Netzpolitischer Wochenrückblick – KW 26 – Nachwehen des SPD-Parteikonvents, EU-Entscheidung um Netzneutralität steht bevor

CC BY-SA 2.0, via flickr/Michael Coghlan

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Herzlich Willkommen zum 26. netzpolitischen Wochenrückblick in diesem Jahr. Wie erwartet hat der SPD-Parteikonvent am vergangenen Wochenende für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Das sei zu begrüßen, erklärte der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD), denn er verzichte „gerne auf vermeintliche Freiheitsrechte“, wenn dafür „Kinderschänder“ überführt würden. Sein anschließender Versuch, sich aus der Bre­douil­le zu ziehen, scheiterte kläglich. Dabei gibt es doch so viele andere vermeintliche Argumente zur Vorratsdatenspeicherung! Aber vielleicht lassen sich ja Galls Totschlagargumente in SPD-Wahlplakate ummünzen?

Unterdessen begann in Teilen der SPD die Nabelschau. Drastische Konsequenzen, etwa ein öffentlichkeitswirksamer Parteiaustritt, sind bislang jedoch ausgeblieben – die Karrieren scheinen im Moment Vorrang zu genießen.

Für völlig unproblematisch hält die Vorratsdatenspeicherung naturgemäß der Bund Deutscher Kriminalbeamter, der altbekannte Behauptungen wiederholt und auf Basis dieser längst widerlegten Argumente sogar eine Ausweitung der Überwachung fordert. Da sei den Kriminalbeamten unsere (fast tägliche) Serie „Täglich VDS-Fakten“ ans Herz gelegt, die zeigt, dass Vorratdatenspeicherung kaum etwas bringt, dafür aber mehr über unser Privatleben preisgibt, als uns lieb ist.

Die CDU wiederum versteht offenbar gar nicht, warum da so viel herumdiskutiert wird, denn schließlich handle es sich bei der Vorratsdatenspeicherung nicht um die Zukunftsfrage der Netzpolitik. Und die Bundesregierung hat eine reichlich unkonventionelle Vorstellung davon, was gemeinhin unter „Beteiligung“ läuft (Hint: Laut Duden „das Teilnehmen; das Sichbeteiligen; Mitwirkung“).

Netzneutralität und Datenschutz in der EU

Auf EU-Ebene befinden sich die Trilog-Verhandlungen zur Netzneutralität in der Endphase, und bereits am Montag könnten wegfallende Roaminggebühren gegen das Best-Effort-Internet getauscht werden. Wer sich immer schon gefragt hat, woher eine Ecke des Trilogs – der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger – ihre Argumente bezieht, kann nun erleichert aufatmen: von der Industrie natürlich!

Ebenfalls im Trilog befinden sich die Verhandlungen zur EU-Datenschutzreform, die möglicherweise zu einer Schwächung des Datenschutzes führen könnten. Doch freilich helfen auch die strengsten Datenschutzregelungen nichts, wenn ein einfacher Anruf genügt, um an sämtliche Gesundheitsdaten einzelner Versicherter zu gelangen.

Eine Stellungnahme des EU-Parlaments könnte das Aus für tausende Bilder auf Wikipedia und anderen Plattformen bedeuten.

Neue Leitlinien der EU-Kommission ermöglichen mehr Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen, während über dem Mittelmeer Seeaufklärer, Flugzeuge, Drohnen und Satellitenüberwachung böse Flüchtlinge fernhalten sollen.

Geheimdienstbefugnisse ausweiten? Ja, aber nur unsere!

Pünktlich zur Absegnung massiv ausgeweiteter Geheimdienstbefugnisse in Frankreich wurde bekannt, dass die NSA jahrelang die französische Staatsspitze abgehört hat. Fragt sich nur, wer dem US-Geheimdienst dabei tatkräftig unter die Arme gegriffen hat.

