Netzpolitischer Wochenrückblick KW38: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihre Politiker

(CC BY-NC-ND 2.0) via flickr/Cristina

Willkommen zum 38. Wochenrückblick in diesem Jahr. Überrascht wurden wir in dieser Woche von der EU-Kommission. Sie erhob Bedenken gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, wodurch sich das Verfahren etwas in die Länge ziehen wird. Doch sorgt sich die Kommission nicht vorrangig um die Unverhältnismäßigkeit dieses Grundrechtsangriffs, sondern um die exklusive Speicherung der Vorratsdaten in Deutschland. Die Kommission betonte zugleich, dass sie nicht gegen eine Wiedereinführung klagen wird. Wir veröffentlichten die Stellungnahme der EU-Kommission im Volltext. Auch seitens der Berliner Berufskammern bekommt die Vorratsdatenspeicherung Gegenwind. In einer gemeinsamen Erklärung appellierten sie an die Abgeordneten des Bundestages, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion förderte zu Tage, wie die Bundesregierung bei der Wiedereinführung der VDS vorgegangen ist.

Die Polizei schafft sich längst ihre eigene Vorratsdatenspeicherung: Durch eine immense Zahl von Funkzellenabfragen versorgen sich Ermittlungsbehörden mit Millionen von Verbindungsdaten. Das geschieht längst nicht mehr nur bei Kapitalverbrechen. Die Bundeswehr setzt derweil auf den „Cyberwar“ und baut dafür intern um. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellte die Pläne dazu der Öffentlichkeit vor. Weniger öffentlich war ein Hintergrundgespräch für PressevertreterInnen im Verteidigungsministerium, zu dem wir trotz Bitte nicht eingeladen wurden.

Im politischen Berlin erheben Linke und Grüne Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung. Dabei geht es um die Weigerung der Regierung, dem NSA-Untersuchungsausschuss die Selektorenliste vorzulegen. Die Oppositionsfraktionen sehen darin eine Missachtung des Rechts zur Aktenvorlage des Ausschusses.

In dieser Woche erreichte uns die traurige Nachricht über den Tod von Michael Bauer. Er war ein Urgestein der österreichischen Netzpolitik und Netzkultur und Mitbegründer des CCC in Österreichs. In einem Nachruf gedenkt ihm Thomas Lohninger.

Die EU-Mitgliedsstaaten verschärfen ihr Grenzregime. Dafür sollen künftig Geflüchtete in polizeilichen Datenbanken gespeichert werden. Ausgebaut wird auch die Speicherung von biometrischen Merkmalen, um Geflüchteten die Wiedereinreise in den Schengenraum zu erschweren. Zugleich sollen zivile und militärische Sicherheitsbehörden Personendaten austauschen, um die Mittelmeergrenzen gegen Geflüchtete abzuschotten.

Thomas Rudl hat sich genauer angeschaut, was hinter einer Mitteilung des weltgrößten Internetknotenbetreibers DE-CIX steckt. Darin wurde ein Forschungsprojekt zur Steuerung von Datenflüssen angekündigt, das für uns stark nach einem Angriff auf die Netzneutralität klang.

Die EU-Polizeiagentur Europol baut ihre Zusammenarbeit mit US-Behörden weiter aus, um elektronische Beweise leichter sicherzustellen. Dafür zieht jetzt ein US-Staatsanwalt bei Europol ein. Wir berichteten in dieser Woche außerdem darüber, welche Änderungen das EU-US-Datenschutzabkommen nach sich zieht.

Das hatte sich das US-Department of Homeland Security anders vorgestellt: Aus einer Einschüchterungskampagne gegen die Kilton Public Library wurde eine Werbekampagne für das Tor-Netzwerk. Inzwischen solidarisierten sich viele andere Bibliotheken gegen den Einschüchterungsversuch und richteten Tor-Exit-Nodes ein. Auch die Kilton Library nimmt den Betrieb ihres Exit Nodes wieder auf.

Erfreuliche Nachrichten gab es zu Open Education in den USA. Außerdem wurde dort nach neunjährigem Rechtsstreit eine weitreichende Entscheidung zur missbräuchlichen Nutzung des Takedown-Verfahrens nach dem Digital Millennium Copyright Act gefällt. Hierzulande streiten sich Wikimedia und ein Mannheimer Museum um die Digitalisierung von Bildern.

Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch eine verheerende Neuregelung des Telemediengesetzes. Weiter wurde die Digitale Agenda noch beim Forschungsministerium hochgehalten und bei der IKT-Förderung des Wirtschafsministeriums. Beinahe wäre auch ein Ausweis für jeden vernetzten Toaster gekommen.

Die hessische Polizei wird ihre fragwürdige Twitter-Praxis weiter fortsetzen. Eine Kleine Anfrage im Wiesbadener Landtag gibt Einblick in die Kommunikationsstrategie der Cop Culture auf Twitter. Außerdem blickten wir in die Schweiz. Dort ging es um netzpolitische Fragen im Wahlkampf.

Was sonst noch passierte:
Flüchtlinge hacken beim Refugee-Hackathon am 24. & 25.10 in Berlin.
„Scheiß Internet“-Preis: Cyberkommissar Oettinger ausgezeichnet als „technologiefeindlicher Grantler“.
Twitter schaltet politwoops ab und erntet breite Kritik.

Wir freuen uns auf die kommende Woche. Dort gibt es u. a. eine Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages und eine weitere Sitzung des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses, wie immer mit einem Liveblog von uns begleitet.

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