Operation RescueWir widerlegen, dass ohne Vorratsdatenspeicherung keine Kinderpornografie aufgeklärt werden kann

Die SPD behauptet, dass man ohne Vorratsdatenspeicherung keine Kinderpornografie aufklären kann, aber das stimmt nicht. Die Aufklärungsquote ist laut offiziellen Zahlen weit besser als der Durchschnitt der „Offline“-Welt. Das eigentliche Problem sind langsame Ermittlungen, teilweise über ein halbes Jahr.

Verantwortlich für die Vorratsdatenspeicherung: SPD-Vorsitzender Gabriel und Parteivorstand. Bild: blu-news. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0.

Das Schicksal der Vorratsdatenspeicherung wird von der SPD entschieden. Im Vorfeld des Parteikonvents am 20. Juni hatte der Parteivorstand einen Propaganda-Flyer an die Mitglieder verschickt, den wir grundsätzlich und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung detailliert kontern.

Besonders perfide ist das dort angebrachte Argument, dass ohne anlasslose Massenüberwachung der kompletten Bevölkerung Fälle von Kinderpornografie (besser: Kindesmissbrauchsdokumentation) nicht aufgeklärt werden können. Diese Behauptung trägt das Bundeskriminalamt seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung vor sich her. Und auch die EU-Kommission behauptete in ihrer ersten Evaluierung der EU-Richtlinie 2011:

Auf EU-Ebene wurde die Wirksamkeit der von Europol geführten Operation Rescue zum Schutz von Kindern vor Missbrauch dadurch beeinträchtigt, dass einige Mitgliedstaaten aufgrund fehlender Umsetzungsmaßnahmen zur Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungen gegen Mitglieder eines umfangreichen internationalen Pädophilen-Netzwerks keine IP-Adressen, die unter Umständen bis zu einem Jahr alt sind, verwenden können.

Operation Rescue: 184 Verhaftungen, 230 Kinder

Operation Rescue war laut Wikipedia eine Ermittlung zu Kinderpornografie von Europol 2008-2011. Dieses Beispiel wurde damals immer wieder vorgebracht, um für die Vorratsdatenspeicherung zu werben, auch auf einem Panel im Europaparlament kurz vor Verabschiedung des Kommissions-Berichts. Wir haben jetzt mal hinterher recherchiert und mit mehren Beteiligten der damaligen Debatte gesprochen, neben unserem Freund Joe McNamee von European Digital Rights auch mit dem damaligen Sprecher des Dachverbands der europäischen Polizeigewerkschaften EuroCOP.

Laut offiziellen Angaben von Europol hatten die Ermittler 2011 die Server der Seite „boylover.net“ beschlagnahmt, 670 Verdächtige identifiziert, 184 Verhaftungen durchgeführt und 230 Kinder geschützt. Eine Erfolgsmeldung – in der Debatte um Vorratsdatenspeicherung werden aber nur die Misserfolge betont. Weil angeblich viele andere Verdächtige aufgrund fehlender Speicherung von IP-Adressen nicht identifiziert werden konnten, davon „rund 1.000 IP-Adressen aus Deutschland“.

IP-Abfrage nach „bis zu einem Jahr“

Bestätigt langsame Ermittlungsarbeit: Polizeigewerkschaft EuroCOP.
Bestätigt langsame Ermittlungsarbeit: Polizeigewerkschaft EuroCOP.

Das lag jedoch daran, dass die Beamten zunächst aufwändig die auf den Servern gespeicherten Bilder ausgewertet haben. Und zwar mehrere Monate lang. „Vier bis sechs Monate sind dafür übliche Größenordnungen“, sagte uns ein Ermittler. Erst danach hat man versucht, die Inhaber der IP-Adressen zu identifizieren, die dann aber bereits nicht mehr gespeichert waren. Das wäre auch mit dem neuen Gesetzentwurf nicht mehr der Fall.

Es lag also gar nicht an der fehlenden Vorratsdatenspeicherung, sondern an den fehlenden Auswertungskapazitäten. Die Ermittler haben einfach zu langsam gearbeitet. Ein europäischer Polizist begründete das gegenüber netzpolitik.org so: „Das ist ein Problem auf allen Ebenen, wir haben nicht genügend Leute.“

Löschen statt sperren, ermitteln statt speichern

Das Problem kennen wir bereits aus der Debatte zu Netz-Sperren. Auch damals mussten Ermittler einfach nur ihre Arbeit tun, um festzustellen: Löschen statt Sperren funktioniert! Was ebenfalls funktioniert: Ermitteln statt Speichern!

Die mangelnden Ressourcen mancher Behörden können aber den massiven Eingriff in die Grundrechte der kompletten Bevölkerung nicht rechtfertigen. Aber auch das sagen wir schon seit Jahren.

