Dokumente zeigen: Justizminister Maas ignoriert die Bedenken um Vorratsdatenspeicherung aus eigenen Reihen

Zweifel an der Vorratsdatenspeicherung? Justizminister Maas stellt sich taub – CC BY 2.0 via flickr/striatic

Justizminister Heiko Maas, mittlerweile ein eifriger, wenn auch argumentationsschwacher Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, müsste es eigentlich besser wissen und wurde schon direkt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Abschaffung der EU-VDS-Richtlinie von Beamten des Justizministeriums (BMJ) über die Schwierigkeiten einer Neueinführung selbiger informiert. Das belegen Dokumente, aus denen der Spiegel Anfang August zitierte und die nun als Ergebnis einer Informationsfreiheitsanfrage öffentlich zugänglich sind.

Direkt am Tag der Verkündung des Urteils schrieb ein Referatsleiter des BMJ:

Das Urteil spiegelt eine kritische Grundhaltung, die schon in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde. Es dürfte auch als weiterer wichtiger Meilenstein in der Grundrechtsrechtsprechung des EuGH angesehen werden.

Sowohl in der kurzfristigen Analyse als auch in einer 9-seitigen Bewertung des Urteils, die Ende April folgte, werden die rechtlichen Schwierigkeiten der alten VDS-Richtlinie als auch die Knackpunkte bei einer Neueinführung zusammengefasst: Keine objektiven Kritierien zum Datenzugriff, keine Differenzierung der Speicherdauer, kein ausreichender Schutz vor Missbrauch, Anlasslosigkeit, fehlende Beschränkungen auf das zur Verbrechensbekämpfung Notwendige – Wir kennen die Argumente gegen die Massenerfassung unserer Kommunikationsmetadaten und haben sie oft genug zusammengefasst.

Durch kosmetische Korrekturen, wie eine Verkürzung des Speicherzeitraums auf zehn Wochen bzw. vier Wochen bei Standortdaten oder die Ausnahme der Erfassung von E-Mail-Verkehrsdaten, versuchte man bekanntlich, sich an den Vorgaben des EuGH vorbeizumanövrieren. Die nun vorliegenden Papiere zeigen aber, dass der Gesetzentwurf an mindestens einem Punkt himmelweit davon entfernt ist, die verfassungsrechtlichen Beschränkungen einzuhalten:

Zudem stellt er [der EuGH] den fehlenden Zusammenhang zwischen den auf Vorrat gespeicherten Daten und der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit heraus (Rz. 59), wobei er darauf abstellt, dass die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten, beschränkt sei.

Einschränkung auf für die Verbrechensbekämpfung relevante Zeiträume, eine Beschränkung auf Gebiete oder Personenkreise, in denen Straftaten vermutet werden – all das fehlt im aktuellen deutschen VDS-Entwurf vollständig. Damit bleibt die geplante Vorratsdatenspeicherung anlasslos und massenhaft – kurz: grundrechtswidrig.

Doch das ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass wider besseres Wissen und Gewissen gehandelt wird. Es gibt zahllose Stellungnahmen und Texte, die ausführen, dass eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ein Fehler wäre. Von der Bundesdatenschutzbeauftragten bis zum aktuellen Sonderermittler für die Selektorenprüfung haben sich zahlreiche rechtskundige Vertreter gegen das geplante Gesetz positioniert. Doch die Regierung stellt sich taub.

Unter diesen Bedingungen müssen wir leider damit rechnen, dass die Vorratsdatenspeicherung nach der Sommerpause verabschiedet wird. Doch mit jedem Dokument, dass auch die internen Zweifel in Regierung und Ministerien nach außen bekannt macht, schwindet die Glaubwürdigkeit und die Angreifbarkeit des geplanten Gesetzes steigt. Dass es unter diesen Voraussetzungen einer offiziellen verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten wird, ist zu bezweifeln.

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19 Ergänzungen

  1. „Wundert“ mich aber auch nicht, die Vorratsdatenspeicherung steht im Koalitionsvertrag. Selbst wenn die SPD dagegen aufschreit, sie haben 2013 für den Koalitionsvertrag geschlossen demokratisch gestimmt. Man kann wahrscheinlich wirklich nur darauf hoffen, dass die VDS wirklich einer Verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhält -.-

    1. Diese Frage ist es wert, näher analysiert zu werden.

    2. Streng genommen steht im Koalitionsvertrag die Umsetzung der EU-Richtlinie. Diese gibt es aber seit dem Urteil des EuGH nicht mehr. Ich würde also argumentieren, dass dieser Punkt damit erledigt ist. Wenn die SPD die VDS will, will sie dies aus freien Stücken.

