Der digitale Überwachungsstaat – Quo vadis, Demokratie? Eine Zitatsammlung der Podiumsdiskussion

Quelle: Screenshot

Am Sonntag, den 7 Juni, fand im Haus der Kulturen der Welt in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Überwachungsstaat und Demokratie statt. Auf dem Podium waren zu Gast: Martina Renner MdB (Linke), Konstantin von Notz MdB (Grüne), Thomas Drake, Daniel Ellsberg, Jesselyn Radack, Coleen Rowley und Peter Schaar. Der Videomitschnitt der Veranstaltung findet sich hier. Wir haben die wichtigsten Zitate zusammengetragen.

Coleen Rowley

Ich denke, es geht nicht einfach nur um Demokratie bzw. um das Nicht-Vorhandensein von Demokratie, denn alle müssten (zu solchen Aktionen) dafür informiert zustimmen. Doch wir werden von Menschen regiert, die es vorziehen, über Uninformierte zu regieren. Dafür gibt es einige Begriffe, aber man könnte es auch als eine De-facto-Diktatur bezeichnen.

De facto sind der Überwachungsstaat und der Kriegsstaat derselbe Staat.

Ich war in London und Oslo und hier, alle diese Staaten brauchen Whistleblower, wie auch den unabdingbaren Schutz von unabhängigem Journalismus.

Wenn Deutschland den USA bei Straftaten hilft, werden diese Straftaten auch zu deutschen Straftaten.

Thomas Drake

Die Bedrohung war derartig groß, obgleich der 11. September 2001 ein systemischer Fehler war, dass wir es für notwendig erachten, uns eine Art Notstandsgesetze zu erlauben.

Josef Foschepoth

Wir können in der heutigen Krise eine Struktur beobachten, die über siebzig Jahre gewachsen ist.

Große Koalitionen bewegen immer Großes, zumindest auf geheimdienstlichem Gebiet.

Nach jeder Geheimdienstkrise in der BRD wurde der jeweilige Dienst hinterher gestärkt. Das muss umgedreht werden.

Konstantin von Notz

Es gibt einen globalen Pakt, eben zwischen verschiedenen Ländern, globale Massenüberwachung zu organisieren.

Es ist eben so, dass aufgrund der Rechtslage, die der BND wohl für nicht mehr so passend hielt, unter bewusster Vorspiegelung falscher Tatsachen, der BND vor der G10-Kommission Genehmigungen erwirkt hat.

Wir haben es bisher nicht geschafft, mit demokratischen Mitteln die Totalität der Technik einzugrenzen.

(Bezugnehmend auf eine Äußerung der Kanzlerin, dass es nicht sein könne, dass Bürger ihre Daten selbst im Internet freigeben und der Staat keinen Zugriff darauf haben könne.)

Die Schlampigkeit, mit der man für zu wenig Datenschutz gesorgt hat, in den letzten zehn Jahren im Internet, in sozialen Netzwerken usw., das ist jetzt die Argumentationsgrundlage, warum auch der Staat sozusagen massenhaft auf diese Daten zugreifen kann.

Martina Renner

Nicht überwacht zu werden, ist ein Menschenrecht und kein Bürgerrecht.

Wir müssen Empörung organisieren.

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10 Ergänzungen

  1. „Die Bedrohung war derartig groß, obgleich der 11. September 2001 ein systemischer Fehler war.“

    Ein systemischer Fehler, interessant formuliert.

    Der republikanische Kongressabgeordnete Thomas Massie in einer Stellungnahme, nachdem er die 28 zensierten Seiten des Abschlussberichts der “Gemeinsamen Untersuchung der Aktivitäten der Geheimdienste vor und nach den Terroranschlägen am 11. September 2001″ gelesen hatte:

    “I had to stop every couple pages and just sort of absorb and try to rearrange my understanding of history for the past 13 years and the years leading up to that. It challenges you to rethink everything, and so I think the whole country needs to go through that. It’s gonna be difficult, and it could be embarrassing. But that is no reason to keep the truth from the American people.”

    Die ehemalige FBI Übersetzerin Sibel Edmonds:

    “Certain elements within our government absolutely, intentionally, purposefully ignored and let it (9/11) happen.”

    ZDF Korrespondent Stephan Hallmann am 11.9.2001:

    “Hier ist die Komplizenschaft von Geheimdiensten anderer Staaten und mächtigen Organisationen von Nöten, andererseits kann man nicht unbemerkt von der Aufmerksamkeit aller amerikanischen nationalen Sicherheitsdienste diesen Angriff vorbereiten. Irgendwas hätten die Amerikaner, CIA, National Security Agency,erfahren müssen.”

    https://machtelite.wordpress.com/2015/05/02/die-hilflosesten-nsabnd-apologeten-im-uberblick-jasper-von-altenbockum/

  2. Berliner Morgenpost am 8.10.2011:

    “In den vergangenen Wochen war eine Serie von Pannen innerhalb des FBI und in der Abstimmung mit der CIA, dem US-Auslandsgeheimdienst, vom Sommer 2001 bekannt geworden. So war das Dossier eines Agenten in Phoenix (Arizona), das eine Überprüfung von arabischen Studenten in US-Flugschulen verlangte und den Verdacht minutiös begründet hatte, von der Zentrale in Washington ignoriert und folglich auch nicht an das Weiße Haus und den Nationalen Sicherheitsrat übermittelt worden. Das inzwischen als «Phoenix Memo» notorische Dokument wird in künftigen Untersuchungs-Kommissionen – noch ist umstritten, ob sie unabhängig oder aus dem Parlament gebildet sein sollen – eine Rolle spielen.Nur Tage später warf eine FBI-Justiziarin in Minneapolis in einem 13-seitigen Brief an Mueller der Zentrale vor, einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung und den Computer des später als «20. Attentäter» verdächtigten Zacarias Mousaoui verweigert zu haben. In dem Brief, datiert am 21.Mai 2002, schreibt die Anwältin Coleen Rowley, die FBI-Zentrale habe allem Drängen widerstanden und beinahe mutwillig die Durchsuchung verhinderte. Rowley wagte es auch als erste, den FBI-Direktor wegen angeblich irreführender öffentlicher Äußerungen zu kritisieren.”

