Interview: Was bedeutet das Netzsperren-Urteil?

Wir haben heute bereits darüber berichtet, dass der Bundesgerichtshof (BGH) zu einem Urteil gelangt ist, das Netzsperren wegen Urheber- oder Leistungsschutzrechtsverletzungen erlaubt. Zwar ist bisher nur die Pressemitteilung des BGH und nicht das gesamte Urteil zu lesen, aber klar ist jetzt schon: Das Gericht hat Netzsperren grundsätzlich erlaubt. Es hat sie sogar mit dem Urteil überhaupt erst eingeführt.bgh

Netzsperren können einer Zensur im Internet Vorschub leisten, im Prinzip sind sie daher ein Sargnagel für das freie Internet und bedrohen mittelbar auch die Netzneutralität. Wo die vom BGH ausgemachte „Rechtsschutzlücke“ ist, wie es mit Overblocking aussieht und was das heutige Urteil konkret bedeutet, haben wir in einem Interview besprochen. Die Antworten gibt der Jurist und Rechtsanwalt Dr. Ansgar Koreng, der zum Thema „Zensur im Internet“ promoviert wurde.

netzpolitik.org: Herr Dr. Koreng, wie schätzen Sie die Entscheidung zu den Netzsperren ein, die heute die Urheberrechtskonzerne beim BGH erstritten haben?

Ansgar Koreng: Bisher ist ja nur die Pressemitteilung veröffentlicht, daher kennt man nur das Ergebnis. Das Ergebnis ist eine klassische „Ja, aber“-Entscheidung des BGH. Er lehnt Netzsperren nicht generell ab, sagt aber, dass Access Provider für Urheberrechtsverletzungen in die Verantwortung genommen werden können. Das Gericht sagt aber auch, dass die Hürden dafür sehr hoch sind: Vorher müssen erstmal zumutbare Maßnahmen ergriffen werden, um alle anderen Beteiligten – den Hostprovider oder den eigentlichen Verletzer – in Anspruch zu nehmen. Darum werden sich wahrscheinlich in Zukunft die Streitigkeiten drehen. Das Ergebnis kann uns natürlich nicht glücklich machen.

netzpolitik.org: Es gibt jetzt quasi drei Stufen: Man muss sich zunächst an den Anbieter wenden, wenn man dort nicht erfolgreich ist, wendet man sich danach an den Hostprovider. Zu guter Letzt kann man bei Misserfolg den Access Provider in Beschlag nehmen und ihn zu Netzsperren zwingen. Was die Frage der Störerhaftung angeht, wäre damit das Privileg der Access Provider unterminiert, dass sie nicht für Inhalte verantwortlich sind?

Ansgar Koreng: Ja. Wir haben ja eigentlich den Paragraphen § 8 Telemediengesetz, der besagt, dass Access Provider für die Durchleitung von Informationen überhaupt nicht haften, es sei denn, sie machen vorsätzlich bei Rechtsverletzungen mit. Insofern bin ich sehr gespannt, wie der BGH mit der Begründung des Urteils an dieser Norm vorbeigekommen ist.

netzpolitik.org: Nun spricht der BGH in der Pressemitteilung von einem „Gesamtverhältnis“, er sagt also, dass die rechtswidrigen Inhalte in deutlich höherem Maße auf den zu sperrenden Websites vorhanden sein müssen als die rechtmäßigen. Ist das überhaupt praktisch ermittelbar? Ist das ein Kriterium, welches Sie als Jurist sinnvoll finden?

Ansgar Koreng: Die erste Frage, die ich mir da stelle, ist natürlich: Welcher rechtliche Maßstab gilt da? Das Internet ist international, nach welcher Rechtsordnung messen wir jetzt, ob diese Inhalte im Einzelfall rechtmäßig sind oder rechtswidrig. Das ist die erste Frage, die erst einmal beantwortet werden muss. Die nächste Frage, die sich stellt, ist natürlich, wie hoch dieses Verhältnis von illegalem zu legalem Content sein muss. Die dritte Frage ist: Wie rechtfertigt man denn überhaupt die Sperrung von legalem Content? Man kann ja nicht einfach hingehen, gerade bei Plattformen, auf denen sowohl Legales als auch Illegales gehostet wird, und den legalen Content dort faktisch verbieten, obwohl der vielleicht gar kein Bezug zu dem illegalen Content hat, der da zufällig auch drauf ist. Wir müssen uns klarmachen, dass auch Social-Media-Angebote wie Facebook, Twitter usw. in großem Umfang illegale Inhalte beinhalten, ohne das Wissen der Anbieter. Da würden wir sicherlich auch nicht auf die Idee kommen, deswegen sperren zu wollen. Ich bin tatsächlich etwas konsterniert darüber. Wie soll das denn funktionieren? Anders ausgedrückt: Die Frage, die Sie mir gerade gestellt haben, stelle ich mir auch. Ich halte die bislang noch nicht für beantwortbar.

