Polizeiliche Vorhersagesoftware: Neue Testläufe in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg

2011 unterzeichneten die Universität Freiburg und IBM ein Kooperationsabkommen, das auch "Predictive Policing" umfasst. Das System wurde bereits einigen Landeskriminämtern vorgeführt.
2011 unterzeichneten die Universität Freiburg und IBM ein Kooperationsabkommen, das auch „Predictive Policing“ umfasst. Das System wurde bereits einigen Landeskriminämtern vorgeführt.

Seit zwei Wochen wird auch in Karlsruhe und Stuttgart eine Software zur Vorhersage von Wohnungseinbrüchen ausprobiert. Dabei werden Daten vergangener Einbrüche, Tatorte und -zeiten, das Vorgehen der TäterInnen und die erbeuteten Gegenstände miteinander abgeglichen. Ein Algorithmus errechnet dann die Wahrscheinlichkeit neuer Einbrüche und zeigt die wahrscheinliche Gegend an. Die Polizeidirektionen können daraufhin verstärkte Streifenfahrten anweisen.

Für die Prognose von Straftaten können weitere Datenquellen herangezogen werden, etwa der Wetterbericht oder Informationen zu Großereignissen, bei den viele EinwohnerInnen mutmaßlich nicht daheim sind. Der Schweizer Kanton Aargau hat eine App programmieren lassen, die entsprechende Warnungen auf das Mobiltelefon interessierter BürgerInnen pusht.

Der Testlauf der bereits in Bayern und in einigen Schweizer Kantonen erfolgreichen Software „Precobs“ dauert ein halbes Jahr. Anschließend folgt eine Auswertung durch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Dann will das Land Baden-Württemberg über die flächendeckende Einführung des Systems entscheiden.

Nordrhein-Westfalen testet IBM-Software

Wie angekündigt hat auch in Nordrhein-Westfalen der Testbetrieb einer Vorhersagesoftware begonnen. Zum Zuge kommt jedoch ein Produkt des US-Konzerns IBM. Eine „operative Phase“ begann laut der Landesregierung mit einiger Verspätung am 1. November in Duisburg und Köln. Weil die Software komplex sei, habe die Einarbeitung „mehr Zeit in Anspruch genommen, als in der Planungsphase angesetzt worden ist“. Untersucht wird nicht nur die Software, sondern auch der Erfolg sich anschließender „polizeilicher Interventionen“.

Der Zuschlag für das IBM-System erfolgte nach einer landesweiten öffentlichen Ausschreibung. Beschafft wurde schließlich die Statistik- und Analyse-Software „IBM SPSS Modeler“, die IBM nach der Übernahme der bis 2009 eigenständigen Firma SPSS vertreibt. Um mit seiner Polizeisoftware in Deutschland Fuß zu fassen, startete IBM vor vier Jahren eine Kooperation mit der Universität Freiburg.

Für den Verkauf an deutsche Polizeibehörden beauftragt IBM die deutsche Firma SVA System Vertrieb Alexander GmbH mit Sitz in Berlin, die entsprechende Produkte auf einer eigens eingerichteten Webseite bewirbt. Auch der Vertrag zwischen dem Landeskriminalamt NRW und IBM wird über die Berliner Firma abgewickelt. Das Pilotprojekt dauert ebenfalls ein halbes Jahr, für Ende 2016 ist die Vorlage eines Abschlussberichts vereinbart. Nach einer Bewertung der Ergebnisse will die Landesregierung über eine Einführung der Technik entscheiden.

Data Mining mit Abgleich von 200 Datenfeldern

Laut einer Antwort des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius haben die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen, das LKA Niedersachsen und die Polizeidirektion Braunschweig eine Erprobung von vorhersagender Polizeiarbeit mit IBM durchgeführt. Ziel dieses eine Woche dauernden Projekts war demnach, „möglichst treffgenaue Vorhersagen für Straftaten zu generieren“. Für die Entwicklung eines Vorhersagemodells wurden Einbruchsdaten der Stadt Hannover genutzt, auf deren Grundlage eine Software Prognosen errechnete. Die Treffgenauigkeit wurde dann anhand realer Vorkommnisse überprüft.

