Der Kampf gegen Flüchtlingshilfe ist nicht genug: Noch mehr Kompetenzen für Europol gefordert

Symbolbild von Europol für die neue "Meldestelle für Internetinhalte".
Symbolbild von Europol für die neue „Meldestelle für Internetinhalte“.

Das Europäische Polizeiamt (Europol) sucht mindestens seit September in sozialen Netzwerken nach Fluchthilfeaktivitäten. Geht es nach der luxemburgischen Ratspräsidentschaft könnte die Behörde hierzu künftig enger mit privaten Unternehmen wie Facebook und Twitter zusammenarbeiten.

Zu den Mitteln der Verhinderung einer Kontaktaufnahme über das Internet hat eine Vertretung von Twitter im Oktober auf einer Europol-Veranstaltung vorgetragen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (18/6442) der Fraktion DIE LINKE hervor, die wir hier veröffentlichen.

Europols Kampf gegen Fluchthilfe

Schon im April hat der Europäische Rat beschlossen (EUCO 18/15), gegen ein „Anlocken“ von Flüchtlingen vorzugehen:

Wir verpflichten uns heute dazu, […] mit Hilfe von EUROPOL und im Einklang mit der jeweiligen nationalen Verfassung Internetinhalte, mit denen Schlepper Migranten und Flüchtlinge anlocken, auszumachen und deren Entfernung aus dem Netz zu beantragen.

Europol hat im Mai (9000/15) 99 000 Euro für drei weitere Stellen im laufenden Jahr bereitgestellt, um solche Internetinhalte zu finden und zu löschen. Diese Stellen wurden innerhalb von Europol bei der „Meldestelle für Internetinhalte“ (IRU) angesiedelt. Die IRU hat am 1. August den sechsmonatigen Pilotbetrieb aufgenommen und soll sich laut einem Ratsdokument (1497/15) rechtlich auf Art. 5 (2) des Beschlusses zu Europol von 2009 stützen.

Am 18. September gab EU-Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove dann bekannt (12139/15), dass die IRU die sozialen Medien nicht nur nach einem „Anlocken“ von Flüchtlingen durchforstet:

The IRU is also tackling the facilitation of illegal immigration, with a continuous analysis of social media-related information on a 7/7 basis.

Soziale Medien im Untersuchungsbereich der IRU sind unter anderem Twitter, Google Drive, Facebook und YouTube, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion.

Wird die IRU fündig, sollte sie die Mitgliedsländer auffordern, Löschbitten bei diesen Anbietern zu stellen. Doch inzwischen hat sich nach Angaben der Regierung eine Art Widerspruchsverfahren etabliert: Die IRU informiert die Kontaktstellen der betroffenen Mitgliedsländer über den Fund. Wenn kein Einwand erfolgt – etwa weil der Inhalt von der nationalen Polizei als Köder eingesetzt wird –, bittet die IRU selbst (freundlich) um Löschung.

Zusammenarbeit der IRU mit privaten Unternehmen

Zur Frage der Zusammenarbeit von IRU und privaten Anbietern verweist die Bundesregierung auch auf das „INTERPOL and Europol Operational Forum on countering Migrant Smuggling Networks“ vom 15. und 16. Oktober 2015. Dort hatte eine Vertretung von Twitter über die Verhinderung der Kontaktaufnahme zwischen Fluchthelfern und Flüchtlingen gesprochen. Über den entsprechenden Telefon-Vortrag, „Internet als Mittel der Kommunikation zwischen Fluchthelfern und Flüchtlingen“, ist jedoch nichts Genaueres bekannt.

Bald könnte neben IRUs 24-Stunden-Überwachung sozialer Netzwerke die Zusammenarbeit der Behörde mit privaten Unternehmen rechtlich verankert werden. Dies fordert ein Positionspapier der luxemburgischen Ratspräsidentschaft vom 29. September (1532/15), das statewatch.org zuerst veröffentlicht hat – als Beitrag zu den seit Herbst 2014 laufenden (informellen) Trilog-Verhandlungen zu einer gesetzlichen Reform von Europol.

