Lobbyisten in Brüssel: Leichtes Spiel mit Günther Oettinger

Digitalkommissar Günther Oettinger trifft sich besonders gerne mit Vertretern aus der Wirtschaft – und vertritt anschließend deren Positionen. CC BY 2.0, via flickr/ITU Pictures

Seit Dezember 2014 haben über 4.000 gemeldete Treffen zwischen Mitgliedern der EU-Kommission und Lobby-Vertretern stattgefunden – und mehr als 75 % davon waren mit Vertretern von Unternehmen. Für Nichtregierungsorganisationen (18 %) oder Think Tanks (4 %) hatte die Kommission deutlich weniger Zeit, wie aus einer aktuellen Untersuchung von Transparency International hervorgeht.

Besonders umtriebig waren demnach Google, General Electric und Airbus, während Exxon Mobil, Shell und Microsoft am meisten Geld (jeweils etwa 4,5 Millionen Euro) ausgegeben haben. Die meisten Treffen fanden in den Bereichen Klima und Energie, Arbeitsmarktpolitik sowie Digitale Ökonomie statt.

Die Wirtschaftslobby und Günther Oettinger

Ein noch deutlich unausgewogeneres Bild zeigt sich, sobald man gezielt nach den Terminen des Digitalkommissars Günther Oettinger sucht. Dieser hat sich in den vergangenen Monaten fast ausschließlich mit Vertretern der Industrie und Handelsorganisationen besprochen, wobei mit der Deutschen Telekom, Vodafone oder Orange große Telekommunikationsunternehmen seinen Terminkalender dominiert haben.

Im gesamten Bereich „Digitale Ökonomie“ kam es zu insgesamt 366 Treffen, davon entfielen ganze 89 % auf Meetings mit Industrievertretern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Verhandlungen rund um Netzneutralität sollte es also niemanden überraschen, wenn Oettinger praktisch ausnahmslos Positionen der Industrie vertritt und Befürwortern der Netzneutralität „Taliban-artige“ Tendenzen unterstellt.

Treffen zwischen Oettinger und Nichtregierungsorganisationen muss man mit der Lupe suchen. Screenshot: www.integritywatch.eu
Treffen zwischen Oettinger und Nichtregierungsorganisationen muss man mit der Lupe suchen. Screenshot: www.integritywatch.eu

Dabei handelt es sich keineswegs um einen vollständigen Datensatz, wie Transparency International einräumt. Die Untersuchung umfasse lediglich die Top-1-% der EU-Beamten und nur 20 % der registrierten Lobby-Organisationen, was die Unzulänglichkeiten der derzeit freiwilligen Lobbyisten-Registrierung zeige. „Viele der Informationen, die Lobbyisten freiwillig in die Registrations-Datenbank eintragen, sind ungenau, unvollständig oder geradezu bedeutungslos“, sagte Daniel Freund, der Verfasser der Studie. Zusätzlich erschwert der Umstand, dass die Termine auf insgesamt 89 verschiedenen Webseiten veröffentlicht werden, das Nachvollziehen der Lobby-Treffen. Dieses Problem soll die interaktive Webseite EU Integrity Watch lindern, die die Treffen an einer zentralen Stelle auflistet und sinnvoll filterbar macht.

Mehr Transparenz gewünscht

Beginnend mit Dezember 2014 bemüht sich die Juncker-Kommission, selbst auferlegte Transparenzregeln einzuhalten. In einem Dokument über die „Arbeitsmethoden der EU-Kommission“ heißt es, Treffen mit Interessensgruppen müssten nicht nur transparent ablaufen, sondern auch eine „angemessene Balance“ sicherstellen. Mitglieder der Kommission dürften sich nur dann mit Lobby-Vertretern treffen, wenn sich diese im Transparenz-Register eingetragen hätten. Ferner werde von allen Kommissionsmitgliedern erwartet, sämtliche Besprechungen mit berufsmäßigen Lobbyisten spätestens zwei Wochen danach öffentlich zu machen, solange keine speziellen Geheimhaltungsgründe dagegen sprechen würden.

Doch nicht einmal das ist Günther Oettinger gelungen. Vor einigen Tagen haben wir über das Transparenzproblem des Kommissars berichtet, der seine öffentliche Termindatenbank offensichtlich nicht ausreichend pflegt. Zwar wurden mittlerweile einige Termine nachgetragen, aber noch lange nicht alle. Das sei aber kein Problem, wie er dem Spiegel erklärte, denn nicht alle Treffen müssten verzeichnet werden, „etwa, wenn ich mich in einer öffentlichen Veranstaltung an Bürger wende, auf einer Konferenz spreche oder Abgeordnete treffe, die sich für die Rechte der Internet-Nutzer einsetzen“.