      1. Wie ein anderer Kommentar hier aber auch schön ausführt, ist der Koalitionsvertrag kein „Vertrag“ sondern … eine Vereinbarung, bzw. eine Absichtserklärung. Und da die VDS auch als Überbegriff drinsteht, kann man natürlich innerhalb der SPD schön argumentieren: „Jungs, schaut mal, ihr habt für diesen Koalitonsvertrag im Sinne der Demokratie abgestimmt, also ist uns euer Widerspruch egal“ … Klar, wenn die SPD die VDS das will, kann das aus freien Stücken sein. Oder aber an der Fraktionsdisziplin bzw. der Fraktionsspitze liegen

  2. Warum sie eingeführt werden soll, obwohl sie nach Meinung der meisten Rechtswissenschaftler von den Gerichten wieder „einkassiert“ wird?
    Ist doch klar. Wer soll in diesem Staat kontrollieren, dass alle mit der VDS umgesetzten Maßnahmen auch wirklich wieder zurück genommen werden?
    Parlamentarische Kontrolle für Justiz und Überwachung ist ja gleich Null!

    Ist wie bei der Maut – auch da wird gesagt, dass ie auf Grund europäischem Recht nicht in Ordnung ist. Aber die Technik und die Datenbanken für den Kennzeichen-Scan – der wird bestehen bleiben.

    1. So soll es sein. Oder denkt sich wer, das BKA, der Grenzschutz und Verfassungsschutz lässt sich solch eine Gelegenheit entgehen? Was man alles machen könnte mit Verkehrsdaten. Herrlich.
      Der einzige Schutz ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft. Solange die Gesetze nicht vollendst in Richtung Diktatur und Repression ausgerichtet sind können die ihre Maasnahmen auch nicht vollständig einsetzen. Aber auf Vorrat werden sie sich schon mal eine Blacklist zulegen. Irgendwann kommt noch eine No-Fly Liste und eine No-Go-Area für Bürger zweiter Klasse. Alles im Geheimen versteht sich.

    1. Du glaubst an das Gute in der von CxU Radikalen gesteuerten Einrichtung „EU“? Sehr optimistisch!

  3. So ein Verhalten wie jetzt gerade unsere Politiker zeigen Menschen regelmäßig immer dann, wenn Sie sich gegenüber einem Dritten zu etwas verpflichtet haben, was sich nachträglich als schwieriger herausstellt als gedacht – und wenn sie aus dieser Verpflichtung nicht mehr so leicht herauskommen, z.B. weil sie die Gegenleistung schon bekommen haben oder weil der besagte Dritte die Mafia ist.

    Sicher ist das Zusammenspiel von internen Intrigen und Planlosigkeit einiger Agierender auch eine plausible Erklärung, aber wenn jemand etwas offensichtlich Unmögliches mit brachialer Gewalt verfolgt, dann hat das eben meist mehr mit dem eigenen Willen zu tun als damit, dass man gegenüber einem im Hintergrund bleibenden Dritten zeigen muss, dass man es ja ernsthaft versucht

    Angesichts der relativen Kohärenz, mit der die Regierungskoalition zur Zeit das offensichtlich Unmögliche versucht, glaube ich nicht, dass es sich (primär) um einfache Korruption handelt, bei der man ja meist versucht, den Rahmen der Mitwisser möglichst klein zu halten. Wahrscheinlicher scheint mir, dass es sich bei dem Dritten um eine politische Macht handelt, so dass man den Sachzwang, in den sich unsere Politiker manövriert haben, jedem Entscheidungsträger ggf. erklären kann, um ihn umzustimmen.

    Im Zusammenhang mit ein paar anderen Phänomenen der letzten Zeit liegt auch nahe, wer da wohl gerade mit unseren Politikern Marionettentheater spielt:

    – Die regelmäßige Abweisung von Klagen gegen ehemalige und amtierende amerikanische Spitzenpolitiker, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit Kriegsverbrechen begangen haben und noch begehen, mit der Begründung, die USA hätten ein funktionierendes Rechtssystem, welches das selbst regeln könnte.
    – Das absurde Verhalten der schwedischen und britischen Regierungen im Zshg. mit Julian Assange, unter offenem Bruch selbstverständlichster Rechtsprinzipien. Zuletzt hieß es aus Schweden, man sehe überhaupt kein Problem darin, jemand endlos festzusetzen, ohne dass auch nur eine Anklage vorliegt.
    – Der Skandal, dass mehrere ’souveräne‘ europäische Staaten das Flugzeug von Evo Morales am Überflug hinderten und Österreich es durchsuchte, alles unter Bruch fest etablierter diplomatischer Regeln, nur weil die USA glaubten, Edward Snowden sitze darin.
    – Die Geheimniskrämerei um internationale Verträge wie TTIP, die sehr wahrscheinlich zum Nachteil der Demokratie in Europa sind.
    – Die unglaubliche Demut der deutschen Bundesregierung im Zshg. mit der Merkel-Handy-Affaire.

