FunkzellenabfrageOb Betroffene benachrichtigt werden wollen, entscheidet die Staatsanwaltschaft, nicht Betroffene

Bei einer Funkzellenabfrage werden sämtliche Handy-Verbindungen innerhalb einer oder mehrerer dieser Funkzellen an die Polizei gegeben. CC-BY-SA 3.0 Erwin Krauß

Ob von Funkzellenabfragen betroffene Personen Interesse an einer Benachrichtigung haben, entscheiden nicht diese Personen, sondern Staatsanwaltschaften „objektiv im Interesse der Betroffenen“. Mit dieser abenteuerlichen Begründung weigert sich die Hamburger Staatsanwaltschaft, einen unserer Leser zu informieren, der eine Benachrichtigung explizit erbeten hat. Das Gesetz ist jedoch eindeutig: eine Benachrichtigung ist vorgeschrieben.

Jeden Tag werden in Deutschland mehrere Dutzend Funkzellenabfragen durchgeführt, der Berliner Datenschutzbeauftragte bezeichnete diese Handy-Rasterfahndung als Routinemaßnahme, die regelmäßig Gesetze verletzt. Dabei sind jedes einzelne Mal zehntausende oder sogar mehrere Millionen Menschen betroffen, deren Kommunikationsdaten bei der Polizei landen. Laut Gesetz müssen diese Betroffenen darüber informiert werden:

Von den […] genannten Maßnahmen sind […] die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation […] zu benachrichtigen.

Ausnahmen einer Benachrichtigung sind laut Gesetz nur in engen Grenzen zulässig:

Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. Zudem kann die Benachrichtigung einer […] Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat.

Seit Jahren weigern sich Staatsanwaltschaften jedoch, die Millionen und Abermillionen Menschen über ihre Überwachung zu informieren, weil sie „kein Interesse“ an einer Benachrichtigung erkennen können. Einer unserer Leser hat daraufhin die Initiative ergriffen und die Hamburger Polizei angeschrieben, Betreff: „Wünsche Benachrichtigung bei Funkzellenabfrage“. Die Antwort der Polizei Hamburg (September):

Sie bieten ihre persönlichen Daten und Telefonnummer zur Hinterlegung bei der Polizei an – um im Falle einer Verkehrsdatenerhebung, von der sie als Unverdächtiger oder Nichtstörer betroffen sein könnten, von dieser Maßnahme benachrichtigt zu werden.

Die Benachrichtigung von Personen im Zusammenhang mit der Erhebung von Verkehrsdaten richtet sich nach dem § 101 StPO und dem § 10e PolDVG mit den jeweiligen Ausnahmetatbeständen, unter deren Voraussetzungen von einer Benachrichtigung abgesehen werden kann.

Eine Rechtsgrundlage, aus der sich der Anspruch einer vorsorglichen Speicherung von Telefonnummern und persönlichen Daten eines Einzelnen in der von Ihnen benannten Form ergibt, existiert nicht.

Auf Deutsch: „Nein, die Polizei macht das nicht.“ Also nochmal die zuständige Staatsanwaltschaft angeschrieben (November). Die Antwort vom Behördlichen Datenschutzbeauftragten der Staatsanwaltschaft Hamburg (Dezember):

Die Vorschrift des § 101 Strafprozessordnung, welche insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorgaben auf effektiven Rechtsschutz konkretisiert, wird von der Staatsanwaltschaft in jedem Fall sorgfältig geprüft und anschließend über eine Pflicht zur Benachrichtigung entschieden. „Im Zweifel“ ist zu benachrichtigen.

Die Staatsanwaltschaft ist nach meinem Verständnis allerdings weder verpflichtet noch praktisch überhaupt in der Lage, ein Register zu führen, in welches potentiell Betroffene aufgenommen werden, die im Vorwege bekundet haben, stets ein Interesse an der Benachrichtigung im Falle einer Funkzellenabfrage zu haben. Letztlich kann deshalb nur im Einzelfall entschieden werden, ob jeweils unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Grundrechte die Benachrichtigung objektiv im Interesse eines Betroffenen liegt.

Auf Deutsch: „Nein, wir entscheiden, ob du Interesse hast, nicht du.“

Benachrichtigung per SMS (Symbolbild)
Benachrichtigung per SMS (Symbolbild)

Thomas Stadler, Fachanwalt für IT- Recht, kommentiert gegenüber netzpolitik.org:

Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn der Staatsanwalt gegen den erklärten Willen des Betroffenen unterstellt, der Betroffene hätte kein Interesse an einer Benachrichtigung. Das Ermessen, das die Vorschrift der Staatsanwaltschaft einräumt, wird auf diese Weise nicht korrekt ausgeübt.

