„Whistleblower sind keine Helden, sie sind Menschen wie du und ich!“ – Awardverleihung & Videointerview

Edward Snowden beim Sam Adams Award 2015

Am Donnerstagabend wurde in Berlin der ehemalige technische Direktor der NSA, William „Bill“ Binney, mit dem Sam Adams Award ausgezeichnet. Vor Ort war zusätzlich zu dem Who-is-Who der Whistleblower“szene“ auch die Aktivistin und Snowden-Begleiterin Sarah Harrison.

Neben berühmten Whistleblowern wie Thomas Drake, Chelsea Manning und Julian Assange wurde 2013 auch Edward Snowden mit dem Preis geehrt. Dieser wurde auch während der Preisverleihung via Videostream aus Russland zugeschaltet und hielt eine kurze Rede, in der er unter anderem seine Forderung bekräftigte, die massenhafte Überwachung aller Menschen durch die NSA zu stoppen, da durch diese keine Anschläge verhindert werden könnte.

Theresia Reinhold und ich haben die Chance genutzt um die Anwesenden Whistleblower unter anderem über ihre Motivation und die Bedeutung von Metadaten zu befragen – das fertige Interview könnt ihr euch auf unserem YouTube-Channel ansehen:

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„Das massenhafte Sammeln von Daten ist der falsche Weg!“

Der Preisträger Bill Binney forderte im Interview mit uns auch einen radikalen Kurswechsel bei der NSA.

„Bei einem Verhältnis von etwa 20.000 Analysten zu potentiell 4 Milliarden überwachten Menschen ist jeder Analyst für etwa 200.000 Überwachte zuständig – da kann man unmöglich das wirklich Wichtige im Auge behalten. Die NSA kann ihre Aufgabe die nationale Sicherheit zu wahren schon lange nicht mehr erfüllen.“

Er erhält den Preis für seinen Mut, die Überwachungspraktiken der NSA gegen dieBill Binney Sam Adams Award 2015 amerikanische Bevölkerung im Rahmen des Trailblazer-Programms öffentlich zu machen. Als technischer Direktor der NSA war er maßgeblich an der Entwicklung des Programmes ThinThread beteiligt, dass auch der BND zu „Testzwecken“ erhielt. Im Gegensatz zu Trailblazer hatte dieses Programm Filter eingebaut, die US-BürgerInnen vor der Überwachung durch die NSA schützten.

Nach dem 11. September 2001 erkannte Binney, dass die von ihm mitentwickelte Software zur Ausspähung von AmerikanerInnen eingesetzt wurde und entschied sich für die Veröffentlichung dieser Praktiken. In der Folge wurde sein Haus durch das FBI gestürmt und er verlor seinen Job und sein Ansehen. Die durch Edward Snowden veröffentlichten Dokumente bestätigten, wovor Binney und andere Whistleblower jahrelang gewarnt hatten: Die NSA überwacht jeden Menschen, egal wo er lebt, was er denkt oder was er tut.

Jede/r hat das Zeug zum Whistleblower

Der ehemalige CIA-Offizier Ray McGovern rief bei der Preisverleihung dazu auf, Whistleblower nicht als Helden zu verehren oder sie etwa auf ein Podest zu stellen. Auch wenn diese Menschen außergewöhnliches geleistet hätten, so sei doch jeder von uns in der Lage es ihnen gleich zu tun.

Auch betonte der Juror, dass man sich nicht dem trügerischen Gefühl hingeben solle, dass man (noch) nicht genug wisse oder keine bedeutenden Informationen oder Beweise vorweisen könnte.

Sobald das das eigene Gewissen einem klar und deutlich sagt, dass hier ein Unrecht geschieht muss man handeln – sonst ist es vielleicht bald zu spät.

Update: Das Video ist jetzt untertitelt, die deutsche Übersetzung veröffentlichen wir ebenfalls an dieser Stelle.