Das hessische Landeskriminalamt hat ebenfalls Erfahrung mit IBM-Prognosesoftware gesammelt. Die Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle nutzte ein SPSS-System, um in einem Forschungsprojekt sogenannte Mehrfach- und IntensivtäterInnen zu ermitteln. Dabei wurden Informationen mittels Data Mining aus mehreren Polizeidatenbanken zusammengeführt und ausgewertet. Mindestens 200 Datenfelder wurden miteinander abgeglichen. Die IBM-SPSS-Linie kann auch sogenannte unstrukturierte Daten verarbeiten. In Hessen wurden hierfür Interviews mit den beforschten StraftäterInnen geführt und als weitere Datenquelle eingespeist.

Ziel des hessischen Projekts war die Erstellung typischer Täterprofile, die etwa Angaben zur ersten begangenen oder ersten registrierten Straftat enthalten. Die Berechnungen sollen die Verhinderung weiterer Straftaten ermöglichen. Ähnliche Forschungen hatte die britische Firma Accenture auf der diesjährigen Polizeimesse „Europäischer Polizeikongress“ vorgestellt. Zusammen mit der britischen Polizei forscht Accenture an der Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit einer Rückfälligkeit von Gang-Mitglieder zu errechnen.

15 Ergänzungen

  1. Zitat: „Der Testlauf der … Software „Precobs“ dauert ein halbes Jahr. Anschließend folgt eine Auswertung durch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.“

    Man würde erwarten, daß man zuerst die rechtliche Zulässigkeit prüft, bevor man derartige Überwachungssoftware einsetzt.

    1. Kann man so ein System 100%ig aufgrund von Annahmen im Labor beurteilen? Wenn nicht, wäre das doch ein angemessenes Vorgehen.

  2. Naja, ist ja nicht soooo viel anders, als ich es hier beschrieb https://netzpolitik.org/2015/digitale-selbstverteidigung-gegen-vorratsdatenspeicherung-wie-man-metadaten-vermeidet/#comment-1959758 … nur das man eben „verbrecherisches Verhalten“ vorher sagt und nicht etwa Stimmungslagen bzw. wie sich die „Menge“ verhalten könnte!
    Oje … mit der Oben genannten Software könnte man ja auch aus den „Sozialen Datenbanken“ wie Fratzebuch/Tweeeter/SchülerFratzebuch … jeweils ca. 200 Datenfelder/Selektoren extrahieren und dann analysieren tun!
    Menno … Verbrecherjagt in der breiten Masse … da können sich die Terroristen aber Warm anziehen!

  3. Wenn es eine App gibt, die „interessierte BürgerInnen“ warnt, so dürfte diese App auch den Dieben zur Verfügung stehen. Ich denke, die Komplexität menschlichen Verhaltens ist deutlich komplexer, als sich das die Behörden und Minister so vorstellen.

    Der Wettlauf zwischen „Gut“ und „Böse“ ist ein „rückgekoppeltes System“. Der wird so sicher nicht gewonnen. Dafür wird sehr wahrscheinlich eine verbüßte Strafe schnell zum (anscheinend) „objektiv berechnetem“ Verdachtsmoment. Möglicherweise mit „Sippenhaft“ bzw. Sippenverdacht.

    Bitte liebe Polizei, verlasst Euch auf den Verstand, die Erfahrung und Menschlichkeit. Besonders dann, wenn Kollege Computer „entscheidet“. Ein Automatismus oder gar ein Robo-Cop ist weder zweckdienlich noch menschenwürdig. Computergläubigkeit ist so dumm, wie alles zu glauben, was irgendwo schwarz auf weiß steht.

    1. Fehlt ja nur noch Einbindung der VDS-Daten. Wir sind schon mitten drin….
      im Polizei- u. Überwachungsstaat.

      1. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Internetueberwachung-Europol-will-an-Daten-von-Facebook-und-Twitter-2913746.html

        Das sind zwar nicht die VDS-Daten. Aber nur so macht die VDS der IP-Adressen „Sinn“. Diese Tendenzen zeigen klar, wohin wohin es geht. Jeder soll überprüft werden können. Jeder kann in der Rasterfahndung über alle zu bekommenden Daten hängen bleiben. Niemand macht sich Gedanken darüber, ob diese Daten korrekt sind (und was „korrekt“ denn bedeutet). „Recht“ oder „begründeter Verdacht“ verkommt zu dem, worauf die Werbeindustrie basiert. Denn Big Data beruht auf den Methoden der Werbeindustrie.

        Das spricht Bände und zeigt ein (aus meiner Sicht) widerwärtiges und reduziertes Menschenbild der Behörden und Entscheider auf. Alternativ kann man auch totaler Unkenntnis in technischen und sozialen Aspekten ausgehen.