Ein britisches Geheimdienstgericht hat das GCHQ für schuldig befunden, interne Regelungen missachtet und illegal Menschenrechtsorganisationen überwacht zu haben. Bekannt wurde auch, dass dersel­be Geheimdienst weit mehr Ziele in Großbritannien angegriffen hat, als bislang bekannt war – und im Zusammenspiel mit den US-Kollegen von der NSA systematisch Hersteller von Sicherheitssoftware zu Zielscheiben erklärt hat. Die Informationen stammen aus Dokumenten von Edward Snowden, dem wir an dieser Stelle nochmal alles Gute zum Geburtstag wünschen. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang wohl auch, Webseiten des Deutschen Bundestags nicht mehr auf Servern US-amerikanischer Anbieter zu hosten.

In Deutschland naht die Sommerpause des Bundestags, und damit wird auch die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses zum Erliegen kommen. In der letzten Sitzung vor der Pause wird der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald „Die Affäre ist beendet“ Pofalla zu Gast sein. Wir werden seine öffentlichen Aussagen wie immer live mitprotokollieren. Vermutlich erst im Herbst wird im NSAUA die US-Basis Ramstein thematisiert werden, die als Relais-Station für tödliche Drohnenangriffe dient.

Noch lange nicht ausgestanden ist der Bundestags-Hack. Sicherheitsexperten entdecken potenzielle Einfallstore, und die Bundestagsverwaltung verschickt IT-Sicherheitstipps an Politiker. Ob es aber hilft, zehntausende Webseiten zu sperren, um einen Sicherheitsgewinn zu erreichen?

Wie auch immer. Aus Russland würden die Angreifer jedenfalls nicht stammen, wie uns „Anonymous Germany“ mitteilte und im gleichen Atemzug androhte, unsere Webseite vom Netz zu nehmen.

Was alles in Datenbanken schlummert(e)

In einem Gastbeitrag analysiert der Politikwissenschaftler Christian Schröder „personengebundene Hinweise“ in Polizeidatenbanken und weist ihnen stigmatisierende und diskriminierende Auswirkungen nach. Immerhin hat an anderer Stelle eine Rüge der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff erwirkt, dass die beim Bundeskriminalamt geführte Datensammlung „PMK-Links“ um ganze 90 % geschrumpft ist.

Angeblich, um Hartz4-Betrug zu verhindern, schnüffeln Mitarbeiter von Jobcentern ihren Klienten im Internet hinterher. An dieser die Privatsphäre verletzenden Praxis wird sich aber leider nichts ändern, solange es nicht offiziell verboten wird.

Anna Biselli war als Expertin beim Deutschlandradio Kultur zu Gast, um über Passwörter und sichere Authentifizierungsverfahren zu sprechen. Spannend wird auch der erste Gerichtsauftritt von Markus Beckedahl am kommenden Donnerstag ausfallen, der auf die Herausgabe bislang geheimer Dokumente geklagt hat, die bei den ACTA-Verhandlungen angefallen sind.

Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig verpflichtete den Bundestag dazu, Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes nach dem Informationsfreiheitsgesetz herauszugeben.

Ein 200-seitiger Bildband soll die mittlerweile 20-jährige Geschichte des Hackerspaces c-base nachzeichnen. Zur Finanzierung dieses Unterfangens wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Kostenlos gibt es das freie E-Book „Open Source und Schule: Warum Bildung Offenheit braucht“.

Um ihren Auftritt bei Facebook und anderen sozialen Plattformen zu verbessern, hat die Bundesregierung 120.000 Euro ausgegeben. Soziale Netzwerke sind freilich auch aus anderen Gründen nicht unwichtig, weil sie zunehmend als eigenständige Nachrichtenquellen gelten. Berlin soll 650 Hotspots erhalten, über die kostenlos im Internet gesurft werden kann.

Und am Ende seien nochmals herzliche Glückwünsche ausgesprochen: diesmal an die Gewinner der Grimme Online Awards 2015.

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