Günther Oettinger: Die beste Netzneutralität samt Taliban 2.0

Ganz schön viele Fragen…

oettinger-taliban

Unser Digitalkommissar Günther Oettinger sass gestern bei einer Pressekonferenz zu den Trilog-Verhandlungen auf der Bühne und hat dort auch eine Frage zu seinem Taliban-Vergleich gestellt bekommen, die er natürlich dankbar versenkt hat:

Journalist vom EU Observer : […] Eine zweite Frage für Kommissar Oettinger. Die Kommission sagte heute morgen in einer Pressemitteilung, dass dies die striktesten und umfassendsten Netzneutralitätsregeln der Welt sind – strenger als in den Niederlanden, in den USA. Können Sie erklären, warum sie strenger sind ? Und Sie erwähnten auch einmal, dass Sie denken, dass das Netzneutralitätsthema Taliban-ähnlich ist. Sind Sie immer noch dieser Meinung und wie sehen Sie der jüngsten Diskussionen im Hinblich auf diese Aussage? Und zuletzt : Dies war ein zwölfstunden Marathon, denken Sie dass das Ergebnis eine anderes wäre, wenn es eine weitere Gesprächsrunde gegeben hätte, morgen oder übermorgen unter der Luxemburgischen Ratspräsidentschaft?

Oettinger : Ich glaube, das Ergebnis von gestern würde man auch heute erzielen und auch im September erzielen. Es ist ein gutes Ergebnis und hinter dem stand die lettische Regierung, aber auch die luxemburgische Regierung. Deswegen, der Vorteil ist, wir haben ein früheres Ergebnis. Aber es hätte auch heute oder morgen oder im September ein vergleichbares, sachgerechtes Paket gegeben. Nicht die Netzneutralität ist Taliban-ähnlich, sondern es gab zum Teil hier Debatten, die mich daran erinnert haben. Und wir haben jetzt eine Garantie, einen Qualitätsstandard garantiert und begrenzte Ausnahmen davon definiert. Das halte ich für klug. Wir werden mit dieser Einigung in den nächsten Monaten fertig werden und er wird die europäische Netzneutralität in Rechtskraft treten, wirksam werden, während die in den USA mit Sicherheit vor der Präsidentenwahl nicht mehr kommen. Wir haben in den USA einen Gesetzentwurf, eine Ankündigung mit zahlreichen Ausnahmen. Aber es ist völlig unabsehbar, wann und wie dieser Gesetzentwurf durch die beiden Häuser im Capitol kommen wird. Ich erwarte eine Einigung in den USA frühestens in einem Jahr. Damit ist Europa mit seiner Entscheidung und der dadurch geschaffenen Rechts- und Planungssicherheit den Amerikanern voraus.

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Günther Oettinger war es, der in den vergangenen Monaten durch viele Industrie-Veranstaltungen tourte, dabei Netzneutralität mit dem Sozialismus verglich und Befürworter von klaren Regeln als Taliban-artig hinstellte. Dabei traf er laut seinem Terminkalender überwiegend nur Gegner von klaren Regeln von Netzneutralität. Kein Wunder, dass er die Debatte Taliban-ähnlich findet, er hat sie ja eigentlich gar nicht geführt.

Und auch seine Begründung mit der jetzt geschaffenen Rechtssicherheit ist etwas irritierend. Vielleicht informiert er sich nochmal bei Experten. Nach geschaffener Rechts- und Planungssicherheit sieht das gerade überhaupt nicht aus, was Kommission, Rat und Parlament als halbfertigen Kompromiss beschlossen haben – ganz im Gegenteil. Joe McNamee von European Digital Rights kommentierte gestern bei uns: „Ende von Roaming und Netzneutralität“: Trilog-Verhandlungen einigen sich auf unklaren und mehrdeutigen Deal.

Der „Deal“ wurde nach drei Monate dauernden „Verhandlungen“ zwischen Rat der Europäischen Union (Ministerrat) und dem Europäischen Parlament erzielt. In jeder Phase verweigerte der Rat einfach den Dialog. Dann, um noch irgendwie die willkürlich gesetzte Frist einzuhalten, die von der lettischen Präsidentschaft des EU-Rates gesetzt wurde, einigte man sich auf dieses chaotische, unterdurchschnittliche Abkommen. Jetzt, wo unsere politischen „Führer“ beschlossen haben, dass sie keine Entscheidung treffen, müssen wir wohl warten, bis nicht-gewählte Richter und Regulierungsbehörden diese harte Arbeit tun. Das ist jedoch „nur“ eine vorläufige Einigung. Zuerst müssen die erläuternden Erwägungsgründe zum Abschluss gebracht werden. Dann müssen die EU-Institutionen entscheiden, ob sie wirklich bereit sind, diese Rechtsunsicherheit für die europäischen Bürger und Unternehmen zu schaffen. In den kommenden Wochen wird sich dies zeigen.

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14 Ergänzungen

  1. An der Textstelle hat mich am meisten irritiert, dass er nicht einmal weiß, wie es um die Netzneutralität in den USA steht. Die wurde von der FCC alleine durchgesetzt und ist auch in Kraft. Ob ein angekündigtes Gesetz gegen die FCC-Entscheidung überhaupt in den Kongress kommt, ist fraglich.