Das Papier aus Luxemburg kommt einem Wunsch von Gilles de Kerchove nach. Der EU-Anti-Terror-Koordinator hatte am 18. September (12139/15) mit Blick auf die Verhandlungen geschrieben:

The Presidency is invited to pursue in the trilogues with the EP its proposal to include a solid legal basis for the IRU, including the authorization to exchange personal data with the private sector, in the draft regulation on Europol.

Luxemburgische Ratspräsidentschaft fordert engere Zusammenarbeit

Das Positionspapier aus Luxemburg fordert nun den Ausbau der Kompetenzen von Europol im Bereich des Datenaustausches mit privaten Unternehmen, der bisher noch von Art. 25 des Ratsbeschlusses zu Europol von 2009 unterbunden wird:

Europol darf nicht unmittel­bar mit privaten Parteien in den Mitgliedstaaten Kontakt auf­nehmen, um Informationen einzuholen.

Wie auch der Tagesspiegel berichtete, soll die IRU künftig mehr Rechte zum direkten Zugriff auf Daten von Unternehmen (u. a. Tracking-Daten von Facebook) und auch von Frontex erlangen – und dies nicht mehr indirekt über die Mitgliedstaaten tun müssen.

Geht es nach der Ratspräsidentschaft soll dafür im neuen Art. 32 („Exchanges of personal data with private parties“) eingefügt werden:

Europol may […] receive personal data directly from private parties in order to process such data for the performance of the task set out in Article 4(1)(m) [s.d.: (m) to process information in order to support Member States in preventing and combating forms of crime listed in Annex 1 which are facilitated, promoted or committed using the internet].

Über den Inhalt des genannten „Annex 1“ wird auch noch verhandelt. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich darin auch das Vorgehen gegen Fluchthilfeaktivitäten findet, wie sie Europol derzeit nach den obigen Beschlüssen durchführt – auch mit Zustimmung der Bundesregierung.

Bisher ist Europol dem Ratsbeschluss (2009/371/JI) gemäß allgemein für das Vorgehen gegen „organisierte Kriminalität, Terrorismus und andere Formen schwerer Kriminalität“ zuständig. Interessanterweise wird dabei unter „schwerer Kriminalität“ auch „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ sowie „Schleuserkriminalität“ gefasst. Flüchtlingshilfe wird dabei wohl direkt der „Schleuserkriminalität“ zugeordnet – oder als im „Zusammenhang stehende Straftat“ gesehen, „um Handlungen, die in den Zuständigkeitsbereich von Europol fallen, zu erleichtern oder durchzuführen“, so die Bundesregierung.

Kritik an Europol

Europol soll zukünftig sowohl das „Europäische Zentrum zur Terrorismusbekämpfung“ (ECTC), dem die IRU untergeordnet werden soll, als auch das „Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (ECMS) beherbergen. Dies geht unter anderem aus der Antwort auf eine weitere Anfrage der Linksfraktion und MdB Andrej Hunko hervor. MdB Hunko kritisiert:

Mit dem Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung wäre Europol auf dem Weg zur Superbehörde. Das Bundesinnenministerium muss sich deshalb in den gegenwärtigen Diskussionen zur Neufassung der Europol-Verordnung für mehr parlamentarische Kontrolle einsetzen.

Sollte die (Super-)Behörde nun auch noch die Möglichkeit erhalten, Daten mit privaten Unternehmen auszutauschen und nach dem Widerspruchsverfahren nahezu selbständig für die Löschung einzutreten, würde die Grenze zwischen Datenkrake, Polizeibehörde und Geheimdienst weiter verschwimmen.

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8 Ergänzungen

  1. Es wäre um vieles einfacher zu haben, ohne diesen ganzen Mist. Grenzen wieder dicht machen und schon lösen sich Tonnenweise Probleme aller Art in Luft auf.
    mfg R.K.

    1. Es wäre um vieles einfacher zu haben, ohne diesen ganzen Mist. Endlich legale Einreisemöglichkeiten schaffen und schon lösen sich Tonnenweise Probleme aller Art in Luft auf.

