Das große Quiz: Wir sind für Netzneutralität, aber… planen die Abschaffung

plakat_07Seit einigen Monaten kann man in der Debatte um Netzneutralität ein Muster erkennen, wie die Telekom-Lobby und unsere Spitzenpolitiker (vor allem aus der Union) den Ausstieg aus dem Prinzip eines offenen Internets verkaufen wollen: Autos und eHealth! Das erste Mal haben wir die Argumentation in einem Lobbypapier der Deutschen Telekom gesehen. Spätestens seit Günther Oettinger und Angela Merkel dieselbe Argumentation rauf und runter beten ist klar, dass die Telekom-Lobby damit leider Erfolg hat.

Das Problem: Weder ist klar, dass das technisch Sinn macht, noch gibt es von Seiten der Bundesregierung und EU-Kommission konkrete Vorschläge in der Debatte, wie man in einem Regulierungsrahmen nur diese beiden Punkte wirksam eine Ausnahme machen könnte. Stattdessen hat man immer im Sinn, Überholspuren für alle zu schaffen, die sich das leisten können. Es ist also alles ein großes Ablenkungsmanöver mit dem Ziel, die Netzneutralität zu beerdigen und das Zweiklassen-Netz zu schaffen. Sponsored by Deutsche Telekom, Vodafone und Telefonica. Gespielt von unserer Bundesregierung. Es ist ziemlich traurig, wenn man sich mal Zitate anschaut, die von denselben Redenschreibern geschrieben sein könnten.

Wir haben hier mal ein kleines Quiz vorbereitet.

Ratet mal, wer welches Zitat gebracht hat. Die Auflösung findet sich darunter. Im Rennen sind: Günther Oettinger, Deutsche Telekom, Telefonica, Vodafone und Angela Merkel. Einen Joker gibt’s, der ist doppelt dabei.

1.) „Denken Sie an das selbstfahrende Auto! Welche Daten haben Vorrang, wenn es eng wird: Die, die das Auto steuern, oder die der Tochter auf der Rückbank, die gerade Musik streamt?“

2.) Dabei befürwortete er Spezialdienste für Bereiche wie Gesundheit und Katastrophenschutz, aber wohl auch für Mobilitätsdienste wie autonomes Fahren. Entertainmentdienste wie Video oder Musik stünden hingegen „nicht im Fokus, wenn es um Abweichungen nach oben von der Neutralität geht“, sagte [XY]. „Ich will einen Qualitätsstandard für alle, der diskriminierungsfrei jedem angeboten wird.“

3.) Wir als [XY] und auch ich persönlich stehen dafür gerade, dass das Internet eine völlig offene Plattform bleibt. Aber für bestimmte Dienste müssen wir so etwas wie Überholspuren schalten dürfen. Wenn wir beispielsweise in Zukunft per Mobilfunk Autounfälle vermeiden wollen, muss die Information in Echtzeit ankommen. Oder nehmen Sie die Medizintechnik, auch hier geht die Entwicklung nur voran, wenn Informationen ohne Verzögerung ausgetauscht werden können.

4.) Deutschland drückt hierbei sehr auf das Tempo. Denn wenn Sie das fahrerlose Auto haben wollen oder wenn Sie bestimmte telemedizinische Anwendungen haben wollen – um nur zwei Beispiele zu nennen –, dann müssen Sie natürlich eine fehlerfreie und immer gesicherte Datenübertragung haben. Ansonsten können Sie diese Anwendungen überhaupt nicht durchführen. Deshalb brauchen wir beides, das freie Internet und das qualitätssichere Internet für Spezialdienste.

5.) „Wir werden in Zukunft Dienste sehen, wie die Telemedizin, wir werden vernetzte Fahrzeuge sehen, über die die Fahrzeugsteuerung verbessert werden soll. All das sind Dienste, die sehr hohe Qualitätsanforderungen haben. Und da braucht es zwangsläufig eine Kooperation, um einen Dienst in einer bestimmten Qualität auch garantieren zu können.“

6.) „Es kann keine Diskriminierung geben. Wir brauchen Netzneutralität.“ Gleichzeitig sprach sich [XY] aber dafür aus, gewissen Diensten Vorrang auf den Datenleitungen einzuräumen. Als Beispiel nannte er ein Auto der Zukunft mit Internetanschluss, das im Schwarzwald unterwegs sei. Dort könne die Internet-Verbindung auch mal schwach sein – dann müssten die sicherheitsrelevanten Fahrsysteme Vorrang haben vor den Filmen für die Kinder auf der Rückbank.

Wir sammeln gerne weiter Zitate von Lobbyisten und Spitzenpolitikern, die dieselbe Argumentation verwenden. Sachdienliche Hinweise und Links bitte in die Kommentare posten.

