-Überwachungspläne, die derzeit durch den Raum schwirren. Polizei an Kriminalitätsschwerpunkten rufbereit. Beobachten, vorratsspeicherrn, mustern gehört sich in einem freien Land nicht und bringt auch nichts Gutes.

    Weitere Eskalation tut auf lange Sicht niemandem gut außer dem sicherheitsindustriellen Komplex. Nicht „intelligente Technik“, sondern kühle menschliche Vernunft wird uns den Tag retten.

    Weitere Eskalaton gefährdet sogar die Sicherheit, weil die Notwendigkeit von Gegenwehr entsteht und diese nicht ohne Reibereien ablaufen wird. Der „Sicherheits“gewinn ist also nicht nur nebulös, sondern basiert auf einer recht einseitigen Einschätzung der Wirkung von Überwachungstechnik.

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