    Amerikanische Politiker haben auch ein Motiv: Die Sicherstellung der Tributzahlungen an international agierende Konzerne, in diesem Fall insbesondere die großen Urheberrechtsverwerter, an deren Tropf sie hängen. (Tributzahlungen an mächtige Länder hat es immer gegeben. Wenn es so aussieht, als ob das heute nicht mehr der Fall wäre, heißt das natürlich nur, dass sie heute besser versteckt werden.)

    Soweit das Gedankenspiel. Ich sehne mich immer wieder nach der Zeit vor dem Mauerfall zurück, als der Westen noch im Wettstreit mit dem Ostblock um die Herzen der Menschen stand und beweisen wollte, dass er das bessere und demokratischere System hat. Ein Unterschied war damals, dass die USA formal viel mehr Einfluss in Deutschland hatten als heute, wie mir scheint aber sehr viel zurückhaltender damit umgegangen sind.

    1. Sorry, im 2. Absatz sollte es heißen „weniger mit dem eigenen Willen zu tun“, nicht „mehr“.

  4. Die Stadtverwaltung von San Jose möchte alle KFZ-Kennzeichen in der Stadt rund um die Uhr erfassen und die Daten direkt an die Polizei schicken, indem sie alle privaten Müllfahrzeuge mit KFZ-Kennzeichen-Lesern ausstattet. Damit sollen Verbrechen vereitelt werden („a unique approach to maximizing technology to thwart crime“). Der Grund für die automatisierte Erfassung ist wohl der Rückgang an zur Verfügung stehenden Polizisten.

    Sechs Polizeifahrzeuge sind bereits so ausgerüstet und scannen alle Fahrzeuge. Laut einem Bericht aus dem letzten Jahr benutzen bereits 70% aller Polizeistationen diese Möglichkeit.

  5. Danke, Anna, für das Mitverfolgen der Ministerium-internen Rückmeldungen und Zusammenstellung der Gesamtsicht. Das menschliche Gedächtnis ist ja bekanntlich kurz und Wiederholungen tragen zur Auffrischung der Erinnerung bei …

  6. wieso wundern sich noch Menschen über die VDS,die NSA, Verfassungsschutz, Geheimdienste u.s.w.,
    eins muß doch jedem normal denkenden klar sein warum das so sein muß, der Grund ist einfach der: Bei der unsozialen Menschen verachtenden und schon fast krminellen Politik die in der Welt gemacht wird, haben die verantwortlichen Politclowns einfach nur Angst vom Volk irgend wann überrascht zu werden und das man sie zum Teufel jagt, wie das gehen kann haben uns die Menschen im Osten vor 25J. vorgemacht, aber he ihr Politclowns, ihr braucht keine Angst zu haben, hier passiert das nicht, dafür sind wir Deutschen viel zu sehr egoistisch geworden

  7. Letzten Endes muss es wohl wieder das BVerfG, oder der EuGH richten. Auf unseren Freiheits-Apostel Gauck können wir uns ja nicht verlassen, der unterschreibt blind alle Gesetze, die ihm vorgelegt werden, obwohl er als Bundespräsident die Pflicht hat, Gesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen, bzw. prüfen zu lassen.

  8. Mal eine Frage, statt eines Kommentars:

    Wäre die Vorratsdatenspeicherung – gäbe es sie heute schon – ein geeignetes Instrument, um die Brandstifter der Notaufnahmen leichter zu identifizieren und auch die Strippenzieher dahinter?

    1. Nein, denn bei dieser Situation gibt es einen Anlass (ist ja nicht der erste Fall), vielleicht sogar einen Verdacht, eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist daher nicht nötig und damit nicht verhältnismäßig. Abgesehen davon sind die Daten hier ja noch alle zeitnah vorhanden. Sinnvoller wäre sowieso Videoüberwachung auch mit Drohnen.

      1. Das war nicht die Frage.
        Abgesehen das kein Anlass derartige Progrome in irgendeiner Weise rechtfertigt, spielt der Anlass hinsichtlich der Nutzung von Vorratsdaten keine Rolle.
        Die Antwort unterstellt, dass es einen Verdächtigen für die Organisation der Progrome gäbe. Das stimmt so sicher nicht, sonst hätte man doch wohl schon etwas darüber gehört. Oder gibt es hier einen entsprechenden Link?

  9. Gab es da neulich nicht ein Interview? Oder so etwas ähnliches wie?
    „Ich will nicht in einem Land leben, in dem per se jeder Bürger unter Generalverdacht steht, damit sich die Leute, die unser Land führen, auch sicher fühlen“

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.