William Binney:

Zuerst muss ich sagen, dass ich es nicht als Risiko wahrgenommen habe, sondern als Pflicht, denn ich habe einen Eid geschworen. Mein Amtseid besagte, dass ich die Verfassung schützen und verteidigen würde. Aber dies war eine Verletzung des Vierten und Ersten Zusatzes der Verfassung und der Rechte von us-Bürgern. Viele Leute verstehen nicht, dass die massenhafte Datenspeicherung von Personen bei us-Bürgern begann. Deshalb habe ich auch sofort Einwände dagegen erhoben und die NSA verlassen, denn ich konnte das nicht mittragen.

Coleen Rowley: Ich bin froh, dass es diese Tradition seit 12 Jahren gibt: jemand auszuwählen, der dafür ausgezeichnet wird, die Wahrheit gesagt zu haben und Integrität bewiesen hat. Es gibt viele Herausforderungen, wenn es darum geht korrekte und ehrliche Geheimdienstinformationen für die Politikgestaltung zu schaffen.
Es ist mehr als nur herausfordernd, es ist voller Personen, die die Fakten für ihre eigenen Ziele verwenden wollen. Die gute Nachricht ist, dass es Personen gibt. Häufig wird man hoffnungslos und denkt „Die gesamte Regierung ist korrupt! Die CIA und das FBI und der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ inklusive Großbritannien und anderen Staaten. Alles ist korrupt und es gibt nichts, was wir tun können.“ Aber dann gibt es innen drin Personen, die die gleichen Probleme gesehen haben und sich dagegen stellen. Der Nachteil ist, dass anscheinend noch keinen Wendepunkt erreicht würde, an dem wir genügend Informationen an die Öffentlichkeit bringen konnten, darüber was tatsächlich passiert, sodass der öffentliche Druck einen Unterschied macht.

Edward Snowden: Als ich das erste Mal überprüft wurde, wurde mir eine Floskel in der Art, wie sie von unserer Leitung gemocht wurde, vorgestellt und die lautete, dass wir und alle Geheimdienstbehörden, eine Verpflichtung haben: „Sprechen bezeugt den Weg.“ Die Idee dahinter war, dass wir selbst unter großem Risiko, selbst wenn es politisch dir oder deine Karriere nicht hilft, eine Bürgerpflicht haben. Wenn wir sehen, dass etwas falsch läuft, wenn es eine neue Software gibt und unrechtmäßige Bereiche betreten werden müssen wir etwas sagen. Wenn unsere Informationen uns zu einem gemischten Ergebnis führen, ander als die Strategien, die unsere Beamten bevorzugen würden, dann müssen wir aufstehen und etwas dagegen sagen.

Jesselyn Radack: Ich finde, und damit spreche ich für mich, aber auch in der Repräsentation für Klienten wie Bill Binney, Edward Snowden und Thomas Drake, wenn man für die Regierung der USA arbeitet, schwört man einen Eid. Nicht auf den Präsidenten, nicht auf deine Agentur, nicht auf irgendeinen Boss, sondern man schwört einen Eid darauf, die Verfassung der USA zu achten und gegen Feinde, von außen wie von innen, zu schützen. Und die Menschen, die diesen Eid abgelegt haben achten ihre Pflicht gegenüber der Verfassung höher, als jede Form von Loyalität gegenüber irgendjemand sonst. Die USA versucht es so aussehen zu lassen, als seien Whistleblower der Regierung gegenüber illoyal, aber tatsächlich ist es genau umgekehrt: es sind die Whistleblower, welche die höchste Form der Loyalität dem Dokument gegenüber haben, auf dessen Grundlage unsere Nation gegründet wurde.

William Binney: Der Punkt ist, dass man sagt „Wenn du nichts zu verstecken hast, dann hast du nichts zu befürchten.“ nicht wahr? Dieses Zitat stammt direkt von Joseph Goebbels und außerdem ist es völlig irrelevant. Was du als ein Bürger irgendeines Staates denkst, ist irrelevant. Das einzige was von Bedeutung ist, ist was die Agenturen der Geheimdienst-Community und die Regierung von dir denken. Wenn die nicht mögen, was du tust, dann bist du eine Gefahr und eine Zielperson. Was du denkst, ändert nichts daran.