Und hier ist die Auflösung:

  1. Telefonica (o2/ePlus)
  2. Günther Oettinger
  3. Vodafone
  4. Angela Merkel
  5. Deutsche Telekom
  6. Günther Oettinger

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27 Ergänzungen

  1. Mal ne Frage: „sicherheitsrelevanten Fahrsysteme Vorrang haben vor den Filmen für die Kinder auf der Rückbank“
    Also – die Bremse des Autos wird über das Internet gesteuert? „Wollen Sie bremsen? Ja, Nein, Abbrechen?“
    Oder vielleicht „Bitte buchen sie weiteres Übertragungskontinget, dann können Sie wieder bremsen?“

      1. War auch mein erster Gedanke. Wenn das autonome Auto demnächst crashed, hat jemand das Internet gelöscht.

      2. Ich wette, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es tatsächlich diese dämliche Entwicklung geben wird, dass die Bremse eines Fahrzeuges über das Internet zu steuern ist. Es gab doch schon den Vorfall, dass ein KFZ, bei dem die Kreditrate nicht ordnungsgemäß bezahlt wurde, per Fernwartung stillgelegt wurde…
        Und wenn so ein dahergelaufener CDU/CSU-Polizeifaschistenstaat-Hämpel daherkommt und es damit begründet, dass man auf diese Weise das Fahrzeug eines Kriminellen stoppen können müsse. Zum Schutze und Wohle aller Bürger und zum Schutze der Polizei vor gefährlichen Verfolgungsjagden.
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        Man stelle sich ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug vor, das auf den Bundestag zusteuert, der BND diese brisanten Daten von der NSA gekauft hat und das Fahrzeug dann nicht übers Internet abgebremst werden könnte! Ein Horrorszenario! Da muss man etwas TUN. Sofort, hier und jetzt. Mist… jetzt habe ich der CSU sogar schon die Argumente vorgekaut.
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        Ein Auto hat genauso wenig etwas im Internet verloren, wie die Infrastruktur eines Atomkraftwerkes. Wenn dabei als Goodie irgendwelche TV-Inhalte auf den Rücksitzfernseher gestreamt werden, okay. Das ist ein Zusatzfeature, wenns eben mal nicht funktioniert, ist es halt auch egal. Aber alles andere gehört nicht ans Netz.
        Diese Zugänge werden irgendwann immer Ziel von Angriffen, es ist nur eine Frage der Zeit. Irgendwo auf diesen Planeten sitzt IMMER ein beklopptes A****loch, das derartige Zugänge anzapft oder im schlimmsten Fall für eine Katastrophe sorgt, und wenn es ein 17jähriger Teenager ist, der es im Vollsuff „cool“ findet und erst hinterher merkt, was er für eine Sch**** gebaut hat. Es gibt Dinge, die gehören nicht an ein von außen erreichbares Netz. Basta.
        Genauso dämlich sind „Smartwohnungen“, aber auch hier ist der Verbraucher wieder mal nur geil auf die Featuritis und am Ende heult er herum, wenn diese Systeme ausgenutzt werden und die Bude abfackelt, weil irgend ein Scriptkiddie mit nem Virus Kontrolle über 100.000 Wohnungen übernommen hat und dort herumspielt.
        Oder spätestens, wenn die „Sicherheitsbehörden“ Zugriff auf diese Daten verlangen. Wir als Bürger lernen es eben nicht, dass weniger „smart“ viel smarter ist.

    1. Nachdem ich gerade einen Vortrag zur Vollvernetzung von Autos hinter mir habe: Natürlich bremst das autonome Auto selbstständig und ohne im Internet nachfragen zu müssen. Es gibt allerdings Szenarien, in denen sich die Autos gegenseitg über auftauchende Hindernisse informieren. Oder das die Verkehrsüberwachung über Hindernisse um die Kurve herum informiert. Da ist dann langsamer werden besser als hart bremsen um Staus oder Mehrfachauffahrunfälle zu vermeiden.

      1. Das wäre aber quatsch, dass über Internet-Infrastruktur abzuwickeln und nicht eher lokale, mit der passenden Reichweite ausgestattete Funksysteme zu machen. Schon alleine aus Gründen der Ausfallssicherheit.

      2. Für mich ist die Frage, ob eine „Stauwarnung“ ein “ sicherheitsrelevantes Fahrsystem“ ist. Ich denke nicht. Es ist vielleicht ein System, das die Sicherheit erhöhen könnte, wenn es denn irgendwasnn mal implementiert werden würde. Und ob eine Warnung über das Internet(!) übertragen werden muss. Weil – dann schick ich durchgehend Stauwarnungen raus, damit es mal ein wenig ruhiger ist vor der Tür.

      3. Aha. Das bedeutet also, das autonome Auto verläßt sich darauf, daß es via Internet eine Warnung kriegt, falls hinter der Kurve ein Hindernis wartet und ohne solche Warnung kann es mit Karacho auch dann fahren, wenn es im übersehbaren Straßenbereich nicht mehr anhalten kann. Wird sicher ganz toll funktionieren, bis es hinter der Kurve mal auf ein Stück abgefallenen Baum ohne Internetanschluß kracht. Das autonome Auto muß so ausgelegt werden, daß es mit den lokal verfügbaren Informationen crashfrei fahren kann. Anders kann es etwa für Informationen zur übergreifenden Routenplanung sein; diese wiederum sind aber nicht im Sekundenbereich zeitkritisch. Die aktuellen Fahrmanöver müssen jedoch lokalisiert durchgeführt werden können.

