Viel Nichts auf 56 Seiten: Antwort der Bundesregierung zu Fragen der Digitalisierung

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Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Dieter Janecek, hat eine Kleine Anfrage mit dem Titel „Chancen und Herausforderungen durch die Digitalisierung der Wirtschaft“ an die Bundesregierung gestellt, in der er eine bunte Tüte mit 67 Fragen rund um die Digitalisierung untergebracht hat. Die Themen reichen von Green IT, Industrie 4.0, Datenschutz, Cloud-Computing über Forschung bis hin zur Ausbildung von IT-Fachkräften.

Die Digitale Agenda

Bei den Fragen und Antworten wird intuitiverweise immer wieder Bezug auf die Digitale Agenda der Bundesregierung genommen. Die Bundesregierung gibt an, mit der Digitalen Agenda „eine Vielzahl der Empfehlungen der Enquete-Kommission ‚Internet und digitale Gesellschaft‘ aufgegriffen“ zu haben. Auf die Frage, welche Handlungsempfehlungen der Enquete umgesetzt wurden, heißt es:

[Die Bundesregierung] begleitet die für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung unseres Landes wesentlichen Aspekte der Digitalisierung durch Strategien und Initiativen und trägt auf diesem Wege dazu bei, den digitalen Wandel zu gestalten.

Nun haben wir ja schon oft kritisiert, dass es sich bei der Digitalen Agenda primär um Ankündigungspolitik handelt und diese zu allgemein gehalten ist. Die Bundesregierung formuliert aus diesem Bug ein Feature:

Die Digitale Agenda formuliert bewusst allgemeine Ziele und Vorhaben […]

Ein weiterer Punkt, den wir an der Digitalen Agenda bemängelten, sind die ungeklärten Zuständigkeiten. Es gibt kein Ministerium, dass, trotz der Gewichtigkeit des Themas, hauptsächlich für Digitales zuständig ist und so zerfasern sich netzpolitische Fragen zwischen Wirtschafts-, Innen- und Verkehrsministerium. Auch der Ausschuss für die Digitale Agenda hat keine Federführung bei betreffenden Gesetzesvorhaben und darf sich mittlerweile immerhin damit schmücken, sich um die gleichnamige Digitale Agenda zu kümmern.

Doch die Bundesregierung gibt immer noch vor, das für eine sinnvolle Idee zu halten:

Es ist nach Ansicht der Bundesregierung nicht sinnvoll, diese Kernzuständigkeiten aufgrund der Digitalisierung oder der Digitale Agenda neu zu ordnen, zumal es nach nicht sinnvoll ist, Themen – je nach dem analoger oder digitaler „Betroffenheit“ unterschiedlichen Ministerien zuzuweisen.

Industrie 4.0 als Förderschwerpunkt

Wirtschaft ist eines der Lieblingsthemen unserer CDU-dominierten Bundesregierung. Kleine und mittelständische Unternehmen sollen gefördert werden. Doch, wie auch Reuters berichtet, merken Industrievertreter davon wenig und beschweren sich über die im Gegensatz zu den USA schwierigeren Marktbedingungen in Deutschland. Auch gibt man an, die genauen Bedürfnisse der Industrie noch nicht vorhersagen zu können, genau wie die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt. Janecek sagte Reuters:

Die Bundesregierung spricht gerne über die sogenannte Industrie 4.0, kommt aber kaum voran, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen.

Deutschland als IT-Sicherheitsstandort

Trotzdem ist man überzeugt davon, eigentlich gar nicht so schlecht dazustehen, wenn es um die digitale Wirtschaft geht. Man gibt zwar zu, dass es Deutschland „häufig noch an Erfahrung“ im Umgang mit „Industrie 4.0- und Big Data-Software-Werkzeugen fehlt.“ Aber die Bundesregierung rühmt sich mit den deutschen Errungenschaften im Bereich der IT-Sicherheit. Deutsche Unternehmen seien „im internationalen Vergleich gut positioniert, insbesondere bei Verschlüsselung, Smart Cards, Daten- und Netzwerksicherheit sowie Hochsicherheitslösungen.“ Das passt zu der Propagierung von Deutschland als „Verschlüsselungsstandort Nummer 1“, die nicht ganz zu den Tatsachen passt.

Darauf zielt auch Janeceks Frage 53c:

Wie plant die Bundesregierung, das in der Digitalen Agenda formulierte Ziel „Deutschland als Verschlüsselungsstandort Nummer eins“ zu realisieren (bei gleichzeitigen Überlegungen des Bundesministeriums des Innern Verschlüsselung grundsätzlich so zu gestalten, dass Sicherheitsdienste auf Kommunikation zugreifen können?