Thomas Drake: Metadaten sind immer noch Daten. Es ist eine höhere Form, es ist im Grunde genommen die Zusammenfassung der Realität, ihr Inhaltsverzeichnis, der Kontext für den Inhalt. Aber je nach dem über wieviele Metadaten man verfügt, kann das ziemlich viel aussagen.

William Binney: Auf diese Weise versuchen sie uns das weiszumachen: Es seien nicht wirklich persönliche Daten. Aber de facto ist es genau das. Denn es beschreibt dich – wenn es deine Telefonnummer ist, verrät es deine Adresse und bei einer Rückwärtssuche funktioniert das auch im Netz. Es ist einfach die Namen herauszufinden, nicht nur deinen, aber den aller der Menschen, die dort leben, ihr Alter und die Beziehungen und auch die Adresse. Alles ist verfügbar durch eine Telefonnummer.

Jesselyn Radack: Ich finde das ist ein sehr fadenscheiniges Argument, zu behaupten, dass Metadaten keine persönlichen Daten enthalten würde – denn sie zeichnen auf, welche Kommunikation wann, wo, wie lange und zwischen wem stattgefunden hat. Das erzählt viel. Wenn ich eine Abtreibungsklinik anrufe oder die Anonymen Alkoholiker, dürften die Leute eine ziemlich klare Vorstellung davon haben, warum ich dort anrufe. Ich glaube, dass Metadaten dir mehr erzählen, als der Inhalt. Denn der meiste Inhalt ist Müll, wirklich nicht nützlich – die Metadaten erzählen dir eine viel tiefgreifendere und aufschlussreiche Geschichte über jemandes Leben und inneres privates Leben.

Thomas Drake: Das ist ein Teil des Arguments „Naja, es sind nur Metadaten!“ Aber selbst der ehemalige Chef der NSA und der CIA General Michael V. Hayden sagte, dass Metadaten töten können. Naja, ja, wenn du genügend davon hast – natürlich. Aber selbst dann wird es nicht immer als exklusives Hilfsmittel verwendet.

Jesselyn Radack: Ich glaube das Parlament und der Kongress in den USA, sowie auch der Bundestag sind legislative Organe, die reichlich blockiert sind. Sie werden nichts tun, was irgendwie bedeutsam sein wird. Das hat Snowden gesagt und es von besonderer Bedeutung, denn er hat gesagt, dass sich die Gesetze nicht ändern werden. Technik wird die Änderungen hervorbringen und genau das sehen wir jetzt, denn es gibt eine weltweite Bewegung dahingehend, dass mehr Personen beginnen zu verschlüsseln und die Angelegenheiten in ihre eigenen Hände zu nehmen und zu versuchen ihre Privatsphäre selbst zu schützen. Legislative Organe, egal ob der Bundestag oder der Kongress oder das Europäische Parlament sind langsam in der Einsetzung einer Überwachungsreform oder führen Untersuchungen, die wirklich nirgendwohin führen. Ich glaube, an dieser Stelle kommen die Techniker rein.

Edward Snowden: Ich denke wir alle schulden diese seltenen Personen etwas, dafür dass sie aufstehen und ein außergewöhnliches Risiko auf sich genommen haben. Zu sagen „Du weißt dass, selbst wenn alle anderen ruhig bleiben, den Mund halten, ich werde es nicht tun. Ich werde davon kein Teil sein. Ich habe eine Pflicht, die ich nicht ändern kann. Der Wandel beginnt mit mir. Der Wandel beginnt mit uns. Der Wandel beginnt mit Ausschließlichkeit. Lasst uns das wieder wandeln. Mit euch.“ Danke.

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3 Ergänzungen

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