Günther Oettinger: „Selber recherchieren und gegenchecken, statt nur retweeten. Das nennt man Journalismus – oder?“

oettinger_immernoch_eucyberkommissar_npGünther Oettinger hat offensichtlich einen neuen, engagierten Mitarbeiter für seine Social-Media-Kanäle bekommen. Das zeigt sich dadurch, dass jetzt auch eine Art Nutzerdialog versucht wird. Das ist aber noch etwas unbeholfen, wie sich heute wiederholt zeigte. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur am Produkt. Seit dem Kompromiss zur Netzneutralität im EU-Trilog versucht Günther Oettinger, das Ganze als Erfolg für Verbraucherrechte darzustellen. Kritiker sehen das anders.

Als der Kompromiss vorgestellt wurde, war für einige Tage unklar, was dieser konkret bedeutet. Einige wichtige Punkte waren noch nicht ausverhandelt, aber die Kommission ging schon an die Presse und verkaufte das als Erfolg. Das führte dazu, dass Medien bei Nichtregierungsorganisationen anriefen, um irgendeine Reaktion zu erhalten. Da diese noch dabei waren, die Auswirkungen zu analysieren, konnten sie auch nur sagen, dass es noch schlimmer hätte laufen können, aber die Analysen noch andauern würden. Aus dem „Hätte noch schlimmer laufen können“ wurde dann leicht verkürzt bei Politico und The Register „NGOs sind zufrieden“. Was so nicht stimmt.

Seitdem twittert Günther Oettinger regelmäßig diese Artikel zurück, wenn er von Twitter-Nutzern für den schlechten Kompromiss zur Netzneutralität kritisiert wird. Heute wurde daraus aber ein fast epischer Twitterdialog, bis dem Social-Media-Manager offensichtlich das Handy weggenommen wurde.

Es begann mit:

. @UweliciousGame Der Artikel zur #Netzneutralität ist nicht mehr aktuell. Die Kritiker heute:http://www.politico.eu/article/telecoms-single-market-tsm-recitals/ … http://www.theregister.co.uk/2015/07/09/net_neutrality_deal_closes_loopholes_promises_level_playing_field_without_scaring_the_horses/ …

Das fiel mir auf, und ich schrieb zurück, was ich schon einmal getwittert hatte, nämlich dass die dort zitierten Kritiker sich anders äußern würden und man das z. B. durch einen direkten Dialog auch herausfinden könnte:

.@GOettingerEU die Kritiker stehen immer noch zu ihrer Meinung. Fragen Sie sie doch mal persönlich. https://netzpolitik.org/2015/netzneutralitaet-eu-ausschuss-segnet-kompromiss-ab-kritiker-warnen-vor-rechtsunsicherheiten/ …

Darauf kam von Günther Oettinger diese Antwort:

.@netzpolitik schön, dass Sie Ihre Berichterstattung aktualisiert haben. Mein Team & ich sind im regelm. Austausch mit Interessensvertretern

Offensichtlich wurde dieser Artikel nicht gelesen, denn sonst hätte Oettinger herausfinden können, dass die in Politico und Register zitierten Kritiker mittlerweile ihr Analysen beendet und in einem Report veröffentlicht hatten. Und dass deren Kritik sich anders liest als Oettinger mit seinen Tweets suggeriert. Die von Oettinger suggerierte Rechtssicherheit kann niemand bestätigen, ganz im Gegenteil: Es wird weiterhin Rechtsunsicherheit bei den entscheidenden Fragestellungen der Netzneutralität kritisiert, vor allem bei Spezialdiensten, der Durchsetzung von Netzneutralitätsregeln (im „offenen“ Internet) und Zero-Rating.

Vor allem auf den Punkt mit den Interessenvertretern konnte ich nur noch damit antworten:

.@GOettingerEU ist Ihr Account gehackt worden?

Wir haben die von Politico und Register seinerzeit befragten Kritiker direkt gefragt, wann sie sich denn mit Günther Oettinger und seinem Team zum Thema getroffen haben. Estelle Masse von Accessnow hat sich noch nie mit Günther Oettinger und seinem Kabinett getroffen. European Digital Rights (EDRi) hat Oettinger noch nie persönlich getroffen, es gab nur einmal ein Treffen im Januar mit einem Mitglied seines Teams. (Funfact: Steht natürlich nicht auf der Lobby-Transparenzseite, wie soviele andere Termine mit Industrielobbyisten.)

EDRi antwortete daraufhin:

Lieber Herr @GOettingerEU, lesen Sie doch mal unsere aktuellste Analyse https://edri.org/files/NN_analysis_20150715.pdf … können wir gerne endlich persönlich erklären

Aber es wird noch besser, zwischenzeitlich antwortete Oettinger einem weiteren Account:

.@Backnang Da kann ich nur eines sagen: selber recherchieren und gegenchecken, statt nur retweeten. Das nennt man Journalismus – oder?

Da können wir nur sagen: Mit allen Interessensvertretern treffen, dazu gehören auch Kritiker, und sich mit Argumenten auseinandersetzen. Das nennt man Politik – oder?

Wir sind gespannt, ob und wann sich Günther Oettinger darauf einlässt und auch mal Vertreter der digitalen Zivilgesellschaft und nicht nur Industrie-Lobbyisten trifft. EDRi und Accessnow sitzen beide in Brüssel und nehmen sich gerne die Zeit, sie kommen auch gerne irgendwo hin, wenn es daran scheitern sollte.

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8 Ergänzungen

  1. > Seit dem Kompromiss zur Netzneutralität im EU-Trilog versucht Günther Oettinger das Ganze als Erfolg für Verbraucherrechte darzustellen.

    : %s/Trilog/Trolllog/g

  2. Tja Herr Oetting, selber recherchieren und nicht bloß immer die Lobby retweeten – das nennt man Volksvertretung, oder?

    :)

  3. Der Oetti zieht selbst hier nicht mehr. Der Gaul ist tot, ihn weiter zu reiten ist nur noch eine Passion von Spezialisten.
    Wäre es nicht sinnvoller, einen gediegenen Nachfolger ins Gespräch zu bringen? Mit aktiver und konstruktiver Lobby-Arbeit, die die Interessen der Netzgemeinde vertritt? Mit Verve und Kawumms?

    Und wenn wir schon dabei sind: Ein Schattenkabinett für Deutschland sollte dringend erwogen werden, wenn schon ein Albig (SPD) meint, dass es keines SPD-Kanzlerkandidaten mehr bedarf. Recht hat er! Der Dicke ist auch fällig.

    Konsequent wäre es auch, die Spendenbereitschaft für netzpolitik.org nicht mehr auf Aversion gegen diese beiden Nasen auszurichten. Das ist jetzt abgegrast. Jetzt braucht es was Neues. Selbst Katzenbildchen bringen mehr.

    1. Auf unsere Initiative hin will er sich nach einem Jahr als Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft auch mal mit Vertretern der digitalen Zivilgesellschaft treffen.

      Übrigens ist es zum Thema Netzneutralität natürlich etwas spät, wenn der Trilog schon war. Bis zur Entscheidung hat er sich nur mit Industrielobbys getroffen.

  4. Unser Leidensweg mit unfähigen möchtegernepolitikern die als einziges Ziel Wichtigtuerei haben gipfelt eigentlich bei ihm. Er, der am liebsten wieder eine Monarchie einführen würde, natürlich unter seiner Herrschaft, hätte eigentlich besser in den Vatikan statt nach Brüssel gehört.
    Ich denke aber der Papst hätte ihn nicht genommen.

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