Es wird unter anderem mit einem Verweis auf De-Mail geantwortet, beziehungsweise der jetzt vorgestellten Erweiterung mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Und was die Kommunikationsentschlüsselung durch Sicherheitsdienste angeht, behauptet man „weder die Implementierung von „Backdoors“ (Hintertüren) noch Schlüsselhinterlegung“ zu wollen. Aber:

Gleichwohl sollen zur Bekämpfung von Kriminalität und Spionage die Cyberfähigkeiten der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden ausgebaut werden.

Wie genau das zusammenpasst, wird nicht erklärt. Aber wir erinnern bei Gelegenheit gerne daran.

Datenschutzrisiken durch Industrie 4.0

Die Bundesregierung hat erkannt, dass durch Industrie 4.0™ und Big Data Datenschutzrisiken entstehen. Insbesondere bei Fragen nach dem „Personenbezug und dem ökonomischen Wert der jeweiligen Daten, nach den Verantwortlichkeiten bei der Erhebung und Nutzung, nach der Freiwilligkeit der Datenerhebung, nach der Transparenz der Datenerhebung für den Betroffenen oder nach einem etwaigen Informationsgefälle zwischen Datenverarbeiter und Betroffenem.“ Sie bestätigt auch, dass die Erstellung von Personenprofilen zum Nachteil des Betroffenen geregelt werden muss, wie bei der Verwendung von Fahrzeugdaten zur Ermittlung des Fahrstils und der damit verbundenen Einstufung bei Versicherungen.

Verweis auf die EU-Datenschutzgrundverordnung

Um diese Fragen zu lösen, verweist die Bundesregierung auf die derzeit in der EU verhandelte Datenschutzgrundverordnung. Leider wirkt sie aber nicht unwesentlich dabei mit, deren Verabschiedung hinauszuziehen und lässt sich durch intensive Lobbyarbeit dazu bewegen, sogar für schwächere Datenschutzregeln zu stimmen.

Man redet sich auch beim Arbeitnehmerdatenschutz heraus. Man wolle sich nur um neue Regelungen für Datenschutz am Arbeitsplatz kümmern, wenn die EU-Datenschutzreform nicht schnell genug verabschiedet werde. Dabei verkennt die Bundesregierung, dass der Entwurf für die Datenschutzgrundverordnung massive Lücken – gerade im Bereich Arbeitnehmerdatenschutz – enthält. Viele Datenschützer sind der Meinung, dass beim aktuellen Stand der Arbeitnehmerdatenschutz am besten gar nicht in der EU-Verordnung geregelt werden solle. Dann könnten die Länder ihre eigenen Regelungen festlegen. Die Bundesregierung scheint nicht davon auszugehen, dass das notwendig wird.

Sicherheit durch Sensibilisierung und Eigenverantwortung

Was die Sicherheit von Daten angeht, wie zum Beispiel bei Wirtschaftsspionage relevant, setzt man auf Aufklärung. So sollen „Sensibilisierungsveranstaltungen“ der Verfassungsschutzbehörden und des Bundeskriminalamtes helfen, „Unternehmen Erscheinungsformen und Hintergründe von Wirtschaftsspiona-
ge auch im elektronischen Raum zu erläutern.“ Die Initiative „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ soll kleinen und mittelständischen Unternehmen durch Webseiten-Checks und „Sicherheitsbotschafter“ helfen. Das aus einem Lobbyverband hervorgegangene Angebot „Deutschland sicher im Netz“ komplettiere das Angebot.

Janecek und Cem Özdemir kommentieren bei der Welt:

Jeder Nutzer und jedes Unternehmen trägt auch persönlich Verantwortung für die Sicherheit seiner Daten – aber die Bundesregierung muss aufhören, in Brüssel auf die Bremse zu treten, wenn es um starkes europäisches Datenschutzrecht geht. Die europäische IT-Industrie hat seit Snowden einen Wettbewerbsvorteil, wenn Unternehmen ihre Datencenter jetzt hier ansiedeln und nicht mehr in den USA. Das bleibt aber nur so, wenn wir Datenschutz und Datensicherheit ernst nehmen.

Scheinheilige Haltung zur Netzneutralität

Genauso wie die Bundesregierung vorgibt, sich auf EU-Ebene für eine rasche Datenschutzreform einzusetzen, argumentiert sie auch in Fragen der Netzneutralität. Man setze sich mit „Nachdruck für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität auf europäischer Ebene und einen zeitnahen Abschluss der Verhandlungen zum Vorschlag einer Verordnung“ ein. Wir haben jedoch in einer aufwändigen Recherche gezeigt, dass es um die Netzneutralität in Deutschland ziemlich schlecht bestellt ist und deren Verletzung an der Tagesordnung ist. Das möchte die Bundesregierung beibehalten und setzt sich im EU-Rat dafür ein, dass viele Verletzungen der Netzneutralität in Zukunft legalisiert werden sollen.

