Netzpolitischer Wochenrückblick – KW 17 – BND überraschend außer Kontrolle

CC BY 2.5 via wikimedia/Chmehl

Herzlich Willkommen zu unserem 17. netzpolitischen Wochenrückblick in diesem Jahr. Vollkommen überraschend musste das Bundeskanzleramt diese Woche mitteilen, dass der Bundesnachrichtendienst freundlicherweise der NSA dabei geholfen hat, unsere Industrie, unsere Bevölkerung und unsere Politiker auszuspionieren.

Selbstverständlich kann man dabei immer noch nicht von einer anlasslosen Massenüberwachung reden, das versteht sich ja von selbst. Unser Auslandsgeheimdienst agiert vollkommen unkontrolliert, und in der Aufsichtsbehörde Kanzleramt will man davon nichts gewusst haben. Wahlweise sollten wir die (früheren) Entscheidungsträger wegen Unfähigkeit verantwortlich machen oder aber sie lenken nur davon ab, dass sie über alles informiert waren und das billigend in Kauf genommen haben. Auf jeden Fall sprengten die neuen Informationen eine Sitzung des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses, unser Protokoll fällt daher diese Woche übersichtlich aus. Und der Generalbundesanwalt soll weiter aktiv werden, aber auf dessen Einschreiten möchte niemand bei uns in der Redaktion auch nur eine Mate verwetten. Dafür haben wir eine neue Podcast-Folge produziert und ordnen die neuesten Entwicklungen rund um den BND-Geheimdienstskandal für Euch ein.

Erfreulich ist, dass der DE-CIX endlich gegen Überwachungsmaßnahmen am größten Internetknoten klagen will. Wir wünschen viel Erfolg. Das ist auch dringend notwendig, denn die Antwort der Bundesregierung auf die Verfehlungen des BND und den kalkulierten Verfassungsbruch sind eine Legalisierung der Praktiken und keine notwendigen Reformen. Wir bekommen leider keine Dokumente mehr zum Thema über das Informationsfreiheitsgesetz, weil alle Dokumente, die den Untersuchungsausschuss betreffen, natürlich geheim bleiben müssen. Zuviel Transparenz schadet ja bekanntlich der Aufklärung.

Vergangene Woche überraschte die Bundesregierung mit Leitlinien zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Als „grundrechtsschonend“ wurde sie verkauft, denn selbstverständlich solle ein strenger Richtervorbehalt dabei sein. Das war natürlich eiskalt gelogen. Uns wurde eine Nebenabrede zugespielt, die belegt, dass Justiz- und Innenministerium vereinbart haben, dass über die Bestandsdatenauskunft in einem Großteil der Fälle auch ohne Richtervorbehalt auf Vorratsdaten zugegriffen werden kann. Das Justizministerium erklärte im Bundestag, das würde nicht stimmen. Uns wollte und konnte man das von der Pressestelle nicht dementieren. Wir bleiben dabei: Es gibt diese Nebenabrede und wir sind gespannt, wann das endlich zugegeben wird und wie das Gesetz letztendlich aussehen wird. Währenddessen wächst der Widerstand gegen die anlasslose Vollprotokollierung unserer Kommunikationsdaten. Die Dortmunder SPD hat geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung gestimmt, immerhin der größte SPD-Unterbezirk. Und selbst unsere Bundesdatenschutzbeauftragte von der CDU ist dagegen. Dafür nimmt Österreich jetzt die deutsche Wiedereinführung als Vorbild. Selbst schuld.

Im Europarat – nicht mit dem Rat der EU zu verwechseln – regt sich Widerstand gegen die Massenüberwachung durch Geheimdienste. Die Versammlung hat diese Woche eine Resolution verabschiedet, die sich unter anderem gegen die in einer Grauzone operierende „Überwachungsindustrie“ richtet, die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung ablehnt und als einen der wenigen positiven Punkte den deutschen NSA-Untersuchungsausschuss hervorhebt. Im Europäischen Parlament wiederum macht man sich offenbar wenige Sorgen um die eigene IT-Sicherheit. Seit den Snowden-Veröffentlichungen ist nämlich reichlich wenig passiert, wie ein Zwischenbericht deutlich macht. Dass in den Niederlanden die für biometrische Ausweise notwendigen Fingerabdruckdateien in zumindest einem Register vorgehalten werden, ignoriert der Europäische Gerichtshof in einem Urteil und wischt damit komplett den Datenschutz beiseite.

Nach dem Hack in das Netz des SIM-Kartenherstellers Gemalto sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf und zieht keine Konsequenzen. Zusätzliche Brisanz erlangt der Hack dadurch, dass Gemalto nicht nur SIM-Karten herstellt, sondern unter anderem auch die Chips für die elektronische Gesundheitskarte. Gesellschaft ist gut, Markt ist besser. So sieht das offenbar die EU-Kommission, deren kommende Strategie zum digitalen Binnenmarkt Urheberrechtsverletzungen auf eine Stufe mit Terrorismus stellt und unter anderem Netzsperren für „Internet-Piraten“ vorschlägt.

An den EU-Digitalkommissar Günther Oettinger richtet sich ein offener Brief des eHealth-Startups arztkonsultation.de, das die Netzneutralität erhalten beziehungsweise verankert sehen möchte. Dabei soll doch Netzneutralität unser aller Leben gefährden, versucht uns jedenfalls die Telekom-Lobby einzureden. Etwas enger fasst Facebook seine Auffassung von Netzneutralität und sieht seine Nutzer in Entwicklungsländern lieber im eigenen Ökosystem als im offenen Netz.

Auch wenn wir mit Kritik nicht sparen, sprechen wir gerne Lob aus, wenn es angebracht ist: Die Bundesregierung hat der EU einen Gesetzesentwurf zur Absegnung übergeben, der den Routerzwang beenden soll.

Anstelle politische Lösungen für die oft genug tödliche Flüchtlingssituation auf dem Mittelmeer zu forcieren, schickt der EU-Sondergipfel zunächst einmal die EU-Polizeiagentur Europol vor, um nach Internetinhalten zu suchen, die Flüchtlinge anziehen könnten. Da ist auch der Sprung zum Terrorismus nicht weit, dem sich die „Hinweisstelle“ ebenfalls widmen soll.

Wir freuen uns schon auf den Vortrag der Künstlergruppe !Mediengruppe Bitnik auf der kommenden re:publica – und wären überrascht, wenn sie dort über ihr jüngstes Projekt „Random Darknet Shopper“ kein Wort verlieren würden. Weil ihr Darknet-Bot auch Drogen übers Internet bestellt hat, bekam die Gruppe juristische Probleme. Diese werden sie jedoch nicht mehr länger verfolgen, weil alle Pillen vernichtet worden sind. Nicht nur wir bemäkeln die Digitale Agenda der Bundesregierung, sondern unter anderem auch die Süddeutsche Zeitung, die der Regierung in dieser Hinsicht ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Wer sich auf unterhaltsame Weise mit Patent-Trollen auseinandersetzen möchte, dem sei ein Segment von John Olivers Last Week Tonight ans Herz gelegt. Beeilen sollte sich, wer die knapp einstündige Arte-Dokumentation „TTIP – Freier Handel oder freie Bürger?“ ansehen möchte – in wenigen Tagen dürfte der Beitrag aus der Mediathek verschwunden sein.

Wir wünschen ein schönes Wochenende und sind schon gespannt, ob die nächste Woche genauso turbulent verlaufen wird wie die aktuelle.

Dieser Wochenrückblick wird auch als Newsletter versendet. Rechts oben kann man diesen abonnieren.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.