Daran kann sich der österreichische Grünen-Abgeordnete Michel Reimon nicht erinnern. Seiner Darstellung nach sei Oettinger bei den Netzneutralitätsverhandlungen kein einziges Mal anwesend gewesen und würde sich stets für möglichst konzernfreundliche Lösungen einsetzen, beschwerte er sich dem Spiegel gegenüber. „Man weiß seit einem Jahr nicht, was er arbeitet. Und ob er überhaupt arbeitet.“

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21 Ergänzungen

  1. Ich kann mir das bildlich vorstellen, wie Oettinger mit einem Haufen Harvard Absolventen seine Sprüche ablässt: „Wi ar oll sidding in won boot“ – und die sich denken: „No, you are swimming in the haifischbecken!“ … oje oje oje …

  2. Leichtes Spiel mit Günther Oettinger: Vielleicht etwas falsch formuliert, Öttinger ist eher ein ausführendes Organ der Wirtschaft, das man nur über ein geeignetes Netzwerk mit entsprechenden Ideen versorgen muss. Differenziertes eigenständiges Denken und Handeln scheint ihm nicht so zu liegen. Wer bei ihm erst einmal den Fuß in der Tür hat, dem genügt ein kurzer Anruf.

    So gesehen haben gewisse Interessengruppen die richtige Person am richtigen Ort platziert.

  3. Weitersuchen und sobald als möglich den Druck über die Medien ausüben bis nichts außer Rücktritt übrig bleibt. Politiker wie dieser Oettinger müssen medial an die Wand gestellt werden. Die Bevölkerung kann es nicht hinnehmen wenn gegen ihre und für die Interessen der Großkonzerne gearbeitet wird.

    1. Rücktritt? Fehlanzeige. Oettinger hat schon einen großen Schaden in BaWü angerichtet. Konsequenz? Er wurde nach Brüssel wegbefördert. https://youtu.be/W9UcZDuKsDQ

      „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“ scheint sein Markenzeichen zu sein.

      1. wenn alles was man dagegen tut bissige kommentare innerhalb der eigenen filterblase sind wird sich das auch wenig ändert

  4. Das Problem mit dem Lobbyismus und den Interessensgruppen kann man ganz einfach über öffentliche Konferenzen „Call of papers“ zu den jeweiligen Themengebieten lösen, wie es in der Wissenschaft üblich ist. Wer etwas sagen will, kann sich anmelden und einen Vortrag halten und seine Wünsche äußern. Und wer sich informieren will, geht tingeln und besorgt sich die Proceedings.

    Dann kann man die ganzen Lobbyisten aus dem Gebäude werfen.

    1. Schonmal an so einer Konferenz teilgenommen oder sogar eine organisiert?

      Da ist dann erstmal das Programmkomitee, das entscheidet, wer vortragen darf, denn es gibt wesentlich mehr Vorschlaege als Slots. Keine Lobby (sic!) im Programkomitee zu haben macht es schonmal sehr schwer.

      Wer keinen Vortrag (Vorbereitung, Reisekosten, Zeit, Sprache, Auftritt, etc) halten kann, kommt ohnehin nicht zum Zuge. Wer nicht dabei war, kommt bis zur naechsten Konferenz zu diesem Thema nicht zum Zuge und ist in den Proceedings nicht drin, wird also soweit voellig ignoriert. Anderer Zugang (was in der wissenschaftlichen Welt Fachmagazine, Mailinglisten, Arbeitstreffen, etc sind) waere ja nicht gegeben.

      Ein Vortrag lebt massiv vom Vortragenden und seiner Vorbereitung, auch im Hinblick auf die Schwaechung von konkurierenden Meinungen. Wer gewinnt da wohl mehr, der stotternde Amateur mit Taschengeld oder der professionelle Lobbyist mit entsprechendem Funding?

  5. Mit Herrn Öttinger wird der sogenannten Netzgemeinde unmissverständlich klar gemacht das Politik machen kann was sie will. Widerstand ist zwecklos. Wie da der europäische Gedanke in mir wachsen soll ist mir nicht mehr so klar.

  6. … oder anders formuliert: Mit Herrn Öttinger wird der sogenannten Netzgemeinde unmissverständlich klar gemacht, dass Politik machen kann, was Lobbyisten bzw. die Vertreter von Wirtschaftsinteressen wollen.

  7. Selbst den Lobbyisten dürfte Günther Oettingers Gelehrigkeit und rhetorischer Erfüllungseifer unheimlich sein.

  8. Lobbyismus ist die nicht enden wollende Plage der Geldeliten. Eins der wichtigsten Instrumente um die Demokratie weiträumig auszusperren. JDie Politbonzen können sich ihre Heucheleien sparen solange es diese Spezialinteressen gibt. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Über 3000 Treffen in weniger als 180 Tagen. Wahnsinn. Die gleiche Praxis herrscht auch genau so hinter dem großen Teich. Dort ist das Zweiparteien System ja auch nur noch der Vorhang des Geldadels.