Hohe Aufklärungsquote bei Kinderpornografie

Zumal die Aufklärung durchaus funktioniert. In der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik 2014 sind folgende Statistiken aufgelistet:

Straftaten/-gruppen Fälle Aufklärungsquote
Verbreitung kinderpornographischer Schriften (Erzeugnisse) durch gewerbs-/bandenmäßiges Handel gemäß § 184b Abs. 3 StGB 77 75,3 %
Besitz/Verschaffung von Kinderpornographie gemäß § 184b Abs. 2 und 4 StGB 3.982 85,0 %
Verbreitung von Kinderpornographie gemäß § 184b Abs. 1 StGB 2.535 79,1 %

Bei allen Straftaten gibt es jedoch nur eine Aufklärungsquote von 54,9 %, also knapp über die Hälfte. Bei allen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt die Aufklärungsquote bei 78,5 %. Fälle von Kinderpornografie werden also besser aufgeklärt als viele andere.

Hohe Aufklärungsquote im Internet

Die Aufklärung von „Straftaten mit Tatmittel ‚Internet'“ liegen mit 66,4 % noch immer vor der Aufklärungsquote aller Straftaten. Und das, obwohl darunter selten „schwere und schwerste“ Straftaten fallen – womit die Vorratsdatenspeicherung begründet wird – sondern überwiegend Betrug:

2014-PKS-Tatmittel-Internet

Wenn die SPD also behauptet

Bei 90 Prozent der Anfragen der Ermittler geht es laut Bundeskriminalamt um die IP-Adresse. In den meisten Fällen geht es dabei um brutalen Missbrauch von Kindern und Kinderpornografie.

…dann ist das eine dreiste Lüge. Das scheint Parteilinie zu sein.

15 Ergänzungen

  1. „Die Aufklärung von „Straftaten mit Tatmittel ‚Internet’“ liegen mit 66,4 % noch immer vor der Aufklärungsquote aller Straftaten. Und das, obwohl darunter selten „schwere und schwerste“ Straftaten fallen – womit die Vorratsdatenspeicherung begründet wird – sondern überwiegend Betrug“

    Na also bei aller Zustimmung in Sachen Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung: Das Internet ist natürlich bein den schweren und schwersten Straftaten nahezu nie Tatmittel. Die Daten sind lediglich ein Ermittlungswerkzeug ;)

  2. Sauber herausgearbeit, Herr Meister!

    Man behauptet ja auch Terrorismus mittels der Vorratsdatenspeicherung verhindern zu können.

    Dass die Terrorbedrohung erst mittels amerikanischer Sicherheitsfirmen mit Wissen des BND manifestiert werden muss, die 14-Jährigen beim Basteln ihrer islamistischen Website behilflich sind kann an dem Beispiel Globale Islamische Medienfont (GIMF) und ihrem ehemaligen Chef und V-Mann Irfan Peci nachvollzogen werden:

    https://machtelite.wordpress.com/2015/06/01/gimf-chef-irfan-peci-der-v-mann-und-die-sting-operation-des-site-instituts/

  3. Fragt einfach mal die Insider bei Polizei und Staatsanwaltschaften. Dort herrscht Personalmangel. Während die Regierungen und Politiker die Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung ständig an die große Glocke hängen, fehlt es in den Behörden oft am Nötigsten.

    Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur bedenklich bezüglich der Verfassung und Bürgerrechte. Die Vorratsdatenspeicherung ist eine grandiose Nebelkerze, mit der die regierenden Politiker den Bürgern eine Scheinsicherheits-Pille einwerfen, während weiter an Polizisten und Behördenpersonal gespart wird.

    Das Schlimme ist, dass mittlerweile viele Polizisten selbst glauben, dass sie ohne die Vorratsdatenspeicherung nicht mehr effektiv arbeiten könnten. Politiker und sogenannte Polizeigewerkschafter haben auch den Polizisten erfolgreich eingetrichert, dass nicht das fehlendes Personal, sondern die fehlende Vorratsdatenspeicherung das Problem ist. Viele Polizisten haben völlig falsche Vorstellungen entwickelt, wie die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nützen könnte. Manch ein Polizist glaubt, die Vorratsdatenspeicherung würde dazu führen, dass man nur noch auf einen Knopf drücken müsse, um einen Fall zu lösen und einen Täter zu finden.

    Die Lösung wäre so einfach:
    Polizisten statt Kameras
    Ermitteln statt Überwachen

    Aber dafür müsste man das Geld ja in Polizisten und Ausrüstung investieren, statt das Steuergeld der elektronischen Überwachungsindustrie hinterherzuwerfen.