netzpolitik.org: Nun könnte man einwenden, dass es bei der Betrachtung des Gesamtverhältnisses rechtmäßiger zu rechtswidrigen Inhalten bei diesen großen kommerziellen Plattformen wie Facebook und Instagram eben nicht so ist, dass die überwiegenden Inhalte rechtswidrig sind. Wer soll denn dieses „Gesamtverhältnis“ ermitteln?

Ansgar Koreng: Das müsste natürlich in einem Prozess der Rechteinhaber machen, der die Sperrung will. Er müsste dezidiert aufstellen, wie viele Inhalte auf der Plattform vorhanden und wie viel davon rechtswidrig und wie viel rechtmäßig sind. Dann müsste er das in ein Verhältnis setzen und ein Gericht die Frage beantworten, ob das reicht, das Angebot insgesamt zu sperren. Ich halte das einfach nicht für praktikabel, denn diesen Aufwand wird sich kein Rechteinhaber machen können. Man wird nicht hingehen können und sich alles angucken, was auf so einer Plattform verfügbar ist, um dann zu sagen, wie das Verhältnis von legal und illegal ist. Zumal legal und illegal auch immer Wertungsfragen sind, die man teilweise nicht so einfach beurteilen kann. Wer weiß denn, ob nicht vielleicht derjenige, der einen Film, ein Musikstück, ein Bild irgendwo hochlädt, doch eine Lizenz vom Rechteinhaber hat, das tun zu dürfen. Das ist ja von außen den Sachen nicht anzusehen.

netzpolitik.org: Der BGH sagt nun in seiner Pressemitteilung deutlich, dass grundsätzlich der Access Provider als Störer in Anspruch genommen werden kann. Ist das ein Paradigmenwechsel?

Ansgar Koreng: Ein Paradigmenwechsel ist es wahrscheinlich deswegen nicht, weil die Frage bisher noch nicht gestellt und auch nicht beantwortet wurde. In der rechtswissenschaftlichen Literatur war die Meinung bisher – soweit ich das gelesen habe – überwiegend, dass Access Provider gar nicht haften. Da bin ich sehr auf die Urteilsgründe des BGH gespannt, denn zu erwägen ist ja auch, dass der Access Provider dem Telekommunikationsgeheimnis unterliegt und sich eigentlich nicht dafür interessieren darf, was seine Nutzer über seine Infrastruktur so tun. Das ist eine Frage, die sich jetzt stellt: Wie soll man denn als Access Provider diese Pflichten erfüllen und dabei gleichzeitig das Telekommunikationsgeheimnis wahren? Ich halte das für eine Art Quadratur des Kreises, was da verlangt wird.ansgar koreng

netzpolitik.org: In Deutschland haben wir im Zuge des „Zugangserschwerungsgesetzes“ schon einmal über Netzsperren diskutiert. Nun spricht der BGH wieder die sogenannten „zumutbaren Prüfungspflichten“ an. Aus juristischer Sicht: Was sind denn zumutbare Prüfungspflichten?