  2. Ich stimme dem zu, dass da wieder unnötig Kompetenzen geschaffen werden. Aber es geht nicht um Flüchtlingshilfe, sondern Schleusertum, das die Asylbewerber mit ihrem gesamten Besitz, einem Trauma und oft genug mit ihrem Leben bezahlen … nur um am Ende enttäuscht zu werden, weil sich die Versprechen der Schleuser als Lügen mit Gewinnerzielungsabsicht entpuppen.

  3. Menschen Illegal in ein Land zu bringen ist nun mal verboten. Das sich aber nun Interpol unter diesem Argument mehr Kompetenzen einheimst ist nicht richtig.

  4. Frl. Unverständnis und Hans,
    das illegal ist das, (hier et)was illegal ist. Legal wäre ein Handeln nach den Menschenrechten, dem Völkerrecht und internationalen Vereinbarungen.

    Mehr Kompetenzen sind kontraproduktiv, weil sie Ressourcen auf einen falschen Fokus lenken. Schleusertum und Illegalität gäbe es nicht, wenn Menschen legal ihr Recht auf Reisefreiheit und freie Wahl des Wohnorts wahrnehmen dürften.

    Das sich die Versprechen als Lügen mit Gewinnabsicht entpuppen liegt genau an der Denkweise, dass Menschen illegal wären. Weil wir so Ausländerfeindlich sind und weil wir nicht teilen wollen, aber durchaus alles (aus der „dritten Welt“ mitnehmen, was wir bekommen können), haben wir eine Situation, die wir nun mit Gewalt verteidigen wollen.

    1. Es gibt aber keine unbegrenzte weltweite Wohnortswahl. Ich finde Australien cool, kann aber (aus verständlichen Gründen) ohne Weiteres dort auf der Matte stehen.

      Die Ausländerfeindlichkeit nehmen Sie bitte zurück. Ich beute auch keine anderen Länder aus und verabscheue und boykottiere soweit wie möglich Wirtschaftsunternehmen, die es tun.

      Man kann auch nicht einfach alles teilen, denn es gibt neben Gutmütigkeit auch Charakterzüge wie Gier, Missachtung, Wut, Naivität, Dreistigkeit (auf beiden Seiten des Mittelmeeres, mit unterschiedlichen Motivationen). Wenn man wirklich etwas ändern will, sollte man sich um nachhaltige Hilfe kümmern (Patensystem, Entwicklungshilfe, Bildungsmöglichkeiten) und zwar in Maßstab von ganzen Ländern, nicht tröpfchenweise. Nur so kann man in Krisenregionen Wohlstand und Stabilität errichten, wie in Europa oder Nordamerika. Dann gäbe es auch kein Schleusertum. Hat ja auch im Nachkriegsdeutschland gut geklappt – wenn auch nur mit dem Anreiz, einen starken Partner gegen die Sovjetunion zu erschaffen.

      Doch da stehen wohl Wirtschaftsinteressen (Gier und Gleichgültigkeit) im Weg, nicht etwa Bürgerinteressen.

      1. *nicht auf der Matte stehen – Sie wissen schon, Freizügigkeit gibt es bei uns Dank der EU, nicht weil jeder alles tun und lassen darf.

      2. Ich nehme nichts zurück. Mit den Pauschalisierungen habe ich nicht angefangen. Mit gefangen, mit gehangen gilt hier leider auch für mich. Ich lebe hier. Es ist nicht möglich, sich dem und seiner Verantwortung zu entziehen.

        Was übrigens Australien angeht: zwei meiner Onkel sind ohne Probleme dahin gezogen. Ein naher Verwandter lebt in China. Mit Geld ist das alles kein Problem. Das ist gewissermaßen eine Frage der „hohen Geburt“ oder eine neue Form der „Aristokratie“. Der Wert eines Menschen ist der Wert seines Geldes. Die freie Wahl des Wohnortes hängt nur davon ab. Die Menschenwürde hängt davon ab.

        Ich frage mich, wie das halbwegs humanistisch oder auch nur logisch begründet werden könnte.

        Was nach „Wenn man wirklich etwas ändern will“ kommt: absolute Zustimmung.

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