    https://machtelite.wordpress.com/2011/08/31/der-zehnte-jahrestag-der-anschlage-vom-11-september-2001/

    1. Hallo Bob Roberts,

      deinen Fleiß in allen Ehren, aber könntest Du Dich wenigstens mal zu einem kurzen Kommentar hinreißen lassen, damit man versteht, worauf Du mit den ganzen Zitaten eigentlich hinaus willst?

  3. ich find es jedesmal wieder bemerkenswert, wie dieses „ihr postet doch eh alles auf facebook“ als argument verwendet wird und sich keiner die mühe macht, die fehlende logik dahinter bloßzustellen.

    damit vorratsdatenspeicherung, usw. zu legitimieren is doch ungefähr so, als würde man jeden bürger zu drei schachtel kippen und nem kasten bier am tag zwingen.

    ja, ein paar menschen leben unbedacht oder ungesund, aber sowas sollte eine freiheitliche gesellschaft aushalten und abfedern… und nicht alle zum mitmachen zwingen.

  4. „wir werden von Menschen regiert, die es vorziehen, über Uninformierte zu regieren. Dafür gibt es einige Begriffe, aber man könnte es auch als eine De-facto-Diktatur bezeichnen.“

    Ein Zitat für Geschichtsbücher.

  5. Denn Regierenden ist vor 25 Jahren der Klassenfeind verloren gegangen, mit dem man Angst schüren konnte, um eigene Interessen durchzusetzen, und wegen dem man vielen Wirtschafts-Lobbyiste ungefragt zuarbeiten konnte. Genau so war der Geheimdienst seiner zentralen Aufgabe beraubt. Die nachfolgenden Entwicklungen sporadischen Terrorismus und der Kommunikationsautobahn Internet werden nun benutzt, um den alten Status wieder herzustellen. Allerdings ist den Regierenden nicht aufgefallen, dass sie zwar sagen, der Terrorist oder Internetkriminelle sei unser aller Feind, sie jedoch die eigene Bevölkerung zu ihrem Feind erklären – UND WIR DAS MERKEN. Denn nur ein großer Feind ist wirksam genug. Die paar Terroristen und Kriminelle reichen nicht zur Aufrüstung. Das ganze Volk ist aber ein wirtschaftlich adäquater Feind. – UND WIR MERKEN DAS.

  6. Das ist geschichtlich eine ganz neue Konstellation: Die Regierenden werden von ihrem Feind regelmäßig gewählt. Der Feind muss also an der Nase herumgeführt werden, damit er das tut. Doch der Feind ist ja nicht dumm und wird das merken. Deshalb muss die Regierung sehr schnell handeln, dass sie den Feind schon unter der vollständigen nachrichtendienstlichen Überwachung und damit Steuerung hat, bevor er es merkt. – Ergo: Wir landen vorübergehend in einer womöglich neuen Gesellschaftsform, die ähnliche Auswirkungen auf die Bevölkerung hat, wie eine Diktatur. Eine Diktatur vorerst ohne Diktator.

    Spinnt man den Gedanken weiter: Die Regierenden kommen untereinander ausser Kontrolle, und es wird sich ein Machtnetzwerk einer Person an die Spitze setzen. Und dann haben wir wieder eine klassische Diktatur. – Ein Weg, wie sich Demokratie selbst abschafft.

  7. Meine philosophische Frage: KANN DEMOKRATIE NUR DANN EXISTIEREN, WENN EIN FEIND VORHANDEN IST?

    Basis einer Demokratie ist ja auch der altruistische Gedanke innerhalb der Menschengruppe, die die demokratischen Regeln (Gesetze) untereinander mittragen. Bricht die stabilissierende Kraft der Demokratie weg, wenn kein Feind mehr vorhanden ist? Keine gleichartige Angst mehr über den Mitgliedern dieser Menschengruppe liegt? Liegt die tiefere Kraft zur Gruppierung in der Angst immer vor einem GEMEINSAMEN FEIND?

    Um es an einem Beispiel zu hinterfragen: Würde die USA nach kurzer Zeit unregierbar nach den derzeitigen (noch existierenden) Regeln einer demokratischen Gesellschaftsform, wenn die Regierung sämtliche Feindbilder auflösen würde und im Ausland keine Kriege mehr führen würde?

    1. Ìnteressanter Gedanke. Was auf jeden Fall weggebrochen ist, seit wir keinen äußeren Feind mehr haben, ist die Solidarität mit den Mitbürgern. Jeder ist sich selbst der Nächste. Das kann man allgemein beobachten, dass nach längeren Phasen ohne Existenznöte sich in einer Gesellschaft das Gefühl durchsetzt, man genüge sich selbst und sei auf die Gemeinschaft nicht angewiesen. Das wiederum ist natürlich eine schlechte Basis für ein demokratisches Gesellschaftssystem. Die Demokratie lebt vom Kompromiss. Wer rücksichtslos nur seine eigenen Interessen im Blick hat, untergräbt den demokratischen Gedanken. Gut möglich, dass in einer solchen Situation die Demokratie einfach nicht mehr haltbar ist. Aber anstatt die Demokratie aufzugeben, sollten wir dann vielleicht besser unser Wertesystem rekalibrieren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.