Damit ist klar: Polizeien und Staatsanwaltschaften nutzen jede noch so abenteuerliche Begründung, Menschen nicht über die routinemäßige Massenrasterfahndung zu informieren. Den wahren Grund hat uns ein Sprecher des Polizeipräsidium Münchens mal recht deutlich gesagt: Man will „auf Funkzellenabfragen nicht zu genau eingehen, weil wir nicht auch noch den Letzten darauf hinweisen wollen, sein Handy auszumachen.“

Dass es auch anders geht, zeigt ein Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Demnach sollen Handys, die in Berlin von einer Funkzellenabfrage betroffen sind, in Zukunft per SMS darüber benachrichtigt werden, wenn sie wollen. Bis Ende Juni sollen die Abgeordneten über die Umsetzung des SMS-Informationssystems benachrichtigt werden.

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18 Ergänzungen

  1. Ich fänd es, auch wenns Gesetz ist, garnicht wichtig, dass ich benachrichtigt werde. Mir wäre es eher wichtig, dass die Daten, nach dem ein Verdacht ausgeschlossen ist oder der Fall abgeschlossen ist, gelöscht werden. Und es sollte geregelt werden, wann eine Abfrage stattfinden darf. Auf Demos nein. Zur Ermittlung von Gewallt und Sexualverbrechen schon eher. Und wenn jeder benachrichtigt wird, dann weis es wirklich jeder Depp und geplante Verbrechen werden wieder wie in den 70er ermittelt. Datenschutz ist schön und gut. Aber wenn es hilft, Vergewaltigern zu fassen und man sicher sein könnte , dass die Daten behutsam behandelt und wieder vernichtet werden, fänd ich die Abfragen legitim.

    1. Aber bis da Regularien eintreten und die Kontrolleure vernünftig kontrolliert werden wird wohl noch ein Jahrzehnt vergehen…

    2. Du kannst Dir eben NICHT sicher sein, dass Deine Daten behutsam behandelt werden. Von wem denn auch? Von den B*llen? Also von den Leuten, die beharrlich und andauernd mehr Daten, und wenige Grundrechte fordern? Ehrlich?Wenn Du schon bei Sexualstraftätern in der Argumentationskette angelangt bist kannst Du ja auch mal Deine Tochter dem vorverurteilten Sexualstraftäter anvertrauen, der im Vorfeld dauernd betont, dass das Missbrauchen kleiner Mädchen das genialste auf der Welt ist, ihn die Rechte der Mädchen nicht interessieren und dass man damit auch bitte weiter machen will.

      Grüße!

      1. Das Argument ist nicht mal die Mühe einer Antwort Wert. Lies meinen Text nochmal. Dann denken und dann schreiben. Ohne Wut auf den Staat bitte ;)

    1. Naja, was wohl? Selber Auskunft verlangen. Wenn das jetzt ein paar Tausend Leute machen steigt der Druck. Ziviler Ungehorsam, wenn man so will.

  2. Letztlich kann deshalb nur im Einzelfall entschieden werden, ob jeweils unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Grundrechte die Benachrichtigung objektiv im Interesse eines Betroffenen liegt.

    Nein, eben gerade nicht.
    Es geht um die NICHT-Benachrichtigung im Einzelfall, die unter Berücksichtigung der Umstände eintritt. Default ist die Benachrichtigung. Der Gesetzestext ist da nun wirklich ziemlich eindeutig.

    Die Staatsanwaltschaft ist nach meinem Verständnis allerdings weder verpflichtet noch praktisch überhaupt in der Lage

    Das ist vollkommen egal, ob sie dazu „praktisch in der Lage ist“. Ist sie es nicht, dann muss sie sich eben in diese Lage versetzen, das ist ihre verdammte Pflicht.
    Man kann sich das aber auch sparen, denn viel leichter als ein Register von Ich-will-Benachrichtigtwerden-Personen wäre aber auch das ganz simple Einhalten des Gesetzestextes und alle informieren – bis auf begründete Ausnahmen.

  3. BRD = Bananen Republik Deutschland. Es kommt sogar noch dicker! Die Staatsanwaltschaft darf sogar die Unwahrheit (Lügen darf man ja nicht sagen) behaupten. Tja, wenn sich noch nicht einmal die judikative Gewalt sich an unsere Gesetze hält, wer denn dann. Was bleibt uns also übrig? Soweit wie möglich eigene Maßnahmen zur Sicherung der Privatsphäre ergreifen, was immer jeder einzelne auch darunter verstehen will.