Ansgar Koreng: Das ist in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich zu beantworten. Diese Prüfungspflichten sind eine Rechtsfigur, die aus dem Rechtsinstitut der Störerhaftung kommen: Der Störer haftet für einen Tatbeitrag, den er leistet, aber nur, wenn er Prüfungspflichten verletzt hat. Dann dreht sich der Streit immer um die Frage, was diese Prüfungspflichten eigentlich im Einzelnen sind. Der BGH hat das für verschiedene Rechtsgebiete unterschiedlich beantwortet. So hat er zum Beispiel gesagt, dass der Hostprovider beim Äußerungsrecht – bei der Blogspot-Entscheidung – Prüfungspflichten unterliegt, sobald er informiert wird darüber, dass da rechtswidrige Inhalte sind. Dann muss er dem nachgehen. Ähnliches haben wir vom ersten Senat des BGH, der auch das heutige Urteil gefällt hat, zum Thema Urheber- und Markenrecht gehört. Wir werden beobachten müssen, was genau in der schriftlichen Entscheidung steht. Es ist zu erwarten, dass die Funktionsweise ähnlich sein wird: Zuerst wird man informieren müssen, dass es da illegale Angebote gibt. Und wenn diese Information plausibel ist und er der Pflicht unterliegt, dem nachzugehen, muss er eben Maßnahmen ergreifen oder nicht.

netzpolitik.org: Aber sind wir dann nicht wieder beim Thema Telekommunikationsgeheimnis? Wenn ich einem Hostprovider Prüfungspflichten zumute, ist das doch etwas anderes, als wenn ich sie dem Access Provider zumute, weil der ja eigentlich nicht in die Inhalte hineinzuschauen hat.

Ansgar Koreng: Ja, der Hostprovider unterliegt dem Telekommunikationsgeheimnis eben nicht, sondern er kann sich ansehen, was bei ihm gehostet wird. Das ist genau der Unterschied zum Access Provider, der im Grunde eine vollkommen neutrale Dienstleistung erbringt. Er hat ja keinen Service, der dazu da ist, Bilder, Musik, Software oder sonst irgendetwas hochzuladen, sondern er stellt einfach eine Infrastruktur bereit. Der Gedanke ist dem deutschen Recht auch fremd, dass der Inhaber einer Infrastruktur für Rechtsverletzungen in die Pflicht genommen werden kann, die über seine Infrastruktur stattfinden. Im Internet kommt sogar das Telekommunikationsgeheimnis noch hinzu, das so etwas meiner Meinung nach verbietet. Eine andere Frage ist, was hier mit Verschlüsselung passiert: Wie soll das technisch umgesetzt werden? Und welche Technologien soll eigentlich der Access Provider einsetzen, um zu blockieren? Wir wissen, dass es da unterschiedliche Möglichkeiten gibt und diese äußerst intensiv in die Privatsphäre der Nutzer eingreifen können, wenn wir an so etwas wie Deep Packet Inspection denken. Ansonsten unterhält man sich vielleicht über einfache Methoden wie DNS-Sperren, aber das ist am Ende natürlich ein technischer Witz. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob der BGH das weiß.

Die Meldungen des BGH sind hier zu finden: Az: I ZR 3/14 (pdf) und AZ: I ZR 174/14 (pdf).

Interview, Transkribierung und Bearbeitung von Simon, Nikolai und Constanze.

Full Disclosure: Ansgar Koreng arbeitet bei JBB Rechtsanwälte in Berlin und hat Markus als Rechtsanwalt beim Urteil gegen das BKA um den Staatstrojaner-Vertrag vertreten.

Bildlizenz oben: CC BY-SA 3.0 via wikipedia/ComQuat.

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13 Ergänzungen

  1. Zweiter Link ist kaputt: „fohttp://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2015&Sort=3&nr=72930&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdfo“ Macht gerade noch nix (weil nix substanzielles zu erreichen ist), aber später schon.

  2. die DNS-Informationen sind wahrscheinlich Content, damit sind alle vollständigen Internet-Provider auch Host-Provider insofern sie ihre Kunden mit den auf ihren rechnen (zwischen)-gespeicherten Informationen versorgen. Hier könnte es ihnen zukünftig verboten sein einzelne Adressen aufzulösen. Gleichzeitig bleibt es ihnen aber verwehrt zu prüfen, welche Informationen ihre Kunden von 8.8.8.8 bekommen und was sie mit irgendwelchen anderen Rechnern austauschen, selbst wenn dessen IP zu einem gesperrten DNS-Eintrag gehört.