        Beides ist nicht akzeptabel. Beides schädigt die Gesellschaft mehr, als es jeder Diebstahl tun kann. Beides ermöglicht zudem massiven Missbrauch (und damit eine neue Form von Verbrechen).

        Macht Euch klar: Technokratie ist nicht objektiv (weil sie auf von Menschen gemachten Regeln basiert und weil formale Systeme grundsätzliche Problemstellen aufweisen). Technokratie bedeutet die stumpfe Ausführung und dumpfe Überwachung dieser Regeln. Technokratie macht „ich habe es nicht gewusst“ und „ich habe nur gehorcht“ nicht nur zur Norm. Technokratie erzwingt diesen bedingungslosen Gehorsam ohne jegliche „Emotion“ und Menschlichkeit.

        Technokratie ist deshalb unmenschlich und eine Form der Diktatur.

  4. Erinnert mich an den Film „Minority Report“ mit der Pre-Crime Devision … Nur dass hier ein Algorithmus verwendet wird und keine Precogs (Menschen, die in eine moegliche Zukunft schauen koennen).

  5. Das ist nichts anderes als Faschismus weil es wird Stigmatisiert und das wiederum ist ein Anzeichen für Faschismus weil ein Mensch kann immer noch sagen oder denken ich bringe dich um und muss das noch lange nicht tun oder schnell laufen einfach aus einem inneren Gefühl heraus. Deshalb gilt auch in Demokratien die Unschuldsvermutung und der Schutz der Privatsphäre was bei einer solchen Software nicht mehr der Fall ist genau wie bei der VDS. Also ein Anzeichen ist noch lange keine Tat. Die Annzeichen werden aber in Daten also Listen sortiert und Kennzeichnen damit ungerechtfertigt unschuldige Menschen. EIne solche Software ist deshalb klar sozialrassistisch weil wenn jemand nach Anzeichen wie verhalten oder ob jemand keine Haare aufm Kopf hat vorverurteilt wird ohne das eine Tat zugrunde liegt ist das eine abscheuliche Kennzeichnung von Personen die mich an die Nazizeit klar erinnert. . Die einzigen die immer alles von Menschen wissen wollen sind totalitäre Staaten und die benutzen immer das Argument der inneren Sicherheit die dann genaugenommen gegen unbeliebte Personen eingesetzt wird und die eigentlichen Verbrecher schützt weil die sind zumeist Teil des Systems. Oder auch sIehe dazu das sich hunderttausende von unregistrierten Personen in Deutschland und Europa aufhalten und parallel dazu wird jeder deutsche Bürger totalüberwacht.und einer Straftat verdächtigt wenn er auf der Straße schnell läuft. Das bedeutet konkret die Gesetze werden all gusto angewandt was schon ein Hinweis auf ein totalitären Staat bedeutet.

  6. Man könnte sich fast wie in einem Überwachungsstaatwelt vorkommen……
    Und vor 15 Jahren haben die unsereins als paranoide Verschwöhrungstheoretiker bezeichnet….
    Siehe diverse Artikel CCC & Co. was so vorausgesagt wurde.

  7. Ist eigentlich Nord-Korea auch so krass drauf? Also, was die Freiheiten der Bürger betrifft? Die werden doch auch nur alle beschützt?

      1. Das „Internet“ von Nordkorea -> http://www.focus.de/digital/internet/schnappschuss-aus-nordkorea-dieses-foto-zeigt-wie-internet-im-abgeschottetsten-land-der-welt-funktioniert_id_4914860.html passt in ein Internetkaffee!
        … und ist der Traum unserer Behörden!
        Jeder bekommt einen Internetführerschein und je nach F-Klasse, darf der User Lokal (Bundesland – Weit), National (Deutschlandweit), Europaweit oder auch Weltweit surfen!
        Alle Führerscheine wird vom BSI Wiesbaden geprüft und ausgegeben!
        Jedes Gerät bekommt ein Zertifikat, das in Verbindung mit dem Perso gültig und somit kontrollierbar wird!
        Dann schreien alle, das man verschlüsseln soll und siehe da, das behördliche Zertifikat ist auch dafür geeignet!
        … ein „Regionet“ gegen Gefährder und Terroristen!

    1. Crystal Meth und Cannabis sind jedenfalls in NK erlaubt. Und sofern du dem Staat nützt, kannst du eh tun und lassen was du willst.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.