    1. Wundert das irgendwen, dass er nicht weiß, was in der Welt so passiert?
      Die Telekom-Lobbyisten werden es ihm sicher nicht verraten. ;)

      1. Beispiel, im Zusammenhan mit Vodafon gab es damals die Übernahme von Mannesmann Mobilfunk D2 wo ein gewisser Herr Esser ehemals Manager im Zusammenwirken mit Mannesmann Mobilfunk D2 eine Rolle spielte de rdie Übernahme von D2 an Vodafone in die Wege geleitet hat und es flossen irgendwie 50 Millionen auf sein Konto. Anschließend gab es ein Gerichtsverfahren wo nix raus kam. Kurze Zeit später wollte Vodafone vom deutschen Staat 20 Milliarden Steuergelder weil angeblich die Aktien der merkwürdigen Übernahme Vodafons zu hoch bewertet gewesen sein sollen. Wie war das noch mit dem GCHQ der mit Vodafone zusammenarbeiten soll? Nicht vergessen das das Billing von Vodafone nach Indien ausgelagert wurde und von Leuten betreut wird die nicht den Sicherheitbestimmungen Europas unterliegen und der indische Staat es auch abgelehnt hat das Inder sich einem Sicherheitsprocedere unterwerfen müssen. „Wo kämen wir denn da hin?“ Oder mit der Firma Arcor die auch zu Vodafone gehörte naja was da slles so passierte das würde zu lang werden. Viel Spass mit Vodafone!!!

  2. Für mich ist es unbegreiflich, wie ein so alter Mensch, der das WWW nur aus dem Homeshopingkanal kennt so einen hohen Posten besetzt.

    Das er sich dann auch noch von der Lobby seine Meinung bilden lässt zeigt wieder einmal wie der Hase in der Politik läuft…
    Aber was will man auch von CDUlern erwarten?

    1. Das Problem ist weniger das Alter als seine hohe Lernresistenz bei gleichzeitiger selektiver Beratungszufuhr.

  3. … weil je größer der Depp in verantwortlicher Person ist, je besser lässt er sich von relevanten Interessengruppen beeinflussen.

  4. Nun mag es sein, dass Netzneutralität gar nicht so wichtig ist, wie das manche passionierte Befürworter erscheinen lassen. Ich finde nach wie vor gut, dass man bei Oettinger immer weiß, was er denkt. Er polarisiert angenehm, auch mit seinem Taliban Bonmot. Jeder kann dankbar sein, dass es ihn gibt.

    Der Knackpunkt ist: Bei dem NN-Dossier ging es von Anfang an nur am Rande um NN. Ein wenig NN und Roamingreform mussten die Telekommunikationsunternehmen akzeptieren, damit die Geschenke des Pakets an sie nicht allzu offenkundig wurden. Dank der NN-Kontroverse gelang es den brisanten Kern von der öffentlichen Debatte weitgehend abzuschirmen.

    1. Wenn ihre Daten nur noch mit ein paar kbit pro Sekunde übertragen werden weil sie nicht so wichtig sind werden sie merken worum es bei Netzneutralität geht!

  5. Ich vermute langsam, dass dieser Talibanvergleich ein Scherz von Lobbyisten war: Gab es vielleicht eine Wette, ob Öttinger selbst den größten Unsinn noch nachplappern würde? Und im Suff in einer Kneipe am Place du Luxembourg einigte man sich dann darauf, dass der Cheflobbyist der Telekom Öttinger das einflüstern müsste, weil er den kürzeren Strohhalm gezogen hatte?

  6. „Günther Oettinger war es, der in den vergangenen Monaten durch viele Industrie-Veranstaltungen tourte, dabei Netzneutralität mit dem Sozialismus verglich und Befürworter von klaren Regeln als Taliban-artig hinstellte.“

    a) Netzneutralität mit dem Sozialismus zu vergleichen ist ein treffender Vergleich, so what? Kein schlimmes Ding, würde man meinen; solange man vor Sozialismus nicht panische Angst hat und diese Idee grundsätzlich ablehnt (bei Oettinger bin ich mir nicht ganz sicher).

    b) Netzneutralität mit den Taliban zu vergleichen ist hingegen folgerichtig der wesentlich weitergehende Spin, Sozialismus und Talibanismus in die gleiche Schublade zu stecken.

    Daß das hier nicht weiter auffällt, wundert nicht arg.

    1. Ich sehe den Vergleich nicht als treffend. Neutralität ist die Verpflichtung, sich herauszuhalten; Sozialismus ist die Verpflichtung, Gleichheit herzustellen. Ein sozialistisches Netz wäre folglich ein Netz, wo ich nach 2 Stunden Streaming-Video gedrosselt werde, damit der Nachbar auch mal gucken kann.

      1. Non sequitur.

        Wenn die Bandbreite so klein ist, dass entweder Du oder Dein Nachbar oder keiner von Euch streamen kann, waere es folgerichtig neutral, wenn ihr nicht bevorzugt werdet. Also kann einer gucken oder keiner, und wenn zufaellig nur einer gucken will, gibt es kein Problem. Wenn ihr euch gegenseitig blockiert, kann Euch der Anbieter ein Angebot zur Koordination machen, das ist aber downstream. Oder er verkauft von vorne herein nur 2h taeglicher streaming bandbreite, aber das eben neutral von ueberall an alle.

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