    1. Nachtrag:

      -Sarkasmus an: Die Sicherheitsexperten der EU führen zum 01.04.2015 die Kontrolle von mit der Verbringung von Nachrichten betrauten Brieftauben ein. Diese sind gesetzlich verpflichtet, vor Zustellung der Nachricht an den Empfänger, das Hauptquartier von EUROPOL oder die regionale Polizeidienststelle anzufliegen und das kopieren der zu überbringenden Nachricht zuzulassen. -SarkasmusEnde

  4. Glatt formuliert, das Ganze: Im Einzelfall wird geprüft, ob eine generelle Pflicht vorliegt. Töröööh!! Steht m. E. aber leider so im Gesetz, nicht wahr? Da wird doch ein Interesse des/der Einzelnen daran gemessen, ob überhaupt ein Verdacht vorliegt. Und wenn nicht, wird mehr oder weniger ein Nicht-Interesse angenommen. Getreu nach dem Motto “ Wer nichts zu verbergen hat, der/ dem kann es ja egal sein, wo die Daten landen“. Das bedeutet im Zweifel dann auch, dass von zehntausenden Gerasterten wohl nur Einzelne ein „Interesse“ haben können. Das ist großer Mist! Aber eben auch Sache der Legislative und kein alleiniges Problem der Staatsanwaltschaft Hamburg.

  5. Fein, da hat doch tatsächlich mal jemand aus der Leserschaft von netzpolitik.org die Initiative ergriffen und schöne Briefe in HH an POL und StA geschickt. Weiter so und danke an den/die namenslose(n), aber engagierte(n) Bürger(in)!

    An alle anderen hier:

    So, jetzt schickt mal alle an Eure lokale Polizei und Staatsanwaltschaft ähnliche Willenserklärungen. Vielleicht könnte netzpolitik.org mit einem kleinen Briefgeneratortool helfen?

    Wie immer entscheidet die Masse. Wenn hunderte oder gar tausende Briefe/E-Mails bei POL und StA eintrudeln, überdenken die ihre Haltung vielleicht nochmal. Das sind auch nur Menschen, die oft erst dann ihr Verhalten ändern, wenn äußerer Druck aufgebaut wird.

    Und jetzt kommt mir niemand mit „Ach, nee, das bringt doch eh nix! Die da oben machen doch eh, was sie wollen! Da kann man doch eh nix ändern“! Ja, genau! Wenn Ihr Euren Arsch nicht endlich vom Sofa hochkriegt, werden permanent anderen Leute über Euer Leben entscheiden.

    Also, weniger Zeit mit Kommentieren auf netzpolitik.org und anderswo vergeuden und mehr machen, aktiv sein, kämpfen. Wir sind hier eh meist alle einer (ähnlichen) Meinung. Das nützt uns gar nichts. Wir müssen rausgehen, ran den Speck!

    1. @Lara

      Gute Idee – ich denk da an etwas wie den „Generator für Auskunftsersuchen“ https://www.datenschmutz.de/cgi-bin/auskunft . Und nein nicht als Mail (die kann schließlich verloren gehen, geblockt werden). Viel besser ist so was als Brief, denn damit wachsen die Aktenberge. Fragt sich nur, ob sich jemand findet der es macht und dann ins Netz stellt.

      1. Kleine Anekdote:

        Ich bin der erwähnte Leser und habe meine Anfragen per Mail gestellt. Die erste Mail blieb jeweils unbeantwortet, erst auf Nachfrage wurde mir dann mitgeteilt, dass mein Anliegen bearbeitet würde.

        Ich bezweifel aber, dass es auf totem Baum anders gewesen wäre ;)

      2. Eine Auskunft hat, rein praktisch gesehen, auch noch den Zusatznutzen, dass man bei einer Benachrichtigung durch die Staatsanwaltschaft gleich als Retoure das Löschverlangen übermitteln könnte.
        Würde wohl der Staatsanwaltschaft zusätzliche Arbeit machen, die ohne Auskunft entfällt.

  6. Also alles beim alten: bei öffentlichen Versammlungen immer schön Handy ausmachen, oder besser den Flugmodus, damit man ggf. auftretende Polizeigewalt noch aufzeichnen kann :-/

    1. Es ist schon bemerkenswert, dass sich bei uns Denkmuster festsetzen, wie sie in einem Polizeistaat üblich sind. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass dies offensichtlich berechtigt ist.

  7. Wäre ja nen schöne Aktion jetzt nen Juristisch Wasserdichten Vordruck zu erstellen. Den hier zu verbreiten damit die Staatsanwaltschaften richtig schön ins Schwitzen kommen.
    In der Art wie damals bei der ersten Umsonst Bild für jeden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.