Open-Data-Schlusslicht

Weiter geht es mit Open Data. Im September 2014 hat das Bundeskabinett den „Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Open-Data-Charta der G8″ beschlossen und Ziele formuliert, die bis Ende 2015 umzusetzen sind. Erst im März hat das Center for Data Innovation einen Report veröffentlicht, in dem die Bemühungen der einzelnen Staaten im Rahmen der Charta bewertet werden. Das Ergebnis: Deutschland liegt abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Und da verwundern auch die aufgezählten Ziele nicht mehr, wie etwa:

[…] alle Ressorts haben Ansprechpersonen benannt […] Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, aus jeder obersten Bundesbehörde sowie jeder Bundesober- und Bundesmittelbehörde mindestens zwei [zwei!] Datensätze auf GovData verfügbar zu machen […] Bundesbehörden stellen konkret benannte Datensätze aus verschiedenen Themenfeldern bis Ende 2015 als Open Data bereit.

Schade, denn im Fachgespräch zu Open Data im Bundestag, das letzten November stattfand, klang es noch so, als seien sich alle einig, dass die Förderung von offenen Daten ein wichtiges Ziel ist.

Bescheidene Open-Source-Ziele

Wenig fortschrittlich sieht es auch im Bereich Open-Source-Einsatz aus. Man befindet sich in dem Stadium „bei Beschaffungen der Bundesverwaltung praktische Hemmnisse für Open Source Software (OSS)“ abzubauen und nennt als Erfolg den Einsatz von Gpg4win. Der im Bundestag über lange Zeit verhindert wurde.

Gemischtes

Viele andere Antworten enthalten eine Aufzählung von mal mehr, mal weniger erfolgreichen Initiativen der Bundesregierung. Mit dabei viele Forschungsprojekte wie „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt“ oder „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen,“ das EXIST-Programm zur Förderung von Ausgründungen im Hochschulumfeld und – ein persönlicher Favorit – „Industrie 4.0 – Forschung auf dem betrieblichen Hallenboden.“

Fazit

Ankündigungspolitik, wie gewohnt. Wenig Konkretes, wie schon oft kritisiert.

Nachwort

Eine kleine, nicht ganz ernstgemeinte Kritik an der Anfrage selbst am Schluss. Die Frage „Welche Materialien können bzw. werden nach Kenntnis der Bundesregierung heute schon in der 3D-Drucktechnik verwendet?“ hätte man sich doch mit Benutzung einer Suchmaschine selbst beantworten können. Nichtsdestotrotz – die Regierung gibt freundliche Auskunft:

Thermoplastische Elastomere, gesintertes Polyamid, PVMA-Kunststoff und ABS-Kunststoff, Kunstgips, Kunstharze, Keramiken, Alumide-Sintern und Metalle.

Danke dafür.

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3 Ergänzungen

  1. Meinen Fragen, was denn „Industrie 2.0“ sei, und was denn an „Industrie 3.0“ so schlecht sei, dass es nun einer „Industrie 4.0“ bedürfe, entziehen sich angesprochene Politiker stets mit Achselzucken. Wer weiß was?

    1. Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution („Wir sind alle Big Data“). Demzufolge ist Industrie 1.0 die Entstehung der Industrie überhaupt (Kohle, Eisenerz, Maschinen etc.), Industrie 2.0 hatten wir nach der Hinzunahme von Elektrizität und der Erfindung der Massenproduktion und Industrie 3.0 war dann der Boom der Mikrochips bzw. Computer allgemein.
      Und brauchen tun wir das natürlich weil man damit mehr Geld verdienen kann.

  2. Ich hab mich kaputtgeömmelt über das Symbolbild zu diesem Artikel. Es paßt genau zu dem, was ich von dem unwürdigen, bemitleidenswerten Digitalgebaren der aktuellen Re-Gier-ung halte. Sie sollten sich heraushalten aus Dingen, von denen sie nichts verstehen — oder jemanden fragen, der etwas davon versteht — unabhängige und vor allem verbraucherfreundliche Experten (nicht Winkeljuristen wie Herrn Gorny). Sonst wird das Land weiter mit Gesetzesmüll überschüttet, der leider nicht düngt, sondern toxisch und nicht recycelbar ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.