    1. DNS-Resolver sind Cache-Provider (§ 9 TMG), da die DNS-Einträge der authoritativen Nameserver für eine begrenzte Zeit zwischengespeichert werden, die Daten ansonsten aber nicht vorgehalten werden. Das ermöglicht eine interessante Konstruktion, wie DNS-basierte Filter einem ISP aufgezwungen werden können. Nach § 9 Nr. 5 TMG ist ein Cache-Provider verpflichtet, den Zugriff auf einen Cache-Eintrag zu sperren, wenn ein Gericht eine Sperrung der ursprünglichen Resource (hier also der DNS-Eintrag des authoritativen Nameservers) verfügt hat. Ob diese Sperrung der ursprünglichen Resource überhaupt durchgesetzt werden kann, ist dann gar nicht mehr relevant.

  3. Sehr interessant, das alles. Schade, geradezu dramatisch, diese Entscheidung des Gerichts, aber dennoch sehr interessant, all diese juristischen Gedanken und Implikationen dazu. Die ganze Grütze nur, weil das Gericht partout eine Schutzlücke schließen zu müssen glaubte, als ob es niemals bei irgendeinem Recht eine Schutzlücke geben dürfe, selbst dann nicht, wenn höherstehende Rechte bei der Schließung derselben verletzt werden. Anscheinend gesteht das Gericht jeglichem Inhaber von Rechten einen derart maximalen Schutz zu, dass eine auch noch so geringe Schutzlücke keinesfalls hinnehmbar ist. Effektiv bringt das Urteil hingegen gar nichts, weil jeder derjenigen, die angeblich so fleißig downloaden, das auch weiterhin tun werden – die Sperrung ist natürlich leicht zu umgehen und deshalb bestenfalls symbolisch. Auch sind Anleitungen zur Umgehung der Sperre sicherlich bald überall zu finden und kaum legal zu unterdrücken.

    Interessant ist auch folgender Satz in der Pressemitteilung: „In die im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung sind die betroffenen unionsrechtlichen und nationalen Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen sowie der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer einzubeziehen.“ Das Fernmeldegeheimnis fehlt vollständig in dieser Aufzählung. Da würde mich auch mal interessieren, warum.

    Mir ist dazu noch eine andere Frage gekommen, die nur indirekt mit diesem Thema zusammenhängt. Kürzlich gab es den Entscheid auf europäischer Ebene, die Netzneutralität aufzuweichen. Wenn aber Internetprovider nicht mehr zur Neutralität verpflichtet sind, also mithin das Recht haben, Internet-Verkehr unterschiedlich zu priorisieren, dann müssen sie ja nicht nur in diesen Internetverkehr ihrer Kunden reinschauen, sie müssten dann doch aber auch ihr Haftungsprivileg verlieren, das ja nur deshalb existiert, weil sie (bisher) eben strikt neutral sein müssen. Dann müssten doch die Internetprovider, sobald sie die Netzneutralität nicht mehr gewährleisten, auch im Rahmen der Störerhaftung für Rechtsverstöße ihrer Nutzer in Anspruch genommen werden können, oder liege ich da falsch? Wenn ja, warum? Wie ist die Situation zu bewerten? Das fände ich mal eine interessante Frage, die meines Wissens so noch gar nicht gestellt wurde. Es fragt sich ja auch, wie die Verletzung der Netzneutralität mit dem Fernmeldegeheimnis zusammengehen soll… letzteres steht scheinbar eh nicht hoch im Kurs.

    Aber vielleicht ist das ja alles völlig offensichtlich und nur ich (armer juristischer Laie) sehe das nicht.

    1. Doch, die besorgten Bürger schon, Die werden alle ganz doll zittern und ihre KiPos nurnoch per Post verschicken.

      1. Dabei sind sie es, die unsere Kultur vernichten. Falls es überhaupt je eine gegeben hat. Einzelfälle sind davon ausgenommen.

  4. Also das dem Anwalt nicht spoantan mindestens 300 Seiteneinfallen, auf denen ganz zweifelsfrei und fast ausschließlich gestohlenen content , meist vor irgendwelchen ehemaligen sex shopfür Rechte aus chemnitz oder so, anbieten, verwundert dann doch sehr. Die Krux dieser ganzen „Freies Netz“ aktivisten ist doch ganz einfach, dass die nicht differenzieren, oder durch das google freundliche „alles oder Nichts“ Denken, absehbar „Nichts “ bekommen. Anstatt dort pläne mit zu unterstützen, wo es um das ausmerzen ekelhafter Content Parasiten geht, um dann die Mögichkeit und UNtertützung dort zu haben, wo es tatsächlich im die Bewahrung freier Kommunikation geht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.