        Ähnliches gilt für Telemedizin. Irgendwelche lebenserhaltenden Systeme, angefangen mit Herzschrittmachern, müssen autonom funktionsfähig sein und dürfen nicht von einem Internetzugang abhängen. Es scheint dann noch Ideen zu geben mit so etwas wie ferngesteuerten Operationsrobotern. Nun kann man medizinische Operationen in verschiedener Hinsicht klassifizieren, insbesondere wie routinemäßig oder außerhalb der lehrbuchmäßigen Routine eine Operation ist, und wie häufig sie vorgenommen wird, und wie dringlich sie ggf. ist. Bei häufigen Operationen beispielsweise kann man erwarten, daß ein dazu befähigter Operateur relativ lokal verfügbar ist, usw. usf. Ich will das nicht im einzelnen auseinanderklamüsern, aber die hier standardmäßig genannten Gründe Telemedizin und autonome Fahrzeuge ergeben hinsichtlich Einschränkung von Netzneutralität keinerlei Sinn, wenn man die Sache einmal etwas näher durchdenkt und nicht nur das Geschwafel von den musikhörenden Kindern auf dem Rücksitz nachplappert.

      4. Soweit ich mich erinnere, sind (menschliche) Autofahrer gehalten, ihre Geschwindigkeit so zu wählen, dass sie ggf. innerhalb der halben überschaubaren freien Strecke vor ihnen anhalten können. Warum sollte das für automatische Autos nicht gelten und wofür ist da Echtzeit-Mobilfunk-Internet nötig?

      5. Ihr habt ja alle so Recht.

        Niemand denkt daran, ein selbstfahrendes Auto ausschließlich via Internet/Mobilfunk steuern zu lassen, das Beispiel zieht trotzdem gerade Kreise und wird auf beiden Seiten (Lobbying für managed Services gegen Lobbying für auschlußfreie Netzneutralität) missbräuchlich verwendet was ein bisschen darauf hindeutet, das die technischen Argumente auf beiden Seite aufgebraucht sind.

  2. Ich finde gerade das Beispiel mit den beiden Datenströmen im Auto insofern makaber, als das doch eine Entscheidung ist, die ohne Probleme – und wahrscheinlich sogar viel treffgenauer! – der Router im Auto treffen sollte und wo genau keine Veränderung der Infrastruktur notwendig ist.

    Die Idee, dass die z.B. die Telekom derzeit Streaming-Diensten so viel Bandbreite zur Verfügung stellt, dass andere Dienste darunter leiden könnten, ist ja sowieso amüsant.

  3. Ich finde die Arzt Argumentation super…
    „Tut mir leid, die OP hat länger gedauert ich hatte nur 3G auf meinem iPhone um den Roboter zu steuern.“

  4. Also ich finde das eine durchaus passable Argumentation.

    Wenn ich nur daran denke, wieviele Tote wir tagtäglich durch Paketverluste in der Telemedizin haben. :D

  5. wir brauchen netztneutralität, aber…
    ich bin ja kein rassist, aber…
    wie kann man von einer gleichbehandlung von daten sprechen und im gleichen zug die ungleichbehandlung fordern?

  6. Wenn man schon eine Überholspur nicht verhindern kann oder möchte, wie wäre es dann mit einer gesetzlichen Auflage an die Provider, dass z.B. Latenz und Durchsatz der „Brummispur“ nie unter 75% der Überholspur fallen darf? Und ab 85% sollten die Unternehmen verpflichtet sein, mit dem Ausbau der bestehenden Leitungen zu starten.
    Auch eine Maximallatenz je Hop (nach Stand der Technik festgelegt durch den Regulierer) wäre eine nette Erweiterung, um z.B. auch per Best Effort immer noch vernünftig VoIPen zu können.

  7. Selbst wenn es rein internetgesteuerte Todeswägen geben würde, könnte der Router des Autos bestimmt selber den Youtubeempfang ausbremsen, indem Steuerungsdaten vorrang bekommen.

    Die größte Ironie ist allerdings, dass Netzlückenanbieter wie O2 von selbstfahrenden Autos mit Internetsteuerung faseln, ohne dass deren Netz (oder irgendein Netz) das in etwas ländlicheren Regionen zulassen würde … aber bevor der Netzausbau mit dem 15 Jahre alten 3G abgeschlossen ist, schon über Finanzierungsprobleme von 5G nachdenken. :D

  8. Bei Abbruch der Internetverbindung wird sofort eine Vollbremsung bis zum Stillstand eingeleitet. Bitte starten Sie den Router neu und stellen eine Verbindung zum Internet her, um die Fahrt fortzusetzen!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.