    Man sollte mal eine IFG Anfrage stellen wieso zum Teufel wir im Rechtsstaat Lobbyisten brauchen? Gehen denen in Brüssel und anderswo die Themen oder Problemfelder aus?
    Oetti wie immer die komplette Fehlbesetzung (aus Sicht der Netzgemeinde natürlich). Keine Skepsis. Blanke Verachtung.

    1. Genau das ist der Punkt. Blanke Verachtung für ein System in welchem so eine offensichtliche Fehlbesetzung möglich ist. Beim Themenkomplex IT komme ich mir da besonders in Deutschland immer vor wie in Dritt-Welt-Diktaturen, wo der Gärtner des Schwagers des Diktators aus einer Laune heraus plötzlich der Verantwortliche für Raketentechnologie wird, aber auch keine Angst haben muss seine Inkompetenz ausgiebig zu demonstrieren, solange man in den richtigen Momenten dem Diktator weiterhin gefallen kann.

      1. Man koennte auch sagen, dass Oettinger den Stellenwert von Netzpolitik fuer das Wahlvolk durchaus passend widerspiegelt, leider.

        Das macht es nicht besser, aber das eigentliche Problem ist nicht Oettinger, der ist ein Symptom.

    2. Erstmal den Schaum von Mund wischen und dann nachdenken.

      Lobbyisten sind Interessenvertreter. An sich ist das eine sinnvolle Einrichtung, denn das schafft Transparenz. Wer glaubt, ohne sichtbare Lobbyisten wuerden keine Interessen vertreten, der ist naiv. Und wie sollte ein Diskurs ohne Interessenvertreter auch funktionieren, und ohne Diskurs keine Willensbildung.

      Die Frage ist, nach welchen Spielregeln Lobbyisten, andere Interessenvertreter und Fachleute transparent und hinreichend ausgewogen Einfluss ausueben koennen und duerfen. Letztlich muss dann der Waehler entscheiden koennen und entscheiden, welchem Politiker, Partei oder Option er seine Stimme gibt.

  9. „Für Nichtregierungsorganisationen (18%) oder Think Tanks (4 %) hatte die Kommission deutlich weniger Zeit,“

    Das wundert mich. Warum liegen Think Tanks nur im Bereich von 4%? Diese wurden ja mit einigem Aufwand extra dafür geschaffen, einer beliebig desaströsen Politik den medialen Anschein von Rationalität zu verleihen.

    1. Weil Think Tanks, wie der Name schon sagt, denken und nicht reden.
      Heißt die erstellen ein Papier, eine Studie oder was auch immer und jemand anderes latscht damit zum Kommissar.

      Was Treffen mit NGOs und Oettiner angeht: Es ist auch gut möglich, dass die sich sagen: Wer mich als Taliban bezeichnet, mit dem brauche ich kein Treffen von 15 Minuten haben, da rede ich lieber 1 Stunde 15 Minuten mit einem Abgeordneten (oder einem von Oettingers Zuarbeitern).
      Das war z.B ein sinngemäßes Zitat von Edri, die treffen Oettinger offenbar absichtlich nie, selbst wenn es um Netzneutralität geht.
      Auch sonst scheinen alle Personen, die ich in Brüssel getroffen habe, eher distanziert zu Oettinger (bzw. seine Kompetenz) zu sein. Die positivste Aussage, wenn man so will, war auch die von Edri: Das Gute an Oettinger ist, dass er genau sagt, was er denkt, und es ist gut, dass man das weiß.

      Den Satz werde ich so schnell nicht vergessen ^^

  10. Das Lobbyisten bei Günther Oettinger offene Türen einrennen kann nur den wundern, der ihn und sein Handeln nicht aus der Zeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg kennt. Kein halbwegs vernünftiger Mensch will Herrn Oettinger ohne triftigen Grund zuhören wenn er redet, geschweige denn z.B. mit ihm Essen gehen. Da Lobbyisten in der Regel keine dummen Menschen sind könnte man vermuten, dass sie trotz des (aus ihrer Sicht) vorhandenen Interesses Streichhölzer ziehen um festzulegen, wer sich das denn als Nächster antun muss.

  11. Ich frage mich ohnehin schon länger, wann der Oettinger mal genäht werden muss – an der Öffnung, durch die die Lobbyisten ihre Hände stecken, wenn sie ihn reden lassen wollen. Muss doch schon völlig ausgefranst sein…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.