  4. Die Argumente in der Broschüre könnten auch in der BILD stehen, meinungsgetrieben anstatt wissensgetrieben. Mit den Emotionen der Bürger spielend, in den entscheidenden Details unklar bleibend und damit die Angst schürend. Meinungsbeeinflussung im schönsten Sinne. Fehlt nur noch das irgendwo steht „Wenn sie der verdachtslosen Totalüberwachung nicht zustimmmen gefährden sie das Wohl ihrer Kinder und machen sich selbst verdächtig Päderast zu sein“ ala „Nur Kinderschänder sind gegen Vorratsdatenspeicherung“

    1. Das funktioniert bei den Nazis ähnlich, dort heisst es, nur Kinderschänder sind gegen die Todesstrafe. Gemeinsam missbrauchen sie die Kinder ebenfalls für ihre Zwecke.

    2. Da muss man doch gar nicht in die Vergangenheit schweifen, in jedem Diskussionsthread zu dem Thema gibt es doch Stimmungsmacher mit den *Argumenten „ICH hab nix zu verbergen“, etc.

  5. Gäbe es dieses Thema nicht, würde man es erfinden. Eine bessere Keule gibt es nicht. Würde man Kinder wirklich schützen wollen, würde man Pädophilen Anlaufstellen und Therapien anbieten. Aber alleine das öffentlich zu sagen lässt die Massen schon empört aufkreischen. Deinem Kommentar kann ich nur zustimmen.

  6. Kindesmissbrauch damit entgegen wirken zu wollen ist ein Totschlagargument für alle Kritiker der Voratsdaten speicherung. Ein Totschlagargument (Josef Göbbels hatte diesen Terminus als erster in einen anderen Zusammenhang gebraucht) ist dazu da, Kritiker mit Polemik Mundtot zu machen und zweitens, das die wahren Absichten zu verschleiern sucht. Es geht hier um was ganz anderes, was sich die Politiker nicht trauen zu sagen. Dieses sich nicht trauen, dem Volk die Warheit nicht sagen zu können, macht mir Angst!

    1. ist eine im 16. Jahrhundert aufgekommene Bezeichnung für eine Niccolò Machiavelli (1469–1527) zugesprochene politische Theorie, nach der zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht jedes Mittel unabhängig von Recht und Moral erlaubt ist.

      Wikipedia

  7. Mit Vorratsdatenspeicherung lässt sich niemand fangen. Beweis Frankreich. Die haben die Speicherung seit 2007. Auch in Norwegen liess sich Breiwik so nicht fangen. Auch dort gibt es die Speicherung. Normale Kriminelle kriegt man schon überhaupt nicht. Die Sammelwut der Staaten ist ein reines Terrorinstrument gegen die Bürger.

  8. Da hilft nur eines…..gebt eure Erkenntnisse in einem offenen Brief an Landesverbände der politischen Parteien weiter.

  9. Sowohl die einen als auch die anderen liegen oft daneben:

    Die Hardliner haben Unrecht, die anderen aber die anderen auch
    Ich will hier mal den Gesetzgeber heute in Schutz nehmen :

    Viele Argumente zB das Whistleblower kriminalisiert werden, stimmt wohl nur teilweise, es werden nur die Helfer kriminalisiert und ich persönlich halte von Whistleblower eh nicht viel, die verraten doch meist ihr Land, ohne erst mal intern eine Lösung zu finden
    Aktuell profitiert nur Russland
    Außerdem hätte man die Befürchtung das der Staat keine Steuer CDS mehr kaufen kann, düs ist glücklicherweise als Ausnahne zur Datenhehlerei weiterhin erlaubt, jetzt steht es ausdrücklich im Gesetz !

    Was die VDS angeht, so ist das Gesetz noch teilweise unter der Grenze geblieben die dad BVerfG zumindest aufstellte ( wenn man den EuGH mal außen vorlässt)
    demnach sind die Aussagen einiger das nun auch Jugendliche, die untereinander Bildchen tauschen in die Fahnung und Speicherung geraten, blanker Unsinn, zum einen steht da § 184 c Abs4 dagegen ( jedenfalls meiner Meinung nach ) und zum anderen geht es im Entwurf nur um Abs 2 des 184c des Strafkatalogs, also um gewerbliches Handeln, es werden also nur Gewerbetreibende überwacht .
    Das finde ich aber dann auch richtig so

    1. Was hat Wistleblower, Steuer-CD mit VDS zu tun? Unser Bundesverfassungsgericht hat keine Grenzen aufgestellt, sondern Beispiele für die Verfassungswidrigkeit genannt in der Hoffnung, dass es verstanden wird. Die Straftat Urheberrechtsverletzung ist im VDS-Gesetz enthalten. Gewerblich heißt hier nicht im Sinne der Gewerbeordnung oder des Finanzamtes (Gewinnerzielungsabsicht).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.